Hrubesch: "War immer mein Anspruch, jüngeren Spielern zu helfen"

Horst Hrubesch gewann als Trainer der U 21-Nationalmannschaft die Europameisterschaft 2009 und führte die Olympiaauswahl 2016 zur Silbermedaille in Rio de Janeiro. Nun ist er als Nachwuchsdirektor zu "seinem" Hamburger SV zurückgekehrt, bei dem er als Deutscher Meister und Europapokalsieger seine größte Zeit als Aktiver erlebte. Im DFB.de-Interview spricht der 69 Jahre alte Europameister von 1980 mit Mitarbeiter Oliver Jensen über seine neue Aufgabe und den Nachwuchsfußball.

DFB.de: Herr Hrubesch, war die Rückkehr zum Hamburger SV für Sie eine Herzensangelegenheit?

Horst Hrubesch: Es war keine Herzensgelegenheit in der klassischen Form, sondern vielmehr eine Aufgabe, die mich magisch angezogen hat. Nach einem halben Jahr kann ich sagen: Ich bin froh, dass ich das gemacht habe. Wir haben hier in Hamburg mit dem Campus, der Geschäftsführung und dem Cheftrainer Daniel Thioune, der seine ersten Schritte als Trainer selbst im Nachwuchs gemacht hat, ideale Voraussetzungen.

DFB.de: Sie sind eine HSV-Legende, haben von 1978 bis 1983 für den Verein gespielt, gewannen dabei dreimal die Deutsche Meisterschaft und den Europapokal der Landesmeister. Warum kam es nicht früher zu einer Rückkehr?

Hrubesch: Es gab ab und zu Gespräche mit dem Verein und seinen Verantwortlichen. Aber die Konstellation war nie so, dass ich das machen wollte. Oft kamen die Anfragen auch zu einer Zeit, als ich noch beim DFB beschäftigt war. Dort habe ich mich sehr wohlgefühlt. Von daher gab es überhaupt keinen Anlass, dort aufzuhören. Der ursprüngliche Plan beim HSV war einmal, dass ich nach meiner aktiven Karriere zum Verein zurückkehre, die Trainerscheine mache und im Nachwuchsbereich anfange. So war es mit dem damaligen Manager Günter Netzer vereinbart, aber das hat dann doch nicht geklappt. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass ich in der Konstellation mit Sportvorstand Jonas Boldt dem Verein noch einmal helfen und somit auch etwas zurückgeben kann. Ich bin überzeugt, dass wir hier einen guten Weg gehen können.

DFB.de: Der HSV ist finanziell nicht auf Rosen gebettet, möchte aber in die Bundesliga aufsteigen und sich dort wieder etablieren. Wäre eine erfolgreiche Nachwuchsarbeit eine Grundvoraussetzung dafür?

Hrubesch: Auf jeden Fall. Beim Übergang vom Nachwuchs zu den Profis ist in diesem Verein über die Jahre einiges schiefgelaufen. Man hat hier Topspieler gehabt - von Änis Ben-Hatira über Eric Maxim Choupo-Moting bis hin zu Jonathan Tah. Aber es ist nicht gelungen, diese Spieler an den Verein zu binden. Das ist nun anders. Wir möchten dem eigenen Nachwuchs die Möglichkeit bieten, hier lange zu spielen. Vielleicht wäre es auch interessant, die zweite Mannschaft langfristig in die 3. Liga zu bringen und dadurch einen noch besseren Übergang zu haben.

DFB.de: Ist die 3. Liga für die U 21 also ein konkretes Ziel?

Hrubesch: Das sollte das Ziel sein. Das Beispiel FC Bayern München zeigt, dass es ein großer Vorteil sein kann, wenn man auch mit der zweiten Mannschaft unter Profibedingungen spielt. Der Schritt zur ersten Mannschaft ist dann nicht mehr so groß.

DFB.de: Welche Aspekte haben Sie seit Ihrem Dienstantritt im Nachwuchs des HSV konkret verändert?

Hrubesch: Mir war wichtig, nicht einfach hier anzukommen und einen komplett neuen Weg vorzugeben und einzuschlagen. Ich habe erst mal geguckt, was beim HSV überhaupt gemacht wird. Dann haben wir die Basis für die unteren Jahrgänge angepasst, so dass wir für alle Mannschaften zum Beispiel einen Physiotherapeuten, einen Fitnesstrainer und so weiter zur Verfügung haben. Das ist wichtig, damit sich die jungen Spieler gut entwickeln können.

DFB.de: Sie haben beim DFB von der U 18 bis zur U 21 alle Nationalmannschaften trainiert. Inwieweit können Sie die Erfahrungen als Nationaltrainer heute in die Nachwuchsarbeit beim Hamburger SV einbringen?

Hrubesch: Natürlich habe ich beim DFB vieles gesehen und erlebt. Aber eigentlich war es bereits als Aktiver immer mein Anspruch, jüngeren Spielern weiterzuhelfen. Auch als Vereinstrainer habe ich meist mit jungen Spielern zusammengearbeitet. Sie waren einfach interessiert und wissbegierig. Es hat mir Spaß gemacht, mit diesen Jungs zu arbeiten. Grundsätzlich gilt aber: Eine Mannschaft muss immer als Team funktionieren. Jeder Spieler muss wissen: Die Mannschaft kann auch ohne ihn spielen, aber er nicht ohne die Mannschaft.

DFB.de: Lassen Sie uns ein wenig über die Inhalte im HSV-Nachwuchs sprechen: Sollen die Jugendmannschaften mit der gleichen Formation spielen wie die Profis? Oder darf die U 17 eine andere taktische Ausrichtung haben als die U 19?

Hrubesch: Natürlich. Man muss immer schauen, was die Spieler einem anbieten. Ich möchte nicht allen vorschreiben, im 4-4-2 oder im 4-3-3 zu spielen. Einige Verbände machen das zwar, aber meine Erfahrung ist, dass man die Philosophie an die Spieler anpassen sollte. Wie funktioniert das Team? Und welche Spieler können mit ihrer individuellen Qualität die Spiele entscheiden? Diese Fragen muss sich jeder Trainer stellen. Das ist selbst in der Nationalmannschaft so: Deutschland hat in der Nations League nicht mit 0:6 gegen Spanien verloren, weil wir keine guten Fußballer haben. Der Grund war einfach, dass Spanien in diesem einen Spiel als Team besser funktioniert hat.

DFB.de: Es gibt viele Vereine, die mittlerweile keine zweite Mannschaft mehr unterhalten. Wie beurteilen Sie das?

Hrubesch: Das muss jeder Verein für sich selbst entscheiden. Ich halte es allerdings für falsch, auf eine U 21 zu verzichten. Wenn ich Nachwuchsarbeit betreibe, muss ich den Weg zu Ende führen. Für mich macht es keinen Sinn, mit der U 19 den Weg zu beenden. Dann bleiben nur noch die drei Optionen: dass der Spieler bereits mit 18 Jahren den Sprung zu den Profis schafft, dass man den Spieler verleiht oder dass der Spieler den Verein verlässt. Viele Talente brauchen etwas mehr Zeit. Es gibt auch Spätstarter.

DFB.de: Sie haben als junger Fußballspieler noch als Dachdecker gearbeitet, ehe Sie im Alter von 24 Jahren zu Rot-Weiss Essen wechselten. Heutzutage legen junge Spieler den Fokus sehr früh auf den Fußball. Bleibt dadurch die Persönlichkeitsentwicklung manchmal auf der Strecke?

Hrubesch: Man sollte nicht unterschätzen, dass junge Fußballspieler mit dem vielen Training und den schulischen Verpflichtungen sehr lange Tage haben. Die Jungs müssen auf vieles verzichten. Zu meiner damaligen Zeit verlief der Weg in die Bundesliga noch völlig anders. Damals hatten die Vereine noch keine Nachwuchsleistungszentren, sondern man musste sich über die verschiedenen Auswahlmannschaften nach oben spielen und wurde dann eventuell entdeckt - manchmal früher, manchmal später, oft auch gar nicht. Ich hatte den Profifußball eigentlich schon abgeschrieben, bis ich mit 23 Jahren dann das Probetraining in Essen absolvieren durfte und einen Vertrag bekam. Das war eine Chance, die ich noch einmal nutzen wollte. Wenn du etwas erreichen möchtest, musst du mehr tun als andere. Das habe ich getan. Dass ich so durchstarten würde, war aber nicht zu erwarten.

DFB.de: In der vergangenen Bundesligasaison betrug der Anteil der Spielminuten für deutsche U 21-Spieler laut dem kicker lediglich 2,7 Prozent. In Frankreich sollen es 11,4 Prozent sein. Was sagt das über die Situation im deutschen Fußball aus?

Hrubesch: Es gibt immer wieder Jahrgänge, die besser und schlechter sind. Frankreich hatte auch nicht immer solche starken Nachwuchsspieler wie jetzt. England hatte über eine gewisse Zeit ebenfalls Probleme. Momentan fehlt uns in Deutschland vielleicht der eine oder andere Topspieler. Trotzdem haben wir insgesamt gute Spieler in Deutschland. Was mir allerdings fehlt, ist die Mentalität.

DFB.de: Wie meinen Sie das?

Hrubesch: Wir sprechen viel von Ballbesitz und Tiki-Taka. Aber ein entscheidender Faktor ist auch die Mentalität. Das fehlt mir manchmal im deutschen Fußball. Wir haben mit dem Talentförderungsprogramm dafür gesorgt, dass die jungen Fußballspieler technisch besser ausgebildet werden. Die Mentalität bleibt dabei aber manchmal auf der Strecke. Ich denke, da müssen wir wieder mehr tun.

DFB.de: Die U 19 des Hamburger SV steht auf dem dritten Platz der U 19-Bundesliga Nord/Nordost, die U 17 rangiert auf Position 13. Welche Rolle spielen Ergebnisse und Tabellenstände im Nachwuchs überhaupt?

Hrubesch: Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass die beiden genannten Mannschaften verschiedene Voraussetzungen haben. In der U 19 spielen erfahrene, ältere Spieler. Die U 17 steckt noch mehr im Lernprozess und hat viele Punkte zu einfach hergeschenkt. Das Wichtigste sind allerdings nicht die Ergebnisse. Das Wichtigste ist, dass wir gute Spieler ausbilden.

DFB.de: Auch die Nachwuchstrainer sind ehrgeizig und wollen sich für höhere Aufgaben empfehlen. Besteht dadurch die Gefahr, dass die Trainer den Fokus auf die Ergebnisse und nicht auf die Ausbildung legen?

Hrubesch: Natürlich möchte jeder erfolgreich sein. Wichtig ist aber, dass die Philosophie klar ist. Das bedeutet bei uns: Wir wollen ausbilden. Wir wollen Spieler haben, die Verantwortung tragen. Wir wollen Individualisten fördern, die den Unterschied ausmachen und Spiele entscheiden können. Auf dem Platz möchten wir aktiv sein und das Spiel bestimmen. Wenn das gegeben ist, ich also ein gutes Mannschaftsgefüge habe, dann bin ich auch dazu in der Lage, um Titel mitzuspielen. Das war auch früher bei den U-Nationalmannschaften so.

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Horst Hrubesch gewann als Trainer der U 21-Nationalmannschaft die Europameisterschaft 2009 und führte die Olympiaauswahl 2016 zur Silbermedaille in Rio de Janeiro. Nun ist er als Nachwuchsdirektor zu "seinem" Hamburger SV zurückgekehrt, bei dem er als Deutscher Meister und Europapokalsieger seine größte Zeit als Aktiver erlebte. Im DFB.de-Interview spricht der 69 Jahre alte Europameister von 1980 mit Mitarbeiter Oliver Jensen über seine neue Aufgabe und den Nachwuchsfußball.

DFB.de: Herr Hrubesch, war die Rückkehr zum Hamburger SV für Sie eine Herzensangelegenheit?

Horst Hrubesch: Es war keine Herzensgelegenheit in der klassischen Form, sondern vielmehr eine Aufgabe, die mich magisch angezogen hat. Nach einem halben Jahr kann ich sagen: Ich bin froh, dass ich das gemacht habe. Wir haben hier in Hamburg mit dem Campus, der Geschäftsführung und dem Cheftrainer Daniel Thioune, der seine ersten Schritte als Trainer selbst im Nachwuchs gemacht hat, ideale Voraussetzungen.

DFB.de: Sie sind eine HSV-Legende, haben von 1978 bis 1983 für den Verein gespielt, gewannen dabei dreimal die Deutsche Meisterschaft und den Europapokal der Landesmeister. Warum kam es nicht früher zu einer Rückkehr?

Hrubesch: Es gab ab und zu Gespräche mit dem Verein und seinen Verantwortlichen. Aber die Konstellation war nie so, dass ich das machen wollte. Oft kamen die Anfragen auch zu einer Zeit, als ich noch beim DFB beschäftigt war. Dort habe ich mich sehr wohlgefühlt. Von daher gab es überhaupt keinen Anlass, dort aufzuhören. Der ursprüngliche Plan beim HSV war einmal, dass ich nach meiner aktiven Karriere zum Verein zurückkehre, die Trainerscheine mache und im Nachwuchsbereich anfange. So war es mit dem damaligen Manager Günter Netzer vereinbart, aber das hat dann doch nicht geklappt. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass ich in der Konstellation mit Sportvorstand Jonas Boldt dem Verein noch einmal helfen und somit auch etwas zurückgeben kann. Ich bin überzeugt, dass wir hier einen guten Weg gehen können.

DFB.de: Der HSV ist finanziell nicht auf Rosen gebettet, möchte aber in die Bundesliga aufsteigen und sich dort wieder etablieren. Wäre eine erfolgreiche Nachwuchsarbeit eine Grundvoraussetzung dafür?

Hrubesch: Auf jeden Fall. Beim Übergang vom Nachwuchs zu den Profis ist in diesem Verein über die Jahre einiges schiefgelaufen. Man hat hier Topspieler gehabt - von Änis Ben-Hatira über Eric Maxim Choupo-Moting bis hin zu Jonathan Tah. Aber es ist nicht gelungen, diese Spieler an den Verein zu binden. Das ist nun anders. Wir möchten dem eigenen Nachwuchs die Möglichkeit bieten, hier lange zu spielen. Vielleicht wäre es auch interessant, die zweite Mannschaft langfristig in die 3. Liga zu bringen und dadurch einen noch besseren Übergang zu haben.

DFB.de: Ist die 3. Liga für die U 21 also ein konkretes Ziel?

Hrubesch: Das sollte das Ziel sein. Das Beispiel FC Bayern München zeigt, dass es ein großer Vorteil sein kann, wenn man auch mit der zweiten Mannschaft unter Profibedingungen spielt. Der Schritt zur ersten Mannschaft ist dann nicht mehr so groß.

DFB.de: Welche Aspekte haben Sie seit Ihrem Dienstantritt im Nachwuchs des HSV konkret verändert?

Hrubesch: Mir war wichtig, nicht einfach hier anzukommen und einen komplett neuen Weg vorzugeben und einzuschlagen. Ich habe erst mal geguckt, was beim HSV überhaupt gemacht wird. Dann haben wir die Basis für die unteren Jahrgänge angepasst, so dass wir für alle Mannschaften zum Beispiel einen Physiotherapeuten, einen Fitnesstrainer und so weiter zur Verfügung haben. Das ist wichtig, damit sich die jungen Spieler gut entwickeln können.

DFB.de: Sie haben beim DFB von der U 18 bis zur U 21 alle Nationalmannschaften trainiert. Inwieweit können Sie die Erfahrungen als Nationaltrainer heute in die Nachwuchsarbeit beim Hamburger SV einbringen?

Hrubesch: Natürlich habe ich beim DFB vieles gesehen und erlebt. Aber eigentlich war es bereits als Aktiver immer mein Anspruch, jüngeren Spielern weiterzuhelfen. Auch als Vereinstrainer habe ich meist mit jungen Spielern zusammengearbeitet. Sie waren einfach interessiert und wissbegierig. Es hat mir Spaß gemacht, mit diesen Jungs zu arbeiten. Grundsätzlich gilt aber: Eine Mannschaft muss immer als Team funktionieren. Jeder Spieler muss wissen: Die Mannschaft kann auch ohne ihn spielen, aber er nicht ohne die Mannschaft.

DFB.de: Lassen Sie uns ein wenig über die Inhalte im HSV-Nachwuchs sprechen: Sollen die Jugendmannschaften mit der gleichen Formation spielen wie die Profis? Oder darf die U 17 eine andere taktische Ausrichtung haben als die U 19?

Hrubesch: Natürlich. Man muss immer schauen, was die Spieler einem anbieten. Ich möchte nicht allen vorschreiben, im 4-4-2 oder im 4-3-3 zu spielen. Einige Verbände machen das zwar, aber meine Erfahrung ist, dass man die Philosophie an die Spieler anpassen sollte. Wie funktioniert das Team? Und welche Spieler können mit ihrer individuellen Qualität die Spiele entscheiden? Diese Fragen muss sich jeder Trainer stellen. Das ist selbst in der Nationalmannschaft so: Deutschland hat in der Nations League nicht mit 0:6 gegen Spanien verloren, weil wir keine guten Fußballer haben. Der Grund war einfach, dass Spanien in diesem einen Spiel als Team besser funktioniert hat.

DFB.de: Es gibt viele Vereine, die mittlerweile keine zweite Mannschaft mehr unterhalten. Wie beurteilen Sie das?

Hrubesch: Das muss jeder Verein für sich selbst entscheiden. Ich halte es allerdings für falsch, auf eine U 21 zu verzichten. Wenn ich Nachwuchsarbeit betreibe, muss ich den Weg zu Ende führen. Für mich macht es keinen Sinn, mit der U 19 den Weg zu beenden. Dann bleiben nur noch die drei Optionen: dass der Spieler bereits mit 18 Jahren den Sprung zu den Profis schafft, dass man den Spieler verleiht oder dass der Spieler den Verein verlässt. Viele Talente brauchen etwas mehr Zeit. Es gibt auch Spätstarter.

DFB.de: Sie haben als junger Fußballspieler noch als Dachdecker gearbeitet, ehe Sie im Alter von 24 Jahren zu Rot-Weiss Essen wechselten. Heutzutage legen junge Spieler den Fokus sehr früh auf den Fußball. Bleibt dadurch die Persönlichkeitsentwicklung manchmal auf der Strecke?

Hrubesch: Man sollte nicht unterschätzen, dass junge Fußballspieler mit dem vielen Training und den schulischen Verpflichtungen sehr lange Tage haben. Die Jungs müssen auf vieles verzichten. Zu meiner damaligen Zeit verlief der Weg in die Bundesliga noch völlig anders. Damals hatten die Vereine noch keine Nachwuchsleistungszentren, sondern man musste sich über die verschiedenen Auswahlmannschaften nach oben spielen und wurde dann eventuell entdeckt - manchmal früher, manchmal später, oft auch gar nicht. Ich hatte den Profifußball eigentlich schon abgeschrieben, bis ich mit 23 Jahren dann das Probetraining in Essen absolvieren durfte und einen Vertrag bekam. Das war eine Chance, die ich noch einmal nutzen wollte. Wenn du etwas erreichen möchtest, musst du mehr tun als andere. Das habe ich getan. Dass ich so durchstarten würde, war aber nicht zu erwarten.

DFB.de: In der vergangenen Bundesligasaison betrug der Anteil der Spielminuten für deutsche U 21-Spieler laut dem kicker lediglich 2,7 Prozent. In Frankreich sollen es 11,4 Prozent sein. Was sagt das über die Situation im deutschen Fußball aus?

Hrubesch: Es gibt immer wieder Jahrgänge, die besser und schlechter sind. Frankreich hatte auch nicht immer solche starken Nachwuchsspieler wie jetzt. England hatte über eine gewisse Zeit ebenfalls Probleme. Momentan fehlt uns in Deutschland vielleicht der eine oder andere Topspieler. Trotzdem haben wir insgesamt gute Spieler in Deutschland. Was mir allerdings fehlt, ist die Mentalität.

DFB.de: Wie meinen Sie das?

Hrubesch: Wir sprechen viel von Ballbesitz und Tiki-Taka. Aber ein entscheidender Faktor ist auch die Mentalität. Das fehlt mir manchmal im deutschen Fußball. Wir haben mit dem Talentförderungsprogramm dafür gesorgt, dass die jungen Fußballspieler technisch besser ausgebildet werden. Die Mentalität bleibt dabei aber manchmal auf der Strecke. Ich denke, da müssen wir wieder mehr tun.

DFB.de: Die U 19 des Hamburger SV steht auf dem dritten Platz der U 19-Bundesliga Nord/Nordost, die U 17 rangiert auf Position 13. Welche Rolle spielen Ergebnisse und Tabellenstände im Nachwuchs überhaupt?

Hrubesch: Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass die beiden genannten Mannschaften verschiedene Voraussetzungen haben. In der U 19 spielen erfahrene, ältere Spieler. Die U 17 steckt noch mehr im Lernprozess und hat viele Punkte zu einfach hergeschenkt. Das Wichtigste sind allerdings nicht die Ergebnisse. Das Wichtigste ist, dass wir gute Spieler ausbilden.

DFB.de: Auch die Nachwuchstrainer sind ehrgeizig und wollen sich für höhere Aufgaben empfehlen. Besteht dadurch die Gefahr, dass die Trainer den Fokus auf die Ergebnisse und nicht auf die Ausbildung legen?

Hrubesch: Natürlich möchte jeder erfolgreich sein. Wichtig ist aber, dass die Philosophie klar ist. Das bedeutet bei uns: Wir wollen ausbilden. Wir wollen Spieler haben, die Verantwortung tragen. Wir wollen Individualisten fördern, die den Unterschied ausmachen und Spiele entscheiden können. Auf dem Platz möchten wir aktiv sein und das Spiel bestimmen. Wenn das gegeben ist, ich also ein gutes Mannschaftsgefüge habe, dann bin ich auch dazu in der Lage, um Titel mitzuspielen. Das war auch früher bei den U-Nationalmannschaften so.

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