Horst R. Schmidt: "Das tolle Bild ist nicht verblasst"

Vor etwas mehr als einem Jahr, am 9. Juni 2006, wurde in Deutschland die 18. Fußball-Weltmeisterschaft angepfiffen. Was hat die Ausrichtung dieses Festival des globalen Fußballs, bei dem die Welt zu Gast bei Freunden war, Deutschland und dem deutschen Fußball gebracht, wie hat sie den DFB verändert und sein Verhältnis zur FIFA beeinflusst?

Im aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche mit DFB-Redakteur Wolfgang Tobien nimmt DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt, der als 1. Vizepräsident des Organisationskomitees der FIFA WM 2006 das operative Geschäft dieses Mega-Events geleitet hat, ausführlich Stellung zum „Jahr danach“. Dabei beurteilt er auch Joachim Löws erstes Jahr als Bundestrainer und beschreibt in seiner Rolle als FIFA-Beauftragter für die WM 2010 die Situation in Südafrika - drei Jahre vor der 19. Fußball-Weltmeisterschaft.

Frage: Herr Schmidt, welche Schlagworte fallen Ihnen ein Jahr nach der FIFA WM 2006 spontan zum damaligen Festival des Weltfußballs in Deutschland ein?

Horst R. Schmidt: Die spannendste Frage war damals während der ersten Tage der WM 2006, ob sich all die Dinge, die wir uns in unserem Organisationskomitee vorgenommen hatten, auch umsetzen lassen. Es hat alles, wie uns auch heute noch bei jeder Gelegenheit bestätigt wird, hervorragend geklappt. Wenn jetzt nach Schlagworten gefragt wird, fällt mir natürlich als erstes die wunderbare Atmosphäre ein, die vor einem Jahr das gesamte Turnier geprägt hat und danach noch über Monate nachklang. Ich denke spontan an die Stadien und an die sonstige Infrastruktur, die sich im Jahr danach in der Bundesliga und bei unseren Länderspielen bewährt und ihre Bestätigung gefunden haben. Mir fällt unser Rahmenprogramm ein, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Und natürlich der Enthusiasmus der Fans aus aller Welt und die große Begeisterung insgesamt für den Sport in Deutschland, die ja danach bei weiteren Weltmeisterschaften in unserem Land, vor allem bei der Handball-WM, deutlich wurde.

Frage: Das WM-Feeling ist in Ihnen noch immer unverändert groß?

Schmidt: Ja! Vor allem auch deshalb, weil ich mich danach über viele Monate mit der nötigen Abwicklung der WM beschäftigt habe. Wir haben ja erst vor wenigen Wochen zum Beispiel finanziell den Schlussstrich ziehen können. Und auch dies wurde begleitet von den Eindrücken der Heiterkeit und der Friedfertigkeit, die die WM 2006 überstrahlt haben.

Frage: Vor allem im Nordosten Deutschlands ist die friedliche Botschaft der WM nicht vollends angekommen und Ausschreitungen bei Fußball-Spielen sorgten für Schlagzeilen. Wie erklären Sie sich die Zwischenfälle während der vergangenen Monate?

Schmidt: Uns war klar, dass die Hooligans, die dank unseres Sicherheitskonzeptes bei der WM nicht in Erscheinung treten konnten, nicht verschwunden sind. Sie werden immer wieder versuchen, sich in Szene zu setzen. Wir erleben das in den Spielen weit unterhalb der dritten Liga gerade in den Brennpunkten Dresden, Leipzig, Halle und anderswo. Wir mussten dementsprechend reagieren und haben nach der WM im DFB die Task Force gegründet und einen hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten eingestellt, um alle Kräfte in Sachen Sicherheit zu bündeln.

Frage: Mit welchem Erfolg?

Schmidt: Mit diesen Maßnahmen haben wir es zunächst geschafft, weit über die Bundesliga hinaus ein Meldesystem zu installieren, das uns vermittelt, was an jedem einzelnen Spieltag geschieht, um dann entsprechend reagieren zu können. Natürlich waren die Ausschreitungen in den vergangenen Monaten eine höchst unerfreuliche Entwicklung. Doch man kann sie nicht ausschließen. Und bei unserem Länderspiel in der Slowakei mussten wir feststellen, dass das Sicherheitssystem selbst mit besten Vorkehrungen das Risiko der Gewalt nicht ausschließt. Unser Bemühen, die Gewalt im Fußball zu bändigen, ist ein Langzeitprogramm. Verbunden mit der Erkenntnis, dass die Gewaltbereiten im Fußball nicht nur Leute sind, die zum Fußball eine Beziehung haben. Ganz im Gegenteil haben die meisten von ihnen keine Beziehung zum Fußball, sondern nur Freude an der Gewalt.

Frage: Zurück zu den positiven Folgen der WM 2006. Was war das nachhaltigste organisatorische Ergebnis?

Schmidt: Das Beeindruckendste ist, wie gesagt, die Infrastruktur, die geschaffen wurde. Es ist aber auch gelungen, durch das Zusammenwirken vieler Kräfte ein Team für den Fußball zu bilden. Durch die Einbeziehung der WM-Städte, der Polizei, der Sicherheitsdienste auf den verschiedenen Stufen und auch vieler Menschen aus kleinen Vereinen, die sich als Volunteers und in anderer Funktion hilfreich zur Verfügung gestellt haben. Dadurch wurde ja erst die Atmosphäre geschaffen, von der das Ansehen unseres Landes ganz stark profitiert.

Frage: Auch jetzt noch, ein Jahr danach?

Schmidt: Ich bin ja viel im Ausland unterwegs. Dort schwärmen die Leute immer noch und bringen nach wie vor voller Begeisterung zum Ausdruck, wie willkommen sie sich hier gefühlt haben und wie fantastisch diese Veranstaltung über vier Wochen abgelaufen ist. Es ist ein neues Bild unseres Landes entstanden, ein tolles Bild, das auch ein Jahr danach nicht verblasst ist. Das ist sicherlich mit das Wichtigste.

Frage: In welcher Form hat der deutsche Fußball von der WM profitiert?

Schmidt: Public Viewing, um ein Einzelbeispiel zu nennen, hatte bei der WM einen ganz besonderen Stellenwert, der jetzt auch im deutschen Fußball immer größere Bedeutung bekommt. Darüber hinaus ist es unstrittig, dass gerade auch die Qualität unserer WM-Arenen und der neuen Stadien, die in ihrem Sog entstanden sind, einen Zuschauerzuspruch bewirken, der im europäischen Liga-Fußball einzigartig ist. Und in einer Zeit, in der alle anderen Zahlen stagnieren, konnte der organisierte Fußball in Deutschland, wie vor der WM erhofft, noch einmal an Mitgliederzahl und an Mannschaften zulegen. Pauschal gesagt: Die Rechnung für den deutschen Fußball ist aufgegangen.

Frage: Der DFB wird, so sagten Sie, nach der WM ein anderer sein als vorher. Was hat sich verändert?

Schmidt: Es war klar, dass neue Aufgaben auf uns zukommen und der DFB nach vielen Jahren mit der WM im Fokus seiner Tätigkeit ein neues Profil zu entwickeln hat. Er hat sich neue Ziele gesetzt und diese auch gefunden. Zum Beispiel mit der weiteren Forcierung des Frauen- und Mädchenfußballs, mit dem Schwerpunkt der Integration als einer ganz wichtigen Komponente oder mit der anstehenden Neuordnung des Spielbetriebs unterhalb der 2. Bundesliga. Wir haben den Gesamtbereich der Eliteförderung auf den Prüfstand gestellt und Maßnahmen zu größerer Effizienz getroffen, wozu auch die Berufung von Matthias Sammer als Sportdirektor des DFB zählt. Diese Beispiele und vieles mehr haben ihren Niederschlag in einer größer gewordenen Verwaltung gefunden. Wir konnten 28 neue Mitarbeiter aus dem WM-Organisationskomitee übernehmen. Auch das hauptamtliche DFB-Direktorium hat ein neues Gesicht bekommen. Es ist insgesamt personell viel in Bewegung gekommen, was seinen Abschluss im Oktober finden wird, wenn ich als Generalsekretär ausscheide.

"Die WM hat für Hospitality neue Möglichkeiten eröffnet"

Frage: Was hat der DFB von der WM für die Durchführung seiner Länderspiele übernommen?

Schmidt: Die WM-Erfahrungen machten deutlich, dass wir uns stärker mit den Verkehrsströmen und den entsprechenden Maßnahmen befassen müssen. Wir wollen im Servicebereich insgesamt mehr anbieten und leisten als in der Vergangenheit, weshalb wir nun auch bei Länderspielen Volunteers einsetzen. Wir konnten den Hospitality- und Cateringbereich ausbauen, weil durch die WM bessere Möglichkeiten vorhanden sind. Die Städte, wie zum Beispiel Stuttgart beim Länderspiel gegen Irland, bieten Public Viewing an, was wir nun mit großem Erfolg erstmals beim DFB-Pokalfinale in Berlin probiert haben. Es gibt auch hier viele Entwicklungen, die noch nicht zu Ende sind.

Frage: Gab die WM, im Rückblick auf das Jahr danach, auch Deutschland den Schub, den man sich erhofft hatte?

Schmidt: Das war eine der spannendsten Fragen von Anfang an. Es gibt ein unabhängiges sozio-ökonomisches Gutachten, dessen Ergebnisse belegen, was vor der WM als positive Prognose ausgesprochen wurde. Das Land hat ganz offensichtlich auch wirtschaftlich profitiert von dieser WM bis hin zu dem erheblichen Steueraufkommen, das entrichtet wurde.

Frage: Die FIFA war Veranstalter, der DFB Ausrichter der WM 2006. Wie stellt sich seitdem das Verhältnis zwischen beiden Verbänden dar?

Schmidt: Im Rahmen der Vorbereitung eines Turniers dieser Kategorie gibt es immer Einzelbereiche, wo mal unterschiedliche Auffassungen bestehen. Die FIFA verdeutlichte immer wieder ihren Anspruch, dass sie der Veranstalter ist und dass wir nicht mit übertriebener Eigenständigkeit dieses Turnier abwickeln können, wofür man ja Verständnis hat. Doch diese unterschiedlichen Auffassungen, zum Beispiel beim Ticketing mit der Erfassung der Personaldaten und deren Kontrolle, sind immer schnell bereinigt und vor allem durch die Praxis dann erledigt worden. Das Verhältnis zueinander ist sehr gut. Es kommt nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass mich die FIFA als ihren Beauftragten für die WM 2010 in Südafrika verpflichtet hat.

Frage: Und der beachtliche Gewinn der FIFA von 185 Millionen Euro im Jahr 2006, der vor allem durch die WM 2006 zustande kam, hat das Verhältnis zum DFB sicherlich nicht belastet?

Schmidt: Die FIFA hat die Organisation des Turniers, sprich unser OK-Budget in Höhe von 430 Millionen Euro, finanziell sehr großzügig ausgestattet mit ihrem Zuschuss von 170 Millionen Euro. Dass sie davon 50 Millionen Euro zurück erhalten hat, freut sie, weil sie damit ja nicht ohne weiteres rechnen konnte. Wir wurden in jeglicher Hinsicht vom FIFA-Präsidenten sehr gelobt – wegen der Ausrichtung insgesamt und auch wegen des wirtschaftlichen Ergebnisses.

Frage: Wie schwer wird es im Vergleich mit der WM-Bewerbung 2006 nun auch die Frauen-WM 2011 nach Deutschland zu holen?

Schmidt: Eine schwierige Frage! Bekanntlich ist mit Frankreich ein sehr aussichtsreicher Bewerber aus Europa in der Konkurrenz, dazu mit Kanada und Australien zwei starke Länder, die sich gerade auf solche FIFA-Wettbewerbe intensiv konzentrieren, weil sie die große WM nicht so leicht bekommen. Es wird sehr schwer, doch ich hoffe, dass wir auch diesmal die Nase vorne haben werden.

"Löws erstes Jahr hätte besser kaum sein können"

Frage: Ein Bonus ist möglicherweise der hervorragende Gesamteindruck der WM 2006, für den auch ganz stark das sportliche Auftreten der Nationalmannschaft unter Bundestrainer Jürgen Klinsmann gesorgt hat. Hat Joachim Löw die Lücke, die bei Klinsmanns Weggang zunächst einmal entstanden war, in seinem ersten Jahr als Nationaltrainer schließen können?

Schmidt: Dass Jürgen Klinsmann und die Mannschaft einen großen Anteil an diesem positiven Gesamtergebnis haben, steht außer Frage. Und siehe da – mit Joachim Löw ist plötzlich sein Assistent in den Vordergrund getreten. Für Insider kam dies freilich nicht überraschend, weil sie während der WM aus der Nähe feststellen konnten, dass er nicht nur ein zuverlässiger Co-Trainer war, sondern ein Fachmann, der gerade im Bereich der technischen und taktischen Schulung und Einstellung der Spieler einen wichtigen Beitrag geleistet hat und sich damit als erfolgreicher Nachfolger im Amt des Bundestrainer empfohlen hat. Sein erstes Jahr als Bundestrainer hätte besser kaum sein können.

Frage: Was zeichnet seine Arbeit aus?

Schmidt: Er hat Klinsmanns Linie nicht nur fortgeführt, sondern darüber hinaus auch eigene Akzente gesetzt. Er gehört zu den Trainern, die nicht nur begeistern und motivieren können, sondern die ein ganz besonders gutes Auge für den einzelnen Spieler, aber auch für die Mannschaft haben. Er kann jedem Spieler genau sagen, was er konkret machen soll, was er besser machen kann, und wie er sich individuell, aber auch in der Mannschaft weiter entwickeln muss. Das ist heute, wie ich es sehe, das Allerwichtigste, um eine Mannschaft zu formen, die wirklich in die Spitze vorstoßen kann.

Frage: Sie selbst haben sich bei der WM 2006 und mit ihrer großen Erfahrung in der Organisation acht früherer WM-Turniere als wichtiger Berater der FIFA bei der WM 2010 empfohlen. Wird Südafrika diese WM-Endrunde organisieren können?

Schmidt: Ich sehe mich dort als Verbindungsglied zwischen der FIFA und dem südafrikanischen OK, um zu sagen, wie man bestimmte Aufgaben anpackt. Dazu gehört auch eine gewisse Zurückhaltung in manchen Dingen. So ist es mir gelungen, das Vertrauen der Verantwortlichen in Südafrika zu gewinnen. Es war eine schwierige Zeit, den Bau der Stadien in Gang zu bringen. Inzwischen wird überall gebaut, und Südafrika wird dieses Turnier ausrichten, davon bin ich fest überzeugt. Weil dort eine gute Qualität an Planungsarbeit vorhanden ist. Zumal neben der FIFA und dem dortigen OK mit „Match“ noch eine dritte Institution mitarbeitet, die sich um Ticketing, IT-Solution und Accomodation kümmert. Daher bin ich optimistisch, dass wir in diesem begleitenden Prozess zwischen FIFA, OK und Match so viel Abstimmung herbeiführen, dass Überraschungsmomente ausgeschlossen werden können und der Erfolg leichter eintreten kann...

Frage:...und sich die FIFA über einen ähnlich hohen Gewinn freuen wird wie 2006 bei der WM in Deutschland?

Schmidt: Die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind anders. Die FIFA hat für Südafrika eine Defizit-Garantie ausgesprochen, mit der sie für die Ausgaben eintritt, die über das in ähnlicher Höhe wie bei der WM 2006 aufgestellte Budget hinausgehen. Die FIFA will dort nicht in hohem Maße wirtschaftlich profitieren. Vielmehr hat sie ein großes Interesse, dass die erste WM in Afrika ein gelungenes Turnier wird. Mit diesem Anspruch ist man, so meine Feststellung, auf einem ganz guten Weg.

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Vor etwas mehr als einem Jahr, am 9. Juni 2006, wurde in Deutschland die 18. Fußball-Weltmeisterschaft angepfiffen. Was hat die Ausrichtung dieses Festival des globalen Fußballs, bei dem die Welt zu Gast bei Freunden war, Deutschland und dem deutschen Fußball gebracht, wie hat sie den DFB verändert und sein Verhältnis zur FIFA beeinflusst?

Im aktuellen "DFB.de-Gespräch der Woche mit DFB-Redakteur Wolfgang Tobien nimmt DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt, der als 1. Vizepräsident des Organisationskomitees der FIFA WM 2006 das operative Geschäft dieses Mega-Events geleitet hat, ausführlich Stellung zum „Jahr danach“. Dabei beurteilt er auch Joachim Löws erstes Jahr als Bundestrainer und beschreibt in seiner Rolle als FIFA-Beauftragter für die WM 2010 die Situation in Südafrika - drei Jahre vor der 19. Fußball-Weltmeisterschaft.

Frage: Herr Schmidt, welche Schlagworte fallen Ihnen ein Jahr nach der FIFA WM 2006 spontan zum damaligen Festival des Weltfußballs in Deutschland ein?

Horst R. Schmidt: Die spannendste Frage war damals während der ersten Tage der WM 2006, ob sich all die Dinge, die wir uns in unserem Organisationskomitee vorgenommen hatten, auch umsetzen lassen. Es hat alles, wie uns auch heute noch bei jeder Gelegenheit bestätigt wird, hervorragend geklappt. Wenn jetzt nach Schlagworten gefragt wird, fällt mir natürlich als erstes die wunderbare Atmosphäre ein, die vor einem Jahr das gesamte Turnier geprägt hat und danach noch über Monate nachklang. Ich denke spontan an die Stadien und an die sonstige Infrastruktur, die sich im Jahr danach in der Bundesliga und bei unseren Länderspielen bewährt und ihre Bestätigung gefunden haben. Mir fällt unser Rahmenprogramm ein, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Und natürlich der Enthusiasmus der Fans aus aller Welt und die große Begeisterung insgesamt für den Sport in Deutschland, die ja danach bei weiteren Weltmeisterschaften in unserem Land, vor allem bei der Handball-WM, deutlich wurde.

Frage: Das WM-Feeling ist in Ihnen noch immer unverändert groß?

[bild2] Schmidt: Ja! Vor allem auch deshalb, weil ich mich danach über viele Monate mit der nötigen Abwicklung der WM beschäftigt habe. Wir haben ja erst vor wenigen Wochen zum Beispiel finanziell den Schlussstrich ziehen können. Und auch dies wurde begleitet von den Eindrücken der Heiterkeit und der Friedfertigkeit, die die WM 2006 überstrahlt haben.

Frage: Vor allem im Nordosten Deutschlands ist die friedliche Botschaft der WM nicht vollends angekommen und Ausschreitungen bei Fußball-Spielen sorgten für Schlagzeilen. Wie erklären Sie sich die Zwischenfälle während der vergangenen Monate?

Schmidt: Uns war klar, dass die Hooligans, die dank unseres Sicherheitskonzeptes bei der WM nicht in Erscheinung treten konnten, nicht verschwunden sind. Sie werden immer wieder versuchen, sich in Szene zu setzen. Wir erleben das in den Spielen weit unterhalb der dritten Liga gerade in den Brennpunkten Dresden, Leipzig, Halle und anderswo. Wir mussten dementsprechend reagieren und haben nach der WM im DFB die Task Force gegründet und einen hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten eingestellt, um alle Kräfte in Sachen Sicherheit zu bündeln.

Frage: Mit welchem Erfolg?

Schmidt: Mit diesen Maßnahmen haben wir es zunächst geschafft, weit über die Bundesliga hinaus ein Meldesystem zu installieren, das uns vermittelt, was an jedem einzelnen Spieltag geschieht, um dann entsprechend reagieren zu können. Natürlich waren die Ausschreitungen in den vergangenen Monaten eine höchst unerfreuliche Entwicklung. Doch man kann sie nicht ausschließen. Und bei unserem Länderspiel in der Slowakei mussten wir feststellen, dass das Sicherheitssystem selbst mit besten Vorkehrungen das Risiko der Gewalt nicht ausschließt. Unser Bemühen, die Gewalt im Fußball zu bändigen, ist ein Langzeitprogramm. Verbunden mit der Erkenntnis, dass die Gewaltbereiten im Fußball nicht nur Leute sind, die zum Fußball eine Beziehung haben. Ganz im Gegenteil haben die meisten von ihnen keine Beziehung zum Fußball, sondern nur Freude an der Gewalt.

Frage: Zurück zu den positiven Folgen der WM 2006. Was war das nachhaltigste organisatorische Ergebnis?

Schmidt: Das Beeindruckendste ist, wie gesagt, die Infrastruktur, die geschaffen wurde. Es ist aber auch gelungen, durch das Zusammenwirken vieler Kräfte ein Team für den Fußball zu bilden. Durch die Einbeziehung der WM-Städte, der Polizei, der Sicherheitsdienste auf den verschiedenen Stufen und auch vieler Menschen aus kleinen Vereinen, die sich als Volunteers und in anderer Funktion hilfreich zur Verfügung gestellt haben. Dadurch wurde ja erst die Atmosphäre geschaffen, von der das Ansehen unseres Landes ganz stark profitiert.

Frage: Auch jetzt noch, ein Jahr danach?

Schmidt: Ich bin ja viel im Ausland unterwegs. Dort schwärmen die Leute immer noch und bringen nach wie vor voller Begeisterung zum Ausdruck, wie willkommen sie sich hier gefühlt haben und wie fantastisch diese Veranstaltung über vier Wochen abgelaufen ist. Es ist ein neues Bild unseres Landes entstanden, ein tolles Bild, das auch ein Jahr danach nicht verblasst ist. Das ist sicherlich mit das Wichtigste.

Frage: In welcher Form hat der deutsche Fußball von der WM profitiert?

Schmidt: Public Viewing, um ein Einzelbeispiel zu nennen, hatte bei der WM einen ganz besonderen Stellenwert, der jetzt auch im deutschen Fußball immer größere Bedeutung bekommt. Darüber hinaus ist es unstrittig, dass gerade auch die Qualität unserer WM-Arenen und der neuen Stadien, die in ihrem Sog entstanden sind, einen Zuschauerzuspruch bewirken, der im europäischen Liga-Fußball einzigartig ist. Und in einer Zeit, in der alle anderen Zahlen stagnieren, konnte der organisierte Fußball in Deutschland, wie vor der WM erhofft, noch einmal an Mitgliederzahl und an Mannschaften zulegen. Pauschal gesagt: Die Rechnung für den deutschen Fußball ist aufgegangen.

Frage: Der DFB wird, so sagten Sie, nach der WM ein anderer sein als vorher. Was hat sich verändert?

Schmidt: Es war klar, dass neue Aufgaben auf uns zukommen und der DFB nach vielen Jahren mit der WM im Fokus seiner Tätigkeit ein neues Profil zu entwickeln hat. Er hat sich neue Ziele gesetzt und diese auch gefunden. Zum Beispiel mit der weiteren Forcierung des Frauen- und Mädchenfußballs, mit dem Schwerpunkt der Integration als einer ganz wichtigen Komponente oder mit der anstehenden Neuordnung des Spielbetriebs unterhalb der 2. Bundesliga. Wir haben den Gesamtbereich der Eliteförderung auf den Prüfstand gestellt und Maßnahmen zu größerer Effizienz getroffen, wozu auch die Berufung von Matthias Sammer als Sportdirektor des DFB zählt. Diese Beispiele und vieles mehr haben ihren Niederschlag in einer größer gewordenen Verwaltung gefunden. Wir konnten 28 neue Mitarbeiter aus dem WM-Organisationskomitee übernehmen. Auch das hauptamtliche DFB-Direktorium hat ein neues Gesicht bekommen. Es ist insgesamt personell viel in Bewegung gekommen, was seinen Abschluss im Oktober finden wird, wenn ich als Generalsekretär ausscheide.

"Die WM hat für Hospitality neue Möglichkeiten eröffnet"

Frage: Was hat der DFB von der WM für die Durchführung seiner Länderspiele übernommen?

Schmidt: Die WM-Erfahrungen machten deutlich, dass wir uns stärker mit den Verkehrsströmen und den entsprechenden Maßnahmen befassen müssen. Wir wollen im Servicebereich insgesamt mehr anbieten und leisten als in der Vergangenheit, weshalb wir nun auch bei Länderspielen Volunteers einsetzen. Wir konnten den Hospitality- und Cateringbereich ausbauen, weil durch die WM bessere Möglichkeiten vorhanden sind. Die Städte, wie zum Beispiel Stuttgart beim Länderspiel gegen Irland, bieten Public Viewing an, was wir nun mit großem Erfolg erstmals beim DFB-Pokalfinale in Berlin probiert haben. Es gibt auch hier viele Entwicklungen, die noch nicht zu Ende sind.

Frage: Gab die WM, im Rückblick auf das Jahr danach, auch Deutschland den Schub, den man sich erhofft hatte?

Schmidt: Das war eine der spannendsten Fragen von Anfang an. Es gibt ein unabhängiges sozio-ökonomisches Gutachten, dessen Ergebnisse belegen, was vor der WM als positive Prognose ausgesprochen wurde. Das Land hat ganz offensichtlich auch wirtschaftlich profitiert von dieser WM bis hin zu dem erheblichen Steueraufkommen, das entrichtet wurde.

Frage: Die FIFA war Veranstalter, der DFB Ausrichter der WM 2006. Wie stellt sich seitdem das Verhältnis zwischen beiden Verbänden dar?

Schmidt: Im Rahmen der Vorbereitung eines Turniers dieser Kategorie gibt es immer Einzelbereiche, wo mal unterschiedliche Auffassungen bestehen. Die FIFA verdeutlichte immer wieder ihren Anspruch, dass sie der Veranstalter ist und dass wir nicht mit übertriebener Eigenständigkeit dieses Turnier abwickeln können, wofür man ja Verständnis hat. Doch diese unterschiedlichen Auffassungen, zum Beispiel beim Ticketing mit der Erfassung der Personaldaten und deren Kontrolle, sind immer schnell bereinigt und vor allem durch die Praxis dann erledigt worden. Das Verhältnis zueinander ist sehr gut. Es kommt nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass mich die FIFA als ihren Beauftragten für die WM 2010 in Südafrika verpflichtet hat.

Frage: Und der beachtliche Gewinn der FIFA von 185 Millionen Euro im Jahr 2006, der vor allem durch die WM 2006 zustande kam, hat das Verhältnis zum DFB sicherlich nicht belastet?

Schmidt: Die FIFA hat die Organisation des Turniers, sprich unser OK-Budget in Höhe von 430 Millionen Euro, finanziell sehr großzügig ausgestattet mit ihrem Zuschuss von 170 Millionen Euro. Dass sie davon 50 Millionen Euro zurück erhalten hat, freut sie, weil sie damit ja nicht ohne weiteres rechnen konnte. Wir wurden in jeglicher Hinsicht vom FIFA-Präsidenten sehr gelobt – wegen der Ausrichtung insgesamt und auch wegen des wirtschaftlichen Ergebnisses.

Frage: Wie schwer wird es im Vergleich mit der WM-Bewerbung 2006 nun auch die Frauen-WM 2011 nach Deutschland zu holen?

Schmidt: Eine schwierige Frage! Bekanntlich ist mit Frankreich ein sehr aussichtsreicher Bewerber aus Europa in der Konkurrenz, dazu mit Kanada und Australien zwei starke Länder, die sich gerade auf solche FIFA-Wettbewerbe intensiv konzentrieren, weil sie die große WM nicht so leicht bekommen. Es wird sehr schwer, doch ich hoffe, dass wir auch diesmal die Nase vorne haben werden.

"Löws erstes Jahr hätte besser kaum sein können"

Frage: Ein Bonus ist möglicherweise der hervorragende Gesamteindruck der WM 2006, für den auch ganz stark das sportliche Auftreten der Nationalmannschaft unter Bundestrainer Jürgen Klinsmann gesorgt hat. Hat Joachim Löw die Lücke, die bei Klinsmanns Weggang zunächst einmal entstanden war, in seinem ersten Jahr als Nationaltrainer schließen können?

Schmidt: Dass Jürgen Klinsmann und die Mannschaft einen großen Anteil an diesem positiven Gesamtergebnis haben, steht außer Frage. Und siehe da – mit Joachim Löw ist plötzlich sein Assistent in den Vordergrund getreten. Für Insider kam dies freilich nicht überraschend, weil sie während der WM aus der Nähe feststellen konnten, dass er nicht nur ein zuverlässiger Co-Trainer war, sondern ein Fachmann, der gerade im Bereich der technischen und taktischen Schulung und Einstellung der Spieler einen wichtigen Beitrag geleistet hat und sich damit als erfolgreicher Nachfolger im Amt des Bundestrainer empfohlen hat. Sein erstes Jahr als Bundestrainer hätte besser kaum sein können.

Frage: Was zeichnet seine Arbeit aus?

Schmidt: Er hat Klinsmanns Linie nicht nur fortgeführt, sondern darüber hinaus auch eigene Akzente gesetzt. Er gehört zu den Trainern, die nicht nur begeistern und motivieren können, sondern die ein ganz besonders gutes Auge für den einzelnen Spieler, aber auch für die Mannschaft haben. Er kann jedem Spieler genau sagen, was er konkret machen soll, was er besser machen kann, und wie er sich individuell, aber auch in der Mannschaft weiter entwickeln muss. Das ist heute, wie ich es sehe, das Allerwichtigste, um eine Mannschaft zu formen, die wirklich in die Spitze vorstoßen kann.

Frage: Sie selbst haben sich bei der WM 2006 und mit ihrer großen Erfahrung in der Organisation acht früherer WM-Turniere als wichtiger Berater der FIFA bei der WM 2010 empfohlen. Wird Südafrika diese WM-Endrunde organisieren können?

Schmidt: Ich sehe mich dort als Verbindungsglied zwischen der FIFA und dem südafrikanischen OK, um zu sagen, wie man bestimmte Aufgaben anpackt. Dazu gehört auch eine gewisse Zurückhaltung in manchen Dingen. So ist es mir gelungen, das Vertrauen der Verantwortlichen in Südafrika zu gewinnen. Es war eine schwierige Zeit, den Bau der Stadien in Gang zu bringen. Inzwischen wird überall gebaut, und Südafrika wird dieses Turnier ausrichten, davon bin ich fest überzeugt. Weil dort eine gute Qualität an Planungsarbeit vorhanden ist. Zumal neben der FIFA und dem dortigen OK mit „Match“ noch eine dritte Institution mitarbeitet, die sich um Ticketing, IT-Solution und Accomodation kümmert. Daher bin ich optimistisch, dass wir in diesem begleitenden Prozess zwischen FIFA, OK und Match so viel Abstimmung herbeiführen, dass Überraschungsmomente ausgeschlossen werden können und der Erfolg leichter eintreten kann...

Frage:...und sich die FIFA über einen ähnlich hohen Gewinn freuen wird wie 2006 bei der WM in Deutschland?

Schmidt: Die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind anders. Die FIFA hat für Südafrika eine Defizit-Garantie ausgesprochen, mit der sie für die Ausgaben eintritt, die über das in ähnlicher Höhe wie bei der WM 2006 aufgestellte Budget hinausgehen. Die FIFA will dort nicht in hohem Maße wirtschaftlich profitieren. Vielmehr hat sie ein großes Interesse, dass die erste WM in Afrika ein gelungenes Turnier wird. Mit diesem Anspruch ist man, so meine Feststellung, auf einem ganz guten Weg.