Höwedes: "Ich darf wieder ein Teil dieses Teams sein"

Benedikt Höwedes war 2014 Stammspieler der Weltmeistermannschaft von Brasilien. Unter Joachim Löw absolvierte der heute 33-Jährige 44 Länderspiele, seine Karriere als Aktiver hat er inzwischen beendet. Teil des Fußballgeschäfts beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) ist er aber immer noch: Heute unterstützt er in einer Art Traineeprogramm das Teammanagement der Nationalmannschaft. Im DFB.de-Interview spricht er über seine Aufgaben. Und verrät, was beim Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Liechtenstein am 11. November (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) in Wolfsburg Besonderes geplant ist.

DFB.de: Herr Höwedes, wenn man Sie bei FUSSBALL.DE, dem Amateurfußballportal des DFB sucht, findet man hinter Ihrem Namen den Hinweis "Aktuell nicht spielberechtigt". Mit 33 Jahren sind Sie eigentlich im besten Fußballeralter.

Benedikt Höwedes: Na ja, ich trainiere derzeit noch nicht einmal mehr in einer Fußballmannschaft. Nach dem Ende meiner Profikarriere habe ich noch für meinen Heimatverein TuS Haltern gespielt und dort am Trainingsbetrieb teilgenommen, aber seit meinem Umzug nach Köln bin ich sozusagen vereinslos und habe keinen gültigen Spielerpass mehr irgendwo liegen.

DFB.de: Sie sind ein großer Anhänger des Amateurfußballs, haben gerade erst ehrenamtlich Tätige im Rahmen der Ehrungsveranstaltung "Club 100" im Deutschen Fußballmuseum ausgezeichnet: Suchen Sie sich auch in Köln wieder einen Verein? An Interessenten würde es sicher nicht mangeln.

Höwedes: Ich bin absoluter Fan des Amateurfußballs. Ohne die Menschen an der Basis, ohne die kleinen Vereine, die so Großes leisten, wären auch die Erfolge der Nationalmannschaft nicht möglich. Aber in Haltern war es mir eine Herzensangelegenheit, nochmal für meinen Jugendverein in meiner Heimatstadt zu kicken. Und vor allem gemeinsam mit meinen Freunden. Im Fußball werde ich als ehemaliger Profi an meinen Leistungen zu Glanzzeiten gemessen und von denen bin ich, das muss ich leider zugeben, mittlerweile ein gutes Stück entfernt. Im Moment probiere ich gerne Sportarten aus, die teilweise etwas gefährlicher sind und die ich als Aktiver wegen der Verletzungsgefahr nicht betreiben konnte.  

DFB.de: Welche Sportarten sind das?

Höwedes: Mountainbike- oder Gravelbike-Fahren etwa. Im Winter fahre ich Ski, im Sommer surfe ich. Es muss aber nicht immer nur riskant zugehen. Ich spiele auch einmal die Woche Beachvolleyball, gehe joggen, trainiere in meinem Home-Gym, spiele Tischtennis, gehe wandern.

DFB.de: Wenn man Sie im Training der Nationalmannschaft auf dem Rasen erlebt, wirken Sie noch nicht abgehängt.

Höwedes: Mir macht es viel Spaß, wenn ich bei der Nationalmannschaft auf dem Platz mitmachen darf. Ich glaube auch, dass ich noch relativ fit bin. Aber ich bin natürlich nicht mehr im Rhythmus. Mir fehlt die maximale Fitness, mir fehlt das maximale Ballgefühl. Wenn man das nicht täglich im Training abruft, geht automatisch viel verloren. Ich würde mich mittlerweile schwertun, 90 Minuten lang über den Platz zu laufen.

DFB.de: Das heißt: Ihr eigener Anspruch verhindert im Moment ein Comeback?

Höwedes: Ich war immer ein Spieler, der seine Leistung maximal abrufen musste, um das höchste Level erreichen zu können. Und wenn ich merke, dass mir das nicht mehr gelingt, ist das schon etwas frustrierend. Als Leistungssportler hat man schließlich den Ehrgeiz, jedes Spiel gewinnen zu wollen. Auch heute noch.

DFB.de: Haben Sie es noch nie bereut, so vergleichsweise früh Ihre Karriere beendet zu haben?

Höwedes: Absolut nicht. Zu keinem Zeitpunkt. Auch wenn ich mittlerweile wieder einige Jobs angenommen habe, kann ich mir die Zeit immer noch größtenteils selbst einteilen. Ich liebe es, bei meiner Familie zu sein und den Alltag mitzuerleben. Mir hat es auch gesundheitlich sehr gut getan, ein bisschen früher aufzuhören, das spüre ich. Der Abschied vom Profifußball ist mir auch deshalb leichter gemacht worden, weil der Fußball während der Corona-Pandemie nicht mehr der war, den ich liebe. Jetzt, da die Fans und mit ihnen die Stimmung in die Stadien zurückgekehrt sind, kommt schon ein bisschen Wehmut auf. Aber ich freue mich, mittlerweile auf eine andere Art Teil dieser Kulisse zu sein.   

DFB.de: Sie sind im August in neuer Rolle zur Nationalmannschaft zurückgekehrt und unterstützen in einer Art Traineeprogramm das Teammanagement. Lernen Sie die Nationalmannschaft und den DFB nun noch mal ganz neu kennen?

Höwedes: Als Spieler hast du deine festen Abläufe: Du konzentrierst dich auf das Training, auf das Spiel, du verbringst viel Zeit mit deiner Mannschaft, gehst früh schlafen. Du hast deinen eigenen Rhythmus. Jetzt habe ich die Chance erhalten, auch einmal hinter die Kulissen zu schauen und neue Perspektiven einzunehmen. Ich darf wahnsinnig viel lernen - von Oliver Bierhoff, von Hansi Flick und dem Trainerteam, vom Teammanagement um Thomas Beheshti, vom gesamten Team hinter dem Team. Ich erlebe mit, wie viel Aufwand und Organisation, vor allem aber auch Herzblut und Leidenschaft, hinter der Nationalmannschaft stehen. Wie man ein Team formt, das die Mannschaft bestmöglich unterstützt. Es ist schön zu sehen, was für ein eingeschworener Haufen sich um die Nationalmannschaft kümmert. Ich darf wieder ein Teil dieses Teams sein. Und in Zusammenarbeit mit vielen Mitarbeiter*innen des DFB übernehme ich auch selbst Verantwortung und kann als Bindeglied zwischen Trainer, Mannschaft und Management selbst mitgestalten, zum Beispiel die Verabschiedung von Jogi Löw. Die ist mir auch ein persönliches Anliegen.

DFB.de: Vor vier Jahren haben Sie Ihr letztes von 44 Länderspielen absolviert. Hat sich bei der Nationalmannschaft grundlegend etwas verändert seit Ihrer aktiven Zeit? Außer dem Bundestrainer natürlich.

Höwedes: Die Nationalmannschaft war für mich schon immer etwas ganz Besonderes. Hier war alles immer noch einmal professioneller aufgestellt als im Verein. Und dort lief schon alles auf Topniveau. Das hat sich nicht geändert. Es wird immer noch alles möglich gemacht, um die perfekten Bedingungen für die Nationalmannschaft zu schaffen. Wir wollen zurück in die Weltspitze und es ist beeindruckend zu sehen, wie akribisch jede*r Einzelne daran arbeitet. Denn als Spieler kommt man und alles ist perfekt organisiert. Jetzt bekomme ich mit, wie viele Menschen und Abteilungen im DFB involviert sind, um ein Länderspiel oder eine Länderspielreise zu organisieren: Marketing, Ticketing, Kommunikation, Stadion-Management, Akkreditierung, um nur einige zu nennen.

DFB.de: Mit dem Blick von außen könnte manch einer sagen: der Benedikt Höwedes hat sein Glück gemacht. Jetzt beschäftigt er sich mit Ticketing und Akkreditierung. Warum tut der sich das an?

Höwedes: Weil es mich interessiert und weil es mir Spaß macht. Es war mir wichtig, nach der Karriere eine Aufgabe zu finden, die mich erfüllt. Natürlich erfüllt mich auch meine Familie allein. Aber ich möchte auch daneben noch etwas Sinnvolles tun. Oliver Bierhoff hat mir die Chance gegeben, zur Nationalmannschaft zurückzukehren. Als Spieler bin ich unheimlich gerne zur Nationalmannschaft gekommen, habe es immer sehr wertgeschätzt, ein Teil von ihr sein zu dürfen. Auch jetzt bin ich froh und stolz, wieder dabei zu sein. Diese Praxis, die ich nun vor Ort sammele, versuche ich mit den eher theoretischen Inhalten im UEFA-Master-Studienkurs für Nationalspieler (MIP) zu verbinden.

DFB.de: Ihr früherer Bundestrainer Joachim Löw wird nun in Wolfsburg verabschiedet. Sie organisieren seinen Abschied federführend mit. Was hat Jogi Löw als Menschen und als Trainer ausgezeichnet?

Höwedes: Jogi ist ein sehr herzlicher Mensch, der es herausragend verstanden hat, eine gute Atmosphäre und eine gute Balance innerhalb der Mannschaft zu schaffen. Gerade mit Blick auf die Turniere ist es ihm gelungen, die richtige Mischung aus Individualisten, aus Teamplayern, aus Extrovertierten und Introvertierten, aus Jungen und Älteren in der Truppe zu finden, damit sich ein echtes Team entwickeln konnte. Dafür hatte er ein feines Gespür. Dazu kam eine Spielphilosophie, die er über die Jahre entwickelt hat: mit viel Spielfreude und mitreißendem, erfolgreichem Fußball. Jogi hat immer gut einschätzen können, was er aus den ihm zur Verfügung stehenden Kadern herausholen konnte und was wichtig war für den Erfolg, beispielsweise in Brasilien vor allem eine stabile Defensive. Ich persönlich habe ihm wahnsinnig viel zu verdanken, weil er mich auf einer Position eingesetzt hat - und das über jede Sekunde bei der Weltmeisterschaft 2014 - die mit Sicherheit niemand, selbst ich nicht, für mich gesehen habe. Unser Verhältnis war von Verlässlichkeit, Loyalität und hoher Wertschätzung geprägt.

DFB.de: Es gab nach dem Abschied von Joachim Löw im Anschluss an die Europameisterschaft im Sommer bereits zwei Heimländerspiele. Warum wird Löw, und mit ihm unter anderen der frühere Bundestorwarttrainer Andreas Köpke und der frühere Assistenztrainer Thomas Schneider, nun in Wolfsburg verabschiedet?

Höwedes: Jogi selbst wollte sich zu Beginn des Neubeginns mit Hansi Flick nicht in den Mittelpunkt stellen, sondern das neue Trainerteam erst einmal in Ruhe arbeiten lassen. Auch das zeigt seinen Charakter. Und ehrlich gesagt, gibt es kein Spiel und kein Stadion, das die angemessene Bühne darstellen würde, um so einen erfolgreichen Trainer zu verabschieden. Er steht in einer Reihe mit den anderen drei deutschen Weltmeister-Trainern Sepp Herberger, Helmut Schön und Franz Beckenbauer. Daher stehen für mich die Menschen im Vordergrund: In Wolfsburg werden viele ehemalige Spieler und Weggefährten von Joachim Löw dabei sein, um ihn zu ehren und zu verabschieden. Und auch die Fans im Stadion werden ihm sicherlich noch einmal ihren Dank für so viele tolle Jahre und Spiele der Nationalmannschaft ausdrücken. Ich wünsche mir ein volles Stadion und eine würdige Kulisse für einen der erfolgreichsten Bundestrainer, den wir je hatten. Wir wollen das Spiel zu einem besonderen machen. Dafür will der DFB auch mit einer großen Trikotaktion sorgen.

DFB.de: Wie wird seine Verabschiedung in Wolfsburg aussehen?

Höwedes: Ein Teil der Nationalmannschaftsfamilie kommt zusammen. Spieler, Trainer, Betreuer, die ihn über die Jahre begleitet haben und ihm viel bedeuten, die mit ihm gemeinsam Weltmeister geworden sind. Lukas Podolski zum Beispiel, Per Mertesacker, Sami Khedira, um nur drei zu nennen. Sie werden ihm vor Beginn des Spiels noch einmal Spalier stehen. Jogi hat seine Spieler und alle im Umfeld der Mannschaft immer wertgeschätzt. Ich bin mir sicher, dass ihm selbst diese Wertschätzung in Wolfsburg noch einmal von Spielern, Weggefährten und Fans entgegengebracht wird.

DFB.de: Sie waren unter Löw Teil der Mannschaft und sind jetzt wieder ganz nah dran: Wie haben Sie den Neustart nach der "Ära Löw" erlebt?

Höwedes: Wir haben in den ersten Spielen mit dem neuen Trainerteam viel Spielfreude und viel Leidenschaft gesehen. Vor allem gegen Rumänien hat die Mannschaft großen Ehrgeiz und Willen gezeigt und das Spiel nach dem Rückstand noch gedreht. Hansi Flick tut der Mannschaft durch seine positive, kommunikative, authentische Art richtig gut. Es herrscht eine wahnsinnige Aufbruchstimmung rund um die Mannschaft. Diesen Rückenwind wollen wir mit zwei überzeugenden Auftritten gegen Liechtenstein und Armenien mit in das WM-Jahr 2022 nehmen.

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Benedikt Höwedes war 2014 Stammspieler der Weltmeistermannschaft von Brasilien. Unter Joachim Löw absolvierte der heute 33-Jährige 44 Länderspiele, seine Karriere als Aktiver hat er inzwischen beendet. Teil des Fußballgeschäfts beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) ist er aber immer noch: Heute unterstützt er in einer Art Traineeprogramm das Teammanagement der Nationalmannschaft. Im DFB.de-Interview spricht er über seine Aufgaben. Und verrät, was beim Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Liechtenstein am 11. November (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) in Wolfsburg Besonderes geplant ist.

DFB.de: Herr Höwedes, wenn man Sie bei FUSSBALL.DE, dem Amateurfußballportal des DFB sucht, findet man hinter Ihrem Namen den Hinweis "Aktuell nicht spielberechtigt". Mit 33 Jahren sind Sie eigentlich im besten Fußballeralter.

Benedikt Höwedes: Na ja, ich trainiere derzeit noch nicht einmal mehr in einer Fußballmannschaft. Nach dem Ende meiner Profikarriere habe ich noch für meinen Heimatverein TuS Haltern gespielt und dort am Trainingsbetrieb teilgenommen, aber seit meinem Umzug nach Köln bin ich sozusagen vereinslos und habe keinen gültigen Spielerpass mehr irgendwo liegen.

DFB.de: Sie sind ein großer Anhänger des Amateurfußballs, haben gerade erst ehrenamtlich Tätige im Rahmen der Ehrungsveranstaltung "Club 100" im Deutschen Fußballmuseum ausgezeichnet: Suchen Sie sich auch in Köln wieder einen Verein? An Interessenten würde es sicher nicht mangeln.

Höwedes: Ich bin absoluter Fan des Amateurfußballs. Ohne die Menschen an der Basis, ohne die kleinen Vereine, die so Großes leisten, wären auch die Erfolge der Nationalmannschaft nicht möglich. Aber in Haltern war es mir eine Herzensangelegenheit, nochmal für meinen Jugendverein in meiner Heimatstadt zu kicken. Und vor allem gemeinsam mit meinen Freunden. Im Fußball werde ich als ehemaliger Profi an meinen Leistungen zu Glanzzeiten gemessen und von denen bin ich, das muss ich leider zugeben, mittlerweile ein gutes Stück entfernt. Im Moment probiere ich gerne Sportarten aus, die teilweise etwas gefährlicher sind und die ich als Aktiver wegen der Verletzungsgefahr nicht betreiben konnte.  

DFB.de: Welche Sportarten sind das?

Höwedes: Mountainbike- oder Gravelbike-Fahren etwa. Im Winter fahre ich Ski, im Sommer surfe ich. Es muss aber nicht immer nur riskant zugehen. Ich spiele auch einmal die Woche Beachvolleyball, gehe joggen, trainiere in meinem Home-Gym, spiele Tischtennis, gehe wandern.

DFB.de: Wenn man Sie im Training der Nationalmannschaft auf dem Rasen erlebt, wirken Sie noch nicht abgehängt.

Höwedes: Mir macht es viel Spaß, wenn ich bei der Nationalmannschaft auf dem Platz mitmachen darf. Ich glaube auch, dass ich noch relativ fit bin. Aber ich bin natürlich nicht mehr im Rhythmus. Mir fehlt die maximale Fitness, mir fehlt das maximale Ballgefühl. Wenn man das nicht täglich im Training abruft, geht automatisch viel verloren. Ich würde mich mittlerweile schwertun, 90 Minuten lang über den Platz zu laufen.

DFB.de: Das heißt: Ihr eigener Anspruch verhindert im Moment ein Comeback?

Höwedes: Ich war immer ein Spieler, der seine Leistung maximal abrufen musste, um das höchste Level erreichen zu können. Und wenn ich merke, dass mir das nicht mehr gelingt, ist das schon etwas frustrierend. Als Leistungssportler hat man schließlich den Ehrgeiz, jedes Spiel gewinnen zu wollen. Auch heute noch.

DFB.de: Haben Sie es noch nie bereut, so vergleichsweise früh Ihre Karriere beendet zu haben?

Höwedes: Absolut nicht. Zu keinem Zeitpunkt. Auch wenn ich mittlerweile wieder einige Jobs angenommen habe, kann ich mir die Zeit immer noch größtenteils selbst einteilen. Ich liebe es, bei meiner Familie zu sein und den Alltag mitzuerleben. Mir hat es auch gesundheitlich sehr gut getan, ein bisschen früher aufzuhören, das spüre ich. Der Abschied vom Profifußball ist mir auch deshalb leichter gemacht worden, weil der Fußball während der Corona-Pandemie nicht mehr der war, den ich liebe. Jetzt, da die Fans und mit ihnen die Stimmung in die Stadien zurückgekehrt sind, kommt schon ein bisschen Wehmut auf. Aber ich freue mich, mittlerweile auf eine andere Art Teil dieser Kulisse zu sein.   

DFB.de: Sie sind im August in neuer Rolle zur Nationalmannschaft zurückgekehrt und unterstützen in einer Art Traineeprogramm das Teammanagement. Lernen Sie die Nationalmannschaft und den DFB nun noch mal ganz neu kennen?

Höwedes: Als Spieler hast du deine festen Abläufe: Du konzentrierst dich auf das Training, auf das Spiel, du verbringst viel Zeit mit deiner Mannschaft, gehst früh schlafen. Du hast deinen eigenen Rhythmus. Jetzt habe ich die Chance erhalten, auch einmal hinter die Kulissen zu schauen und neue Perspektiven einzunehmen. Ich darf wahnsinnig viel lernen - von Oliver Bierhoff, von Hansi Flick und dem Trainerteam, vom Teammanagement um Thomas Beheshti, vom gesamten Team hinter dem Team. Ich erlebe mit, wie viel Aufwand und Organisation, vor allem aber auch Herzblut und Leidenschaft, hinter der Nationalmannschaft stehen. Wie man ein Team formt, das die Mannschaft bestmöglich unterstützt. Es ist schön zu sehen, was für ein eingeschworener Haufen sich um die Nationalmannschaft kümmert. Ich darf wieder ein Teil dieses Teams sein. Und in Zusammenarbeit mit vielen Mitarbeiter*innen des DFB übernehme ich auch selbst Verantwortung und kann als Bindeglied zwischen Trainer, Mannschaft und Management selbst mitgestalten, zum Beispiel die Verabschiedung von Jogi Löw. Die ist mir auch ein persönliches Anliegen.

DFB.de: Vor vier Jahren haben Sie Ihr letztes von 44 Länderspielen absolviert. Hat sich bei der Nationalmannschaft grundlegend etwas verändert seit Ihrer aktiven Zeit? Außer dem Bundestrainer natürlich.

Höwedes: Die Nationalmannschaft war für mich schon immer etwas ganz Besonderes. Hier war alles immer noch einmal professioneller aufgestellt als im Verein. Und dort lief schon alles auf Topniveau. Das hat sich nicht geändert. Es wird immer noch alles möglich gemacht, um die perfekten Bedingungen für die Nationalmannschaft zu schaffen. Wir wollen zurück in die Weltspitze und es ist beeindruckend zu sehen, wie akribisch jede*r Einzelne daran arbeitet. Denn als Spieler kommt man und alles ist perfekt organisiert. Jetzt bekomme ich mit, wie viele Menschen und Abteilungen im DFB involviert sind, um ein Länderspiel oder eine Länderspielreise zu organisieren: Marketing, Ticketing, Kommunikation, Stadion-Management, Akkreditierung, um nur einige zu nennen.

DFB.de: Mit dem Blick von außen könnte manch einer sagen: der Benedikt Höwedes hat sein Glück gemacht. Jetzt beschäftigt er sich mit Ticketing und Akkreditierung. Warum tut der sich das an?

Höwedes: Weil es mich interessiert und weil es mir Spaß macht. Es war mir wichtig, nach der Karriere eine Aufgabe zu finden, die mich erfüllt. Natürlich erfüllt mich auch meine Familie allein. Aber ich möchte auch daneben noch etwas Sinnvolles tun. Oliver Bierhoff hat mir die Chance gegeben, zur Nationalmannschaft zurückzukehren. Als Spieler bin ich unheimlich gerne zur Nationalmannschaft gekommen, habe es immer sehr wertgeschätzt, ein Teil von ihr sein zu dürfen. Auch jetzt bin ich froh und stolz, wieder dabei zu sein. Diese Praxis, die ich nun vor Ort sammele, versuche ich mit den eher theoretischen Inhalten im UEFA-Master-Studienkurs für Nationalspieler (MIP) zu verbinden.

DFB.de: Ihr früherer Bundestrainer Joachim Löw wird nun in Wolfsburg verabschiedet. Sie organisieren seinen Abschied federführend mit. Was hat Jogi Löw als Menschen und als Trainer ausgezeichnet?

Höwedes: Jogi ist ein sehr herzlicher Mensch, der es herausragend verstanden hat, eine gute Atmosphäre und eine gute Balance innerhalb der Mannschaft zu schaffen. Gerade mit Blick auf die Turniere ist es ihm gelungen, die richtige Mischung aus Individualisten, aus Teamplayern, aus Extrovertierten und Introvertierten, aus Jungen und Älteren in der Truppe zu finden, damit sich ein echtes Team entwickeln konnte. Dafür hatte er ein feines Gespür. Dazu kam eine Spielphilosophie, die er über die Jahre entwickelt hat: mit viel Spielfreude und mitreißendem, erfolgreichem Fußball. Jogi hat immer gut einschätzen können, was er aus den ihm zur Verfügung stehenden Kadern herausholen konnte und was wichtig war für den Erfolg, beispielsweise in Brasilien vor allem eine stabile Defensive. Ich persönlich habe ihm wahnsinnig viel zu verdanken, weil er mich auf einer Position eingesetzt hat - und das über jede Sekunde bei der Weltmeisterschaft 2014 - die mit Sicherheit niemand, selbst ich nicht, für mich gesehen habe. Unser Verhältnis war von Verlässlichkeit, Loyalität und hoher Wertschätzung geprägt.

DFB.de: Es gab nach dem Abschied von Joachim Löw im Anschluss an die Europameisterschaft im Sommer bereits zwei Heimländerspiele. Warum wird Löw, und mit ihm unter anderen der frühere Bundestorwarttrainer Andreas Köpke und der frühere Assistenztrainer Thomas Schneider, nun in Wolfsburg verabschiedet?

Höwedes: Jogi selbst wollte sich zu Beginn des Neubeginns mit Hansi Flick nicht in den Mittelpunkt stellen, sondern das neue Trainerteam erst einmal in Ruhe arbeiten lassen. Auch das zeigt seinen Charakter. Und ehrlich gesagt, gibt es kein Spiel und kein Stadion, das die angemessene Bühne darstellen würde, um so einen erfolgreichen Trainer zu verabschieden. Er steht in einer Reihe mit den anderen drei deutschen Weltmeister-Trainern Sepp Herberger, Helmut Schön und Franz Beckenbauer. Daher stehen für mich die Menschen im Vordergrund: In Wolfsburg werden viele ehemalige Spieler und Weggefährten von Joachim Löw dabei sein, um ihn zu ehren und zu verabschieden. Und auch die Fans im Stadion werden ihm sicherlich noch einmal ihren Dank für so viele tolle Jahre und Spiele der Nationalmannschaft ausdrücken. Ich wünsche mir ein volles Stadion und eine würdige Kulisse für einen der erfolgreichsten Bundestrainer, den wir je hatten. Wir wollen das Spiel zu einem besonderen machen. Dafür will der DFB auch mit einer großen Trikotaktion sorgen.

DFB.de: Wie wird seine Verabschiedung in Wolfsburg aussehen?

Höwedes: Ein Teil der Nationalmannschaftsfamilie kommt zusammen. Spieler, Trainer, Betreuer, die ihn über die Jahre begleitet haben und ihm viel bedeuten, die mit ihm gemeinsam Weltmeister geworden sind. Lukas Podolski zum Beispiel, Per Mertesacker, Sami Khedira, um nur drei zu nennen. Sie werden ihm vor Beginn des Spiels noch einmal Spalier stehen. Jogi hat seine Spieler und alle im Umfeld der Mannschaft immer wertgeschätzt. Ich bin mir sicher, dass ihm selbst diese Wertschätzung in Wolfsburg noch einmal von Spielern, Weggefährten und Fans entgegengebracht wird.

DFB.de: Sie waren unter Löw Teil der Mannschaft und sind jetzt wieder ganz nah dran: Wie haben Sie den Neustart nach der "Ära Löw" erlebt?

Höwedes: Wir haben in den ersten Spielen mit dem neuen Trainerteam viel Spielfreude und viel Leidenschaft gesehen. Vor allem gegen Rumänien hat die Mannschaft großen Ehrgeiz und Willen gezeigt und das Spiel nach dem Rückstand noch gedreht. Hansi Flick tut der Mannschaft durch seine positive, kommunikative, authentische Art richtig gut. Es herrscht eine wahnsinnige Aufbruchstimmung rund um die Mannschaft. Diesen Rückenwind wollen wir mit zwei überzeugenden Auftritten gegen Liechtenstein und Armenien mit in das WM-Jahr 2022 nehmen.

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