Heute vor 50 Jahren: Triumph der Kickers

Als sie es geschafft hatten, war niemand darauf vorbereitet. Die glücklichen Sieger fielen sich zwar in die Arme in der Kabine, bloß zu trinken gab es nichts. "Die mussten erst mal was organisieren", berichtet der damalige Sportchef der Offenbach-Post, Erich Müller, anlässlich des großen Jubiläums. Genau 50 Jahre danach klingt es noch unglaublicher, aber schon 1970 war es eine kleine Sensation: Kickers Offenbach, heute ein Regionalligist, gewann den DFB-Pokal.

Ob die Hessen damit der erste unterklassige Pokalsieger aller Zeiten waren oder nicht, darüber streiten die Gelehrten. Denn es war kompliziert, damals vor 50 Jahren. Fakt ist: Als die Saison 1969/1970 startete, waren die Kickers Regionalligist, was damals der 2. Liga entsprach. Gerade waren sie aus der Bundesliga abgestiegen. Als sie den Pokal am 29. August 1970 gewannen, waren sie schon wieder oben und hatten zwei Bundesligaspiele der Saison 1970/1971 absolviert. Schuld am Terminchaos war der deutsche Winter, der im März und April noch für eine Flut von Nachholspielen sorgte. Da die WM in Mexiko anstand und die Bundesliga vor dem 1. Mai enden musste, opferte der DFB seinen Pokal. Der konnte nicht vor dem regulären Saisonabschluss ausgetragen werden, schon die 1. Hauptrunde zog sich vom 3. Januar bis 25. Juli (!).

Am 28. Juli wurde die 2. Hauptrunde angesetzt, für 16 Mannschaften war die Sommerpause kürzer als sonst. Zu ihnen gehörten die Kickers, die im Frühjahr, die noch als Zweitligist gestartet waren. Sie wurden zum Favoritenschreck. Am 30. Juli warfen sie Borussia Dortmund am Bieberer Berg raus (2:1 n.V.) und zehn Tage vor Ligastart gewannen sie bei Lokalrivale Eintracht Frankfurt mit 3:0. Das Los meinte es gut mit ihnen, als sie im Halbfinale einen Zweitligisten zugeteilt bekamen: der 1. FC Nürnberg musste am 19. August und damit vier Tage nach Ligastart nach Offenbach.

Als Außenseiter ins Finale

Der OFC hatte seine Abstiegsmannschaft weitgehend behalten, nur Torwart Karl-Heinz Volz hatte noch keine Bundesligaerfahrung. Nun sammelte er sie. Gegen Nürnberg tobte der Bieberer Berg einmal mehr, als Helmut Kremers und Helmut Nerlinger, Vater des späteren Bayern-Stars Christian, in der 119. und 120. Minute die Treffer zum 3:2 und 4:2 erzielten. Sonst hätte Offenbach das erste Elfmeterschießen im Pokal gesehen, es war gerade eingeführt worden.

Im Finale wartete am 29. August in Hannover der 1. FC Köln, der in Aachen souverän 4:0 gewann, bis März um die Meisterschaft mitgespielt und in Wolfgang Overath den Star der WM 1970 im Team hatte. "Köln war klarer Favorit", erinnert sich Helmut Kremers 50 Jahre später noch. Der Weltmeister von 1974 war mit dem im Finale verletzt fehlenden Zwillingsbruder Erwin 1969 von Mönchengladbach nach Offenbach gewechselt, im Sommer 1970 kam Winfried Schäfer hinterher. "Winni" kam als Deutscher Meister und würde nun für ein Novum sorgen, weil er als einziger Spieler in einer Saison mit zwei Teams das Double holen konnte. Was, wie gesagt, am deutschen Winter lag.

Er sorgte auch für das Novum, dass an einem Freitagabend sieben Bundesligaspiele stattfanden, denn das Pokalfinale sollte ja keine Konkurrenz haben. Das Niedersachsen-Stadion zu Hannover war dennoch nicht ausverkauft, 50.000 Zuschauer wollten das Finale zwischen David und Goliath sehen. "Wenn wir 3:0 führen, darfst Du auch ein Tor schießen", witzelte Kölns Torwart Manfred Manglitz mit Horst "Pille" Gecks. Die beiden kannten sich aus Duisburg, nun waren die Gegner. Es war bezeichnend für die Gemengelage. Hinzu kam, dass die Kölner fast dreimal so viele Zuschauer im Stadion hatten als die Offenbacher (5000). Weil der Pokal seine eigenen Gesetze hat, spielte das Vorgeplänkel keine Rolle.

Mutig - und erfolgreich

Der OFC spielte mutig auf, gewann mehr Zweikämpfe und - vor allem - schoss mehr Tore. "Wenn man als Mannschaft auftritt, dann kann man für Überraschungen sorgen", kennt Kremers ein Erfolgsgeheimnis, das nicht nur für den Pokal gilt. Klaus Winkler, noch ein Ex-Gladbacher, legte nach 24 Minuten vor, das reichte zur Pausenführung. "Pille" Gecks schoss dann nach 63 Minuten sein eigentlich unerlaubtes Tor gegen Manglitz, es war die Vorentscheidung.

Köln, das seinen indisponierten Kapitän Karl-Heinz Thielen schon nach 31 Minuten auswechselte, kam durch WM-Fahrer Hannes Löhr noch auf 2:1 (72.) heran. Dann wurde es dramatisch: Schiedsrichter Schulenburg gab in der 82. Minute einen umstrittenen Elfmeter für Köln, Bernd Rupp war zu Fall gekommen und für den Unparteiischen und seine Assistenten war es "ein klares Foul". Anderer Ansicht war eine Horde OFC-Fans, die den Platz stürmten. Einer schoss sogar den Ball weg, der schon auf dem Kreidepunkt lag. Fünf Minuten brauchten die Ordner, von der Polizei unterstützt, um das Spielfeld wieder frei zu bekommen von den Rowdys.

Lang genug für einen Schützen, um nervös zu werden. Werner Biskup wurde nervös und Karl-Heinz Volz warf sich in die richtige Ecke, mit der er schon gerechnet hatte. Er sagte zum Jubiläum der Offenbach-Post: "Ich wusste, was kommen könnte, wohin er am liebsten schießt. Werner hat sich an das gehalten, was ich erwartet habe. Von mir aus rechts unten. Ich war zur Stelle." Er bewegte sich allerdings etwas zu früh und Schulenberg traute sich "aus psychologischen Gründen nicht, eine Wiederholung zu fordern". Hinter dem Tor standen immer noch die Horden. Wohl auch deshalb warf ein Polizist vor Freude seine Mütze in die Luft.

Verkehrte Welt beim Bankett

Doppeltes Pech also für Biskup. Helmut Kremers erinnert sich noch heute dankbar an den Mann, "der gegen uns immer verschossen hat", wobei er allerdings seine Schalker Zeit mit einbezieht. Biskup also war der Sündenbock, der unter Tränen wenige Minuten später in die Kabine schlurfte, während Volz von den Fans auf Händen getragen wurde. Der Kleine hatte den Großen geschlagen - und ausgerechnet jetzt gab es nichts zu trinken. Das war aber nicht der Grund, weshalb OFC-Idol Hermann Nuber sagte: "Jetzt muss man heulen!" Vor Freude.

Auf dem Bankett wurde noch mal deutlich, dass hier der "Falsche" gewonnen hatte, so verdient es auch war. Dort hatte der DFB schon Wimpel mit der Aufschrift "Pokalsieger 1970 - 1. FC Köln" vorbereitet. Auch saßen die Kölner in der ersten Reihe, die siegreichen Kickers in der zweiten. Es war ihnen herzlich egal, zumal die Kölner aufrichtig gratulierten. Wolfgang Overath gestand: "Offenbach, das bemerke ich neidlos, hat verdient gewonnen." Der Trainer des Siegers, Alfred Schmidt, den alle nur Aki nannten, war außer sich vor Glück: "Das ist meine größte Stunde. Es ist viel schöner als damals, als wir mit Borussia Dortmund den Europapokal gewonnen haben." Das war 1966 und es war der erste Sieg einer deutschen Mannschaft überhaupt.

Aber wer die Jubelszenen nach der Landung in Frankfurt und bei der Heimfahrt auf der gesperrten Autobahn sah, die angeblich bis zu 150.000 Feiernden, der kann Schmidt verstehen. Auch bei Kremers, der 50 Jahre danach große Mühe hat, sich an Details zu erinnern, hat sich der Empfang eingebrannt: "Der Umzug durch die Innenstadt war einmalig." Die Sieger bekamen pro Kopf 7000 DM und der Pokal stand zwei Tage im Haus von Präsident Horst-Gregorio Canellas. Dann bekam er Angst, dass die einzige bedeutende Trophäe, die der Verein je gewann, gestohlen werden könnte. So wurde sie in einem Offenbacher Kaufhaus ausgestellt, wo sie die Fans noch ein Weilchen bestaunen konnten. Es waren die letzten glücklichen Tage jener Saison, die mit dem Abstieg des OFC und dem Bundesligaskandal, von Canellas ausgelöst, enden sollte.

Die Pokalsieger 1970: Karl-Heinz Volz -Josef Weilbächer, Hans Reich, Egon Schmitt, Helmut Kremers - Helmut Schmidt, Roland Weida, Walter Bechtold (60. Helmut Nerlinger), Winfried Schäfer - Horst Gecks, Klaus Winkler. Trainer: Alfred Schmidt.

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Als sie es geschafft hatten, war niemand darauf vorbereitet. Die glücklichen Sieger fielen sich zwar in die Arme in der Kabine, bloß zu trinken gab es nichts. "Die mussten erst mal was organisieren", berichtet der damalige Sportchef der Offenbach-Post, Erich Müller, anlässlich des großen Jubiläums. Genau 50 Jahre danach klingt es noch unglaublicher, aber schon 1970 war es eine kleine Sensation: Kickers Offenbach, heute ein Regionalligist, gewann den DFB-Pokal.

Ob die Hessen damit der erste unterklassige Pokalsieger aller Zeiten waren oder nicht, darüber streiten die Gelehrten. Denn es war kompliziert, damals vor 50 Jahren. Fakt ist: Als die Saison 1969/1970 startete, waren die Kickers Regionalligist, was damals der 2. Liga entsprach. Gerade waren sie aus der Bundesliga abgestiegen. Als sie den Pokal am 29. August 1970 gewannen, waren sie schon wieder oben und hatten zwei Bundesligaspiele der Saison 1970/1971 absolviert. Schuld am Terminchaos war der deutsche Winter, der im März und April noch für eine Flut von Nachholspielen sorgte. Da die WM in Mexiko anstand und die Bundesliga vor dem 1. Mai enden musste, opferte der DFB seinen Pokal. Der konnte nicht vor dem regulären Saisonabschluss ausgetragen werden, schon die 1. Hauptrunde zog sich vom 3. Januar bis 25. Juli (!).

Am 28. Juli wurde die 2. Hauptrunde angesetzt, für 16 Mannschaften war die Sommerpause kürzer als sonst. Zu ihnen gehörten die Kickers, die im Frühjahr, die noch als Zweitligist gestartet waren. Sie wurden zum Favoritenschreck. Am 30. Juli warfen sie Borussia Dortmund am Bieberer Berg raus (2:1 n.V.) und zehn Tage vor Ligastart gewannen sie bei Lokalrivale Eintracht Frankfurt mit 3:0. Das Los meinte es gut mit ihnen, als sie im Halbfinale einen Zweitligisten zugeteilt bekamen: der 1. FC Nürnberg musste am 19. August und damit vier Tage nach Ligastart nach Offenbach.

Als Außenseiter ins Finale

Der OFC hatte seine Abstiegsmannschaft weitgehend behalten, nur Torwart Karl-Heinz Volz hatte noch keine Bundesligaerfahrung. Nun sammelte er sie. Gegen Nürnberg tobte der Bieberer Berg einmal mehr, als Helmut Kremers und Helmut Nerlinger, Vater des späteren Bayern-Stars Christian, in der 119. und 120. Minute die Treffer zum 3:2 und 4:2 erzielten. Sonst hätte Offenbach das erste Elfmeterschießen im Pokal gesehen, es war gerade eingeführt worden.

Im Finale wartete am 29. August in Hannover der 1. FC Köln, der in Aachen souverän 4:0 gewann, bis März um die Meisterschaft mitgespielt und in Wolfgang Overath den Star der WM 1970 im Team hatte. "Köln war klarer Favorit", erinnert sich Helmut Kremers 50 Jahre später noch. Der Weltmeister von 1974 war mit dem im Finale verletzt fehlenden Zwillingsbruder Erwin 1969 von Mönchengladbach nach Offenbach gewechselt, im Sommer 1970 kam Winfried Schäfer hinterher. "Winni" kam als Deutscher Meister und würde nun für ein Novum sorgen, weil er als einziger Spieler in einer Saison mit zwei Teams das Double holen konnte. Was, wie gesagt, am deutschen Winter lag.

Er sorgte auch für das Novum, dass an einem Freitagabend sieben Bundesligaspiele stattfanden, denn das Pokalfinale sollte ja keine Konkurrenz haben. Das Niedersachsen-Stadion zu Hannover war dennoch nicht ausverkauft, 50.000 Zuschauer wollten das Finale zwischen David und Goliath sehen. "Wenn wir 3:0 führen, darfst Du auch ein Tor schießen", witzelte Kölns Torwart Manfred Manglitz mit Horst "Pille" Gecks. Die beiden kannten sich aus Duisburg, nun waren die Gegner. Es war bezeichnend für die Gemengelage. Hinzu kam, dass die Kölner fast dreimal so viele Zuschauer im Stadion hatten als die Offenbacher (5000). Weil der Pokal seine eigenen Gesetze hat, spielte das Vorgeplänkel keine Rolle.

Mutig - und erfolgreich

Der OFC spielte mutig auf, gewann mehr Zweikämpfe und - vor allem - schoss mehr Tore. "Wenn man als Mannschaft auftritt, dann kann man für Überraschungen sorgen", kennt Kremers ein Erfolgsgeheimnis, das nicht nur für den Pokal gilt. Klaus Winkler, noch ein Ex-Gladbacher, legte nach 24 Minuten vor, das reichte zur Pausenführung. "Pille" Gecks schoss dann nach 63 Minuten sein eigentlich unerlaubtes Tor gegen Manglitz, es war die Vorentscheidung.

Köln, das seinen indisponierten Kapitän Karl-Heinz Thielen schon nach 31 Minuten auswechselte, kam durch WM-Fahrer Hannes Löhr noch auf 2:1 (72.) heran. Dann wurde es dramatisch: Schiedsrichter Schulenburg gab in der 82. Minute einen umstrittenen Elfmeter für Köln, Bernd Rupp war zu Fall gekommen und für den Unparteiischen und seine Assistenten war es "ein klares Foul". Anderer Ansicht war eine Horde OFC-Fans, die den Platz stürmten. Einer schoss sogar den Ball weg, der schon auf dem Kreidepunkt lag. Fünf Minuten brauchten die Ordner, von der Polizei unterstützt, um das Spielfeld wieder frei zu bekommen von den Rowdys.

Lang genug für einen Schützen, um nervös zu werden. Werner Biskup wurde nervös und Karl-Heinz Volz warf sich in die richtige Ecke, mit der er schon gerechnet hatte. Er sagte zum Jubiläum der Offenbach-Post: "Ich wusste, was kommen könnte, wohin er am liebsten schießt. Werner hat sich an das gehalten, was ich erwartet habe. Von mir aus rechts unten. Ich war zur Stelle." Er bewegte sich allerdings etwas zu früh und Schulenberg traute sich "aus psychologischen Gründen nicht, eine Wiederholung zu fordern". Hinter dem Tor standen immer noch die Horden. Wohl auch deshalb warf ein Polizist vor Freude seine Mütze in die Luft.

Verkehrte Welt beim Bankett

Doppeltes Pech also für Biskup. Helmut Kremers erinnert sich noch heute dankbar an den Mann, "der gegen uns immer verschossen hat", wobei er allerdings seine Schalker Zeit mit einbezieht. Biskup also war der Sündenbock, der unter Tränen wenige Minuten später in die Kabine schlurfte, während Volz von den Fans auf Händen getragen wurde. Der Kleine hatte den Großen geschlagen - und ausgerechnet jetzt gab es nichts zu trinken. Das war aber nicht der Grund, weshalb OFC-Idol Hermann Nuber sagte: "Jetzt muss man heulen!" Vor Freude.

Auf dem Bankett wurde noch mal deutlich, dass hier der "Falsche" gewonnen hatte, so verdient es auch war. Dort hatte der DFB schon Wimpel mit der Aufschrift "Pokalsieger 1970 - 1. FC Köln" vorbereitet. Auch saßen die Kölner in der ersten Reihe, die siegreichen Kickers in der zweiten. Es war ihnen herzlich egal, zumal die Kölner aufrichtig gratulierten. Wolfgang Overath gestand: "Offenbach, das bemerke ich neidlos, hat verdient gewonnen." Der Trainer des Siegers, Alfred Schmidt, den alle nur Aki nannten, war außer sich vor Glück: "Das ist meine größte Stunde. Es ist viel schöner als damals, als wir mit Borussia Dortmund den Europapokal gewonnen haben." Das war 1966 und es war der erste Sieg einer deutschen Mannschaft überhaupt.

Aber wer die Jubelszenen nach der Landung in Frankfurt und bei der Heimfahrt auf der gesperrten Autobahn sah, die angeblich bis zu 150.000 Feiernden, der kann Schmidt verstehen. Auch bei Kremers, der 50 Jahre danach große Mühe hat, sich an Details zu erinnern, hat sich der Empfang eingebrannt: "Der Umzug durch die Innenstadt war einmalig." Die Sieger bekamen pro Kopf 7000 DM und der Pokal stand zwei Tage im Haus von Präsident Horst-Gregorio Canellas. Dann bekam er Angst, dass die einzige bedeutende Trophäe, die der Verein je gewann, gestohlen werden könnte. So wurde sie in einem Offenbacher Kaufhaus ausgestellt, wo sie die Fans noch ein Weilchen bestaunen konnten. Es waren die letzten glücklichen Tage jener Saison, die mit dem Abstieg des OFC und dem Bundesligaskandal, von Canellas ausgelöst, enden sollte.

Die Pokalsieger 1970: Karl-Heinz Volz -Josef Weilbächer, Hans Reich, Egon Schmitt, Helmut Kremers - Helmut Schmidt, Roland Weida, Walter Bechtold (60. Helmut Nerlinger), Winfried Schäfer - Horst Gecks, Klaus Winkler. Trainer: Alfred Schmidt.

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