Im Herbst 1981 hatte der deutsche Fußball eine Goldene Generation, auf die alle Welt neidisch war. Europameister waren sie seit Juni, davor bereits Sieger des renommierten Granatkin-Turniers in Moskau, des Atlantik-Pokals und des Nordlandturniers. Heute vor 40 Jahren dann die Krönung für die Mannschaft des im Vorjahr verstorbenen Auswahltrainers Dietrich Weise: Erstmals in der DFB-Historie wurden sie in Australien Junioren-Weltmeister (U 20).
"So etwas hat es im deutschen Jugendfußball noch nie gegeben und es dürfte sich wohl auch so schnell nicht wiederholen lassen", lobte der kicker am nächsten Tag. Es war eine Sensation! Das ZDF übertrug das Finale gegen Katar im 19.000 Kilometer entfernten Sydney zwar nicht live, doch in voller Länge zur besten Kaffeezeit am Sonntagmittag (ab 15.30 Uhr). Die Nation durfte dabei sein und die jungen, meist unbekannten, Helden weckten Begeisterung und Neugier.
Am Flughafen in Frankfurt wurden die Champions dann sogar von Bundestrainer Jupp Derwall und dessen Vorgänger Helmut Schön persönlich abgeholt.
Siege gegen Mexiko und Spanien
Niemand hatte dem Team des früheren Bundesligatrainers Weise (u. a. Kaiserslautern, Frankfurt) einen Erfolg zugetraut. Die Teilnahme an der WM verdankten sie nur dem Verzicht der Niederländer, sportlich hatten sie sich gar nicht qualifiziert. Zudem erhielten Bundesligatalente wie Uwe Rahn, Ralf Falkenmayer, Klaus Theiß oder Thomas von Heesen keine Freigabe. "Die Besten bleiben zu Hause – Weise wie ein Bettler" überschrieb der kicker einen Vorbericht aufs Turnier, an dem 16 Mannschaften teilnahmen. Weise hatte zur Vorbereitung nur einen fünftägigen Lehrgang und setzte in der Not auf viele Spieler des jüngeren U 18-Jahrgangs, der im Juni im eigenen Land Europameister geworden war. Er sagte später: "Wir wollten nur die Vorrunde überstehen. Dass wir Weltmeister wurden, ist nur gelungen, weil jeder jeden kannte. Das war gewachsen und kein Zufall."
Zum Auftakt in Adelaide schoss Dortmunds Ralf Loose sie am 3. Oktober zu einem 1:0 gegen Mexiko, doch die Niederlage gegen Ägypten (1:2) an gleicher Stelle, als wieder Loose traf, schien die Skeptiker zu bestätigen. Dass die Deutschen eine Turniermannschaft sind, bestätigte indes auch dieser Jahrgang. Mit einem 4:2 über Spanien wurden sie in Canberra Gruppensieger. Nun sorgten andere für die Tore: Duisburgs Roland Wohlfarth (2), Frankfurts Holger Anthes und der Augsburger Martin Trieb. So kamen sie in die K.o-Runde und schlugen sich mit zwei dramatischen 1:0-Siegen gegen Gastgeber Australien (Tor: Wohlfarth) und Rumänien (Tor: Mannheims Alfred Schön – in der Verlängerung) ins Finale von Sydney durch.
Dort wartete das Sensationsteam aus Katar, das die Gegner gern in seine Abseitsfalle laufen ließ. Auch den Deutschen passierte es 18-mal, aber manchmal kamen sie durch. Am Ende einer denkwürdigen Regenschlacht, die manchen Beobachter an die Wasserschlacht von Frankfurt bei der WM 1974 gegen Polen erinnerte, hieß es 4:0. Die Tore vor 19.500 Zuschauer*innen, die dem Regen trotzten, erzielten: Loose (2x), Wohlfarth und Anthes. Nach sechs Spielen in 15 Tagen waren sie Weltmeister, mehr als sie sich vorgenommen hatten.
Harter Alltag in den Vereinen
Was aber wird aus einem Team, das in vier Monaten Europa- und Weltmeister wird? Damals dachten viele, nun würde auch die A-Nationalmannschaft auf Jahre hinaus unschlagbar sein. Aber der Sprung zu den ganz Großen erwies sich für alle als zu groß. Viele versauerten in ihren Klubs auf der Bank, Weltmeister hin oder her. Im harten Alltag setzten die Vereine andere Prioritäten.
Die Folge: Nur zwei der 13 in Sydney eingesetzten Spieler wurden überhaupt A-Nationalspieler: Michael Zorc (sieben Einsätze), heute Sportvorstand von Borussia Dortmund, und Roland Wohlfarth (zwei), der mit Bayern München fünfmal Deutscher Meister wurde. Bei einem Turnier hat man auch sie jedoch nie gesehen. Andere wie Dortmunds Ralf Loose, der Kapitän der Weltmister, Torhüter Rüdiger Vollborn, 1988 Uefa-Cup-Sieger mit Leverkusen oder Bayerns Meister-Spieler Helmut Winklhofer, blicken zumindest auf eine passable Profikarriere zurück. Doch wer waren eigentlich Toni Schmidkunz, Holger Anthes oder Axel Brummer?
Dietrich Weise hat es damals schon geahnt: Er appellierte an die Vereinstrainer, den Weltmeistern "eine Chance zu geben, sie zu ermutigen, und nicht zu frustrieren wie es in den letzten Monaten manchmal geschehen ist". Persönlich hängte er sich ans Telefon, um beispielsweise einem Branko Zebec die Vorzüge von Zorc und Loose klar zu machen. Aber der traute der Jugend nicht und dann, wusste der weise Weise, "entsteht bei jungen Spielern, die gerade noch mit stolzer Brust herummarschierten, ein Bruch im Selbstbewusstsein".
Heute, 40 Jahre später, können sie dennoch stolz auf das blicken, was geblieben ist: ein einmaliges Kunststück in der DFB-Historie, in der es im Jugendbereich der Männer zwar schon viele Europameister, aber nur einen Weltmeister gegeben hat.
Die Sieger von Sydney:
Vollborn – Winklhofer, Zorc, Schmidkunz, Trieb – Sievers (66. Brunner), Schön, Loose – Anthes, Wohlfarth, Brummer (84. Herbst).
Tore: 1:0 Loose (28.), 2:0 Wohlfarth (43.), 3:0 Loose (65., Foulelfmeter), 4:0 Anthes (86.).