Heute vor 25 Jahren: Elferrekord im Pokal

Das Los hatte es scheinbar ganz gut gemeint mit dem VfB Stuttgart. Wenn schon in die Provinz, dann wenigstens keine allzu weite Reise. So begleiteten den schwäbischen Bundesligisten heute vor 25 Jahren mehrere Hundert Fans zum Spiel der 1. DFB-Pokalrunde nach Sandhausen. Der nordbadische Verein war gerade von der Oberliga in die Regionalliga aufgestiegen, durfte aber doch kein Problem sein für den VfB, bei dem damals das "magische Dreieck" wirbelte: Balakov, Bobic, Elber - dieses Trio stand für Spektakel und Tore und Sandhausen schien der richtige Ort, um sich für die Bundesligasaison 1995/1996 warmzuschießen.

Tore fielen in der Tat viele am 27. August 1995, mehr als gedacht, und am Ende stand ein Rekord, der noch immer besteht: das längste Elfmeterschießen in der DFB-Pokalgeschichte. Gewonnen hat es der Kleine, mit 13:12! 26 Elfmeter wurden nach der Verlängerung, die 2:2 endete, geschossen. Das Verrückte dabei: Die Torhüter Georg Reiser und Marc Ziegler hielten keinen einzigen Ball. So gab es am Ende zwar einen Sieger, aber keinen Helden - nur einen Sündenbock. Und der hat sich nie so gefühlt. Hendrik Herzog vom VfB Stuttgart, der den 26. Elfmeter an den Pfosten setzte, sagt noch heute im Gespräch mit DFB.de: "Mich brauchte keiner zu trösten."

27. Elfmeter im Spiel

Doch der Reihe nach: Der Favorit war früh gehandicapt. Im Dauerregen des Hardtwald-Stadions war Verteidiger Frank Verlaat schon nach acht Minuten nach einem allzu heftigen Tackling vom Platz geflogen. Trotzdem sorgte Krassimir Balakov für die Gästeführung, die Matthias Bernhardt noch vor der Pause ausglich. Fredi Bobic schloss einen Konter zum 1:2 ab, der Favorit schien sich durchzusetzen, zumal Sandhausens Kapitän Knut Hahn einen Elfmeter an den Pfosten setzte. Streng genommen waren es also sogar 27 Elfmeter, die die 6200 in Sandhausen zu sehen bekamen. SV-Trainer Hans-Jürgen Boysen zog seinen Joker und der stach: Slavisa Staletovic, der schon den Elfmeter herausgeholt hatte, köpfte das umjubelte 2:2 (87.), an dem sich in der Verlängerung nichts mehr änderte. So bat Schiedsrichter Winfried Buchhart zum historisch gewordenen Elfmeterschießen.

Knut Hahn traute sich trotz seines Fehlschusses wieder an den Punkt und eröffnete den Torreigen. Nach je fünf Schüssen stand es 5:5, als dritter Stuttgarter traf Herzog. "Dann zog ich meine Schuhe aus, denn ich dachte: Das war’s für mich." Alle, die im strömenden Regen an den Kreidepunkt traten, dachten das. Den Job erledigen und darauf setzen, dass der Kamerad zwischen den Pfosten irgendeinen hält. Doch weder Reiser, der 1984/1985 ein Bundesligaspiel für den Karlsruher SC machen durfte, noch Juniorennationaltorwart Ziegler taten ihnen den Gefallen.

In Herzog stieg Wut auf, wie er heute noch zugibt: "Ich war stinksauer auf Ziegler, dass der nicht mal einen hielt. Er hat ja nicht mal dran geschnuppert. Schoss der Schütze nach links, flog er nach rechts. Oder umgekehrt." Ganz so war es zwar nicht, aber nach 25 Jahren hat niemand mehr alle Details parat. Jedenfalls ging das Drama immer weiter und auf der VfB-Bank wurden sie immer unruhiger. Trainer Rolf Fringer und sein Assistent Joachim Löw hatten sich Sandhausen vorher zwar mal angesehen, aber auf ein Elfmeterschießen waren sie nicht vorbereitet. Sandhausen legte immer wieder vor, siebenmal wehrte der VfB einen "Matchball" ab.

Kein Glück in der Lieblingsecke

Alle Spieler mussten ran, selbst die Torhüter. Nachdem alle mal getroffen hatten, ging es von vorne los. Balakov verwandelte auch seinen zweiten Ball, ebenso Knut Hahn, Thomas Berthold und Dietmar Feuchts. Nun zog Herzog seine Schuhe wieder an. Der alte Haudegen, mit dem BFC Dynamo schon zweimal DDR-Meister geworden, war nach fünf Schalker Jahren gerade erst zum VfB gewechselt. Ein Elfmeter-Spezialist war er auch nicht gerade, aber auch kein Feigling. Herzog: "Wenn mich der Trainer gefragt hat, habe ich gesagt: okay!" 

Und Rolf Fringer fragte wieder. Herzog ging leicht gesenkten Hauptes zum Punkt, schoss "wie immer in meine Lieblingsecke", doch die war ihm nicht wohlgesonnen diesmal und verweigerte die Annahme. Der Ball klatschte flach an den Pfosten und vorbei war das Spektakel. Die Zuschauer stürmten den Platz und feierten die Sieger, während die Profis lange Gesichter machten. "Unser Verhalten nach dem 2:1 war einer Profimannschaft nicht würdig", grollte etwa Bobic, "da hätten wir uns taktisch besser verhalten müssen." Trainer Fringer sprach von einem "Wahnsinnsresultat, für uns ist es natürlich traurig und enttäuschend." 

"Jetzt muss doch mal endlich einer verschießen"

Torwart Ziegler, damals erst 19, reflektierte den schwarzen Sonntag 2016 im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten so: "Bei jedem Schuss bemühte ich die Wahrscheinlichkeitsrechnung und dachte: Jetzt muss doch mal endlich einer verschießen. Aber die Sandhäuser haben einfach gut gezielt. Als Torwart war es für mich ein schwacher Trost, dass es meinem Gegenüber auch nicht viel besser ging." Immerhin gab es für ihn eine Aussöhnung mit Sandhausen, denn er war 2016 Torwartkoordinator bei der U 19-EM, als Deutschland die Niederlande im Elfmeterschießen schlug. "Da habe ich persönlich meinen Frieden mit Sandhausen geschlossen“, so Ziegler.

Und Herzog? Trat in der Saison darauf in der 2. Pokalrunde bei Hertha BSC wieder zum Elfmeter an, denn Angst hatte er immer noch nicht. "Und der war drin, am Ende sind wir Pokalsieger geworden." Seinen Fehlschuss im Rekordspiel tilgt das zwar nicht, "aber wenigstens bin ich in einer Rekordstatistik, ist doch toll." 

PS: Zum Weltrekord fehlte noch viel. Im Juni brauchten zwei tschechische Fünftligisten 52 Elfmeter, um einen Sieger zu ermitteln. Genau doppelt so viel wie damals in Sandhausen.

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Das Los hatte es scheinbar ganz gut gemeint mit dem VfB Stuttgart. Wenn schon in die Provinz, dann wenigstens keine allzu weite Reise. So begleiteten den schwäbischen Bundesligisten heute vor 25 Jahren mehrere Hundert Fans zum Spiel der 1. DFB-Pokalrunde nach Sandhausen. Der nordbadische Verein war gerade von der Oberliga in die Regionalliga aufgestiegen, durfte aber doch kein Problem sein für den VfB, bei dem damals das "magische Dreieck" wirbelte: Balakov, Bobic, Elber - dieses Trio stand für Spektakel und Tore und Sandhausen schien der richtige Ort, um sich für die Bundesligasaison 1995/1996 warmzuschießen.

Tore fielen in der Tat viele am 27. August 1995, mehr als gedacht, und am Ende stand ein Rekord, der noch immer besteht: das längste Elfmeterschießen in der DFB-Pokalgeschichte. Gewonnen hat es der Kleine, mit 13:12! 26 Elfmeter wurden nach der Verlängerung, die 2:2 endete, geschossen. Das Verrückte dabei: Die Torhüter Georg Reiser und Marc Ziegler hielten keinen einzigen Ball. So gab es am Ende zwar einen Sieger, aber keinen Helden - nur einen Sündenbock. Und der hat sich nie so gefühlt. Hendrik Herzog vom VfB Stuttgart, der den 26. Elfmeter an den Pfosten setzte, sagt noch heute im Gespräch mit DFB.de: "Mich brauchte keiner zu trösten."

27. Elfmeter im Spiel

Doch der Reihe nach: Der Favorit war früh gehandicapt. Im Dauerregen des Hardtwald-Stadions war Verteidiger Frank Verlaat schon nach acht Minuten nach einem allzu heftigen Tackling vom Platz geflogen. Trotzdem sorgte Krassimir Balakov für die Gästeführung, die Matthias Bernhardt noch vor der Pause ausglich. Fredi Bobic schloss einen Konter zum 1:2 ab, der Favorit schien sich durchzusetzen, zumal Sandhausens Kapitän Knut Hahn einen Elfmeter an den Pfosten setzte. Streng genommen waren es also sogar 27 Elfmeter, die die 6200 in Sandhausen zu sehen bekamen. SV-Trainer Hans-Jürgen Boysen zog seinen Joker und der stach: Slavisa Staletovic, der schon den Elfmeter herausgeholt hatte, köpfte das umjubelte 2:2 (87.), an dem sich in der Verlängerung nichts mehr änderte. So bat Schiedsrichter Winfried Buchhart zum historisch gewordenen Elfmeterschießen.

Knut Hahn traute sich trotz seines Fehlschusses wieder an den Punkt und eröffnete den Torreigen. Nach je fünf Schüssen stand es 5:5, als dritter Stuttgarter traf Herzog. "Dann zog ich meine Schuhe aus, denn ich dachte: Das war’s für mich." Alle, die im strömenden Regen an den Kreidepunkt traten, dachten das. Den Job erledigen und darauf setzen, dass der Kamerad zwischen den Pfosten irgendeinen hält. Doch weder Reiser, der 1984/1985 ein Bundesligaspiel für den Karlsruher SC machen durfte, noch Juniorennationaltorwart Ziegler taten ihnen den Gefallen.

In Herzog stieg Wut auf, wie er heute noch zugibt: "Ich war stinksauer auf Ziegler, dass der nicht mal einen hielt. Er hat ja nicht mal dran geschnuppert. Schoss der Schütze nach links, flog er nach rechts. Oder umgekehrt." Ganz so war es zwar nicht, aber nach 25 Jahren hat niemand mehr alle Details parat. Jedenfalls ging das Drama immer weiter und auf der VfB-Bank wurden sie immer unruhiger. Trainer Rolf Fringer und sein Assistent Joachim Löw hatten sich Sandhausen vorher zwar mal angesehen, aber auf ein Elfmeterschießen waren sie nicht vorbereitet. Sandhausen legte immer wieder vor, siebenmal wehrte der VfB einen "Matchball" ab.

Kein Glück in der Lieblingsecke

Alle Spieler mussten ran, selbst die Torhüter. Nachdem alle mal getroffen hatten, ging es von vorne los. Balakov verwandelte auch seinen zweiten Ball, ebenso Knut Hahn, Thomas Berthold und Dietmar Feuchts. Nun zog Herzog seine Schuhe wieder an. Der alte Haudegen, mit dem BFC Dynamo schon zweimal DDR-Meister geworden, war nach fünf Schalker Jahren gerade erst zum VfB gewechselt. Ein Elfmeter-Spezialist war er auch nicht gerade, aber auch kein Feigling. Herzog: "Wenn mich der Trainer gefragt hat, habe ich gesagt: okay!" 

Und Rolf Fringer fragte wieder. Herzog ging leicht gesenkten Hauptes zum Punkt, schoss "wie immer in meine Lieblingsecke", doch die war ihm nicht wohlgesonnen diesmal und verweigerte die Annahme. Der Ball klatschte flach an den Pfosten und vorbei war das Spektakel. Die Zuschauer stürmten den Platz und feierten die Sieger, während die Profis lange Gesichter machten. "Unser Verhalten nach dem 2:1 war einer Profimannschaft nicht würdig", grollte etwa Bobic, "da hätten wir uns taktisch besser verhalten müssen." Trainer Fringer sprach von einem "Wahnsinnsresultat, für uns ist es natürlich traurig und enttäuschend." 

"Jetzt muss doch mal endlich einer verschießen"

Torwart Ziegler, damals erst 19, reflektierte den schwarzen Sonntag 2016 im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten so: "Bei jedem Schuss bemühte ich die Wahrscheinlichkeitsrechnung und dachte: Jetzt muss doch mal endlich einer verschießen. Aber die Sandhäuser haben einfach gut gezielt. Als Torwart war es für mich ein schwacher Trost, dass es meinem Gegenüber auch nicht viel besser ging." Immerhin gab es für ihn eine Aussöhnung mit Sandhausen, denn er war 2016 Torwartkoordinator bei der U 19-EM, als Deutschland die Niederlande im Elfmeterschießen schlug. "Da habe ich persönlich meinen Frieden mit Sandhausen geschlossen“, so Ziegler.

Und Herzog? Trat in der Saison darauf in der 2. Pokalrunde bei Hertha BSC wieder zum Elfmeter an, denn Angst hatte er immer noch nicht. "Und der war drin, am Ende sind wir Pokalsieger geworden." Seinen Fehlschuss im Rekordspiel tilgt das zwar nicht, "aber wenigstens bin ich in einer Rekordstatistik, ist doch toll." 

PS: Zum Weltrekord fehlte noch viel. Im Juni brauchten zwei tschechische Fünftligisten 52 Elfmeter, um einen Sieger zu ermitteln. Genau doppelt so viel wie damals in Sandhausen.