Elferkrimi in Wembley: Sieg gegen England im EM-Halbfinale 1996

England gegen Deutschland, diese Paarung gab es schon 36-mal. Seit dem WM-Finale 1966 gilt sie als Klassiker, der am Dienstag (ab 18 Uhr, live in der ARD und bei MagentaTV) zum vierten Mal auf einer EM-Bühne aufgeführt wird. DFB.de erinnert an die drei Vorgänger. Heute: das EM-Halbfinale 1996 in Wembley.

Das große Spiel vom 26. Juni 1996 hatte in den Medien sein übliches Vorspiel, Ressentiments aus alten Zeiten wurden im Boulevard ausgelebt. Für den Daily Mirror jedenfalls war der Krieg noch nicht so ganz vorbei. Die Zeitung montierte den Gesichtern von Paul Gascoigne und Stuart Pearce Stahlhelme auf und ließ sie "Surrender!" (Ergebt euch) rufen. Im Text wurde die Bundesregierung aufgerufen, die Mannschaft bis elf Uhr vom Turnier abzuziehen, sonst begänne der Fußballkrieg. Wer wollte, konnte darüber lachen. Doch selbst in England war die Empörung groß, Nationaltrainer Terry Venables war regelrecht angewidert und die Redaktion stellte sich am nächsten Tag selbst bildlich an den Pranger. Britischer Humor – ein Kapitel für sich. Das Spiel entschädigte für so manches, das Ergebnis erst recht.

Kuntz gleicht frühen Gegentreffer aus

75.862 Menschen sahen in Wembley das beste Spiel der EM 1996. Der Klassiker wurde seinem Ruf gerecht. England ging schon in der 3. Minute nach einer Ecke durch einen Kopfball von Alan Shearer in Führung. Doch nach Vorarbeit von Verteidiger Thomas Helmer glich Stefan Kuntz, damals bei Besiktas Istanbul aktiv, aus (16.).

Kuntz, der für den verletzten Kapitän Jürgen Klinsmann eingesprungen war, hatte alle Kollegen auf einem türkischen Basar mit seinem Talisman – Das Auge Gottes –  versorgt. Nun hatte er selbst Glück und traf mit seinem schwachen rechten Fuß. Es blieb das letzte Tor in dem hin- und herwogenden Duell, obgleich es Chancen hüben wie drüben gab. Die größten allerdings erst in der Verlängerung, als Kuntz ein eigentlich reguläres Tor köpfte (97.), doch der Talisman ließ ihn da im Stich. Schiedsrichter Sandor Puhl gab das Tor, das das erste Golden Goal der EM gewesen wäre, nicht.

Ganz England atmete hörbar auf und Deutschland ging es nicht anders, als Darren Anderton den Pfosten traf und Paul Gascoigne mit langem und doch zu kurzem Bein an einer Flanke vorbeirutschte, die Andreas Köpke schon hatte passieren lassen. So ging auch dieses Halbfinale ins Elfmeterschießen. Erinnerungen an Italien 1990, das WM-Halbfinale in Turin, wurden wach.

Es war der Beginn des englischen Traumas in dieser Disziplin, nun fand es seine Fortsetzung. An das Elfmeterschießen von Wembley haben alle Zeitzeugen noch lebendige Erinnerungen, die verdeutlichen, dass auch hochbezahlte Spieler nur Menschen sind. Dieter Eilts etwa bettelte kurz vor Abpfiff um seine Auswechslung, denn "ich schieße garantiert nicht". Bundestrainer Berti Vogts erhörte ihn nicht, suchte aber zunächst andere Schützen.

Bode: "Meine Beine wurden immer weicher"

Er kam nur auf vier, da fragte er Thomas Helmer, ob denn Bayern-Kollege Thomas Strunz sicher sei. "Kein Risiko", versicherte Helmer, doch Matthias Sammer intervenierte: "Der ist doch erst zwei Minuten im Spiel und hatte noch gar keinen Ballkontakt." Strunz, der für den schwer verletzten Steffen Freund (Kreuzbandriss) reingekommen war, holte sich deshalb den Ball vom Schiedsrichter und jonglierte sich ein wenig in Stimmung. Der Bremer Marco Bode wurde von Markus Babbel informiert, er sei Schütze Nummer sieben. Da fiel Bode ein, dass er 1992 mit Werder im Pokalhalbfinale als Nummer sieben entscheidend versagt hatte: "Meine Beine wurden immer weicher, ich immer aufgeregter, aber ich kam davon."

Das Elfmeterschießen verlief aus Sicht der Schützen zunächst glatt, die ersten fünf beider Seiten verwandelten. Für England waren das Alan Shearer, David Platt, Stuart Pearce, Paul Gascoigne und Teddy Sheringham. Auf alle hatte sich Andy Köpke vorbereitet, aber sie schossen nicht so, wie erwartet oder einfach unhaltbar. Es war nicht weiter schlimm, da auch alle Deutschen trafen. Thomas Häßler, Thomas Strunz, Stefan Reuter, Christian Ziege und Stefan Kuntz, auf dem beim Stand von 4:5 der größte Druck lastete.

Er machte sich selbst noch mehr, indem er sich vorstellte, was seinen Kindern am nächsten Tag in der Schule geblüht hätte, und so habe er "regelrecht Hass aufgebaut". Ein taugliches Mittel offenbar. Dann kam Gareth Southgate, der aktuelle englische Trainer, an die Reihe. Der 25-Jährige stand nicht auf Köpkes Liste, wollte auch gar nicht schießen, ließ sich aber überreden – und so sah der Schuss auch aus. Köpke hielt beinahe mühelos.

"Möller lässt England weinen"

Nun hieß es: Matchball für Deutschland. Um den bewarb sich Andy Möller, der für das Finale gesperrt war, aber wenigstens die Kollegen einlassen wollte. Mit einem strammen Schuss unter die Latte überwand er David Seaman, den die englischen Fans ein letztes Mal vergebens anfeuerten. "Möller lässt England weinen", titelte Frankreichs Zeitung Le Parisien. Mit Stolz geschwellter Brust posierte Möller vor der Fankurve – das Finale war erreicht.

Sehr zur Freude auch all jener, die noch auf der Liste standen und nicht antreten wollten. Matthias Sammer etwa sagte auf die Frage, ob er oder Dieter Eilts als Neunter geschossen hätte: "Da hätte es wohl eine Schlägerei gegeben." So aber gab es nur Jubel und Freudentränen, die Deutschen zogen ins Finale ein und machten eben dort das erste Golden Goal der Geschichte.

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England gegen Deutschland, diese Paarung gab es schon 36-mal. Seit dem WM-Finale 1966 gilt sie als Klassiker, der am Dienstag (ab 18 Uhr, live in der ARD und bei MagentaTV) zum vierten Mal auf einer EM-Bühne aufgeführt wird. DFB.de erinnert an die drei Vorgänger. Heute: das EM-Halbfinale 1996 in Wembley.

Das große Spiel vom 26. Juni 1996 hatte in den Medien sein übliches Vorspiel, Ressentiments aus alten Zeiten wurden im Boulevard ausgelebt. Für den Daily Mirror jedenfalls war der Krieg noch nicht so ganz vorbei. Die Zeitung montierte den Gesichtern von Paul Gascoigne und Stuart Pearce Stahlhelme auf und ließ sie "Surrender!" (Ergebt euch) rufen. Im Text wurde die Bundesregierung aufgerufen, die Mannschaft bis elf Uhr vom Turnier abzuziehen, sonst begänne der Fußballkrieg. Wer wollte, konnte darüber lachen. Doch selbst in England war die Empörung groß, Nationaltrainer Terry Venables war regelrecht angewidert und die Redaktion stellte sich am nächsten Tag selbst bildlich an den Pranger. Britischer Humor – ein Kapitel für sich. Das Spiel entschädigte für so manches, das Ergebnis erst recht.

Kuntz gleicht frühen Gegentreffer aus

75.862 Menschen sahen in Wembley das beste Spiel der EM 1996. Der Klassiker wurde seinem Ruf gerecht. England ging schon in der 3. Minute nach einer Ecke durch einen Kopfball von Alan Shearer in Führung. Doch nach Vorarbeit von Verteidiger Thomas Helmer glich Stefan Kuntz, damals bei Besiktas Istanbul aktiv, aus (16.).

Kuntz, der für den verletzten Kapitän Jürgen Klinsmann eingesprungen war, hatte alle Kollegen auf einem türkischen Basar mit seinem Talisman – Das Auge Gottes –  versorgt. Nun hatte er selbst Glück und traf mit seinem schwachen rechten Fuß. Es blieb das letzte Tor in dem hin- und herwogenden Duell, obgleich es Chancen hüben wie drüben gab. Die größten allerdings erst in der Verlängerung, als Kuntz ein eigentlich reguläres Tor köpfte (97.), doch der Talisman ließ ihn da im Stich. Schiedsrichter Sandor Puhl gab das Tor, das das erste Golden Goal der EM gewesen wäre, nicht.

Ganz England atmete hörbar auf und Deutschland ging es nicht anders, als Darren Anderton den Pfosten traf und Paul Gascoigne mit langem und doch zu kurzem Bein an einer Flanke vorbeirutschte, die Andreas Köpke schon hatte passieren lassen. So ging auch dieses Halbfinale ins Elfmeterschießen. Erinnerungen an Italien 1990, das WM-Halbfinale in Turin, wurden wach.

Es war der Beginn des englischen Traumas in dieser Disziplin, nun fand es seine Fortsetzung. An das Elfmeterschießen von Wembley haben alle Zeitzeugen noch lebendige Erinnerungen, die verdeutlichen, dass auch hochbezahlte Spieler nur Menschen sind. Dieter Eilts etwa bettelte kurz vor Abpfiff um seine Auswechslung, denn "ich schieße garantiert nicht". Bundestrainer Berti Vogts erhörte ihn nicht, suchte aber zunächst andere Schützen.

Bode: "Meine Beine wurden immer weicher"

Er kam nur auf vier, da fragte er Thomas Helmer, ob denn Bayern-Kollege Thomas Strunz sicher sei. "Kein Risiko", versicherte Helmer, doch Matthias Sammer intervenierte: "Der ist doch erst zwei Minuten im Spiel und hatte noch gar keinen Ballkontakt." Strunz, der für den schwer verletzten Steffen Freund (Kreuzbandriss) reingekommen war, holte sich deshalb den Ball vom Schiedsrichter und jonglierte sich ein wenig in Stimmung. Der Bremer Marco Bode wurde von Markus Babbel informiert, er sei Schütze Nummer sieben. Da fiel Bode ein, dass er 1992 mit Werder im Pokalhalbfinale als Nummer sieben entscheidend versagt hatte: "Meine Beine wurden immer weicher, ich immer aufgeregter, aber ich kam davon."

Das Elfmeterschießen verlief aus Sicht der Schützen zunächst glatt, die ersten fünf beider Seiten verwandelten. Für England waren das Alan Shearer, David Platt, Stuart Pearce, Paul Gascoigne und Teddy Sheringham. Auf alle hatte sich Andy Köpke vorbereitet, aber sie schossen nicht so, wie erwartet oder einfach unhaltbar. Es war nicht weiter schlimm, da auch alle Deutschen trafen. Thomas Häßler, Thomas Strunz, Stefan Reuter, Christian Ziege und Stefan Kuntz, auf dem beim Stand von 4:5 der größte Druck lastete.

Er machte sich selbst noch mehr, indem er sich vorstellte, was seinen Kindern am nächsten Tag in der Schule geblüht hätte, und so habe er "regelrecht Hass aufgebaut". Ein taugliches Mittel offenbar. Dann kam Gareth Southgate, der aktuelle englische Trainer, an die Reihe. Der 25-Jährige stand nicht auf Köpkes Liste, wollte auch gar nicht schießen, ließ sich aber überreden – und so sah der Schuss auch aus. Köpke hielt beinahe mühelos.

"Möller lässt England weinen"

Nun hieß es: Matchball für Deutschland. Um den bewarb sich Andy Möller, der für das Finale gesperrt war, aber wenigstens die Kollegen einlassen wollte. Mit einem strammen Schuss unter die Latte überwand er David Seaman, den die englischen Fans ein letztes Mal vergebens anfeuerten. "Möller lässt England weinen", titelte Frankreichs Zeitung Le Parisien. Mit Stolz geschwellter Brust posierte Möller vor der Fankurve – das Finale war erreicht.

Sehr zur Freude auch all jener, die noch auf der Liste standen und nicht antreten wollten. Matthias Sammer etwa sagte auf die Frage, ob er oder Dieter Eilts als Neunter geschossen hätte: "Da hätte es wohl eine Schlägerei gegeben." So aber gab es nur Jubel und Freudentränen, die Deutschen zogen ins Finale ein und machten eben dort das erste Golden Goal der Geschichte.

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