Henstedt-Ulzburg und der große Pokaltraum

Der SV Henstedt-Ulzburg steht überraschend im Viertelfinale des DFB-Pokals der Frauen. Gleichzeitig belegt der Klub aus Schleswig-Holstein einen Abstiegsplatz in der 2. Bundesliga. Wie passt das zusammen? Und wie schafft der Verein den Spagat zwischen Pokaltraum und Ligaalbtraum?

Die Gefühle spielen verrückt. Einerseits träumen Spielerinnen und Verantwortlichen des SV Henstedt-Ulzburg vom nächsten Coup im DFB-Pokal. Andererseits bangen sie vor dem Abstieg aus der 2. Bundesliga. Wie kann es sein, dass der Klub aus Schleswig-Holstein im DFB-Pokal als letzter verbliebener Zweitligist im Wettbewerb am 2. März Turbine Potsdam empfängt und ganz vorsichtig auf den Einzug ins Halbfinale hofft? Und gleichzeitig droht der Absturz in die Regionalliga?

"Wir müssen gerade den Spagat schaffen zwischen diesen beiden Wettbewerben. Im besten Fall profitieren wir in der Liga von der Pokaleuphorie und kommen so unten raus", sagt Abteilungsleiter Dieter Rautenstengel. "Aber es wird ein hartes Stück Arbeit. Als Aufsteiger war uns klar, dass wir gegen den Abstieg kämpfen werden. Wir haben es schon häufiger dank einer starken Rückrunde geschafft. Darauf setzen wir auch in dieser Saison."

Der SV Henstedt-Ulzburg hat noch ein weiteres Problem: Die Heimat des großen Hamburger SV ist nur drei Kilometer Luftlinie entfernt. "In direkter Konkurrenz zum HSV zu stehen, macht es nicht einfacher für uns, weil die Raute noch immer für viele Spielerinnen sehr reizvoll ist", sagt Rautenstengel. "Oft haben wir Interesse an den gleichen Spielerinnen. Wir haben gute Argumente, weil wir ein sympathischer Dorfverein sind. Der HSV hat natürlich nach wie vor einen super Ruf und zieht viele Spielerinnen an. Aber wir machen das Beste aus dieser Situation." Vielleicht kreuzen sich auch sportlich die Wege der beiden Klubs: Der HSV kämpft um den Aufstieg in die 2. Bundeliga, der SV Henstedt-Ulzburg will den Abstieg vermeiden.

Vorfreude auf Pokalkracher gegen Potsdam

Im Umfeld des Zweitligisten ist auch in diesen eher ruhigen Tagen rund um Weihnachten und den Jahreswechsel deutlich zu spüren, dass der DFB-Pokal seine Schatten vorauswirft. Die Partie gegen Turbine Potsdam, sechsmal deutscher Meister, dreimal Gewinner des DFB-Pokals, zweimal Sieger in der Champions League, wird das größte Spiel der Vereinsgeschichte sein. Wenn die Pandemie es zulässt, hoffen die Verantwortlichen auf einige Hundert Zuschauerinnen und Zuschauer. "Viel mehr ist auf unserer kleinen Sportanlage auch kaum möglich", sagt Rautenstengel und muss lachen.

Sportlich könnte die Ausgangslage kaum unterschiedlicher sein. Während Turbine in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga eine starke Saison spielt und noch alle Chancen auf Rang drei und damit die Qualifikation für die Champions League hat, geht es für den SV Henstedt-Ulzburg darum, sich nach einem Jahr in der zweithöchsten Spielklasse in Deutschland nicht schon wieder in die Regionalliga verabschieden zu müssen. "Die Chance auf ein Weiterkommen ist unser diesen Voraussetzungen minimal. Wir brauchen ganz viel Glück und einen super Tag", sagt Rautenstengel. "Aber das Träumen lassen wir uns nicht verbieten."

Trainer Christian Jürss sieht es ganz ähnlich: "Das wird ein Feiertag für uns und für jede einzelne Spielerin. Es geht dabei nicht in erster Linie ums Weiterkommen. Das ist auch meiner Sicht kaum machbar, dafür muss schon viel zusammenkommen. Es geht eher darum, dieses Event zu nutzen und den Schwung mitzunehmen. Wir haben bereits jetzt etwas Historisches für unseren Verein geschafft. Darauf können wir stolz sein."

Mit Losglück ins Rampenlicht

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der SV Henstedt-Ulzburg bislang viel Losglück hatte. Auf dem Weg ins Viertelfinale musste die Mannschaft sich ausschließlich gegen klassentiefere Gegner durchsetzen – diese Aufgaben hat das Team allerdings souverän gelöst. In der ersten Runde gab es ein 13:0 gegen die SpVgg. Herne-Holthausen, danach ein 7:0 gegen den Rostocker FC und im Achtelfinale ein 9:0 gegen die Sportfreunde Siegen. "Diese Ergebnisse zeigen, dass wir eine sehr gute Mannschaft für Regionalliga-Niveau haben", sagt Jürss. "Aber für die 2. Bundesliga fehlt uns auf einigen Positionen etwas die Qualität."

Das liegt auch daran, dass in der Hinrunde wichtige Spielerinnen komplett ausgefallen sind. Kapitänin Malin Hegeler beispielsweise konnte in dieser Saison noch keine Begegnung bestreiten. Gleiches gilt für Toptorjägerin Alina Witt, die in den vergangenen Jahren mehrfach zur Fußballerin in Schleswig Holstein gewählt wurde. "Zumindest bei Malin haben wir die Hoffnung, dass sie uns im neuen Jahr wieder zur Verfügung steht. Wir brauchen sie, um defensiv stabiler zu stehen", sagt Jürss.

Dass mit dem SV Henstedt-Ulzburg zu rechnen ist, hat das Team in den vergangenen beiden Jahren in der Regionalliga gezeigt, als die Mannschaft in zwei Saisons keine einzige Niederlage hinnehmen musste. Nach dem ersten Durchmarsch verzichtete der Klub aus finanziellen Gründen auf den Aufstieg, im Sommer 2021 nahmen sie das Abenteuer dann an.

"Wir sind eine reine Amateurmannschaft"

"Wir sind eine reine Amateurmannschaft, die auf relativ hohem Niveau spielt", sagt Jürss. "Bei uns gehen alle Spielerinnen arbeiten, zum Studium oder zur Schule. Erschwerend kommt hinzu, dass alle Auswärtsfahrten für uns sehr lang sind. Die kürzeste Strecke ist dreieinhalb Stunden, die längste Tour kann zehn Stunden dauern. Wenn wir an einem Sonntagvormittag in München spielen, kann es sein, dass wir je nach Verkehrslage erst in der Nacht zu Montag wieder da sind. Und am nächsten Morgen müssen die Spielerinnen schon wieder im Büro sein oder eine Mathearbeit schreiben. Das ist eine echte Herausforderung für uns."

Aber sie wollen nicht jammern. Sie wollen im neuen Jahr angreifen. In der 2. Bundesliga, um vielleicht doch noch den Abstieg vermeiden zu können. Und im DFB-Pokal, um die Sensation zu schaffen. Beides ist möglich, beides sind schwere Aufgaben.

[sw]

Der SV Henstedt-Ulzburg steht überraschend im Viertelfinale des DFB-Pokals der Frauen. Gleichzeitig belegt der Klub aus Schleswig-Holstein einen Abstiegsplatz in der 2. Bundesliga. Wie passt das zusammen? Und wie schafft der Verein den Spagat zwischen Pokaltraum und Ligaalbtraum?

Die Gefühle spielen verrückt. Einerseits träumen Spielerinnen und Verantwortlichen des SV Henstedt-Ulzburg vom nächsten Coup im DFB-Pokal. Andererseits bangen sie vor dem Abstieg aus der 2. Bundesliga. Wie kann es sein, dass der Klub aus Schleswig-Holstein im DFB-Pokal als letzter verbliebener Zweitligist im Wettbewerb am 2. März Turbine Potsdam empfängt und ganz vorsichtig auf den Einzug ins Halbfinale hofft? Und gleichzeitig droht der Absturz in die Regionalliga?

"Wir müssen gerade den Spagat schaffen zwischen diesen beiden Wettbewerben. Im besten Fall profitieren wir in der Liga von der Pokaleuphorie und kommen so unten raus", sagt Abteilungsleiter Dieter Rautenstengel. "Aber es wird ein hartes Stück Arbeit. Als Aufsteiger war uns klar, dass wir gegen den Abstieg kämpfen werden. Wir haben es schon häufiger dank einer starken Rückrunde geschafft. Darauf setzen wir auch in dieser Saison."

Der SV Henstedt-Ulzburg hat noch ein weiteres Problem: Die Heimat des großen Hamburger SV ist nur drei Kilometer Luftlinie entfernt. "In direkter Konkurrenz zum HSV zu stehen, macht es nicht einfacher für uns, weil die Raute noch immer für viele Spielerinnen sehr reizvoll ist", sagt Rautenstengel. "Oft haben wir Interesse an den gleichen Spielerinnen. Wir haben gute Argumente, weil wir ein sympathischer Dorfverein sind. Der HSV hat natürlich nach wie vor einen super Ruf und zieht viele Spielerinnen an. Aber wir machen das Beste aus dieser Situation." Vielleicht kreuzen sich auch sportlich die Wege der beiden Klubs: Der HSV kämpft um den Aufstieg in die 2. Bundeliga, der SV Henstedt-Ulzburg will den Abstieg vermeiden.

Vorfreude auf Pokalkracher gegen Potsdam

Im Umfeld des Zweitligisten ist auch in diesen eher ruhigen Tagen rund um Weihnachten und den Jahreswechsel deutlich zu spüren, dass der DFB-Pokal seine Schatten vorauswirft. Die Partie gegen Turbine Potsdam, sechsmal deutscher Meister, dreimal Gewinner des DFB-Pokals, zweimal Sieger in der Champions League, wird das größte Spiel der Vereinsgeschichte sein. Wenn die Pandemie es zulässt, hoffen die Verantwortlichen auf einige Hundert Zuschauerinnen und Zuschauer. "Viel mehr ist auf unserer kleinen Sportanlage auch kaum möglich", sagt Rautenstengel und muss lachen.

Sportlich könnte die Ausgangslage kaum unterschiedlicher sein. Während Turbine in der FLYERALARM Frauen-Bundesliga eine starke Saison spielt und noch alle Chancen auf Rang drei und damit die Qualifikation für die Champions League hat, geht es für den SV Henstedt-Ulzburg darum, sich nach einem Jahr in der zweithöchsten Spielklasse in Deutschland nicht schon wieder in die Regionalliga verabschieden zu müssen. "Die Chance auf ein Weiterkommen ist unser diesen Voraussetzungen minimal. Wir brauchen ganz viel Glück und einen super Tag", sagt Rautenstengel. "Aber das Träumen lassen wir uns nicht verbieten."

Trainer Christian Jürss sieht es ganz ähnlich: "Das wird ein Feiertag für uns und für jede einzelne Spielerin. Es geht dabei nicht in erster Linie ums Weiterkommen. Das ist auch meiner Sicht kaum machbar, dafür muss schon viel zusammenkommen. Es geht eher darum, dieses Event zu nutzen und den Schwung mitzunehmen. Wir haben bereits jetzt etwas Historisches für unseren Verein geschafft. Darauf können wir stolz sein."

Mit Losglück ins Rampenlicht

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der SV Henstedt-Ulzburg bislang viel Losglück hatte. Auf dem Weg ins Viertelfinale musste die Mannschaft sich ausschließlich gegen klassentiefere Gegner durchsetzen – diese Aufgaben hat das Team allerdings souverän gelöst. In der ersten Runde gab es ein 13:0 gegen die SpVgg. Herne-Holthausen, danach ein 7:0 gegen den Rostocker FC und im Achtelfinale ein 9:0 gegen die Sportfreunde Siegen. "Diese Ergebnisse zeigen, dass wir eine sehr gute Mannschaft für Regionalliga-Niveau haben", sagt Jürss. "Aber für die 2. Bundesliga fehlt uns auf einigen Positionen etwas die Qualität."

Das liegt auch daran, dass in der Hinrunde wichtige Spielerinnen komplett ausgefallen sind. Kapitänin Malin Hegeler beispielsweise konnte in dieser Saison noch keine Begegnung bestreiten. Gleiches gilt für Toptorjägerin Alina Witt, die in den vergangenen Jahren mehrfach zur Fußballerin in Schleswig Holstein gewählt wurde. "Zumindest bei Malin haben wir die Hoffnung, dass sie uns im neuen Jahr wieder zur Verfügung steht. Wir brauchen sie, um defensiv stabiler zu stehen", sagt Jürss.

Dass mit dem SV Henstedt-Ulzburg zu rechnen ist, hat das Team in den vergangenen beiden Jahren in der Regionalliga gezeigt, als die Mannschaft in zwei Saisons keine einzige Niederlage hinnehmen musste. Nach dem ersten Durchmarsch verzichtete der Klub aus finanziellen Gründen auf den Aufstieg, im Sommer 2021 nahmen sie das Abenteuer dann an.

"Wir sind eine reine Amateurmannschaft"

"Wir sind eine reine Amateurmannschaft, die auf relativ hohem Niveau spielt", sagt Jürss. "Bei uns gehen alle Spielerinnen arbeiten, zum Studium oder zur Schule. Erschwerend kommt hinzu, dass alle Auswärtsfahrten für uns sehr lang sind. Die kürzeste Strecke ist dreieinhalb Stunden, die längste Tour kann zehn Stunden dauern. Wenn wir an einem Sonntagvormittag in München spielen, kann es sein, dass wir je nach Verkehrslage erst in der Nacht zu Montag wieder da sind. Und am nächsten Morgen müssen die Spielerinnen schon wieder im Büro sein oder eine Mathearbeit schreiben. Das ist eine echte Herausforderung für uns."

Aber sie wollen nicht jammern. Sie wollen im neuen Jahr angreifen. In der 2. Bundesliga, um vielleicht doch noch den Abstieg vermeiden zu können. Und im DFB-Pokal, um die Sensation zu schaffen. Beides ist möglich, beides sind schwere Aufgaben.

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