Helmut Rahn: Der Mann "aus dem Hintergrund" wäre 90 geworden

Mit seinem Siegtreffer beim 3:2 im WM-Finale 1954 gegen Ungarn versetzte er die vom 2. Weltkrieg gebeutelte Nation in Verzückung und sorgte für das "Wunder von Bern". Heute wäre Helmut Rahn 90 Jahre alt geworden. DFB.de blickt auf den größten Moment der Karriere des gebürtigen Esseners zurück.

Seine Rückennummer verhieß nichts Gutes. In die Schweiz fuhr der Essener Helmut Rahn mit der 12, und Fußball ist nun mal ein Spiel für elf Männer. Erst recht 1954, als Auswechslungen noch verboten waren. Da war das Leben als Ersatzspieler kein Zuckerschlecken, schon gar nicht bei einem Turnier. Sepp Herberger wusste, dass der jugendliche Draufgänger Rahn, den alle den "Boss" nannten, kein guter Ersatzspieler war. Aber "Chef" Herberger konnte dem 24-Jährigen keinen Freibrief ausstellen für die WM, der Schalker Berni Klodt war der etatmäßige Rechtsaußen.

Hotel Belvedere in Spiez: Walter und Rahn - ein ungleiches Duo auf Zimmer 303

Für den Mann, der das berühmteste Tor der DFB-Historie schießen sollte, hatte Herberger dennoch eine Schlüsselrolle vorgesehen. Er steckte Helmut Rahn mit seinem Kapitän und Regisseur Fritz Walter auf ein Zimmer, das auch längst Legende ist: Nummer 303 im Hotel Belvedere in Spiez am Thuner See. Hier träumten der introvertierteste und der temperamentvollste Spieler im DFB-Kader dem WM-Titel entgegen.

Zusammen passten sie eigentlich nicht, aber genau das passte in Herbergers Kalkül. Es galt, den tief deprimierten Walter aufzurichten, der mehr als die vier anderen Kaiserslauterer an dem gerade erst erlittenen 1:5 gegen Hannover im Finale um die Deutsche Meisterschaft zu knabbern hatte.

Rahn aber war Trübsalblasen so fremd wie Milchtrinken. Er drehte den Wasserhahn auf, machte das Licht an und fing auf dem Balkon an, seine Essener Marktfrau zu imitieren: "Prima schnittfeste Tomaten, Leute. Oma-Lutsch-Birnen für zahnlose Großmütter, Rotkohl, Weißkohl… Leute, heute wird alles verschenkt. Wenn keiner kommt, dann leckt mich doch am…!"

Frust nach 3:8 gegen Ungarn mit Bier runtergespült

Auch eine Art, seinen Zimmerpartner zu wecken. "Der Boss macht mich noch wahnsinnig", sagte Walter zu Herberger - auch in einer anderen Angelegenheit. Denn Rahn wollte in die Mannschaft und schaltete Walter als Fürsprecher ein. Zunächst durfte er nur mit der "B-Elf" auflaufen, die im ersten Spiel gegen Ungarn 3:8 verlor. Es war eine taktische Niederlage, wie man längst weiß, für das Weiterkommen hatte das Spiel keine Bedeutung.

Das spürten auch die Eingesetzten, und sonderlich dankbar waren sie nicht. Rahn schoss zwar ein Tor, schob aber Frust. In seinen Memoiren steht: "Wir meckerten und stänkerten noch eine ganze Zeit lang herum. Ja, wir gründeten sogar einen 'Klub der Unzufriedenen', sonderten uns ab und marschierten auf eigene Faust in ein Wirtshaus auf der anderen Seite des Thuner Sees. Hier kippten wir unseren Verdruss mit einigen Glas Bier hinunter. Vielleicht erfährt Bundestrainer Herberger von diesen Dingen durch mich zum ersten Mal."

Herberger bekam alles mit

Erfuhr er nicht, Herberger bekam immer alles mit. Irgendwie. Doch er verzieh Rahn den Ausflug mit zwei anderen Reservisten, und im Viertelfinale schlug die Stunde des Esseners. Erst am Vortag hatte ihm Walter eine Strafpredigt gehalten: "Wir alle sind hier eine Mannschaft, ob wir eingesetzt werden oder nicht. Du bist unvernünftig, unbeherrscht und machst dir nur selbst das Leben sauer. Los Alter, schmeiß' dich in die Brust und sei wieder so lustig, wie du es sonst bist!"

Mehr als diese eindringlichen Worte des Kapitäns bewirkte ein Satz Herbergers am Vormittag des 27. Juni 1954. Er rief den Essener zu sich und sagte: "Sie spielen heute Mittag." Rahn: "Im Ernst?" Herberger: "Glauben Se, ich mache Spaß?"



Mit seinem Siegtreffer beim 3:2 im WM-Finale 1954 gegen Ungarn versetzte er die vom 2. Weltkrieg gebeutelte Nation in Verzückung und sorgte für das "Wunder von Bern". Heute wäre Helmut Rahn 90 Jahre alt geworden. DFB.de blickt auf den größten Moment der Karriere des gebürtigen Esseners zurück.

Seine Rückennummer verhieß nichts Gutes. In die Schweiz fuhr der Essener Helmut Rahn mit der 12, und Fußball ist nun mal ein Spiel für elf Männer. Erst recht 1954, als Auswechslungen noch verboten waren. Da war das Leben als Ersatzspieler kein Zuckerschlecken, schon gar nicht bei einem Turnier. Sepp Herberger wusste, dass der jugendliche Draufgänger Rahn, den alle den "Boss" nannten, kein guter Ersatzspieler war. Aber "Chef" Herberger konnte dem 24-Jährigen keinen Freibrief ausstellen für die WM, der Schalker Berni Klodt war der etatmäßige Rechtsaußen.

Hotel Belvedere in Spiez: Walter und Rahn - ein ungleiches Duo auf Zimmer 303

Für den Mann, der das berühmteste Tor der DFB-Historie schießen sollte, hatte Herberger dennoch eine Schlüsselrolle vorgesehen. Er steckte Helmut Rahn mit seinem Kapitän und Regisseur Fritz Walter auf ein Zimmer, das auch längst Legende ist: Nummer 303 im Hotel Belvedere in Spiez am Thuner See. Hier träumten der introvertierteste und der temperamentvollste Spieler im DFB-Kader dem WM-Titel entgegen.

Zusammen passten sie eigentlich nicht, aber genau das passte in Herbergers Kalkül. Es galt, den tief deprimierten Walter aufzurichten, der mehr als die vier anderen Kaiserslauterer an dem gerade erst erlittenen 1:5 gegen Hannover im Finale um die Deutsche Meisterschaft zu knabbern hatte.

Rahn aber war Trübsalblasen so fremd wie Milchtrinken. Er drehte den Wasserhahn auf, machte das Licht an und fing auf dem Balkon an, seine Essener Marktfrau zu imitieren: "Prima schnittfeste Tomaten, Leute. Oma-Lutsch-Birnen für zahnlose Großmütter, Rotkohl, Weißkohl… Leute, heute wird alles verschenkt. Wenn keiner kommt, dann leckt mich doch am…!"

Frust nach 3:8 gegen Ungarn mit Bier runtergespült

Auch eine Art, seinen Zimmerpartner zu wecken. "Der Boss macht mich noch wahnsinnig", sagte Walter zu Herberger - auch in einer anderen Angelegenheit. Denn Rahn wollte in die Mannschaft und schaltete Walter als Fürsprecher ein. Zunächst durfte er nur mit der "B-Elf" auflaufen, die im ersten Spiel gegen Ungarn 3:8 verlor. Es war eine taktische Niederlage, wie man längst weiß, für das Weiterkommen hatte das Spiel keine Bedeutung.

Das spürten auch die Eingesetzten, und sonderlich dankbar waren sie nicht. Rahn schoss zwar ein Tor, schob aber Frust. In seinen Memoiren steht: "Wir meckerten und stänkerten noch eine ganze Zeit lang herum. Ja, wir gründeten sogar einen 'Klub der Unzufriedenen', sonderten uns ab und marschierten auf eigene Faust in ein Wirtshaus auf der anderen Seite des Thuner Sees. Hier kippten wir unseren Verdruss mit einigen Glas Bier hinunter. Vielleicht erfährt Bundestrainer Herberger von diesen Dingen durch mich zum ersten Mal."

Herberger bekam alles mit

Erfuhr er nicht, Herberger bekam immer alles mit. Irgendwie. Doch er verzieh Rahn den Ausflug mit zwei anderen Reservisten, und im Viertelfinale schlug die Stunde des Esseners. Erst am Vortag hatte ihm Walter eine Strafpredigt gehalten: "Wir alle sind hier eine Mannschaft, ob wir eingesetzt werden oder nicht. Du bist unvernünftig, unbeherrscht und machst dir nur selbst das Leben sauer. Los Alter, schmeiß' dich in die Brust und sei wieder so lustig, wie du es sonst bist!"

Mehr als diese eindringlichen Worte des Kapitäns bewirkte ein Satz Herbergers am Vormittag des 27. Juni 1954. Er rief den Essener zu sich und sagte: "Sie spielen heute Mittag." Rahn: "Im Ernst?" Herberger: "Glauben Se, ich mache Spaß?"

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Tor im Viertelfinale gegen Jugoslawien - Rahn in der ersten Elf

Im Überschwang versprach Rahn dem Bundestrainer ein Tor, weil er gegen die Jugoslawen schließlich schon mal getroffen hatte, und verkündete Walter die frohe Botschaft. Der konterte: "Ist mir nicht neu. Weiß ich schon seit einer Stunde." Die Legende sagt, dass Walter den nervenden Zimmergenossen Herberger bei einem Spaziergang am Thuner See ins Team gesungen hatte. Nun, zumindest wird er ihm nicht abgeraten haben, allein schon um Ruhe auf seinem Zimmer zu haben.

Rahn für Klodt - das war vor allem eine taktische Entscheidung, da der beidfüßig starke Rahn seine Qualitäten einbringen sollte. Gegen die Jugoslawen tat sich die deutsche Mannschaft in der Schweiz am schwersten, aber auch dieses Viertelfinale von Genf gewann sie. Dank Toni Turek, der alles hielt, dank des Eigentorschützen Istvan Horvath - und dank Rahn. Der wettete noch in der Pause mit Fritz Walter um eine Flasche Sekt, dass er noch ein Tor machen würde.

Als Herberger das dann auch noch energisch einforderte und auch Walter einen Spruch machte, zog Rahn von halbrechts aus 20 Metern ab. "Meine ganze Kraft, meine ganze aufgestaute Energie steckte in dem Schuss", sagte er. "Die Fahrt des Balles war so enorm, dass er gleich aus dem Kasten wieder ins Feld zurücksprang." Für Rahn aber gab es kein Zurück mehr auf die Tribüne. Nun stand er in der Elf, auf die die Fußball-Welt mit steigender Neugier schaute.

Konkurrent Klodt ermutigt Rahn: "Zerbrich dir über mich nicht den Kopf!"

Auch im Halbfinale gegen die Österreicher waren die Deutschen Außenseiter - diesmal aber gewannen sie, ohne Glück zu benötigen. Das sensationelle 6:1 von Basel gilt bis heute eines der drei besten deutschen WM-Spiele überhaupt. Rahn war der einzige Stürmer, der leer ausging. Aber er holte einen Elfmeter heraus und erntete gute Kritiken: "Immer wieder setzt Rahn zu großartigen Entlastungsvorstößen an", schrieb der kicker in seinem Spielbericht. Keiner kam nun noch auf die Idee, diese Mannschaft noch mal zu ändern. Und Rahn hatte sogar Klodts Segen. Der Schalker sagte dem Essener: "Hauptsache, wir gewinnen. Zerbrich dir über mich nicht den Kopf!"

Dass sie auch am 4. Juli siegten, das war zu einem entscheidenden Teil Rahns Werk. Bis zu diesem Tag von Bern hatte er in 13 Länderspielen fünf Tore erzielt und war nicht als "Bomber" verschrien. Für Tore waren in erster Linie Max Morlock und Ottmar Walter zuständig, aber beim Finale lief ihnen der Essener den Rang ab. Wobei Morlock noch das wichtige 1:2 gelang. Aber dann übernahm Rahn das Toreschießen. Das 2:2 glückte nach einer Ecke, "der Ball fiel mir wie ein Geschenk des Himmels auf den Fuß - ich brauchte ihn nur noch ins Tor zu knallen." Mit rechts.

"So lasst mich doch leben!"

Das legendäre, ja mythische 3:2 machte er dann mit links. Den freistehenden Ottmar Walter ignorierend, zog Rahn in der 84. Minute, wie jedermann weiß, "aus dem Hintergrund" ab. Die hochemotionale Radioreportage von Herbert Zimmermann kennt jeder ("Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt - Tor, Tor, Tor, Tor!"), sie hat deutsche Rundfunk-, ja Kulturgeschichte geschrieben.

Hier folgt die weit weniger bekannte Rahn-Reportage aus dem Buch Mein Hobby. Tore schießen: "Der Ball fällt mir vor die Füße. Exakt auf'n rechten, un in die Sekunde wußt ich, was jetz passieren würde. Die zwei Ungarn, der Lorant un der annere, stürzen sich auf mich zu. So richtich mit Gewalt. Ich laß se kommen und zieh dann die Kirsche schnell vom rechten aufm linken Fuß. Und da, Mann, ich seh et noch wie heute, hab ich dat ganze Gelände vor mir. Keine zwanzig Meter vom Tor weg, inne Position von den Halbrechten. Und der Grosics steht so akkurat so, dat in seine rechte Ecke Platz is. Ich zieh mit dem linken Fuß ab, und dat gibt so'n richtigen gefährlichen Aufsetzer. Und wat dann passiert is, dat wisst ihr ja." Der Rest war Jubel. Die Mitspieler, die ihn unter sich begruben, flehte er an: "So lasst mich doch leben!"

Helmut Rahn lebte noch fast 50 Jahre weiter - nun als Weltmeister. An den Theken in Essen musste er noch oft der Aufforderung "Helmut, erzähl mich dat Tor" nachkommen, und er tat es gerne. Dass ihm im Leben hinterher nicht mehr alles gelang, dies auf das Tor seines Lebens zu schieben, wäre zu billig. Derselbe Typ wäre er doch geblieben und blieb es bis zuletzt. Starrummel mochte er nicht, auf seine alten Tage überließ er das Feld der Bern-Nostalgie den anderen. Wer ihn kannte, musste ihn mögen. Und "der Alte Fritz" Walter hielt es mit "Boss" Rahn auch bei der WM 1958 in Schweden noch mal auf einem Doppelzimmer aus.

Helmut Rahn

Geburtsdatum: 16. August 1929
Gestorben: 14. August 2003
Nationalität: Deutsch
Länderspiele/Tore: 40/21
Vereine als Spieler: SV Altenessen, SC Oelde, Sportfreunde Katernberg, Rot-Weiß Essen, 1. FC Köln, SC Enschede, Meidericher SV
Größter Erfolg im Nationalteam: Weltmeister 1954
Größte Erfolge im Verein: Deutscher Meister 1955, DFB-Pokalsieger 1953

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