Gute Freunde kann niemand trennen

Von wegen altes Ehepaar: Die Bundesliga geht in ihre 50. Saison, und die Nationalmannschaft steht als feuriger Liebhaber klatschend Spalier – nach "Kaiser" Franz und "Bomber" Müller feiert der deutsche Fußball die zweite Erfolgsgeschichte des perfekten Doppelpasses.

Am 28. Juli 1962 - heute vor genau 50 Jahren - wurde beim DFB-Bundestag in Dortmund die Gründung der Bundesliga beschlossen. Es war der Beginn eines beispiellosen gegenseitigen Gebens und Nehmens zum Wohl des deutschen Fußballs. Der preisgekrönte Autor Oskar Beck beschreibt diesen einzigartigen Doppelpass ebenso amüsant wie interessant.

Doppelpässe und Traumduos

Die Geschichte des Doppelpasses ist gespickt mit Traumduos. Adam und Eva. Maria und Josef. Fix und Foxi. Hänsel und Gretel. Simon und Garfunkel. Pat und Patachon. Dick und Doof. Romeo und Julia. Asterix und Obelix. Starsky und Hutch. Max und Moritz.

Im deutschen Fußball ist der Max die Nationalmannschaft und der Moritz die Bundesliga.

Nein, keine Angst, wir erzählen hier jetzt keine Bubengeschichte in sieben Streichen, sondern ein wirkliches Erfolgsmärchen. Der freudige Anlass ist die 50. Saison, in die die Bundesliga vom 24. August an geht – und die Nationalmannschaft steht klatschend Spalier und tanzt ausgelassen mit.

Es ist eine Party für zwei.

Beckenbauer und Müller: der perfekte Doppelpass

Bevor wir fortfahren, klären wir erst mal die Frage, was ein Doppelpass ist – und zwar am bisher glorreichsten Beispiel: dem "Kaiser" und dem "Bomber".

Das ging damals so: Mit dem scharfen Auge des Liberos hat sich Franz Beckenbauer hinten lässig die Kugel geangelt, ist einer inneren Stimme folgend instinktiv ausgebrochen aus den Fesseln der Abwehr und mit dem Ball am Fuß nach vorne getanzt - notfalls Haken schlagend hat er die Tiefe des Raums überbrückt, spätestens auf Höhe des Anspielkreises ging ein Raunen durchs Stadion, die Gegner wischten sich den Panikschweiß von der Stirn, die Radioreporter sprangen im Rahmen der Konferenzschaltung elektrisiert auf ("Sofort nach München, der Kaiser überschreitet die Mittellinie!"), ein kurzes Doppelpässchen noch mit dem Müller, und der Franz krönte den Vorstoß mit einem unnachahmlichen Außenristschlenzer ins Lattenkreuz oder schob, an seinen für die Gegner besonders perfiden Tagen, den Ball noch mal quer zum mitgelaufenen Gerd – und der hat dann vollends den Innenrist hingehalten, den Schenkel, die Schulter oder den Allerwertesten.

So geht der perfekte Doppelpass.

Und so ist es auch, wenn die Nationalmannschaft den Klubs den Ball zuspielt, oder umgekehrt. Als Christian Seifert, der Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL), seine letzten Jahreszahlen veröffentlich hat, war von 42.000 Zuschauern pro Spiel die Rede, was bis auf die NFL im American Football jede andere Liga der Welt vor Neid schier verrecken lässt – und Seifert sieht die Fortsetzung des Booms gewährleistet. Er sagt: "Die Bundesliga ist bei Fans, Sponsoren und Medienpartnern so populär wie nie."

Also so populär wie die Nationalmannschaft, die zuletzt bei der EM in Polen und der Ukraine für Rekordeinschalquoten im Fernsehen und Massenandrang beim Public Viewing in Deutschlands Städten sorgte.

Sepp Herberger: "Eine Bundesliga muss her"

Die Nationalmannschaft, sie war zuerst da, hat dann aber im eigenen Interesse tatkräftig mitgeholfen, dass dies nicht so blieb. Sepp Herberger, der weise Alte, der Vater der 54er-Helden von Bern, war in jenem Frühsommer 1962 als Bundestrainer ganz übler Laune. Das frühe Scheitern bei der WM in Chile lag ihm im Magen. Auf lange Sicht, spürte er, war allein mit dem Geist von Spiez oder den deutschen Tugenden gegen die längst in Profiligen organisierte Konkurrenz nichts mehr auszurichten, zu groß war das Leistungsgefälle in den bundesweit verstreuten Oberligen. Es galt also, die Kräfte zu bündeln und zu konzentrieren. "Eine Bundesliga muss her", forderte der Bundestrainer wie schon etliche Male in den Jahren zuvor.

Am 28. Juli 1962 erfüllte ihm der DFB-Bundestag im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle seinen Wunsch.

Das war vor genau 50 Jahren. Und das war gut so, denn der damals beschlossene Doppelpass macht seither frei nach Grönemeyer die Gegner nass – und wenn es mal nicht so lief, half gegen jede Affäre oder Krise der Bibelvers: "Einer trage des anderen Last (Galater 6, 2)."

Für den ersten Skandal sorgte, im jugendlichen Leichtsinn, die neue Liga. Nach der Saison 1970/1971 versank sie fast im trüben Gewässer der Korruption, in der Schieber und Betrüger nach Siegen und Schmiergeld fischten – ausgerechnet in jenen Pionierzeiten, die eh holprig genug waren. Die Stadien waren noch keine Schmuckkästchen mit integrierter Arschbackenheizung, sondern kalte Schuppen und alte Kampfbahnen ohne Komfort, und die Zuschauerzahlen entsprechend labil. Und nun auch noch das. Der eiserne Besen des Chefanklägers Hans Kindermann war vorübergehend wichtiger als der feine Außenrist Beckenbauers – dass unter den Sündern auch noch, sogar auf Plakatsäulen, gefeierte WM-Helden von 1970 waren, machte den Schaden nicht kleiner.

Vertrauensschwund. Zuschauerschwund. Der Tiefpunkt war die Saison 1972/1973 mit im Schnitt nur 16.372 Zuschauern in den Stadien.

"Ramba-Zamba"-Fußball bei der EURO 1972

Die Nationalmannschaft hat das Schlimmste damals verhindert. Es musste allerdings schon die Beste sein, die wir je hatten, die Europameister von 1972. "Ramba-Zamba" jubelte Bild. Ramba war Beckenbauer und Zamba war Netzer. Günter Netzer, der Playboy, also Spielmacher, stand für ein neues Fußball- und Lebensgefühl, er fuhr Ferrari, flankierte schöne Frauen, schlug mit flatternden Federn hemmungslose Steilpässe, und aus dem unwiderstehlichen Solo, das er beim Viertelfinal-3:1 gegen die Engländer in Wembley aus der Tiefe des Raumes hinlegte, würde man heute einen Videoclip basteln, unterlegt mit fetziger Rockmusik.

Netzer war der erste Popstar des deutschen Fußballs. Dass er aber zu Real Madrid auswanderte, tat der Attraktivität der Bundesliga und ihren Besucherzahlen nicht gut. Gold wert war da dringend die WM 1974, mit neuen, wärmeren Stadien – und dem Finalsieg in München.

Die 80er wurden dann noch mal zum langen, tapferen Kampf. Der Abgang diverser Lichtgestalten ins wärmere Südeuropa – Rummenigge, Schuster, Hansi Müller, Briegel, Matthäus, Brehme, Klinsmann – tat weh. "Kaiser" Franz ging von Bord, "Bomber" Müller war weg, die Bundesliga war wie ausgebombt, und die WM 1982 endete auch noch als Schuss ins Knie: Schlucksee, Nichtangriffspakt in Gijon, Battiston. Dürre 17.000 Zuschauer verliefen sich danach pro Spiel in die Bundesliga, und auch der vizeweltmeisterliche, aber doch insgesamt minimale Fußball bei der WM 1986 half nicht weiter – mit wesentlich erregterem Herzen raste der deutsche Sportsfreund zu Boris Becker und Steffi Graf, mit über die Anhängerkupplung gestülpten Tennisbällen.

Durchbruch des Fußballfiebers im Zuge des WM-Triumphs 1990

Doch plötzlich, im Rückenwind des WM-Triumphs 1990, wedelten die ersten schwarz-rot-goldenen Fähnchen aus den Autos. Und der EM-Sieg 1996 war vollends Trendbruch und Wende: Kanzler Kohl schickte tags darauf vier Tornados los, als Empfangskomitee für die heimkehrenden Wembley-Helden, und der TV-Intendant Fritz Pleitgen sprach im Kampf um die Übertragungsrechte vom "Menschenrecht" – das war der Durchbruch des Fußballfiebers.

Die TV-Quoten waren fortan toll, und die Stadien voll. "Jetzt", wusste Schalkes Manager Rudi Assauer sofort, "ist es egal, wer als Gegner kommt." Der Fußball machte sich auf den Weg zur Party, und die Bundesliga läuft seither wie von selbst.

Dass die Nationalmannschaft um die Jahrtausendwende vorübergehend ins tiefe Tal der Tränen und des Talentmangels stürzte, hielt den galoppierenden Trend nicht mehr auf, im Gegenteil – selbst das unvergessene 0:0 auf Island war im September 2003 beste Samstagabendunterhaltung. So furios hat der Teamchef damals nach dem Abpfiff vor dem TV-Standgericht den Delling als Kässchwätzer, den Netzer als Standfußballer und den Hartmann als Weizenbier-Waldi umgemäht, dass ihm seither der ewige Trinkspruch des Volkes gilt ("Es gibt nur ein Rudi Völler!"). Das Ende dieses hundsmiserablen Grottenkicks ist in den Stein gemeißelt als die aufregendste dritte Halbzeit der deutschen Länderspielgeschichte.

Aus dem Trauma jener Durststrecke haben jedenfalls alle das Beste gemacht. Der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder blies zur radikalen Nachwuchsoffensive, die Bundesliga hat mitgezogen, in die Talentförderung und künftig obligatorischen Nachwuchszentren investiert – und spätestens seit dem Sommermärchen 2006 ist alles konfetti, paletti und perfetti - Stimmung, Stadien und Fußball.

Joschka Fischer: "Fußball ist des Mannes zweitgrößtes Glück

Die Nationalmannschaft macht jedes Länderspiel zum Festtag, die Bundesliga meldet ständig neue Bestmarken und ist derart im grünen Bereich, dass Joschka Fischer irgendwann meinte: "Fußball ist des Mannes zweitgrößtes Glück." Was der Macho ganz vergessen hat, sind die Frauen, sie bringen als wachsende Zielgruppe auf den Tribünen immer mehr Farbe ins Spiel, wie zuletzt wieder die Kanzlerin als Blickfang bei der EM – mit "Hallo Mama!" wird sie auf den Transparenten schon begrüßt, als Maskottchen von Deutschlands liebstem Kind, der Nationalmannschaft.

Da kann man als Bundesliga mitunter fast neidisch werden, und wie in jeder guten Ehe wird auch mal gemeckert. Zuweilen sehen die Klubs nicht ein, dass sie für Testspiele der Nationalmannschaft gegen die, sagen wir einmal, Äußere Walachei oder Hintere Mandschurei ihre Stars abstellen müssen, die dann schlimmstenfalls zurückkehren als Invalide. Andererseits aber ist beispielsweise Miro Klose, wenn der kriselte, von Bundestrainer Joachim Löw gerne mal kostenlos wieder aufgebaut und wie ein neugeborener Torjäger zu seinem Klub heimgeschickt worden. Es ist ein Geben und Nehmen.

Sexy Fußball. Feuriger Fußball

Was zählt, ist das große Ganze. Das Zusammenleben zweier Organisationen zum gegenseitigen Nutzen heißt Symbiose, und die Nationalmannschaft und die Bundesliga sind sich einig, bis hin zur Art des Spiels. Der attraktive Fußball der Marke frisch, flink und vorwärts, der der Liga vorschwebt, deckt sich weitgehend mit dem von Özil und Co. auf dem Höhepunkt der WM 2010 praktizierten Fußball mit Schwung. Es dürfen sogar Hüftschwünge sein a la Marilyn Monroe in "Manche mögen's heiß".

Sexy Fußball. Feuriger Fußball. Und wie feurige Liebhaber und gar nicht wie ein altes Ehepaar kommen passend dazu die Nationalmannschaft und die Bundesliga vor deren 50. Saison jetzt daher. Sie ergänzen sich im Rahmen des "Ramba-Zambas", ziehen an einem Strang, gehen durch dick und dünn, und zur musikalischen Untermalung der nahenden Goldenen Hochzeit müssen unbedingt Franz Beckenbauer und Gerd Müller ran – denn schon in jenen 60ern, als alles begann, haben der "Kaiser" und der "Bomber" das Rezept für den perfekten Doppelpass mit ihren Erfolgsschlagern besungen: "Gute Freunde kann niemand trennen" und "Dann macht es bumm".

Oder Boom – um es in der Sprache des deutschen Fußballs zu sagen.

[dfb]

[bild1]

Von wegen altes Ehepaar: Die Bundesliga geht in ihre 50. Saison, und die Nationalmannschaft steht als feuriger Liebhaber klatschend Spalier – nach "Kaiser" Franz und "Bomber" Müller feiert der deutsche Fußball die zweite Erfolgsgeschichte des perfekten Doppelpasses.

Am 28. Juli 1962 - heute vor genau 50 Jahren - wurde beim DFB-Bundestag in Dortmund die Gründung der Bundesliga beschlossen. Es war der Beginn eines beispiellosen gegenseitigen Gebens und Nehmens zum Wohl des deutschen Fußballs. Der preisgekrönte Autor Oskar Beck beschreibt diesen einzigartigen Doppelpass ebenso amüsant wie interessant.

Doppelpässe und Traumduos

Die Geschichte des Doppelpasses ist gespickt mit Traumduos. Adam und Eva. Maria und Josef. Fix und Foxi. Hänsel und Gretel. Simon und Garfunkel. Pat und Patachon. Dick und Doof. Romeo und Julia. Asterix und Obelix. Starsky und Hutch. Max und Moritz.

Im deutschen Fußball ist der Max die Nationalmannschaft und der Moritz die Bundesliga.

Nein, keine Angst, wir erzählen hier jetzt keine Bubengeschichte in sieben Streichen, sondern ein wirkliches Erfolgsmärchen. Der freudige Anlass ist die 50. Saison, in die die Bundesliga vom 24. August an geht – und die Nationalmannschaft steht klatschend Spalier und tanzt ausgelassen mit.

Es ist eine Party für zwei.

Beckenbauer und Müller: der perfekte Doppelpass

Bevor wir fortfahren, klären wir erst mal die Frage, was ein Doppelpass ist – und zwar am bisher glorreichsten Beispiel: dem "Kaiser" und dem "Bomber".

Das ging damals so: Mit dem scharfen Auge des Liberos hat sich Franz Beckenbauer hinten lässig die Kugel geangelt, ist einer inneren Stimme folgend instinktiv ausgebrochen aus den Fesseln der Abwehr und mit dem Ball am Fuß nach vorne getanzt - notfalls Haken schlagend hat er die Tiefe des Raums überbrückt, spätestens auf Höhe des Anspielkreises ging ein Raunen durchs Stadion, die Gegner wischten sich den Panikschweiß von der Stirn, die Radioreporter sprangen im Rahmen der Konferenzschaltung elektrisiert auf ("Sofort nach München, der Kaiser überschreitet die Mittellinie!"), ein kurzes Doppelpässchen noch mit dem Müller, und der Franz krönte den Vorstoß mit einem unnachahmlichen Außenristschlenzer ins Lattenkreuz oder schob, an seinen für die Gegner besonders perfiden Tagen, den Ball noch mal quer zum mitgelaufenen Gerd – und der hat dann vollends den Innenrist hingehalten, den Schenkel, die Schulter oder den Allerwertesten.

So geht der perfekte Doppelpass.

Und so ist es auch, wenn die Nationalmannschaft den Klubs den Ball zuspielt, oder umgekehrt. Als Christian Seifert, der Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL), seine letzten Jahreszahlen veröffentlich hat, war von 42.000 Zuschauern pro Spiel die Rede, was bis auf die NFL im American Football jede andere Liga der Welt vor Neid schier verrecken lässt – und Seifert sieht die Fortsetzung des Booms gewährleistet. Er sagt: "Die Bundesliga ist bei Fans, Sponsoren und Medienpartnern so populär wie nie."

Also so populär wie die Nationalmannschaft, die zuletzt bei der EM in Polen und der Ukraine für Rekordeinschalquoten im Fernsehen und Massenandrang beim Public Viewing in Deutschlands Städten sorgte.

Sepp Herberger: "Eine Bundesliga muss her"

Die Nationalmannschaft, sie war zuerst da, hat dann aber im eigenen Interesse tatkräftig mitgeholfen, dass dies nicht so blieb. Sepp Herberger, der weise Alte, der Vater der 54er-Helden von Bern, war in jenem Frühsommer 1962 als Bundestrainer ganz übler Laune. Das frühe Scheitern bei der WM in Chile lag ihm im Magen. Auf lange Sicht, spürte er, war allein mit dem Geist von Spiez oder den deutschen Tugenden gegen die längst in Profiligen organisierte Konkurrenz nichts mehr auszurichten, zu groß war das Leistungsgefälle in den bundesweit verstreuten Oberligen. Es galt also, die Kräfte zu bündeln und zu konzentrieren. "Eine Bundesliga muss her", forderte der Bundestrainer wie schon etliche Male in den Jahren zuvor.

Am 28. Juli 1962 erfüllte ihm der DFB-Bundestag im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle seinen Wunsch.

Das war vor genau 50 Jahren. Und das war gut so, denn der damals beschlossene Doppelpass macht seither frei nach Grönemeyer die Gegner nass – und wenn es mal nicht so lief, half gegen jede Affäre oder Krise der Bibelvers: "Einer trage des anderen Last (Galater 6, 2)."

Für den ersten Skandal sorgte, im jugendlichen Leichtsinn, die neue Liga. Nach der Saison 1970/1971 versank sie fast im trüben Gewässer der Korruption, in der Schieber und Betrüger nach Siegen und Schmiergeld fischten – ausgerechnet in jenen Pionierzeiten, die eh holprig genug waren. Die Stadien waren noch keine Schmuckkästchen mit integrierter Arschbackenheizung, sondern kalte Schuppen und alte Kampfbahnen ohne Komfort, und die Zuschauerzahlen entsprechend labil. Und nun auch noch das. Der eiserne Besen des Chefanklägers Hans Kindermann war vorübergehend wichtiger als der feine Außenrist Beckenbauers – dass unter den Sündern auch noch, sogar auf Plakatsäulen, gefeierte WM-Helden von 1970 waren, machte den Schaden nicht kleiner.

Vertrauensschwund. Zuschauerschwund. Der Tiefpunkt war die Saison 1972/1973 mit im Schnitt nur 16.372 Zuschauern in den Stadien.

"Ramba-Zamba"-Fußball bei der EURO 1972

Die Nationalmannschaft hat das Schlimmste damals verhindert. Es musste allerdings schon die Beste sein, die wir je hatten, die Europameister von 1972. "Ramba-Zamba" jubelte Bild. Ramba war Beckenbauer und Zamba war Netzer. Günter Netzer, der Playboy, also Spielmacher, stand für ein neues Fußball- und Lebensgefühl, er fuhr Ferrari, flankierte schöne Frauen, schlug mit flatternden Federn hemmungslose Steilpässe, und aus dem unwiderstehlichen Solo, das er beim Viertelfinal-3:1 gegen die Engländer in Wembley aus der Tiefe des Raumes hinlegte, würde man heute einen Videoclip basteln, unterlegt mit fetziger Rockmusik.

Netzer war der erste Popstar des deutschen Fußballs. Dass er aber zu Real Madrid auswanderte, tat der Attraktivität der Bundesliga und ihren Besucherzahlen nicht gut. Gold wert war da dringend die WM 1974, mit neuen, wärmeren Stadien – und dem Finalsieg in München.

Die 80er wurden dann noch mal zum langen, tapferen Kampf. Der Abgang diverser Lichtgestalten ins wärmere Südeuropa – Rummenigge, Schuster, Hansi Müller, Briegel, Matthäus, Brehme, Klinsmann – tat weh. "Kaiser" Franz ging von Bord, "Bomber" Müller war weg, die Bundesliga war wie ausgebombt, und die WM 1982 endete auch noch als Schuss ins Knie: Schlucksee, Nichtangriffspakt in Gijon, Battiston. Dürre 17.000 Zuschauer verliefen sich danach pro Spiel in die Bundesliga, und auch der vizeweltmeisterliche, aber doch insgesamt minimale Fußball bei der WM 1986 half nicht weiter – mit wesentlich erregterem Herzen raste der deutsche Sportsfreund zu Boris Becker und Steffi Graf, mit über die Anhängerkupplung gestülpten Tennisbällen.

Durchbruch des Fußballfiebers im Zuge des WM-Triumphs 1990

Doch plötzlich, im Rückenwind des WM-Triumphs 1990, wedelten die ersten schwarz-rot-goldenen Fähnchen aus den Autos. Und der EM-Sieg 1996 war vollends Trendbruch und Wende: Kanzler Kohl schickte tags darauf vier Tornados los, als Empfangskomitee für die heimkehrenden Wembley-Helden, und der TV-Intendant Fritz Pleitgen sprach im Kampf um die Übertragungsrechte vom "Menschenrecht" – das war der Durchbruch des Fußballfiebers.

Die TV-Quoten waren fortan toll, und die Stadien voll. "Jetzt", wusste Schalkes Manager Rudi Assauer sofort, "ist es egal, wer als Gegner kommt." Der Fußball machte sich auf den Weg zur Party, und die Bundesliga läuft seither wie von selbst.

Dass die Nationalmannschaft um die Jahrtausendwende vorübergehend ins tiefe Tal der Tränen und des Talentmangels stürzte, hielt den galoppierenden Trend nicht mehr auf, im Gegenteil – selbst das unvergessene 0:0 auf Island war im September 2003 beste Samstagabendunterhaltung. So furios hat der Teamchef damals nach dem Abpfiff vor dem TV-Standgericht den Delling als Kässchwätzer, den Netzer als Standfußballer und den Hartmann als Weizenbier-Waldi umgemäht, dass ihm seither der ewige Trinkspruch des Volkes gilt ("Es gibt nur ein Rudi Völler!"). Das Ende dieses hundsmiserablen Grottenkicks ist in den Stein gemeißelt als die aufregendste dritte Halbzeit der deutschen Länderspielgeschichte.

Aus dem Trauma jener Durststrecke haben jedenfalls alle das Beste gemacht. Der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder blies zur radikalen Nachwuchsoffensive, die Bundesliga hat mitgezogen, in die Talentförderung und künftig obligatorischen Nachwuchszentren investiert – und spätestens seit dem Sommermärchen 2006 ist alles konfetti, paletti und perfetti - Stimmung, Stadien und Fußball.

Joschka Fischer: "Fußball ist des Mannes zweitgrößtes Glück

Die Nationalmannschaft macht jedes Länderspiel zum Festtag, die Bundesliga meldet ständig neue Bestmarken und ist derart im grünen Bereich, dass Joschka Fischer irgendwann meinte: "Fußball ist des Mannes zweitgrößtes Glück." Was der Macho ganz vergessen hat, sind die Frauen, sie bringen als wachsende Zielgruppe auf den Tribünen immer mehr Farbe ins Spiel, wie zuletzt wieder die Kanzlerin als Blickfang bei der EM – mit "Hallo Mama!" wird sie auf den Transparenten schon begrüßt, als Maskottchen von Deutschlands liebstem Kind, der Nationalmannschaft.

Da kann man als Bundesliga mitunter fast neidisch werden, und wie in jeder guten Ehe wird auch mal gemeckert. Zuweilen sehen die Klubs nicht ein, dass sie für Testspiele der Nationalmannschaft gegen die, sagen wir einmal, Äußere Walachei oder Hintere Mandschurei ihre Stars abstellen müssen, die dann schlimmstenfalls zurückkehren als Invalide. Andererseits aber ist beispielsweise Miro Klose, wenn der kriselte, von Bundestrainer Joachim Löw gerne mal kostenlos wieder aufgebaut und wie ein neugeborener Torjäger zu seinem Klub heimgeschickt worden. Es ist ein Geben und Nehmen.

[bild2]

Sexy Fußball. Feuriger Fußball

Was zählt, ist das große Ganze. Das Zusammenleben zweier Organisationen zum gegenseitigen Nutzen heißt Symbiose, und die Nationalmannschaft und die Bundesliga sind sich einig, bis hin zur Art des Spiels. Der attraktive Fußball der Marke frisch, flink und vorwärts, der der Liga vorschwebt, deckt sich weitgehend mit dem von Özil und Co. auf dem Höhepunkt der WM 2010 praktizierten Fußball mit Schwung. Es dürfen sogar Hüftschwünge sein a la Marilyn Monroe in "Manche mögen's heiß".

Sexy Fußball. Feuriger Fußball. Und wie feurige Liebhaber und gar nicht wie ein altes Ehepaar kommen passend dazu die Nationalmannschaft und die Bundesliga vor deren 50. Saison jetzt daher. Sie ergänzen sich im Rahmen des "Ramba-Zambas", ziehen an einem Strang, gehen durch dick und dünn, und zur musikalischen Untermalung der nahenden Goldenen Hochzeit müssen unbedingt Franz Beckenbauer und Gerd Müller ran – denn schon in jenen 60ern, als alles begann, haben der "Kaiser" und der "Bomber" das Rezept für den perfekten Doppelpass mit ihren Erfolgsschlagern besungen: "Gute Freunde kann niemand trennen" und "Dann macht es bumm".

Oder Boom – um es in der Sprache des deutschen Fußballs zu sagen.