Goldener 22. April: Jena und Leipzig ziehen in Europacupendspiele ein

An einem 22. April zogen gleich zwei Mannschaften der DDR aus, im Europapokal der Pokalsieger ihr Glück zu suchen. Und obwohl beide an diesem Kalendertag mit 0:1 verloren, feierten sie den größten Triumph ihrer Vereinsgeschichte: Sie zogen ins Finale dieses längst nicht mehr bestehenden Wettbewerbs ein. Carl Zeiss Jena ging 1981 voran, Lok Leipzig folgte 1987. Für DFB.de blickt der Historiker Udo Muras auf beide "Fußballwunder" zurück.

1981: FC Carl Zeiss Jena

Als es vorbei war, kam sogar der Schiedsrichter ins Schwärmen. "Meine Bewunderung gilt der physischen und psychischen Leistung des FC Carl Zeiss Jena", sagte der Engländer Patrick Partridge nach 90 aufreibenden Minuten des Halbfinalrückspiels zu Lissabon. Im "Stadion des Lichts" ging für die Thüringer an jenem 22. April die Sonne auf. Mit einem 2:0-Polster aus dem Hinspiel waren sie angereist, doch eine Garantie war das nicht. Da war zum einen die ungewohnte Kulisse von 80.000 Zuschauern und zum anderen der Fakt, dass Portugals Rekordmeister eine Heimmacht war in jenen Tagen. Im gesamten Europacup 1980/1981 hatten sie zuhause kein Tor kassiert – und dabei sollte es auch bleiben.

Zwar trafen die vom 38-jährigen Hans Meyer, der nach der Wende einmal ein Kulttrainer werden würde, angeleiteten Jenenser nach sieben Minuten ins Benfica-Netz. Doch Partridge erkannte das herrliche Freistoßtor von Lothar Kurbjuweit wegen mangelnder Regelkunde nicht an. Es war ein indirekter Freistoß gewesen, was Kurbjuweit "in der verständlichen Aufregung" (Neue Fußballwoche) übersah. "Schade um Lothars tollen Schuss“, fand Mitspieler Rüdiger Schnuphase. Aber sie mussten ja nicht unbedingt treffen, nur nicht mehr als ein Tor kassieren. Die Abwehr stand, Carl Zeiss hielt dem Dauerdruck der Portugiesen stand. Zur Pause hieß es noch 0:0 und auf den Rängen wuchs die Unruhe.

"Ein Traum wurde wahr"

Jena war schon 1974 dort gewesen und hatte im Uefa-Cup ein 0:0 ertrotzt, war damals aber ausgeschieden. Schon vor sieben Jahren hieß der Torwart Hans-Ulrich Grapenthin und der hatte wieder einen großen Tag. Aber auch er war machtlos, als Reinaldo nach 59 Minuten zum Kopfball kam. Eine halbe Stunde Zittern stand bevor, nun durfte aus Jenas Sicht kein Tor mehr fallen. Übrigens fielen auch beide Hinspieltore per Kopf – durch Andreas Bielau und Jürgen Raab, den Meyer in Lissabon schon nach 20 Minuten verletzt auswechseln musste. "Benfica zog alle Register seines technisch-taktischen Könnens. Das Repertoire der Portugiesen im ständigen Variieren des Kurz-und Steilpaß-Spiels war für Kenner der Materie eine Augenweide", schwärmte die Neue Fußballwoche.

Noch mehr aber durfte das Fachblatt des Ostens von Carl Zeiss Jena schwärmen. Mit letztem Einsatz warfen sich die Spieler in die Schüsse und Flanken, Andreas Krause und Kurbjuweit retteten auf der Linie, Schnuphase warf sich in einen Schuss von Humberto, den auch Grapenthin nicht gehalten hätte. Carl Zeiss, so schreibt der mitgereiste Berichterstatter, "überzeugte in Lissabon vor allem mit jener für unseren Fußball markanten Deckungsdisziplin, mit Fleiß und Hingabe, die dann für die Tüchtigen auch das Glück in petto hatte." Zwei Minuten vor Schluss angelte Grapenthin noch einen Humberto-Kopfball aus nächster Distanz, dann war es geschafft. Jena erreichte als erst zweiter Klub aus der DDR nach Magdeburg (1974) ein Europacupfinale. "Reine Nervensache“, kommentierte Grapenthin, zu mehr war er am Mikrofon nicht mehr in der Lage. Und Hans Meyer? Der stolze Trainer wollte niemanden herausheben und auch keinen seiner gefürchteten Witze machen und sprach von einem "Erfolg der Moral.“ Eberhard "Matz“ Vogel, Jenas größter Spieler, fand auch nicht viele Worte, aber große: "Ein Traum wurde wahr.“

Vom Finale hatten sie sich allerdings etwas mehr erträumt. In Düsseldorf verloren sie gegen Dynamo Tiflis nach Führung mit 1:2 – vor 4700 Zuschauern. Da das Spiel im "kapitalistischen Westen" stattfand, durften die Fans beider Vereine nicht anreisen. Da war die Erinnerung an das Halbfinale doch viel schöner.

1987: Lok Leipzig

Lokomotive Leipzig, allgemein hin "Lok" genannt, war kein Unbekannter im internationalen Fußball. Am 22. April 1987 standen die Sachsen bereits in ihrem 70. Europapokalspiel, zum zweiten Mal waren sie (nach 1974) Halbfinalist. Da sie Spiel Nummer 69 bei Girondins Bordeaux überraschend durch einen Treffer von Uwe Bredow 1:0 gewonnen hatten, waren die mit einem Bein im Finale. Schließlich wusste Lok im großen Zentral-Stadion, das restlos gefüllt war, 73.000 Zuschauer hinter sich. Trainer Hans-Ulrich Thomale mahnte aus gutem Grund: "Wir müssen das Hinspiel vergessen. Am Ende eines 143-minütigen Dramas lag es schließlich nur an einem Mann, dass alles gut war: Torwart René Müller, Fußballer des Jahres der DDR. Der schöne Vorsprung war schon nach drei Minuten dahin, auch Müller konnte das 0:1 nicht verhindern, das Zlatko Vujovic mit unfreiwilliger Hilfe von Matthias Linder, der dem Ball den letzten Schubs gab, erzielte. Es folgte ein bemerkenswert ereignisloses Spiel, das nur von der Spannung lebte. Die Kontrahenten gönnten sich keinen Meter, auf tiefem Boden entwickelte sich ein klassisches Kampfspiel fast ohne Torchancen.

Bordeaux hatte die größeren Namen und war spätestens jetzt wieder Favorit. Man musste zwar auf den seit der WM 1982 auch im anderen Deutschland bestens bekannten Libero Patrick Battiston verzichten, aber mit Jean Tigana lief noch ein anderer Teilnehmer des historischen WM-Halbfinales von Sevilla auf. Kenner wussten auch mit den Namen von Kapitän Gernot Rohr (früher Bayern München) und Nationaltorwart Dominique Dropsy etwas anzufangen. Auf der Bank saß der kommende Weltmeistertrainer von 1998, Aime Jacquet, sein Assistent benutzte auf der Bank ein Fernglas. Die Gäste hatten nun Oberwasser und wenn es einmal gefährlich wurde, dann vor dem Kasten von Müller. Tore aber fielen keine mehr, Tigana traf den Pfosten und fünf Minuten vor Schluss feuerte Heiko Scholz, später DFB-Nationalspieler (1 A), den ersten gefährlichen Schuss der Blau-Gelben ab. Gegen Ende der Partie, die Lok allmählich ausgeglichen gestalten konnte, wollte keiner mehr etwas riskieren. Motto: Lieber eine Verlängerung als der plötzliche Todesstoß.

Zötzsche verschießt Elfmeter in der Verlängerung

Ins Elfmeterschießen wollten die Leipziger aber nicht, plötzlich erhöhten sie den Druck. Der 21-jährige Olaf Marschall zwang Dropsy in der 103. Minute zu seiner ersten Parade. Außer Flanken und Rückpässen hatte er bis dahin nichts aufzunehmen. Dann kam die 108. Minute: Frank Richter drang in den Strafraum ein und bekam einen Elfmeter, den eine Heimmannschaft eher als ein Gast bekommt. Ob Tigana ihn wirklich zu Fall brachte oder doch eher der Ball, die damalige Zeitlupentechnik gab wenig Aufschluss. Uwe Zötzsche nahm einen Riesenanlauf von außerhalb des Strafraums – und scheiterte an Dropsy. Den Nachschuss setzte Marschall an die Latte. Zötzsches Fehlschuss war kein gutes Omen für das Elfmeterschießen, auch wenn Lok seine beiden vorherigen im Europacup gewonnen hatte.

Nach 120 Minuten kam es zum dritten! Beide Teams verwandelten den ersten Schuss, dann krallte sich Müller den nicht sehr festen Schuss von Vercruysse, wofür ihn DRA-Reporter Uwe Grandel zum "Teufelskerl“ machte. Aber Matthias Liebers gab den Vorteil gleich wieder weg, auch Dropsy hielt. Nun fiel im DDR-Fernsehen das Bild aus und als es wieder da war, sah man noch die Zeitlupe von Rohrs Treffer. Olaf Marschall bewies Nervenstärke und glich wieder aus. Bei Girards 2:3 lag Müller ausnahmsweise in der falschen Ecke, der Druck auf Zötzsche war groß. "Nimmt er wieder dieselbe Ecke?", sorgte sich Grandel, doch Zötzsche nahm die andere und traf – 3:3. Roche verlud Müller zum 3:4, nun musste Joker Dieter Kühn treffen. Er traf, auch wenn Dropsy am Ball war. 4:4, auch das Elfmeterschießen ging in die Verlängerung.

Müller wird zum Helden

Tigana kam an den Punkt und schickte Müller in die falsche Ecke, wieder musste Lok ausgleichen. Wieder nahm sich ein Einwechselspieler den Ball, Routinier Wolfgang Altmann ließ das Zentral-Stadion aufatmen – 5:5. Dann kam Zoran Vujovic, der Zwillingsbruder von Zlatko, an den Punkt. Sein Anlauf war verzögert, die Unsicherheit sprang ihm aus allen Poren. Flach, fast in die Mitte, schob er den Ball. Wieder hielt Müller den Ball sogar fest, wieder war er "ein Teufelskerl“ für den Kommentator. Matchball für Lok. Wer würde schießen? Der Teufelskerl natürlich. Müller, der schon den vierten oder den fünften Elfmeter hatte ausführen wollen, ließ sich nun nicht mehr abhalten.

Fest und hoch knallte er den Ball links neben den Pfosten. So werden Helden geboren. "Ich habe noch nie einen Elfmeter geschossen", gestand er im Tumult nach dem Abpfiff dem Mann vom Fernsehen. Die Blau-Gelben begaben sich anschließend wie nach einem Pokalsieg auf eine Ehrenrunde und Thomale gestand: "Bei so einem Spiel wird man einige Jahre älter." René Müller, damals 28, reflektierte etwas später, er werde wohl erst realisieren was er da vollbracht habe "wenn ich mit 60 am Stammtisch sitze." Dann müsste er es ja jetzt verstanden haben, das Wunder von Leipzig. Er wurde im Februar 61. Auch Lok hatte kein Glück im Finale und unterlag Ajax Amsterdam in Athen mit 0:1.

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An einem 22. April zogen gleich zwei Mannschaften der DDR aus, im Europapokal der Pokalsieger ihr Glück zu suchen. Und obwohl beide an diesem Kalendertag mit 0:1 verloren, feierten sie den größten Triumph ihrer Vereinsgeschichte: Sie zogen ins Finale dieses längst nicht mehr bestehenden Wettbewerbs ein. Carl Zeiss Jena ging 1981 voran, Lok Leipzig folgte 1987. Für DFB.de blickt der Historiker Udo Muras auf beide "Fußballwunder" zurück.

1981: FC Carl Zeiss Jena

Als es vorbei war, kam sogar der Schiedsrichter ins Schwärmen. "Meine Bewunderung gilt der physischen und psychischen Leistung des FC Carl Zeiss Jena", sagte der Engländer Patrick Partridge nach 90 aufreibenden Minuten des Halbfinalrückspiels zu Lissabon. Im "Stadion des Lichts" ging für die Thüringer an jenem 22. April die Sonne auf. Mit einem 2:0-Polster aus dem Hinspiel waren sie angereist, doch eine Garantie war das nicht. Da war zum einen die ungewohnte Kulisse von 80.000 Zuschauern und zum anderen der Fakt, dass Portugals Rekordmeister eine Heimmacht war in jenen Tagen. Im gesamten Europacup 1980/1981 hatten sie zuhause kein Tor kassiert – und dabei sollte es auch bleiben.

Zwar trafen die vom 38-jährigen Hans Meyer, der nach der Wende einmal ein Kulttrainer werden würde, angeleiteten Jenenser nach sieben Minuten ins Benfica-Netz. Doch Partridge erkannte das herrliche Freistoßtor von Lothar Kurbjuweit wegen mangelnder Regelkunde nicht an. Es war ein indirekter Freistoß gewesen, was Kurbjuweit "in der verständlichen Aufregung" (Neue Fußballwoche) übersah. "Schade um Lothars tollen Schuss“, fand Mitspieler Rüdiger Schnuphase. Aber sie mussten ja nicht unbedingt treffen, nur nicht mehr als ein Tor kassieren. Die Abwehr stand, Carl Zeiss hielt dem Dauerdruck der Portugiesen stand. Zur Pause hieß es noch 0:0 und auf den Rängen wuchs die Unruhe.

"Ein Traum wurde wahr"

Jena war schon 1974 dort gewesen und hatte im Uefa-Cup ein 0:0 ertrotzt, war damals aber ausgeschieden. Schon vor sieben Jahren hieß der Torwart Hans-Ulrich Grapenthin und der hatte wieder einen großen Tag. Aber auch er war machtlos, als Reinaldo nach 59 Minuten zum Kopfball kam. Eine halbe Stunde Zittern stand bevor, nun durfte aus Jenas Sicht kein Tor mehr fallen. Übrigens fielen auch beide Hinspieltore per Kopf – durch Andreas Bielau und Jürgen Raab, den Meyer in Lissabon schon nach 20 Minuten verletzt auswechseln musste. "Benfica zog alle Register seines technisch-taktischen Könnens. Das Repertoire der Portugiesen im ständigen Variieren des Kurz-und Steilpaß-Spiels war für Kenner der Materie eine Augenweide", schwärmte die Neue Fußballwoche.

Noch mehr aber durfte das Fachblatt des Ostens von Carl Zeiss Jena schwärmen. Mit letztem Einsatz warfen sich die Spieler in die Schüsse und Flanken, Andreas Krause und Kurbjuweit retteten auf der Linie, Schnuphase warf sich in einen Schuss von Humberto, den auch Grapenthin nicht gehalten hätte. Carl Zeiss, so schreibt der mitgereiste Berichterstatter, "überzeugte in Lissabon vor allem mit jener für unseren Fußball markanten Deckungsdisziplin, mit Fleiß und Hingabe, die dann für die Tüchtigen auch das Glück in petto hatte." Zwei Minuten vor Schluss angelte Grapenthin noch einen Humberto-Kopfball aus nächster Distanz, dann war es geschafft. Jena erreichte als erst zweiter Klub aus der DDR nach Magdeburg (1974) ein Europacupfinale. "Reine Nervensache“, kommentierte Grapenthin, zu mehr war er am Mikrofon nicht mehr in der Lage. Und Hans Meyer? Der stolze Trainer wollte niemanden herausheben und auch keinen seiner gefürchteten Witze machen und sprach von einem "Erfolg der Moral.“ Eberhard "Matz“ Vogel, Jenas größter Spieler, fand auch nicht viele Worte, aber große: "Ein Traum wurde wahr.“

Vom Finale hatten sie sich allerdings etwas mehr erträumt. In Düsseldorf verloren sie gegen Dynamo Tiflis nach Führung mit 1:2 – vor 4700 Zuschauern. Da das Spiel im "kapitalistischen Westen" stattfand, durften die Fans beider Vereine nicht anreisen. Da war die Erinnerung an das Halbfinale doch viel schöner.

1987: Lok Leipzig

Lokomotive Leipzig, allgemein hin "Lok" genannt, war kein Unbekannter im internationalen Fußball. Am 22. April 1987 standen die Sachsen bereits in ihrem 70. Europapokalspiel, zum zweiten Mal waren sie (nach 1974) Halbfinalist. Da sie Spiel Nummer 69 bei Girondins Bordeaux überraschend durch einen Treffer von Uwe Bredow 1:0 gewonnen hatten, waren die mit einem Bein im Finale. Schließlich wusste Lok im großen Zentral-Stadion, das restlos gefüllt war, 73.000 Zuschauer hinter sich. Trainer Hans-Ulrich Thomale mahnte aus gutem Grund: "Wir müssen das Hinspiel vergessen. Am Ende eines 143-minütigen Dramas lag es schließlich nur an einem Mann, dass alles gut war: Torwart René Müller, Fußballer des Jahres der DDR. Der schöne Vorsprung war schon nach drei Minuten dahin, auch Müller konnte das 0:1 nicht verhindern, das Zlatko Vujovic mit unfreiwilliger Hilfe von Matthias Linder, der dem Ball den letzten Schubs gab, erzielte. Es folgte ein bemerkenswert ereignisloses Spiel, das nur von der Spannung lebte. Die Kontrahenten gönnten sich keinen Meter, auf tiefem Boden entwickelte sich ein klassisches Kampfspiel fast ohne Torchancen.

Bordeaux hatte die größeren Namen und war spätestens jetzt wieder Favorit. Man musste zwar auf den seit der WM 1982 auch im anderen Deutschland bestens bekannten Libero Patrick Battiston verzichten, aber mit Jean Tigana lief noch ein anderer Teilnehmer des historischen WM-Halbfinales von Sevilla auf. Kenner wussten auch mit den Namen von Kapitän Gernot Rohr (früher Bayern München) und Nationaltorwart Dominique Dropsy etwas anzufangen. Auf der Bank saß der kommende Weltmeistertrainer von 1998, Aime Jacquet, sein Assistent benutzte auf der Bank ein Fernglas. Die Gäste hatten nun Oberwasser und wenn es einmal gefährlich wurde, dann vor dem Kasten von Müller. Tore aber fielen keine mehr, Tigana traf den Pfosten und fünf Minuten vor Schluss feuerte Heiko Scholz, später DFB-Nationalspieler (1 A), den ersten gefährlichen Schuss der Blau-Gelben ab. Gegen Ende der Partie, die Lok allmählich ausgeglichen gestalten konnte, wollte keiner mehr etwas riskieren. Motto: Lieber eine Verlängerung als der plötzliche Todesstoß.

Zötzsche verschießt Elfmeter in der Verlängerung

Ins Elfmeterschießen wollten die Leipziger aber nicht, plötzlich erhöhten sie den Druck. Der 21-jährige Olaf Marschall zwang Dropsy in der 103. Minute zu seiner ersten Parade. Außer Flanken und Rückpässen hatte er bis dahin nichts aufzunehmen. Dann kam die 108. Minute: Frank Richter drang in den Strafraum ein und bekam einen Elfmeter, den eine Heimmannschaft eher als ein Gast bekommt. Ob Tigana ihn wirklich zu Fall brachte oder doch eher der Ball, die damalige Zeitlupentechnik gab wenig Aufschluss. Uwe Zötzsche nahm einen Riesenanlauf von außerhalb des Strafraums – und scheiterte an Dropsy. Den Nachschuss setzte Marschall an die Latte. Zötzsches Fehlschuss war kein gutes Omen für das Elfmeterschießen, auch wenn Lok seine beiden vorherigen im Europacup gewonnen hatte.

Nach 120 Minuten kam es zum dritten! Beide Teams verwandelten den ersten Schuss, dann krallte sich Müller den nicht sehr festen Schuss von Vercruysse, wofür ihn DRA-Reporter Uwe Grandel zum "Teufelskerl“ machte. Aber Matthias Liebers gab den Vorteil gleich wieder weg, auch Dropsy hielt. Nun fiel im DDR-Fernsehen das Bild aus und als es wieder da war, sah man noch die Zeitlupe von Rohrs Treffer. Olaf Marschall bewies Nervenstärke und glich wieder aus. Bei Girards 2:3 lag Müller ausnahmsweise in der falschen Ecke, der Druck auf Zötzsche war groß. "Nimmt er wieder dieselbe Ecke?", sorgte sich Grandel, doch Zötzsche nahm die andere und traf – 3:3. Roche verlud Müller zum 3:4, nun musste Joker Dieter Kühn treffen. Er traf, auch wenn Dropsy am Ball war. 4:4, auch das Elfmeterschießen ging in die Verlängerung.

Müller wird zum Helden

Tigana kam an den Punkt und schickte Müller in die falsche Ecke, wieder musste Lok ausgleichen. Wieder nahm sich ein Einwechselspieler den Ball, Routinier Wolfgang Altmann ließ das Zentral-Stadion aufatmen – 5:5. Dann kam Zoran Vujovic, der Zwillingsbruder von Zlatko, an den Punkt. Sein Anlauf war verzögert, die Unsicherheit sprang ihm aus allen Poren. Flach, fast in die Mitte, schob er den Ball. Wieder hielt Müller den Ball sogar fest, wieder war er "ein Teufelskerl“ für den Kommentator. Matchball für Lok. Wer würde schießen? Der Teufelskerl natürlich. Müller, der schon den vierten oder den fünften Elfmeter hatte ausführen wollen, ließ sich nun nicht mehr abhalten.

Fest und hoch knallte er den Ball links neben den Pfosten. So werden Helden geboren. "Ich habe noch nie einen Elfmeter geschossen", gestand er im Tumult nach dem Abpfiff dem Mann vom Fernsehen. Die Blau-Gelben begaben sich anschließend wie nach einem Pokalsieg auf eine Ehrenrunde und Thomale gestand: "Bei so einem Spiel wird man einige Jahre älter." René Müller, damals 28, reflektierte etwas später, er werde wohl erst realisieren was er da vollbracht habe "wenn ich mit 60 am Stammtisch sitze." Dann müsste er es ja jetzt verstanden haben, das Wunder von Leipzig. Er wurde im Februar 61. Auch Lok hatte kein Glück im Finale und unterlag Ajax Amsterdam in Athen mit 0:1.

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