Gewaltopfer Rickels: "Wir müssen ein anderes Cool etablieren"

Ein Faustschlag brachte Christoph Rickels zu Fall. Seitdem hat er eine Botschaft. Er lernte Yvonne Catterfeld und Jörg Pilawa kennen, wurde vielfach ausgezeichnet und sprach in der ausverkauften Arena auf Schalke. Er hält Vorträge für die DFB-Stiftung Sepp Herberger. Im September erschien seine bewegende und vielschichtige Geschichte unter dem Titel "Schicksalsschlag". 208 Seiten, alle fesselnd, keine leicht. DFB.de sprach mit dem 33-Jährigen über - auch im Fußball existierende - Gewaltkulturen.    

DFB.de: Herr Rickels, ist es eigentlich eine gute oder eine schlechte Idee, während eines Lockdowns ein Buch auf den Markt zu bringen?

Christoph Rickels: Kann ich gar nicht sagen, da fehlt mir das Fachwissen, wie das Buchgeschäft genau funktioniert. "Schicksalsschlag" ist jedenfalls im September erschienen und ich habe von vielen Lesern tolle Rückmeldungen bekommen.  

DFB.de: Vor 13 Jahren werden Sie vor einer Diskothek im ostfriesischen Aurich brutal niedergeschlagen. Ungebremst schlägt Ihr Schädel auf den Boden. Sofort beginnen Stammganglienblutungen in ihrem Kopf. Das Wetter ist schlecht, deshalb startet kein Notfallhelikopter. Als der Krankenwagen nach Stunden im Ludmillenstift in Meppen eintrifft, müssen die Ärzte sofort Löcher in ihrem Schädel bohren, so stark sind die Schwellungen. Monatelang liegen Sie im Koma. Bis heute leiden Sie unter Lähmungen der rechten Körperseite sowie Beeinträchtigungen ihrer Sprach- und Merkfähigkeiten. Dennoch ist "Schicksalsschlag" ein Buch über Zuversicht. Wie schaffen sie das? 

Rickels: Die öffentliche Anerkennung, die vielen guten Menschen, denen ich begegnet bin, auch meine innere Überzeugung, dass ich auf meinem Weg noch Großes bewegen kann – das gibt mir Kraft. Ich bin nicht mehr nur das Opfer. Ich bin heute ein Typ mit Mumm, der seine Geschichte erzählen kann. Aber ich will auch nicht verhehlen, dass die Gerichtsprozesse, die sich nun schon über 13 Jahre ziehen, mir sehr zusetzen.

DFB.de: Letztlich wurde Ihnen gerichtlich ein Schadensersatz zugesprochen. Wie hoch ist die Summe?

Rickels: Das Gericht hat auf 200.000 Euro Schadensersatz entschieden. Das Urteil ist lange schon rechtskräftig. Aber der Täter ist in die Privatinsolvenz gegangen und aus der Insolvenzmasse bekomme ich nur ein paar hundert Euro jährlich ausgezahlt. Bis heute weigert sich die Haftpflichtversicherung des Täters die Zahlung zu übernehmen, weil sie argumentieren, der Täter habe vorsätzlich gehandelt. Aber beim Urteil im Strafgerichtsprozess argumentierte das Gericht, der Täter habe die durch den Sturz entstandenen Folgen auf gar keinen Fall gewollt. Deswegen blieb es damals bei einer Strafe von zwei Jahren Haft zur Bewährung. Und da somit rechtskräftig entschieden ist, dass die Folgen nicht vorsätzlich verursacht wurden, müsste die Versicherung zahlen. Der Vorsatz im Versicherungsrecht beschreibt nämlich das Resultat einer Aktion und nicht die Aktion selber.

DFB.de: Wann wird das Urteil gefällt?

Rickels: Da ich aktuell die Klage gegen meinen Anwalt begonnen habe, welcher einen schweren Fehler begangen haben soll, gibt es am Mittwoch das erste Urteil in dem vierten Rechtsstreit, seit der Tat. Ich hoffe natürlich, dass nach 13 Jahren eine Entscheidung gefällt wird, mit der ich endlich zur Ruhe kommen kann. Mir fehlt aber der Glaube. Verfahren, bei denen es um die Wiedergutmachung für Opfer von Gewalttaten geht, dürften in Deutschland nicht so lange dauern.  

DFB.de: Sie haben die Initiative "first togetherness" gegründet und erzählen Ihre Geschichte an Schulen und im Auftrag der Sepp-Herberger-Stiftung in Haftanstalten. Ihre Botschaft, auf vier Worte verkürzt, lautet "Gewalt ist nicht cool". Erreichen Sie die Kids in den Brennpunktschulen und die jungen Haftinsassen?

Rickels: Die Jugendlichen sehen, erleben, fühlen, was passiert ist. Was ein Schlag für ein ganzes Leben bewirken kann. Und wir treffen uns auf Augenhöhe. Ich bin eben nicht der mit dem pädagogischen Zeigefinger, ich bin null Komma null der Moralapostel. In meinem Leben vor diesem 28. September 2007 habe ich mich auch geschlagen. Scheiße gebaut. Das macht die Tür auf. Die hören mir zu und denken irgendwann, das könnte auch mir passieren. 

DFB.de: Mancher Schiedsrichter leitet nach einem feigen Angriff, einem Faustschlag, nie mehr ein Spiel. Auch aus Angst, es könnte wieder passieren. Was können Sie einem Schiedsrichter raten, der Opfer einer Körperverletzung geworden ist?

Rickels: Was kann man dem raten? Sicher erstmal eine Pause zu machen. Das ganze Leben wieder mit Bedacht angehen. Und dann aber auch weiter. Man darf sich nicht verstecken. Dieser Schlag hat mich nicht umgebracht. Ich würde einem Schiedsrichter, der so etwas erlebt hat, sagen wollen: Wir lassen uns doch von so einem Idioten nicht den Schneid abkaufen. Dann haben die gewonnen, und die sollen nicht gewinnen. Gerade beim Fußball herrscht oft so ein Gruppenzwang. Man muss cool sein, man muss hart sein, man muss brutal sein. Das müssen wir durchbrechen. Wir müssen ein anderes Cool etablieren. Wenn jeder bei sich selbst bleibt, ist schon viel gewonnen. Dadurch würden wir auch im Fußball eine nachhaltige Veränderung hinbekommen.

DFB.de: Zwei Jahre dauerte die Zusammenarbeit mit Ihrem Co-Autoren Alex Raack. Wie war die Erfahrung?

Rickels: Das war sehr gut. Wir haben uns auf Anhieb verstanden. Wir konnten offen miteinander reden, mussten uns nicht verstellen. 

DFB.de: "Schicksalsschlag" ist ein sehr ehrliches und schonungsloses Buch. Alex Raack erzählt die gesamte Geschichte in Form einer direkten Anrede, also in der Du-Form. Dadurch wird auch ein kritisches Hinterfragen möglich, vielleicht auch Fragen, auf die es keine endgültigen Antworten geben kann. Ob bei Ihnen wirklich das Anliegen im Vordergrund steht oder doch das Verlangen nach öffentlicher Anerkennung. Ob sie nicht endlich das Thema gehen lassen müssten. Wie schwer fiel es Ihnen, diese Fragen im Buch stehen zu lassen?

Rickels: Ich war früher ein Obermacker, einer der sich geschlagen hat, großspurig, immer ganz vorne mit dabei. Das wollte ich nie verschweigen. Und da Alex mich nicht direkt kritisiert, sondern Fragen stellt, welche sich vielleicht viele Leserinnen und Leser stellen werden, deute ich das überhaupt nicht als Kritik. Es sind Fragen, auf die ich antworten kann und keine Feststellungen. Ich hoffe, dass die Leser sich diese Fragen vielleicht sogar schon selbst beantworten können.

DFB.de: Sind Sie durch den 28. September 2007 ein besserer Mensch geworden als es der Obermacker von Friedeburg, wie Sie sich im Buch nennen, je geworden wäre? Sind Sie an dem Schlag gewachsen?

Rickels: Nein, das will ich nicht sagen. Heute bin ich bei mir selbst. Damals versuchte ich auf andere zu wirken. Aber diese Veränderung hätte ich auch ohne diesen scheiß Schlag hinbekommen.

DFB.de: Sie strecken am Ende des Buches die Hand zu dem Täter aus. Der hatte sich bei Ihrer Familie gemeldet, als Sie noch im Koma lagen, aber damals wies die Familie seine Kontaktaufnahme zurück, was ja in den ersten Wochen absolut verständlich war. Ein weiteres Mal hat der Täter versucht Sie im Krankenhaus zu erreichen und Sie haben ihn abgewiesen, da Sie das für sich noch gar nicht verarbeitet hatten. Seitdem gab es kein Zeichen mehr vom Täter. Hat sich Kai G. inzwischen bei Ihnen gemeldet?

Rickels: Nein. Er tut sich selbst damit keinen Gefallen. Und ich weiß auch überhaupt nicht, wie es ihm geht. Vielleicht kann er das alles gar nicht mehr an sich ranlassen. Aber das kostet auch zu viel Kraft darüber zu spekulieren. Meine Hand bleibt ausgestreckt und was er damit macht, muss er selber wissen.

[th]

Ein Faustschlag brachte Christoph Rickels zu Fall. Seitdem hat er eine Botschaft. Er lernte Yvonne Catterfeld und Jörg Pilawa kennen, wurde vielfach ausgezeichnet und sprach in der ausverkauften Arena auf Schalke. Er hält Vorträge für die DFB-Stiftung Sepp Herberger. Im September erschien seine bewegende und vielschichtige Geschichte unter dem Titel "Schicksalsschlag". 208 Seiten, alle fesselnd, keine leicht. DFB.de sprach mit dem 33-Jährigen über - auch im Fußball existierende - Gewaltkulturen.    

DFB.de: Herr Rickels, ist es eigentlich eine gute oder eine schlechte Idee, während eines Lockdowns ein Buch auf den Markt zu bringen?

Christoph Rickels: Kann ich gar nicht sagen, da fehlt mir das Fachwissen, wie das Buchgeschäft genau funktioniert. "Schicksalsschlag" ist jedenfalls im September erschienen und ich habe von vielen Lesern tolle Rückmeldungen bekommen.  

DFB.de: Vor 13 Jahren werden Sie vor einer Diskothek im ostfriesischen Aurich brutal niedergeschlagen. Ungebremst schlägt Ihr Schädel auf den Boden. Sofort beginnen Stammganglienblutungen in ihrem Kopf. Das Wetter ist schlecht, deshalb startet kein Notfallhelikopter. Als der Krankenwagen nach Stunden im Ludmillenstift in Meppen eintrifft, müssen die Ärzte sofort Löcher in ihrem Schädel bohren, so stark sind die Schwellungen. Monatelang liegen Sie im Koma. Bis heute leiden Sie unter Lähmungen der rechten Körperseite sowie Beeinträchtigungen ihrer Sprach- und Merkfähigkeiten. Dennoch ist "Schicksalsschlag" ein Buch über Zuversicht. Wie schaffen sie das? 

Rickels: Die öffentliche Anerkennung, die vielen guten Menschen, denen ich begegnet bin, auch meine innere Überzeugung, dass ich auf meinem Weg noch Großes bewegen kann – das gibt mir Kraft. Ich bin nicht mehr nur das Opfer. Ich bin heute ein Typ mit Mumm, der seine Geschichte erzählen kann. Aber ich will auch nicht verhehlen, dass die Gerichtsprozesse, die sich nun schon über 13 Jahre ziehen, mir sehr zusetzen.

DFB.de: Letztlich wurde Ihnen gerichtlich ein Schadensersatz zugesprochen. Wie hoch ist die Summe?

Rickels: Das Gericht hat auf 200.000 Euro Schadensersatz entschieden. Das Urteil ist lange schon rechtskräftig. Aber der Täter ist in die Privatinsolvenz gegangen und aus der Insolvenzmasse bekomme ich nur ein paar hundert Euro jährlich ausgezahlt. Bis heute weigert sich die Haftpflichtversicherung des Täters die Zahlung zu übernehmen, weil sie argumentieren, der Täter habe vorsätzlich gehandelt. Aber beim Urteil im Strafgerichtsprozess argumentierte das Gericht, der Täter habe die durch den Sturz entstandenen Folgen auf gar keinen Fall gewollt. Deswegen blieb es damals bei einer Strafe von zwei Jahren Haft zur Bewährung. Und da somit rechtskräftig entschieden ist, dass die Folgen nicht vorsätzlich verursacht wurden, müsste die Versicherung zahlen. Der Vorsatz im Versicherungsrecht beschreibt nämlich das Resultat einer Aktion und nicht die Aktion selber.

DFB.de: Wann wird das Urteil gefällt?

Rickels: Da ich aktuell die Klage gegen meinen Anwalt begonnen habe, welcher einen schweren Fehler begangen haben soll, gibt es am Mittwoch das erste Urteil in dem vierten Rechtsstreit, seit der Tat. Ich hoffe natürlich, dass nach 13 Jahren eine Entscheidung gefällt wird, mit der ich endlich zur Ruhe kommen kann. Mir fehlt aber der Glaube. Verfahren, bei denen es um die Wiedergutmachung für Opfer von Gewalttaten geht, dürften in Deutschland nicht so lange dauern.  

DFB.de: Sie haben die Initiative "first togetherness" gegründet und erzählen Ihre Geschichte an Schulen und im Auftrag der Sepp-Herberger-Stiftung in Haftanstalten. Ihre Botschaft, auf vier Worte verkürzt, lautet "Gewalt ist nicht cool". Erreichen Sie die Kids in den Brennpunktschulen und die jungen Haftinsassen?

Rickels: Die Jugendlichen sehen, erleben, fühlen, was passiert ist. Was ein Schlag für ein ganzes Leben bewirken kann. Und wir treffen uns auf Augenhöhe. Ich bin eben nicht der mit dem pädagogischen Zeigefinger, ich bin null Komma null der Moralapostel. In meinem Leben vor diesem 28. September 2007 habe ich mich auch geschlagen. Scheiße gebaut. Das macht die Tür auf. Die hören mir zu und denken irgendwann, das könnte auch mir passieren. 

DFB.de: Mancher Schiedsrichter leitet nach einem feigen Angriff, einem Faustschlag, nie mehr ein Spiel. Auch aus Angst, es könnte wieder passieren. Was können Sie einem Schiedsrichter raten, der Opfer einer Körperverletzung geworden ist?

Rickels: Was kann man dem raten? Sicher erstmal eine Pause zu machen. Das ganze Leben wieder mit Bedacht angehen. Und dann aber auch weiter. Man darf sich nicht verstecken. Dieser Schlag hat mich nicht umgebracht. Ich würde einem Schiedsrichter, der so etwas erlebt hat, sagen wollen: Wir lassen uns doch von so einem Idioten nicht den Schneid abkaufen. Dann haben die gewonnen, und die sollen nicht gewinnen. Gerade beim Fußball herrscht oft so ein Gruppenzwang. Man muss cool sein, man muss hart sein, man muss brutal sein. Das müssen wir durchbrechen. Wir müssen ein anderes Cool etablieren. Wenn jeder bei sich selbst bleibt, ist schon viel gewonnen. Dadurch würden wir auch im Fußball eine nachhaltige Veränderung hinbekommen.

DFB.de: Zwei Jahre dauerte die Zusammenarbeit mit Ihrem Co-Autoren Alex Raack. Wie war die Erfahrung?

Rickels: Das war sehr gut. Wir haben uns auf Anhieb verstanden. Wir konnten offen miteinander reden, mussten uns nicht verstellen. 

DFB.de: "Schicksalsschlag" ist ein sehr ehrliches und schonungsloses Buch. Alex Raack erzählt die gesamte Geschichte in Form einer direkten Anrede, also in der Du-Form. Dadurch wird auch ein kritisches Hinterfragen möglich, vielleicht auch Fragen, auf die es keine endgültigen Antworten geben kann. Ob bei Ihnen wirklich das Anliegen im Vordergrund steht oder doch das Verlangen nach öffentlicher Anerkennung. Ob sie nicht endlich das Thema gehen lassen müssten. Wie schwer fiel es Ihnen, diese Fragen im Buch stehen zu lassen?

Rickels: Ich war früher ein Obermacker, einer der sich geschlagen hat, großspurig, immer ganz vorne mit dabei. Das wollte ich nie verschweigen. Und da Alex mich nicht direkt kritisiert, sondern Fragen stellt, welche sich vielleicht viele Leserinnen und Leser stellen werden, deute ich das überhaupt nicht als Kritik. Es sind Fragen, auf die ich antworten kann und keine Feststellungen. Ich hoffe, dass die Leser sich diese Fragen vielleicht sogar schon selbst beantworten können.

DFB.de: Sind Sie durch den 28. September 2007 ein besserer Mensch geworden als es der Obermacker von Friedeburg, wie Sie sich im Buch nennen, je geworden wäre? Sind Sie an dem Schlag gewachsen?

Rickels: Nein, das will ich nicht sagen. Heute bin ich bei mir selbst. Damals versuchte ich auf andere zu wirken. Aber diese Veränderung hätte ich auch ohne diesen scheiß Schlag hinbekommen.

DFB.de: Sie strecken am Ende des Buches die Hand zu dem Täter aus. Der hatte sich bei Ihrer Familie gemeldet, als Sie noch im Koma lagen, aber damals wies die Familie seine Kontaktaufnahme zurück, was ja in den ersten Wochen absolut verständlich war. Ein weiteres Mal hat der Täter versucht Sie im Krankenhaus zu erreichen und Sie haben ihn abgewiesen, da Sie das für sich noch gar nicht verarbeitet hatten. Seitdem gab es kein Zeichen mehr vom Täter. Hat sich Kai G. inzwischen bei Ihnen gemeldet?

Rickels: Nein. Er tut sich selbst damit keinen Gefallen. Und ich weiß auch überhaupt nicht, wie es ihm geht. Vielleicht kann er das alles gar nicht mehr an sich ranlassen. Aber das kostet auch zu viel Kraft darüber zu spekulieren. Meine Hand bleibt ausgestreckt und was er damit macht, muss er selber wissen.

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