Gewalt? Wer weggeht, ist cool

Trainer und Spieler wie Otto Rehhagel, Horst Eckel oder Jens Nowotny gehen seit 40 Jahren freiwillig ins Gefängnis, um dort Strafgefangene auf ihrem Weg zurück in ein bürgerliches Leben zu unterstützen. Nun bat Deutschlands älteste Fußballstiftung erstmals das Opfer einer Gewalttat, jugendliche Straftäter mit den Folgen ihres Gesetzesbruchs zu konfrontieren. Eine Reportage über den Besuch von Christoph Rickels bei der "Anstoß-Gruppe" der DFB-Stiftung Sepp Herberger in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf.

Die Luft verdickt, Wände rücken zusammen. So jugendlich lässig die Atmosphäre während Christoph Rickels' Vortrag auch meistens sein mag, es gibt auch die schweren Momente. Es muss sie geben. Etwa wenn der heute 30 Jahre alte schwerbehinderte Rickels erzählt: "Der Täter hat nicht einen Tag eingesessen. Ich sehe heute so aus und der Täter zahlt nichts." Wir sind tief im Inneren der JVA Wuppertal-Ronsdorf. Erst 2012 wurde der 179 Millionen Euro teure Komplex fertiggestellt. Lange weiße Gänge, mindestens fünf Türen sind auf- und hinter uns wieder abgeschlossen worden. Trotz aller Modernität sind die Schlüssel riesig. Gefängnisschlüssel müssen scheinbar Kerkerschlüssel sein.

Acht junge Strafgefangene sitzen nun vor Christoph Rickels. Wegen organisierter Kriminalität, wegen Hehlerei, auch wegen Gewaltverbrechen sind sie hier eingebuchtet. "Wir haben alles, vom Eierdieb bis zum Mörder", flachst ein JVA-Mitarbeiter. Weil sich die acht jungen Männer vorbildlich verhalten haben und weil sie den Fußball lieben, ist hier in diesem Trakt, in dem die "Anstoß-Gruppe" einsitzt, alles etwas geräumiger und freundlicher eingerichtet. Aber als Rickels über den Täter spricht, wird die Luft dick, der Raum schrumpft. Köpfe klappen zur Brust, auf Unterlippen wird genagt.

Er wollte einer Frau einen Drink ausgeben

Christoph Rickels, heute 30, spendiert am 29. September 2007 in einer Discothek in Aurich einer jungen Frau einen Drink. Als er später alleine die Disco verlässt, schlendernd, stürzt der eifersüchtige Freund der jungen Frau, ein Leistungssportler, auf ihn zu. Die Überwachungskamera filmt von schräg oben mit. Der Täter nimmt Anlauf, zwei schnelle Schritte, er holt weit aus. Der Fausthieb trifft Christoph Rickels mit größter Wucht an seiner linken Schläfe. Er verliert sofort das Bewusstsein, der Körper dreht sich nach rechts und er schlägt mit dem Gesicht frontal auf den Steinboden. Als er am Boden liegt, donnert ihm der Täter noch einen Faustschlag ins Gesicht. Der Aufprall verursacht ein sechsfaches Hirnbluten. Er liegt vier Monate im Koma, einen Tag vor Heiligabend wacht er wieder auf.

Die schwere Schädigung seines Sprachzentrums und eine halbseitige Lähmung gehören zu den irreversiblen Folgen. Der Täter erhält eine Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Das Gericht begründet das milde Urteil, er habe Rickels' schwere gesundheitliche Schädigung schließlich nie beabsichtigt. Der Täter meldet sofort private Insolvenz an. Seine Versicherungsgesellschaft wiederum argumentiert, es habe Vorsatz vorgelegen und verweigert deshalb die Zahlung einer Entschädigung. Rickels gründet den Verein "first togetherness" und hält gewaltpräventive Vorträge. Bundespräsident Joachim Gauck lädt ihn ein und viele Prominente, darunter etwa Yvonne Catterfeld, Jörg Pilawa und Wolfgang Stumph unterstützen sein Wirken. Bis heute klagt er sich durch die Instanzen - bis heute ohne ein zufriedenstellendes Urteil zu erwirken. 



Trainer und Spieler wie Otto Rehhagel, Horst Eckel oder Jens Nowotny gehen seit 40 Jahren freiwillig ins Gefängnis, um dort Strafgefangene auf ihrem Weg zurück in ein bürgerliches Leben zu unterstützen. Nun bat Deutschlands älteste Fußballstiftung erstmals das Opfer einer Gewalttat, jugendliche Straftäter mit den Folgen ihres Gesetzesbruchs zu konfrontieren. Eine Reportage über den Besuch von Christoph Rickels bei der "Anstoß-Gruppe" der DFB-Stiftung Sepp Herberger in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf.

Die Luft verdickt, Wände rücken zusammen. So jugendlich lässig die Atmosphäre während Christoph Rickels' Vortrag auch meistens sein mag, es gibt auch die schweren Momente. Es muss sie geben. Etwa wenn der heute 30 Jahre alte schwerbehinderte Rickels erzählt: "Der Täter hat nicht einen Tag eingesessen. Ich sehe heute so aus und der Täter zahlt nichts." Wir sind tief im Inneren der JVA Wuppertal-Ronsdorf. Erst 2012 wurde der 179 Millionen Euro teure Komplex fertiggestellt. Lange weiße Gänge, mindestens fünf Türen sind auf- und hinter uns wieder abgeschlossen worden. Trotz aller Modernität sind die Schlüssel riesig. Gefängnisschlüssel müssen scheinbar Kerkerschlüssel sein.

Acht junge Strafgefangene sitzen nun vor Christoph Rickels. Wegen organisierter Kriminalität, wegen Hehlerei, auch wegen Gewaltverbrechen sind sie hier eingebuchtet. "Wir haben alles, vom Eierdieb bis zum Mörder", flachst ein JVA-Mitarbeiter. Weil sich die acht jungen Männer vorbildlich verhalten haben und weil sie den Fußball lieben, ist hier in diesem Trakt, in dem die "Anstoß-Gruppe" einsitzt, alles etwas geräumiger und freundlicher eingerichtet. Aber als Rickels über den Täter spricht, wird die Luft dick, der Raum schrumpft. Köpfe klappen zur Brust, auf Unterlippen wird genagt.

Er wollte einer Frau einen Drink ausgeben

Christoph Rickels, heute 30, spendiert am 29. September 2007 in einer Discothek in Aurich einer jungen Frau einen Drink. Als er später alleine die Disco verlässt, schlendernd, stürzt der eifersüchtige Freund der jungen Frau, ein Leistungssportler, auf ihn zu. Die Überwachungskamera filmt von schräg oben mit. Der Täter nimmt Anlauf, zwei schnelle Schritte, er holt weit aus. Der Fausthieb trifft Christoph Rickels mit größter Wucht an seiner linken Schläfe. Er verliert sofort das Bewusstsein, der Körper dreht sich nach rechts und er schlägt mit dem Gesicht frontal auf den Steinboden. Als er am Boden liegt, donnert ihm der Täter noch einen Faustschlag ins Gesicht. Der Aufprall verursacht ein sechsfaches Hirnbluten. Er liegt vier Monate im Koma, einen Tag vor Heiligabend wacht er wieder auf.

Die schwere Schädigung seines Sprachzentrums und eine halbseitige Lähmung gehören zu den irreversiblen Folgen. Der Täter erhält eine Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Das Gericht begründet das milde Urteil, er habe Rickels' schwere gesundheitliche Schädigung schließlich nie beabsichtigt. Der Täter meldet sofort private Insolvenz an. Seine Versicherungsgesellschaft wiederum argumentiert, es habe Vorsatz vorgelegen und verweigert deshalb die Zahlung einer Entschädigung. Rickels gründet den Verein "first togetherness" und hält gewaltpräventive Vorträge. Bundespräsident Joachim Gauck lädt ihn ein und viele Prominente, darunter etwa Yvonne Catterfeld, Jörg Pilawa und Wolfgang Stumph unterstützen sein Wirken. Bis heute klagt er sich durch die Instanzen - bis heute ohne ein zufriedenstellendes Urteil zu erwirken. 

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Rickels: "Gewalt macht nur kaputt"

Zurück in Wuppertal. Die Hand, mit der Christoph Rickels das nächste Schaubild seiner Powerpoint-Präsentation anklickt, ist im Krampf verdreht, eine Körperhälfte ist gelähmt. Er redet schleppend, dabei bewegend. Er weiß genau, wie er seine Zuhörer mitnimmt. "Ich bin kaputt", sagt er den acht Strafgefangenen und zeigt Bilder vom jungen Christoph Rickels, der Schulsprecher war, Fußballer, Musiker, ein muskelbepackter It-Boy. "Heute kann ich nicht mehr rennen, ich kann nicht mal mehr gerade laufen." Er sagt: "Gewalt macht nur kaputt, in so viele Richtungen macht Gewalt alles kaputt." Sein Vortrag ist ein Appell gegen die Fahrlässigkeit. Gegen die Beiläufigkeit von Gewalt im Leben Jugendlicher. Denn natürlich haben die zwei Schläge auch das Leben des Täters unwiderruflich zum Schlimmsten gewendet, moralisch und finanziell.

Den Faustschlag hat Rickels auf seine Internetseite gestellt, inzwischen hält er seinen Vortrag in ganz Deutschland, in Schulen und auch in Gefängnissen. Als er (zum 100. Mal?) den alles verändernden Schlag sieht, sagt er "Ich rechne mit nichts." Dann sagt er "verdammt", was so ziemlich sein Lieblingswort ist. Er sagt: "Ich war 20 und lag mit Pampers im Krankenhausbett, verdammt." Er sieht seine Geschichte auch als Zeitzeichen. Er sagt: "Wir sind überall nur noch Konkurrenten. Wir müssen wieder lernen, zusammen gut zu sein." Jugendliche bräuchten eine neue Definition von Coolness. Nicht der der zuschlägt sei cool, sondern der der weggeht. Connor Oberst hat mal ein schönes Lied über die Idee des sich gegenseitig am Leben lassen gesungen, den "Land Locked Blues" mit der Zeile "If you walk away, I walk away".

Wie so oft beim philanthropischen Bemühen des Fußballs, stand auch beim Einsatz für Resozialisierung am Anfang ein einzelner Mensch. Kein dickes Programm, kein klares Konzept, sondern der fast basisgenetische Drang Gutes zu tun. Sepp Herberger besuchte 1970 die Insassen der Justizvollzugsanstalt Bruchsal, sein Ringen um die Zukunft der Strafgefangen wurde sieben Jahre später in der in seinem Namen gegründeten DFB-Stiftung institutionalisiert. "Anstoß für ein neues Leben", die Resozialisierungs-Initiative der Herberger-Stiftung, ist heute ein bundesweit anerkanntes Programm, umgesetzt in 17 Justizvollzugsanstalten aus neun Bundesländern, inklusive Kursen zur Ausbildung als Schiedsrichter oder Trainer, einer Vereinsvermittlung nach der Entlassung und dank der Kooperation mit der Bundeagentur für Arbeit einer Hilfe bei der Jobsuche. In Wuppertal-Ronsdorf kooperierte die Haftanstalt zudem mit dem Fußballverein vor Ort, dem TSV Ronsdorf. Vollzugsgelockerte Gefangene besuchen das Training des Vereins, man bietet Schiedsrichterausbildungen an und geht ins Gefängnis für Freundschaftsspiele. 

Stärkung von Fair Play im Jugendfußball

Und doch, trotz der "Anstoß-Initiative" und einer in Summe sinkenden pro-Kopf-Gefährdung durch Kriminalität: Gewalt ist auf dem Vormarsch. 2016 verzeichnete man in Deutschland 6,7 Prozent mehr Gewaltdelikte als im Vorjahr. Insgesamt kam es im Land während des vergangenen Jahres zu 193.542 gewaltkriminellen Straftaten. Die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen stieg von 127.395 (2015) auf 140.033 Fälle, was sogar einem Anstieg um 9,9 Prozent entspricht. Und jede fünfte Straftat in Deutschland wird hier in NRW verübt. Der Fußball bleibt nicht unberührt von der wachsenden Gewaltbereitschaft von Jugendlichen und sogar Kindern. In Hannover trat jetzt ein Fünfjähriger beim Bambinitraining einem auf dem Boden sitzenden Spielkameraden aus vollem Lauf gegen den Kopf. Die Sporthochschule Köln fragte an der Fußballbasis nach, was man vom DFB und seinen Landesverbänden erwarte. Die Stärkung von Fair Play im Jugendfußball war die meistgenannte Antwort.  

Christoph Rickels hat seinen Vortrag beendet. Nach 90 Minuten hat er alles gesagt, und für einen langen Moment sind alle still. Doch sie wollen mit ihm reden. Einer sagt: "Dass du hierherkommst, mit deiner Behinderung, und dann so einen Vortrag hältst, da habe ich einen riesigen Respekt." Einer beschreibt, dass man bei einer Schlägerei nie an die Konsequenzen denkt. "Ich weiß nicht, wie es das nächste Mal sein wird, wenn mich einer herausfordert. Aber eins weiß ich, nach heute werde ich zuerst mal überlegen." Und ein anderer sagt: "Heute Abend nach dem Verschluss werden bestimmt viele nochmal über Christophs Geschichte nachdenken."

Und das ist doch schon eine ganze Menge.

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