Gegen Mexiko: Anfang schlecht, Ende gut

Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

29. Juni 1998 in Montpellier - Achtelfinale: Deutschland - Mexiko 2:1

Vor dem Spiel:

Noch immer rätselte Fußball-Deutschland darüber, wo der Europameister seine Form gelassen hatte. "Allgemeine Verunsicherung", stellte Meistertrainer Udo Lattek in der Welt am Sonntag fest und Bild fragte: "Warum kommt keine Freude auf?" Der kicker forderte: "Zeigt endlich, was ihr könnt!" Bundestrainer Berti Vogts entgegnete: "Ich habe meiner Mannschaft nie verboten, attraktiven Fußball zu spielen." Er erinnerte daran, dass in Vorrunden selten geglänzt wurde und es anderen Favoriten in Frankreich nicht besser ergehe. Immerhin hatte er ein Dauerthema beendet: Die Libero-Frage war geklärt. Lothar Matthäus hatte sie für sich entschieden und die Journalisten waren auf die Reaktion des Verlierers gespannt. Olaf Thon äußerte sich erwartungsgemäß "sehr enttäuscht" über seine Degradierung. "Es fällt mir sehr schwer, diese Entscheidung zu akzeptieren", erklärte er und betonte, dass die Befragung "vieler Mitspieler" ergeben habe, dass sie es auch nicht verstünden. Aber "wir reden hier von Teamwork, da kann ich nicht gleich nach der ersten Auswechslung Theater machen". Matthäus rief ihn zur Ordnung: "Die Entscheidung hat auch Olaf Thon zu akzeptieren."

Thon blieb also draußen und so gab es im vierten Spiel die vierte Aufstellung. Da Jürgen Kohler mit einer Wadenverletzung plötzlich ausfiel, gab in der Abwehr Bayern Münchens Markus Babbel sein WM-Debüt in der Startelf. Das Mittelfeld blieb fast unverändert, den von Matthäus geräumten Platz bekam Bayerns Dietmar Hamann. Weil sich Vogts also für "den Bayern-Block" entschieden hatte, blieb auch der Dortmunder Andreas Möller draußen. Ob er nun seine Stammformation gefunden habe, wurde der Bundestrainer vor dem Spiel gefragt. Die Antwort dürfte auch Möller und Thon interessiert haben: "Man kann nicht von einer Stammformation sprechen. Im nächsten Spiel kann schon wieder alles anders aussehen."

Das nächste Spiel ging gegen die ebenfalls noch ungeschlagenen Mexikaner, die Gruppenzweiter geworden waren und mit "deutschen Tugenden" überraschten. Sowohl gegen die Niederlande als auch gegen Belgien holten sie einen 0:2-Rückstand auf und retteten noch einen Punkt. In Mexiko gingen die Menschen auf die Straße und sangen "Si, se puede" – ja, man kann. Legionäre hatten sie nicht. Ihr Star war der langhaarige Stürmer Luis Hernandez, der gegen die Holländer in letzter Minute ausgeglichen hatte. Selbstbewusst äußerte er: "Natürlich ist Deutschland der Favorit. Aber ich denke, dass unsere Mannschaft durchaus gute Chancen hat, das Spiel zu gewinnen. Wir sind keine Gurkentruppe." Gespannt war man auch auf Torwart Jorge Campos, der wie einst Kolumbiens Rene Higuita bei der WM 1990 den Drang verspürte, mitzuspielen – und sogar zuweilen die Freistöße schoss. In einer Saison kam er mal auf 13 Treffer, darunter ein Fallrückzieher. So einen nennt man schnell verrückt – und so lautete auch sein Spitzname: "El loco" – der Verrückte.

Verzichten mussten sie nur auf Mittelfeldspieler Jesus Ramirez, der in der hektischen Schlussphase des Holland-Spiels als bereits zweiter Mexikaner bei dieser WM Rot gesehen hatte. Keine Frage, Deutschland traf auf eine temperamentvolle Mannschaft.



Im Sommer nimmt Deutschland zum 19. Mal an einer WM-Endrunde teil. DFB.de dokumentiert in einer 106-teiligen Serie alle Spiele seit 1934. Sie enthält die obligatorischen Daten und Fakten, eine kurze Übersicht zur jeweiligen Ausgangslage und den Spielbericht. Darüber hinaus finden sich in der Rubrik "Stimmen zum Spiel" Zitate, die das unmittelbar danach Gesagte oder Geschriebene festhalten und das Ereignis wieder aufleben lassen.

29. Juni 1998 in Montpellier - Achtelfinale: Deutschland - Mexiko 2:1

Vor dem Spiel:

Noch immer rätselte Fußball-Deutschland darüber, wo der Europameister seine Form gelassen hatte. "Allgemeine Verunsicherung", stellte Meistertrainer Udo Lattek in der Welt am Sonntag fest und Bild fragte: "Warum kommt keine Freude auf?" Der kicker forderte: "Zeigt endlich, was ihr könnt!" Bundestrainer Berti Vogts entgegnete: "Ich habe meiner Mannschaft nie verboten, attraktiven Fußball zu spielen." Er erinnerte daran, dass in Vorrunden selten geglänzt wurde und es anderen Favoriten in Frankreich nicht besser ergehe. Immerhin hatte er ein Dauerthema beendet: Die Libero-Frage war geklärt. Lothar Matthäus hatte sie für sich entschieden und die Journalisten waren auf die Reaktion des Verlierers gespannt. Olaf Thon äußerte sich erwartungsgemäß "sehr enttäuscht" über seine Degradierung. "Es fällt mir sehr schwer, diese Entscheidung zu akzeptieren", erklärte er und betonte, dass die Befragung "vieler Mitspieler" ergeben habe, dass sie es auch nicht verstünden. Aber "wir reden hier von Teamwork, da kann ich nicht gleich nach der ersten Auswechslung Theater machen". Matthäus rief ihn zur Ordnung: "Die Entscheidung hat auch Olaf Thon zu akzeptieren."

Thon blieb also draußen und so gab es im vierten Spiel die vierte Aufstellung. Da Jürgen Kohler mit einer Wadenverletzung plötzlich ausfiel, gab in der Abwehr Bayern Münchens Markus Babbel sein WM-Debüt in der Startelf. Das Mittelfeld blieb fast unverändert, den von Matthäus geräumten Platz bekam Bayerns Dietmar Hamann. Weil sich Vogts also für "den Bayern-Block" entschieden hatte, blieb auch der Dortmunder Andreas Möller draußen. Ob er nun seine Stammformation gefunden habe, wurde der Bundestrainer vor dem Spiel gefragt. Die Antwort dürfte auch Möller und Thon interessiert haben: "Man kann nicht von einer Stammformation sprechen. Im nächsten Spiel kann schon wieder alles anders aussehen."

Das nächste Spiel ging gegen die ebenfalls noch ungeschlagenen Mexikaner, die Gruppenzweiter geworden waren und mit "deutschen Tugenden" überraschten. Sowohl gegen die Niederlande als auch gegen Belgien holten sie einen 0:2-Rückstand auf und retteten noch einen Punkt. In Mexiko gingen die Menschen auf die Straße und sangen "Si, se puede" – ja, man kann. Legionäre hatten sie nicht. Ihr Star war der langhaarige Stürmer Luis Hernandez, der gegen die Holländer in letzter Minute ausgeglichen hatte. Selbstbewusst äußerte er: "Natürlich ist Deutschland der Favorit. Aber ich denke, dass unsere Mannschaft durchaus gute Chancen hat, das Spiel zu gewinnen. Wir sind keine Gurkentruppe." Gespannt war man auch auf Torwart Jorge Campos, der wie einst Kolumbiens Rene Higuita bei der WM 1990 den Drang verspürte, mitzuspielen – und sogar zuweilen die Freistöße schoss. In einer Saison kam er mal auf 13 Treffer, darunter ein Fallrückzieher. So einen nennt man schnell verrückt – und so lautete auch sein Spitzname: "El loco" – der Verrückte.

Verzichten mussten sie nur auf Mittelfeldspieler Jesus Ramirez, der in der hektischen Schlussphase des Holland-Spiels als bereits zweiter Mexikaner bei dieser WM Rot gesehen hatte. Keine Frage, Deutschland traf auf eine temperamentvolle Mannschaft.

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Anfang schlecht - Ende gut

Spielbericht:

An einem sonnigen Montagnachmittag (16.30 Uhr Anpfiff) kämpfen Deutschland und Mexiko bei 33 Grad im Schatten um den Einzug ins Viertelfinale. Für die Deutschen ist es eine Pflicht, für die Mexikaner noch immer etwas Besonderes. Zuletzt waren sie dort 1986, als ihnen ausgerechnet die Deutschen den Weg im eigenen Land verstellten. Auf Turnierebene ist es die erste Möglichkeit der Mittelamerikaner für eine Revanche. 20.000 Deutsche sorgen für Heimspielatmosphäre in Montpellier. Johannes B. Kerner unterhält die Daheimgebliebenen am ZDF-Mikrofon, 24,08 Millionen schalten auch an diesem Werktag ein.

Zunächst sind nur kuriose Nebensächlichkeiten zu melden: Thomas Häßler grätscht die Eckfahne um, Jörg Heinrich verliert einen Schuh und wird (vorübergehend) vom Platz geschickt, den Missstand zu beheben. Es vergeht eine Viertelstunde, ehe man von einer Torchance sprechen kann. Mexikos Marcelino Bernal schießt aus fast 35 Metern und überrascht auch Andreas Köpke damit. Der Torwart lässt abprallen, zum Glück ist als erstes Markus Babbel zur Stelle und klärt. Nach 21 Minuten zeigt sich der in Frankreich so gut harmonierende deutsche Sturm endlich. Oliver Bierhoff bedient Jürgen Klinsmann, dem der Ball etwas zu weit von der Brust springt. Campos schnappt ihn sich, ebenso wie Klinsmanns Kopfball nach Matthäus-Zuspiel. "Endlich wagen wir mehr!", heißt es im Spielprotokoll der Bild.

Michael Tarnat packt in der 38. Minute wieder den linken Hammer aus, der kleine Campos (1,78 Meter) kommt gerade noch ran. Dann humpelt Helmer vom Platz (Schlag gegen den Wadenbeinkopf), seine linke Seite übernimmt Christian Ziege. In der 40. Minute findet wieder einmal eine Häßler-Flanke den Kopf von Bierhoff, der trifft die Latte – die größte Chance des Spiels. Auf der Gegenseite entwischt Francisco Palencia dem bisher so zuverlässigen Christian Wörns und schießt aus neun Metern, Köpke verhindert den Rückstand. Keine Tore auf der Anzeigetafel, dafür wird den Fans zur Halbzeit in vier verschiedenen Sprachen geraten: "33 Grad! Trinken Sie Wasser!"

Für die Mannschaft gibt es gleich nach Wiederbeginn eine eiskalte Dusche. Der von Babbel bis dahin gut bewachte Hernandez tanzt im Strafraum Tarnat aus, Wörns grätscht ins Leere und Köpke ist gegen seinen Rechtsschuss machtlos – 0:1. Es ist schon der vierte Treffer des Mexikaners in Frankreich. Vogts bringt nun Andreas Möller für Jörg Heinrich. Er soll die Wende bringen, dagegen droht schon fast das Aus. Nach Babbels Ballverlust im Mittelfeld saust Jesus Arellano los, wird erst nach 50 Metern von Matthäus im Strafraum gestoppt, der aber unfreiwillig Köpke prüft. Der Keeper lenkt den Ball an den Pfosten, über Umwege landet der Abpraller bei Hernandez, der aus fünf Metern überhastet in Köpkes Arme schießt. Glück gehabt!

Die Zeit verrinnt, mit Ulf Kirsten bringt Vogts einen dritten Stürmer. Eine Minute später fällt der Ausgleich: Hamann flankt aus 40 Metern von rechts in den Strafraum, Mexikos Raul Lara lässt den Ball unter der Sohle durchrutschen und legt ihn Klinsmann vor die Füße. Der lässt sich nicht lange bitten und drischt ein – 1:1! Das Tor beflügelt die Deutschen in dem Maße, wie es die Mexikaner entmutigt. Das DFB-Team hat mehr zuzulegen und will den Sieg noch in der regulären Spielzeit. Und sie bekommt ihn: Über Tarnat und Kirsten kommt der Ball in der 86. Minute auf den Kopf von Bierhoff und das bedeutet in jenen Tagen nichts Gutes für den Gegner. Aus 10,5 Metern wuchtet der Torschützenkönig der Serie A den Ball in den Winkel. Man wird die Geschwindigkeit messen und 58,5 km/h ermitteln – absolut unhaltbar.

Kurz darauf ist Schluss und beide Mannschaften verabschieden sich Beifall umrauscht von ihren Fans. Markus Babbel tauscht sein Trikot mit Luis Hernandez, Michael Tarnat braucht bei der Dopingkontrolle zu lange. Der Bus fährt ohne ihn zum Flughafen, ein Betreuer fährt ihn mit dem Pkw hinterher. Die Eile wäre nicht nötig gewesen, die Maschine hat technische Probleme, muss den Start abbrechen. Im zweiten Anlauf klappt es dann. Irgendwie passend zum Spielverlauf. Anfang schlecht, Ende gut – Deutschland steht im Viertelfinale. Bei der Rückkehr nach Le Mas d'Artigny hat Matthäus schon wieder etwas zu feiern. Auch nach Minuten, hat jemand errechnet, ist er nun WM-Rekordspieler. Gegen Mexiko überholt er Uwe Seeler und einen gewissen Diego Maradona.

Aufstellung: Köpke – Wörns, Matthäus, Babbel – Heinrich (58. Möller), Hamann, Helmer (38. Ziege), Tarnat – Hässler (74. Kirsten) – Klinsmann, Bierhoff

Tore: 0:1 Hernandez (47.), 1:1 Klinsmann (75.), 2:1 Bierhoff (86.)

Zuschauer: 35.000

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"Wir haben vorne zwei Killertypen"

Stimmen zum Spiel:

Berti Vogts: "Das war mit Abstand unsere beste Leistung. Wir steigern uns weiter. Wie die Mannschaft bei dieser Hitze gefightet und sich ausgepowert hat – das waren deutsche Tugenden. In der Mannschaft steckt unheimlich viel Charakter. Das gibt uns wahnsinnigen Optimismus für die nächsten Spiele. Aber wenn Köpke nicht gewesen wäre, der weltklasse gehalten hat, wären wir ausgeschieden."

Markus Babbel: "Wir haben vorne zwei Killertypen wie keine andere Mannschaft in der Welt. Ich habe nie geglaubt, dass wir verlieren würden."

Oliver Bierhoff: "Die mexikanische Mannschaft hat ein Kompliment verdient, aber wir haben das Spiel gewonnen. Das heißt: wir waren die Besseren, auch wenn man sich die Torchancen anschaut. Es hat mal wieder geklappt, auch wenn es knapp war und ich hoffe, dass es im Viertelfinale noch besser klappt."

Dietmar Hamann: "Bis zum 1:1 hatte ich gedacht, dass es diesmal schief gehen könnte. Erst danach war ich sicher. Es war diesmal wirklich fünf vor zwölf."

Jürgen Klinsmann: "Wir sind keine Brasilianer. Aber wir haben Kampfkraft und unheimlich viel Charakter. Das zeichnet diese Mannschaft aus. Oliver Bierhoff ist der kopfballstärkste Stürmer der Welt."

Jürgen Kohler: "Ich bin mir sicher, dass wieder Millionen Fans vorm Fernseher gesessen und gesagt haben: Das gibt's doch nicht, die Deutschen!"

Lothar Matthäus: "Zwischendurch haben wir etwas den Faden verloren, aber wir haben ihn wiedergefunden."

Manuel Lapuente (Mexikos Trainer): "Es war nicht einfach gegen einen solchen Gegner. Wir haben gekämpft und unser Bestes gegeben. Wir hätten das zweite Tor machen können, aber für Analysen ist es jetzt noch zu früh. Ich bin stolz auf die Leistung meiner Mannschaft."

Luis Hernandez (Mexiko): "So ist eben Fußball. Wir können aber stolz auf unsere Leistung sein und hoch erhobenen Hauptes nach Mexiko zurück. Wir hätten dieses Spiel gewinnen können."

"Gewonnen hat Deutschland einmal mehr weniger wegen eigener Stärke als dank des von Minute zu Minute sinkenden Selbstvertrauens der Mexikaner." (kicker)

"Nichts mehr mit Taktieren. Nichts mehr mit Diesel-Fußball wie in der Vorrunde. Unsere Männer gaben nach einem 0:1-Rückstand endlich mehr Gas. Vielleicht war dieser Sieg die Zündung, die eine deutsche Mannschaft bei einer WM immer braucht." (Bild)

"Klinsi und Olli – ihr seid unsere Helden. Wir waren fast schon ausgeschieden, dann drehte unser Zaubersturm das Spiel um. Was passiert eigentlich, wenn wir uns einmal nicht auf unsere famosen Tor-Helden verlassen können?" (Hamburger Morgenpost)

"Mexiko streichelte die Herrlichkeit. Die Parteilichkeit des Schiedsrichters begünstigte die Deutschen." (Cuestion/Mexiko)

"Wenn es hart auf hart geht, kommt Deutschland in Fahrt. Wie andere vor ihnen musste Mexiko herausfinden, dass es fatal ist, wenn man Deutschland nicht begräbt." (The Independent/England)

"Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff – der deutsche Rettungsdienst." (Daily Mail/England)

"Deutschland hat sieben Leben." (AS/Spanien)

"Es stand geschrieben: es gibt ein Spiel, das sagt: Der Fußball wurde von den Engländern erfunden, aber immer von den Deutschen gewonnen." (Marca/Spanien)

"Deutschland bleibt Deutschland – mit Nerven aus Stahl." (La Provence/Frankreich)

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