Ganz nah dran: Die "Fast-Nationalspieler"

Der Himmel war dunkel an jenem Mai-Tag 1976, aber die Miene von Bernd Dürnberger war umso heller. Der mitunter etwas unterschätzte, bienenfleißige Mittelfeldspieler von Bayern München war mit 22 Jahren da angekommen, wo alle Fußballer hinwollen: in dem Kreis der A-Nationalmannschaft. Zehn Tage, nachdem "der Wipf", wie die Mitspieler den kleinen Kerl nannten, mit seinen Bayern den Europapokal der Landesmeister zum dritten Mal in Folge gewonnen hatte, winkte der nächste Karrierehöhepunkt. "Ich hatte damals unter Trainer Dettmar Cramer hervorragende Leistungen gebracht und so kam ich erstmals ins Aufgebot. Schon das war ein tolles Erlebnis", erinnert sich Dürnberger noch 45 Jahre später.

Nominiert wurde er nicht für irgendein Freundschaftsspiel, sondern für das entscheidende in der EM-Qualifikation 1976 gegen Spanien. Für Dürnberger war es ein echtes Heimspiel, fand es doch in "seinem" Olympiastadion statt. Als einer von fünf Bayern zog er am Sonntag vor der Partie in die Sportschule Grünwald ein. Bundestrainer Helmut Schön belohnte Dürnbergers Leistungen im Frühjahr 1976, der Heimvorteil mag auch eine Rolle gespielt haben und dass "Schön immer gern auf Blockbildung gesetzt hat". Sepp MaierFranz BeckenbauerKatsche Schwarzenbeck und Rückkehrer Uli Hoeneß, allesamt Weltmeister, machten ihm den Einstand leicht. "In der Woche fühlte ich mich absolut dazugehörig", versichert Dürnberger.

Dann kam das große Spiel im ausverkauften Olympiastadion – und vier der fünf Bayern standen auf dem Rasen. Dürnberger nicht. Mit Rückennummer 14 notiert, verfolgte er das Geschehen von der Ersatzbank aus, was auch einen Vorteil hatte. Dort waren die Reservisten und Betreuer geschützt vor dem heftigen Unwetter, das während der Partie losging. Es wurde ein Sieg mit Blitz und Donner, Hagel- und Regenschauern. All das weiß Bernd Dürnberger noch, von Heldentaten auf dem Rasen als Nationalspieler weiß er allerdings nichts zu berichten. Wie auch? Helmut Schön wechselte, wie so oft, gar nicht aus. Nicht mal warmlaufen musste sich Dürnberger, schließlich lief es ja gut und am Ende stand ein 2:0 für Deutschland. Das war's für Dürnberger, seine Nationalmannschafts-Karriere war vorbei, noch bevor sie begonnen hatte.

Aus der dritten Liga zur A-Mannschaft

Wie ihm erging es überraschend vielen anderen guten Fußballern, sie waren zwar mittendrin, aber doch nie richtig dabei. In der DFB-Historie standen nach dem Zweiten Weltkrieg vom ersten Spiel am 22. November 1950 bis heute 80 Spieler mindestens einmal im endgültigen Aufgebot – und kamen dann doch nicht zum Einsatz für Deutschland. 80 "Nullmalige", 80 "Fast-Nationalspieler" wie Bernd Dürnberger, der bei der anschließenden EM in Jugoslawien auch noch auf Abruf stand, aber "nicht die ganze Zeit am Telefon gesessen hat". Ein halbes Jahr später verletzte er sich schwer, "und das war es dann mit meiner Nationalmannschaftskarriere" – obwohl er noch acht Jahre für Bayern in der Bundesliga (375 Einsätze) spielte.

Der Fall Dürnberger ist nicht ganz repräsentativ für die Spezies der Fußballer, um die es hier geht. Denn er tummelte sich im Vorfeld eines bedeutenden Spiels im Kader. Im Normalfall kommen Spieler zu weniger wichtigen Partien erstmals in den Kader. Sie sollen sich beweisen, die Bundestrainer wollen austesten, ob sie sich für höhere Aufgaben eignen, und wie sie im Mannschaftskreis ankommen und sich verhalten. Sepp Herberger hat allein 58 Spielern Hoffnungen gemacht – und sie doch enttäuschen müssen. Auf die Ägypten-Reise an Neujahr 1959 nahm er sogar einen Drittligaspieler mit, der 19-Jährige Otto Keller vom Bochumer Stadtteilklub Märkischer BV-Linden war der einzige, der auf diesem ungewöhnlichen Trip ins Reich der Pharaonen nicht zum Einsatz kam. Danach ward er nicht mehr gesehen, kam aber zu einem Amateur-Länderspiel und spielte noch vier Jahre erstklassig für den VfL Bochum und Rot-Weiß Oberhausen.

Einen besonders langen Schnupperkurs bei Herberger machte der heute kaum noch bekannte Torjäger Kurt Schulz, der für Tasmania Berlin und den Wuppertaler SV Oberliga spielte und später bei Hertha BSC noch zu Bundesligaehren kam. Herberger lud ihn von 1959 bis 1961 gleich sechsmal ein, ohne ihn je einzusetzen. Eine Erklärung dafür ist, dass damals in Pflichtspielen nicht gewechselt werden durfte – oder in Ausnahmefällen nur in der ersten halben Stunde, bei einer Verletzung. In der Regel galt in der Herberger-Ära: Wer bei Anpfiff nicht auf dem Feld stand, kam nicht mehr rein.

Rekordhalter Wolfgang Paul

So war es auch noch beim ersten großen Turnier unter seinem Nachfolger Helmut Schön, der WM 1966. Dort mussten alle elf Reservisten auf die Tribüne. Weshalb der Dortmunder Kapitän Wolfgang Paul, der im Mai als erster Deutscher einen Europapokal in die Hände nehmen durfte, zum Rekordhalter in der Kategorie der Fast-Nationalspieler wurde. Paul saß bei allen sechs WM-Spielen draußen und wurde zuvor auch im letzten Vorbereitungsspiel gegen Jugoslawien nicht eingesetzt. Willi Schulz, den sie "World Cup-Willi" nannten, war einfach ein zu starker Konkurrent und in jenen Tagen unverzichtbar für die deutsche Abwehr, ebenso Italien-Legionär Karl-Heinz Schnellinger.

Siebenmal nominiert, siebenmal ist nichts passiert – armer Wolfgang Paul. Sein Einsatz gegen eine Budapester Stadtauswahl im Vorfeld der WM gab ihm zwar für einen kurzen Moment das Gefühl der Zugehörigkeit, aber in den Club der Nationalspieler schaffte er es damit auch nicht. Der heute 81-Jährige kann dennoch auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken, wurde Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger und Europacupsieger und spielte fast 200-mal in der Bundesliga. Wie überhaupt für alle Fast-Nationalspieler gilt: Schon die Nominierung ist ein Ritterschlag und Ausweis großer sportlicher Klasse. 

Wolfgang Paul war nur einer von fünf Spielern, die Helmut Schön in 14 Jahren nominierte und doch nie einsetzte. Zwei von ihnen waren Torhüter: der erste und "wahre" Toni (Anton) Schumacher aus Köln und Rekordabsteiger Jürgen Rynio. Unter den "Fast-Nationalspielern" sind die Torhüter besonders häufig vertreten. 15 der 80 "Nullmaligen" standen – wenn sie nicht auf der Bank saßen – zwischen den Pfosten, wobei im Fall Oliver Baumann (Hoffenheim) das letzte Wort noch nicht gesprochen sein muss.

Doppelte Enttäuschung

Auf Helmut Schön folgte Jupp Derwall im Amt des Bundestrainers, der die Liste nur um drei Spieler verlängerte. Zufällig oder auch nicht – alles Spieler, die mit ihren Vereinen gerade Meister geworden waren: Bayern-Keeper Walter Junghans verbrachte die komplette EM 1980 im Wartestand, Thomas von Heesen durfte sich nach großen Leistungen im HSV-Dress Hoffnungen auf die WM 1982 machen, war er doch im letzten Testspiel im Aufgebot, aber Derwall entschied anders. So erging es auch Stuttgarts Verteidiger Günther Schäfer vor der EM 1984. Ihn holte auch Franz Beckenbauer bei seiner Premiere als Teamchef im September 1984 noch mal ins Aufgebot, sodass der kleine VfB-Verteidiger der erste Spieler wurde, der gleich von zwei Bundestrainern enttäuscht wurde.

Beckenbauer ließ in seinen sechs Jahren nur fünf Spieler vergeblich hoffen, am härtesten traf es sicher Bremens Meister-Libero Gunnar Sauer, den er zum Start der EM 1988 eigentlich aufstellen wollte, ihn dann aber das ganze Turnier über nicht berücksichtigte und auch beim ersten Spiel nach dem Turnier auf der Bank beließ.

Posse um Perry Bräutigam

1990 übernahm Berti Vogts den Kommandostab von Beckenbauer und er durfte bald auf die Spieler aus der DDR zurückgreifen. Beim ersten gesamtdeutschen Spiel waren drei "Ossis" im Kader und einer hoffte vergebens auf seinen Einsatz: Jenas Torwart Perry Bräutigam, der sich immerhin gut aufgenommen fühlte: "Im Zimmer stand eine Riesentasche mit T-Shirts, Trainingsanzügen, Fußballschuhen, Laufschuhen. Sowas waren wir aus DDR-Zeiten nicht gewohnt." Wegen der winterlichen Straßenverhältnisse kam er damals übrigens zu spät, was eine herrliche Posse zur Folge hatte. Bundestorwarttrainer Sepp Maier holte sich den Bremer Dieter Eilts, einen anderen Neuling, zum Torwarttraining, denn er hielt ihn für Bräutigam. Das klärte sich alsbald unter großem Gelächter. Nur, eine weitere Chance, dass sich Maier und Bräutigam besser kennenlernen konnten, gab es nicht mehr. Immerhin: Beim Spiel der DFB-Allstars gegen die Azzurri Legends im Oktober 2019 durfte Bräutigam seine Klasse dann doch noch in einer Mannschaft des DFB unter Beweis stellen.

Ein besonderer Fall der Ära Vogts war der KSC-Stürmer Sean Dundee, der 1995 im Aufgebot seines Heimatlands Südafrika stand – just gegen Deutschland. Vogts überredete ihn damals, lieber nicht zu spielen, weil er selbst Pläne mit ihm habe, sobald Dundee den deutschen Pass hätte. So kam es und 1997 saß Dundee zweimal auf der Bank, als Deutschland spielte – und wurde doch nie Nationalspieler. 

Zwei Bundestrainer, ein Schicksal

Dreimal draußen bleiben musste 1998 sogar Schalkes Euro-Fighter Yves Eigenrauch, das letzte Mal schon unter Erich Ribbeck. Nach Schäfer der zweite Spieler, der bei zwei Bundestrainern nur mal reinschnupperte. Außer ihm blieb unter Ribbeck nur Andreas "Zecke" Neuendorf unberücksichtigt, ihn spülte der Höhenflug von Hertha BSC, das 1999 in die Champions League kam, in den Kreis der Nationalmannschaft.

Unter Rudi Völler kam nur der Bochumer Sebastian Schindzielorz hinzu, der kurz vor der WM 2002 vom Verletzungspech anderer profitierte – aber nur als zweimaliger Bankdrücker. Der experimentierfreudige Jürgen Klinsmann verschaffte binnen zwei Jahren zwölf Spielern ihr Länderspieldebüt, nur Wolfsburgs Keeper Simon Jentzsch, der mit auf Asienreise ging, und Moritz Volz, damals FC Fulham, blieben 2004 auf der Bank.

Die Löw-Ära

Seit 2006 amtiert Joachim Löw als Bundestrainer. 2014 machte er 80 Millionen Deutsche und 23 deutsche Fußballer zu Weltmeistern. Löw hat mehr als 100 Fußballer zu Nationalspielern gemacht, und auch ein paar zu Fast-Nationalspielern. Bis es soweit war, vergingen vier Jahre. Kaiserslauterns Tobias Sippel, ein Zweitligatorwart, wurde direkt von der Aufstiegsfeier in den Kreis der Nationalelf berufen. Vor dem WM-Test gegen Malta in Aachen herrschte Not auf dem Posten zwischen den Pfosten, Jörg ButtTim Wiese und René Adler fielen aus und Sippel war als U 21-Torwart der nächste Nachrücker. Gespielt hat er nie, aber immerhin durfte er kurz vom WM-Trip nach Südafrika träumen.

Dann war da noch die Geschichte mit Sven Ulreich. Er hatte Manuel Neuer bei Bayern München lange Zeit so gut vertreten, dass ihn Bundestorwarttrainer Andy Köpke im Herbst 2019 sogar dann noch empfahl, als Neuer wieder fit war und in Verein und Nationalmannschaft spielte. So standen erstmals in der DFB-Historie zwei Torhüter aus einem Verein im Aufgebot (gegen Weißrussland und Estland). Gespielt hat aber nur einer: Neuer. Der andere – Ulreich – war zwar mittendrin, aber eben doch nicht so richtig dabei.

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Der Himmel war dunkel an jenem Mai-Tag 1976, aber die Miene von Bernd Dürnberger war umso heller. Der mitunter etwas unterschätzte, bienenfleißige Mittelfeldspieler von Bayern München war mit 22 Jahren da angekommen, wo alle Fußballer hinwollen: in dem Kreis der A-Nationalmannschaft. Zehn Tage, nachdem "der Wipf", wie die Mitspieler den kleinen Kerl nannten, mit seinen Bayern den Europapokal der Landesmeister zum dritten Mal in Folge gewonnen hatte, winkte der nächste Karrierehöhepunkt. "Ich hatte damals unter Trainer Dettmar Cramer hervorragende Leistungen gebracht und so kam ich erstmals ins Aufgebot. Schon das war ein tolles Erlebnis", erinnert sich Dürnberger noch 45 Jahre später.

Nominiert wurde er nicht für irgendein Freundschaftsspiel, sondern für das entscheidende in der EM-Qualifikation 1976 gegen Spanien. Für Dürnberger war es ein echtes Heimspiel, fand es doch in "seinem" Olympiastadion statt. Als einer von fünf Bayern zog er am Sonntag vor der Partie in die Sportschule Grünwald ein. Bundestrainer Helmut Schön belohnte Dürnbergers Leistungen im Frühjahr 1976, der Heimvorteil mag auch eine Rolle gespielt haben und dass "Schön immer gern auf Blockbildung gesetzt hat". Sepp MaierFranz BeckenbauerKatsche Schwarzenbeck und Rückkehrer Uli Hoeneß, allesamt Weltmeister, machten ihm den Einstand leicht. "In der Woche fühlte ich mich absolut dazugehörig", versichert Dürnberger.

Dann kam das große Spiel im ausverkauften Olympiastadion – und vier der fünf Bayern standen auf dem Rasen. Dürnberger nicht. Mit Rückennummer 14 notiert, verfolgte er das Geschehen von der Ersatzbank aus, was auch einen Vorteil hatte. Dort waren die Reservisten und Betreuer geschützt vor dem heftigen Unwetter, das während der Partie losging. Es wurde ein Sieg mit Blitz und Donner, Hagel- und Regenschauern. All das weiß Bernd Dürnberger noch, von Heldentaten auf dem Rasen als Nationalspieler weiß er allerdings nichts zu berichten. Wie auch? Helmut Schön wechselte, wie so oft, gar nicht aus. Nicht mal warmlaufen musste sich Dürnberger, schließlich lief es ja gut und am Ende stand ein 2:0 für Deutschland. Das war's für Dürnberger, seine Nationalmannschafts-Karriere war vorbei, noch bevor sie begonnen hatte.

Aus der dritten Liga zur A-Mannschaft

Wie ihm erging es überraschend vielen anderen guten Fußballern, sie waren zwar mittendrin, aber doch nie richtig dabei. In der DFB-Historie standen nach dem Zweiten Weltkrieg vom ersten Spiel am 22. November 1950 bis heute 80 Spieler mindestens einmal im endgültigen Aufgebot – und kamen dann doch nicht zum Einsatz für Deutschland. 80 "Nullmalige", 80 "Fast-Nationalspieler" wie Bernd Dürnberger, der bei der anschließenden EM in Jugoslawien auch noch auf Abruf stand, aber "nicht die ganze Zeit am Telefon gesessen hat". Ein halbes Jahr später verletzte er sich schwer, "und das war es dann mit meiner Nationalmannschaftskarriere" – obwohl er noch acht Jahre für Bayern in der Bundesliga (375 Einsätze) spielte.

Der Fall Dürnberger ist nicht ganz repräsentativ für die Spezies der Fußballer, um die es hier geht. Denn er tummelte sich im Vorfeld eines bedeutenden Spiels im Kader. Im Normalfall kommen Spieler zu weniger wichtigen Partien erstmals in den Kader. Sie sollen sich beweisen, die Bundestrainer wollen austesten, ob sie sich für höhere Aufgaben eignen, und wie sie im Mannschaftskreis ankommen und sich verhalten. Sepp Herberger hat allein 58 Spielern Hoffnungen gemacht – und sie doch enttäuschen müssen. Auf die Ägypten-Reise an Neujahr 1959 nahm er sogar einen Drittligaspieler mit, der 19-Jährige Otto Keller vom Bochumer Stadtteilklub Märkischer BV-Linden war der einzige, der auf diesem ungewöhnlichen Trip ins Reich der Pharaonen nicht zum Einsatz kam. Danach ward er nicht mehr gesehen, kam aber zu einem Amateur-Länderspiel und spielte noch vier Jahre erstklassig für den VfL Bochum und Rot-Weiß Oberhausen.

Einen besonders langen Schnupperkurs bei Herberger machte der heute kaum noch bekannte Torjäger Kurt Schulz, der für Tasmania Berlin und den Wuppertaler SV Oberliga spielte und später bei Hertha BSC noch zu Bundesligaehren kam. Herberger lud ihn von 1959 bis 1961 gleich sechsmal ein, ohne ihn je einzusetzen. Eine Erklärung dafür ist, dass damals in Pflichtspielen nicht gewechselt werden durfte – oder in Ausnahmefällen nur in der ersten halben Stunde, bei einer Verletzung. In der Regel galt in der Herberger-Ära: Wer bei Anpfiff nicht auf dem Feld stand, kam nicht mehr rein.

Rekordhalter Wolfgang Paul

So war es auch noch beim ersten großen Turnier unter seinem Nachfolger Helmut Schön, der WM 1966. Dort mussten alle elf Reservisten auf die Tribüne. Weshalb der Dortmunder Kapitän Wolfgang Paul, der im Mai als erster Deutscher einen Europapokal in die Hände nehmen durfte, zum Rekordhalter in der Kategorie der Fast-Nationalspieler wurde. Paul saß bei allen sechs WM-Spielen draußen und wurde zuvor auch im letzten Vorbereitungsspiel gegen Jugoslawien nicht eingesetzt. Willi Schulz, den sie "World Cup-Willi" nannten, war einfach ein zu starker Konkurrent und in jenen Tagen unverzichtbar für die deutsche Abwehr, ebenso Italien-Legionär Karl-Heinz Schnellinger.

Siebenmal nominiert, siebenmal ist nichts passiert – armer Wolfgang Paul. Sein Einsatz gegen eine Budapester Stadtauswahl im Vorfeld der WM gab ihm zwar für einen kurzen Moment das Gefühl der Zugehörigkeit, aber in den Club der Nationalspieler schaffte er es damit auch nicht. Der heute 81-Jährige kann dennoch auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken, wurde Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger und Europacupsieger und spielte fast 200-mal in der Bundesliga. Wie überhaupt für alle Fast-Nationalspieler gilt: Schon die Nominierung ist ein Ritterschlag und Ausweis großer sportlicher Klasse. 

Wolfgang Paul war nur einer von fünf Spielern, die Helmut Schön in 14 Jahren nominierte und doch nie einsetzte. Zwei von ihnen waren Torhüter: der erste und "wahre" Toni (Anton) Schumacher aus Köln und Rekordabsteiger Jürgen Rynio. Unter den "Fast-Nationalspielern" sind die Torhüter besonders häufig vertreten. 15 der 80 "Nullmaligen" standen – wenn sie nicht auf der Bank saßen – zwischen den Pfosten, wobei im Fall Oliver Baumann (Hoffenheim) das letzte Wort noch nicht gesprochen sein muss.

Doppelte Enttäuschung

Auf Helmut Schön folgte Jupp Derwall im Amt des Bundestrainers, der die Liste nur um drei Spieler verlängerte. Zufällig oder auch nicht – alles Spieler, die mit ihren Vereinen gerade Meister geworden waren: Bayern-Keeper Walter Junghans verbrachte die komplette EM 1980 im Wartestand, Thomas von Heesen durfte sich nach großen Leistungen im HSV-Dress Hoffnungen auf die WM 1982 machen, war er doch im letzten Testspiel im Aufgebot, aber Derwall entschied anders. So erging es auch Stuttgarts Verteidiger Günther Schäfer vor der EM 1984. Ihn holte auch Franz Beckenbauer bei seiner Premiere als Teamchef im September 1984 noch mal ins Aufgebot, sodass der kleine VfB-Verteidiger der erste Spieler wurde, der gleich von zwei Bundestrainern enttäuscht wurde.

Beckenbauer ließ in seinen sechs Jahren nur fünf Spieler vergeblich hoffen, am härtesten traf es sicher Bremens Meister-Libero Gunnar Sauer, den er zum Start der EM 1988 eigentlich aufstellen wollte, ihn dann aber das ganze Turnier über nicht berücksichtigte und auch beim ersten Spiel nach dem Turnier auf der Bank beließ.

Posse um Perry Bräutigam

1990 übernahm Berti Vogts den Kommandostab von Beckenbauer und er durfte bald auf die Spieler aus der DDR zurückgreifen. Beim ersten gesamtdeutschen Spiel waren drei "Ossis" im Kader und einer hoffte vergebens auf seinen Einsatz: Jenas Torwart Perry Bräutigam, der sich immerhin gut aufgenommen fühlte: "Im Zimmer stand eine Riesentasche mit T-Shirts, Trainingsanzügen, Fußballschuhen, Laufschuhen. Sowas waren wir aus DDR-Zeiten nicht gewohnt." Wegen der winterlichen Straßenverhältnisse kam er damals übrigens zu spät, was eine herrliche Posse zur Folge hatte. Bundestorwarttrainer Sepp Maier holte sich den Bremer Dieter Eilts, einen anderen Neuling, zum Torwarttraining, denn er hielt ihn für Bräutigam. Das klärte sich alsbald unter großem Gelächter. Nur, eine weitere Chance, dass sich Maier und Bräutigam besser kennenlernen konnten, gab es nicht mehr. Immerhin: Beim Spiel der DFB-Allstars gegen die Azzurri Legends im Oktober 2019 durfte Bräutigam seine Klasse dann doch noch in einer Mannschaft des DFB unter Beweis stellen.

Ein besonderer Fall der Ära Vogts war der KSC-Stürmer Sean Dundee, der 1995 im Aufgebot seines Heimatlands Südafrika stand – just gegen Deutschland. Vogts überredete ihn damals, lieber nicht zu spielen, weil er selbst Pläne mit ihm habe, sobald Dundee den deutschen Pass hätte. So kam es und 1997 saß Dundee zweimal auf der Bank, als Deutschland spielte – und wurde doch nie Nationalspieler. 

Zwei Bundestrainer, ein Schicksal

Dreimal draußen bleiben musste 1998 sogar Schalkes Euro-Fighter Yves Eigenrauch, das letzte Mal schon unter Erich Ribbeck. Nach Schäfer der zweite Spieler, der bei zwei Bundestrainern nur mal reinschnupperte. Außer ihm blieb unter Ribbeck nur Andreas "Zecke" Neuendorf unberücksichtigt, ihn spülte der Höhenflug von Hertha BSC, das 1999 in die Champions League kam, in den Kreis der Nationalmannschaft.

Unter Rudi Völler kam nur der Bochumer Sebastian Schindzielorz hinzu, der kurz vor der WM 2002 vom Verletzungspech anderer profitierte – aber nur als zweimaliger Bankdrücker. Der experimentierfreudige Jürgen Klinsmann verschaffte binnen zwei Jahren zwölf Spielern ihr Länderspieldebüt, nur Wolfsburgs Keeper Simon Jentzsch, der mit auf Asienreise ging, und Moritz Volz, damals FC Fulham, blieben 2004 auf der Bank.

Die Löw-Ära

Seit 2006 amtiert Joachim Löw als Bundestrainer. 2014 machte er 80 Millionen Deutsche und 23 deutsche Fußballer zu Weltmeistern. Löw hat mehr als 100 Fußballer zu Nationalspielern gemacht, und auch ein paar zu Fast-Nationalspielern. Bis es soweit war, vergingen vier Jahre. Kaiserslauterns Tobias Sippel, ein Zweitligatorwart, wurde direkt von der Aufstiegsfeier in den Kreis der Nationalelf berufen. Vor dem WM-Test gegen Malta in Aachen herrschte Not auf dem Posten zwischen den Pfosten, Jörg ButtTim Wiese und René Adler fielen aus und Sippel war als U 21-Torwart der nächste Nachrücker. Gespielt hat er nie, aber immerhin durfte er kurz vom WM-Trip nach Südafrika träumen.

Dann war da noch die Geschichte mit Sven Ulreich. Er hatte Manuel Neuer bei Bayern München lange Zeit so gut vertreten, dass ihn Bundestorwarttrainer Andy Köpke im Herbst 2019 sogar dann noch empfahl, als Neuer wieder fit war und in Verein und Nationalmannschaft spielte. So standen erstmals in der DFB-Historie zwei Torhüter aus einem Verein im Aufgebot (gegen Weißrussland und Estland). Gespielt hat aber nur einer: Neuer. Der andere – Ulreich – war zwar mittendrin, aber eben doch nicht so richtig dabei.

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