Gabriel: "Ein Stadionverbot ist für Fans die härteste Strafe"

Das Wochenende werden die Fan-Beauftragten der Vereine aus der Bundesliga und 2. Bundesliga sowie die Vertreter der 36 organisierten Fan-Projekte in Leipzig verbringen. Auf dem Fan-Kongress "Fußball ist unser Leben – eine Annäherung" bis heute soll ergebnisoffen diskutiert werden. Auch DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger und DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt stellen sich in der Leipziger Universität dem Gespräch. Über 350 Fans werden in Leipzig erwartet. Einen Fan-Kongress von dieser Dimension und Qualität gab es vorher noch nicht – der DFB betritt Neuland mit dem Leipziger Treffen.

Im DFB.de-Interview mit DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth sagt Michael Gabriel, was er sich von dem Kongress verspricht. Der 43-Jährige ist Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). Mit der A- und B-Jugend von Eintracht Frankfurt wurde Gabriel in seinen jüngeren Jahren zweimal Deutscher Meister. Gemeinsam mit Toni Polster stand er in der U 20-Nationalmannschaft Österreichs.

Die KOS wird vom Bund und dem DFB finanziert, ist bei der Deutschen Sportjugend angesiedelt und berät im Rahmen des Nationalen Konzepts Sport und Sicherheit (NKSS) die Fan-Projekte in Deutschland. In der Kongressleitung wird die KOS durch Volker Goll vertreten sein. Gabriel leitet unter anderem das Forum „Spannungsfelder,“bei dem auch das kontrovers diskutierte Thema "Stadionverbote" angesprochen werden soll.

Frage: Herr Gabriel, andere Freizeitaktivitäten haben keine Interessenvertretung. Es gibt kein Projekt der Kinobesucher oder Restaurantgäste in Deutschland. Sehr wohl gibt es aber organisierte Projekte von Fußball-Fans an 36 Stellen in Deutschland. Warum brauchen wir diese öffentlich finanzierte Arbeit?

Michael Gabriel: Kinogänger sorgen in der Regel nicht für Sicherheitsprobleme. Kinogänger brechen keine gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen Kinogängern vom Zaun. Schon immer begleiteten Probleme der Gewalt, des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus den Fußball. Seit 1981 analysieren Fan-Projekte die jeweilige Lage und können Fan-Kultur übersetzen. Sie erklären das Entstehen bestimmter Verhaltensweisen und geben dann Anregungen in die Institutionen – in die Vereine, die Verbände, zur Polizei, zu den Sicherheitsdiensten und Kommunalverantwortlichen.

Frage: Ist der Erfolg messbar?

Michael Gabriel: Sicher nicht wie eine Polizeistatistik. Gerade die Studie des führenden Fan-Forschers Professor Gunter A. Pilz aus dem Jahr 2006 belegt aber eine insgesamt positive Wirkung durch die Arbeit der Fan-Projekte, insbesondere auf rassistisches und rechtsextremistisches Verhalten von Fußball-Fans. Hier wurden große Fortschritte erzielt. Wenn man sich die Stimmung in den Stadien insgesamt anschaut, die tolle Atmosphäre, dann ist eine deutliche Verbesserung festzustellen, zu der auch die Fan-Projekte beigetragen haben.

Frage: Wieso hat der Deutsche Meister VfB Stuttgart kein Fan-Projekt?

Michael Gabriel: Das Land Baden-Württemberg verweigert sich dem Nationalen Konzept für Sport und Sicherheit. Nur Baden-Württemberg und Sachsen beteiligen sich nicht an der Drittelfinanzierung der Fan-Projekte.

Frage: Warum wird der Fan-Kongress in Leipzig eine ganz besondere Veranstaltung?

Michael Gabriel: Neben der Tatsache, dass DFB und DFL die Fans zu diesem Kongress einladen, ist die äußerst transparente und kooperative Vorbereitung zu loben. Alle Fan-Gruppen bundesweit wurden in den Dialog eingebunden. Die Themenfindung und die Gestaltung des Ablaufs geschahen im Gespräch mit Fan-Vertretern. Der Kongress ist ein sehr guter Anfang für einen dauerhaften Dialog.

Frage: Wieviele Teilnehmer werden erwartet?

Michael Gabriel: Wir rechnen mit 350 Teilnehmern aus allen Fan-Szenen. Dass DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger und DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt nach Leipzig kommen, ist ebenfalls ein Indiz dafür, dass ein aufrechter Dialog gesucht wird. Der Kongress wird kein einmaliges Ereignis sein, und wir machen hier keine aufgesetzte PR-Veranstaltung. Das ausgesendete Signal ist sehr glaubwürdig.

Frage: Wie bewerten Sie, über den Kongress hinaus, die Fan-Arbeit des DFB?

Michael Gabriel: Die Anstrengungen wurden intensiviert. Mit Gerald von Gorrissen kümmert sich ein festangestellter DFB-Mitarbeiter um die Belange der Fans. Der DFB hat sich dauerhaft der Fan-Szene zugewendet. Mir gefällt es, dass sich der DFB mittlerweile als offener Verband darstellt und dass diese Offenheit durch Theo Zwanziger glaubhaft repräsentiert wird. Pilz hat in seiner Studie belegt, dass einige Fans ein Feindbild gegenüber dem DFB aufgebaut haben. Der DFB hat nun den richtigen Weg eingeschlagen, dieses Feindbild aufzubrechen.

Frage: Ein Fußball-Fan aus Leipzig wurde vor kurzem für den Steinwurf auf einen Polizisten mit einem Jahr auf Bewährung bestraft. Ist das zu wenig oder zu viel?

Michael Gabriel: Ich bin überzeugt, dass der Richter gute Gründe für sein Urteil hatte. Generell ist es wichtig, dass Reaktionen auf Fan-Verhalten transparent sind. Es dürfen nicht alle Fans über einen Kamm geschoren werden. Gleichzeitig müssen Grenzen aufgezeigt werden. Kein Fan hat etwas dagegen, dass Fehlverhalten bestraft wird. Aber wir sollten auch darauf achten, dass der Rückweg nicht verbaut wird. Bestrafte Fans müssen in die Kurven zurückkehren können. Und den Fans muss eine Wertschätzung gezeigt werden für all das, was sie dem Fußball geben.

Frage: Nach der WM 2006 hat die FIFA an die Fans den Fairplay-Preis verliehen. Es folgten ein stürmischer Winter und turbulentes Frühjahr mit teils heftigen Ausschreitungen, gerade in den unteren Ligen, gerade auch im Osten Deutschlands. Erstaunt es Sie, wie schnell das Sommermärchen harter Realität weichen musste?

Michael Gabriel: Nein. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gegenüber Ausschreitungen beim Fußball gestiegen ist. Entwicklungen müssen langfristig betrachtet werden. Wir haben die höchsten Zuschauerzahlen in ganz Europa. Die Atmosphäre in den Stadien ist toll, und daran haben die Ultras einen großen Anteil. Der Komfort in den Stadien ist gut – die Leute fühlen sich wohl. Die Tendenz ist positiv. Aber wir müssen wachsam bleiben, die Fan-Projekte und Fan-Beauftragten genauso wie der Verband, die Polizei und die Vereine.

Frage: Auch die Länderspiele des DFB werden in Leipzig ein Thema sein.

Michael Gabriel: Die Fans wollen darüber diskutieren, wie man an Karten für Heim- und Auswärtsspiele kommt. Gerade Länderspiele im osteuropäischen Ausland werden von rechtsradikalen Gruppen missbraucht. Diese Gruppen dominieren die Stimmung. Vielleicht können wir in Leipzig gemeinsam darüber nachdenken, wie wir diese negative Atmosphäre verbessern. Die positive Fan-Kultur muss auch bei diesen Spielen die Oberhand behalten. Gerade die Fan-Arbeit rund um die Auswärtsspiele der englischen Nationalmannschaft ist hier sicher ein Vorbild, ebenso wie die Fan-Betreuungsmaßnahmen, die wir bei den letzten Welt- und Europameisterschaften durchgeführt haben.

Frage: Welche Auswirkungen versprechen Sie sich von dem Fan-Kongress in Leipzig?

Michael Gabriel: Ganz konkret erwarte ich Veränderungen beim heiß diskutierten Thema der Stadionverbote. Das wäre ein enorm wichtiges Signal in die Fan-Szene. Die Laufzeit von Stadionverboten sollte noch mal überdacht werden. Ein Fan empfindet ein Stadionverbot als schwere Strafe. Auch jemand, der einen Fehler begangen hat, sollte in absehbarer Zeit wieder ins Stadion gehen dürfen. Der Kongress wird erfolgreich sein, wenn die Fan-Szene versteht, dass der DFB wirklich um einen ernsthaften Dialog bemüht ist.

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Das Wochenende werden die Fan-Beauftragten der Vereine aus der Bundesliga und 2. Bundesliga sowie die Vertreter der 36 organisierten Fan-Projekte in Leipzig verbringen. Auf dem Fan-Kongress "Fußball ist unser Leben – eine Annäherung" bis heute soll ergebnisoffen diskutiert werden. Auch DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger und DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt stellen sich in der Leipziger Universität dem Gespräch. Über 350 Fans werden in Leipzig erwartet. Einen Fan-Kongress von dieser Dimension und Qualität gab es vorher noch nicht – der DFB betritt Neuland mit dem Leipziger Treffen.

Im DFB.de-Interview mit DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth sagt Michael Gabriel, was er sich von dem Kongress verspricht. Der 43-Jährige ist Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). Mit der A- und B-Jugend von Eintracht Frankfurt wurde Gabriel in seinen jüngeren Jahren zweimal Deutscher Meister. Gemeinsam mit Toni Polster stand er in der U 20-Nationalmannschaft Österreichs.

Die KOS wird vom Bund und dem DFB finanziert, ist bei der Deutschen Sportjugend angesiedelt und berät im Rahmen des Nationalen Konzepts Sport und Sicherheit (NKSS) die Fan-Projekte in Deutschland. In der Kongressleitung wird die KOS durch Volker Goll vertreten sein. Gabriel leitet unter anderem das Forum „Spannungsfelder,“bei dem auch das kontrovers diskutierte Thema "Stadionverbote" angesprochen werden soll.

Frage: Herr Gabriel, andere Freizeitaktivitäten haben keine Interessenvertretung. Es gibt kein Projekt der Kinobesucher oder Restaurantgäste in Deutschland. Sehr wohl gibt es aber organisierte Projekte von Fußball-Fans an 36 Stellen in Deutschland. Warum brauchen wir diese öffentlich finanzierte Arbeit?

Michael Gabriel: Kinogänger sorgen in der Regel nicht für Sicherheitsprobleme. Kinogänger brechen keine gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen Kinogängern vom Zaun. Schon immer begleiteten Probleme der Gewalt, des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus den Fußball. Seit 1981 analysieren Fan-Projekte die jeweilige Lage und können Fan-Kultur übersetzen. Sie erklären das Entstehen bestimmter Verhaltensweisen und geben dann Anregungen in die Institutionen – in die Vereine, die Verbände, zur Polizei, zu den Sicherheitsdiensten und Kommunalverantwortlichen.

Frage: Ist der Erfolg messbar?

Michael Gabriel: Sicher nicht wie eine Polizeistatistik. Gerade die Studie des führenden Fan-Forschers Professor Gunter A. Pilz aus dem Jahr 2006 belegt aber eine insgesamt positive Wirkung durch die Arbeit der Fan-Projekte, insbesondere auf rassistisches und rechtsextremistisches Verhalten von Fußball-Fans. Hier wurden große Fortschritte erzielt. Wenn man sich die Stimmung in den Stadien insgesamt anschaut, die tolle Atmosphäre, dann ist eine deutliche Verbesserung festzustellen, zu der auch die Fan-Projekte beigetragen haben.

Frage: Wieso hat der Deutsche Meister VfB Stuttgart kein Fan-Projekt?

Michael Gabriel: Das Land Baden-Württemberg verweigert sich dem Nationalen Konzept für Sport und Sicherheit. Nur Baden-Württemberg und Sachsen beteiligen sich nicht an der Drittelfinanzierung der Fan-Projekte.

Frage: Warum wird der Fan-Kongress in Leipzig eine ganz besondere Veranstaltung?

Michael Gabriel: Neben der Tatsache, dass DFB und DFL die Fans zu diesem Kongress einladen, ist die äußerst transparente und kooperative Vorbereitung zu loben. Alle Fan-Gruppen bundesweit wurden in den Dialog eingebunden. Die Themenfindung und die Gestaltung des Ablaufs geschahen im Gespräch mit Fan-Vertretern. Der Kongress ist ein sehr guter Anfang für einen dauerhaften Dialog.

Frage: Wieviele Teilnehmer werden erwartet?

Michael Gabriel: Wir rechnen mit 350 Teilnehmern aus allen Fan-Szenen. Dass DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger und DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt nach Leipzig kommen, ist ebenfalls ein Indiz dafür, dass ein aufrechter Dialog gesucht wird. Der Kongress wird kein einmaliges Ereignis sein, und wir machen hier keine aufgesetzte PR-Veranstaltung. Das ausgesendete Signal ist sehr glaubwürdig.

Frage: Wie bewerten Sie, über den Kongress hinaus, die Fan-Arbeit des DFB?

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Michael Gabriel: Die Anstrengungen wurden intensiviert. Mit Gerald von Gorrissen kümmert sich ein festangestellter DFB-Mitarbeiter um die Belange der Fans. Der DFB hat sich dauerhaft der Fan-Szene zugewendet. Mir gefällt es, dass sich der DFB mittlerweile als offener Verband darstellt und dass diese Offenheit durch Theo Zwanziger glaubhaft repräsentiert wird. Pilz hat in seiner Studie belegt, dass einige Fans ein Feindbild gegenüber dem DFB aufgebaut haben. Der DFB hat nun den richtigen Weg eingeschlagen, dieses Feindbild aufzubrechen.

Frage: Ein Fußball-Fan aus Leipzig wurde vor kurzem für den Steinwurf auf einen Polizisten mit einem Jahr auf Bewährung bestraft. Ist das zu wenig oder zu viel?

Michael Gabriel: Ich bin überzeugt, dass der Richter gute Gründe für sein Urteil hatte. Generell ist es wichtig, dass Reaktionen auf Fan-Verhalten transparent sind. Es dürfen nicht alle Fans über einen Kamm geschoren werden. Gleichzeitig müssen Grenzen aufgezeigt werden. Kein Fan hat etwas dagegen, dass Fehlverhalten bestraft wird. Aber wir sollten auch darauf achten, dass der Rückweg nicht verbaut wird. Bestrafte Fans müssen in die Kurven zurückkehren können. Und den Fans muss eine Wertschätzung gezeigt werden für all das, was sie dem Fußball geben.

Frage: Nach der WM 2006 hat die FIFA an die Fans den Fairplay-Preis verliehen. Es folgten ein stürmischer Winter und turbulentes Frühjahr mit teils heftigen Ausschreitungen, gerade in den unteren Ligen, gerade auch im Osten Deutschlands. Erstaunt es Sie, wie schnell das Sommermärchen harter Realität weichen musste?

Michael Gabriel: Nein. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gegenüber Ausschreitungen beim Fußball gestiegen ist. Entwicklungen müssen langfristig betrachtet werden. Wir haben die höchsten Zuschauerzahlen in ganz Europa. Die Atmosphäre in den Stadien ist toll, und daran haben die Ultras einen großen Anteil. Der Komfort in den Stadien ist gut – die Leute fühlen sich wohl. Die Tendenz ist positiv. Aber wir müssen wachsam bleiben, die Fan-Projekte und Fan-Beauftragten genauso wie der Verband, die Polizei und die Vereine.

Frage: Auch die Länderspiele des DFB werden in Leipzig ein Thema sein.

Michael Gabriel: Die Fans wollen darüber diskutieren, wie man an Karten für Heim- und Auswärtsspiele kommt. Gerade Länderspiele im osteuropäischen Ausland werden von rechtsradikalen Gruppen missbraucht. Diese Gruppen dominieren die Stimmung. Vielleicht können wir in Leipzig gemeinsam darüber nachdenken, wie wir diese negative Atmosphäre verbessern. Die positive Fan-Kultur muss auch bei diesen Spielen die Oberhand behalten. Gerade die Fan-Arbeit rund um die Auswärtsspiele der englischen Nationalmannschaft ist hier sicher ein Vorbild, ebenso wie die Fan-Betreuungsmaßnahmen, die wir bei den letzten Welt- und Europameisterschaften durchgeführt haben.

Frage: Welche Auswirkungen versprechen Sie sich von dem Fan-Kongress in Leipzig?

Michael Gabriel: Ganz konkret erwarte ich Veränderungen beim heiß diskutierten Thema der Stadionverbote. Das wäre ein enorm wichtiges Signal in die Fan-Szene. Die Laufzeit von Stadionverboten sollte noch mal überdacht werden. Ein Fan empfindet ein Stadionverbot als schwere Strafe. Auch jemand, der einen Fehler begangen hat, sollte in absehbarer Zeit wieder ins Stadion gehen dürfen. Der Kongress wird erfolgreich sein, wenn die Fan-Szene versteht, dass der DFB wirklich um einen ernsthaften Dialog bemüht ist.