"Fußball ist ein Hebel der Emanzipation"

„Emotional. Sozial. Nachhaltig.“ Das Motto des 40. ordentlichen Bundestages des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der am vergangenen Freitag endete, gilt auch für die dritte Amtszeit des DFB-Präsidenten. Der 65-jährige Jurist Dr. Theo Zwanziger, der in der Essener Philharmonie ohne Gegenstimme wiedergewählt wurde, wünscht sich einen „werteorientierten Fußball“.

Dafür hat der Verband etwa seine Integrationsarbeit stark ausgebaut. Ein Schulprojekt, das 2006 in zehn Stützpunkten startete und heute in über 100 Städten und Gemeinden betrieben wird, gilt als Vorbild dafür, wie der Fußball das respektvolle Miteinander fördern kann.

Onlineredakteur Thomas Hackbarth hat im aktuellen DFB.de-Gespräch der Woche den Macher des Projektes, den Oldenburger Hochschullehrer Dr. Ulf Gebken, dazu befragt.

DFB.de: Dr. Gebken, seit über vier Jahren stehen Sie häufiger in der Sporthalle als im Vorlesungssaal. Sie versuchen, muslimische Mädchen zum Fußball spielen zu bringen. Klappt das?

Prof. Dr. Ulf Gebken: Wir beginnen immer in Stadtteilen, die teilweise von der örtlichen Verwaltung aufgegeben wurden. In diesen Stadtteilen liegt die Quote der Mädchen, die im Verein Sport treiben, bei nahezu Null. Wenn wir dann in einer Grundschule unser Angebot machen, melden sich 50 bis 70 Mädchen - Türkinnen, Araberinnen, Russinnen und andere Osteuropäerinnen. Das Fußballtraining selbst leistet dann ein Verein aus der Nachbarschaft. Gerade der erste Baustein unseres Modells ist ein riesiger Erfolg.

DFB.de: Welche praktischen Erfahrungen haben Sie gemacht?

Dr. Gebken: Vor allem islamische Familien erwarten, dass weibliche Bezugspersonen das Fußballangebot leiten. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht, denn wo sollten wir denn die Fußballtrainerinnen, möglichst noch mit Türkischkenntnissen, hernehmen? Die gibt es nicht. Also bildeten wir besonders befähigte Teilnehmerinnen in einem weiteren Baustein zu Fußballassistentinnen aus. Das Projekt wächst aus sich selbst heraus. Gerade dieser nächste Schritt überzeugt die Schulen, die Vereine und auch unsere migrantischen Familien. Wir führen junge Menschen heran, eine überschaubare Aufgabe zu übernehmen. Diese Mädchen wirken dann als Vorbild.

DFB.de: Ihr eigener Modellversuch startete Ende der 90er-Jahre in Oldenburg. Seit 2006 bezuschusst der DFB das Projekt mit jährlich 130.000 Euro. Wo steht man heute?



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„Emotional. Sozial. Nachhaltig.“ Das Motto des 40. ordentlichen Bundestages des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der am vergangenen Freitag endete, gilt auch für die dritte Amtszeit des DFB-Präsidenten. Der 65-jährige Jurist Dr. Theo Zwanziger, der in der Essener Philharmonie ohne Gegenstimme wiedergewählt wurde, wünscht sich einen „werteorientierten Fußball“.

Dafür hat der Verband etwa seine Integrationsarbeit stark ausgebaut. Ein Schulprojekt, das 2006 in zehn Stützpunkten startete und heute in über 100 Städten und Gemeinden betrieben wird, gilt als Vorbild dafür, wie der Fußball das respektvolle Miteinander fördern kann.

Onlineredakteur Thomas Hackbarth hat im aktuellen DFB.de-Gespräch der Woche den Macher des Projektes, den Oldenburger Hochschullehrer Dr. Ulf Gebken, dazu befragt.

DFB.de: Dr. Gebken, seit über vier Jahren stehen Sie häufiger in der Sporthalle als im Vorlesungssaal. Sie versuchen, muslimische Mädchen zum Fußball spielen zu bringen. Klappt das?

Prof. Dr. Ulf Gebken: Wir beginnen immer in Stadtteilen, die teilweise von der örtlichen Verwaltung aufgegeben wurden. In diesen Stadtteilen liegt die Quote der Mädchen, die im Verein Sport treiben, bei nahezu Null. Wenn wir dann in einer Grundschule unser Angebot machen, melden sich 50 bis 70 Mädchen - Türkinnen, Araberinnen, Russinnen und andere Osteuropäerinnen. Das Fußballtraining selbst leistet dann ein Verein aus der Nachbarschaft. Gerade der erste Baustein unseres Modells ist ein riesiger Erfolg.

DFB.de: Welche praktischen Erfahrungen haben Sie gemacht?

Dr. Gebken: Vor allem islamische Familien erwarten, dass weibliche Bezugspersonen das Fußballangebot leiten. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht, denn wo sollten wir denn die Fußballtrainerinnen, möglichst noch mit Türkischkenntnissen, hernehmen? Die gibt es nicht. Also bildeten wir besonders befähigte Teilnehmerinnen in einem weiteren Baustein zu Fußballassistentinnen aus. Das Projekt wächst aus sich selbst heraus. Gerade dieser nächste Schritt überzeugt die Schulen, die Vereine und auch unsere migrantischen Familien. Wir führen junge Menschen heran, eine überschaubare Aufgabe zu übernehmen. Diese Mädchen wirken dann als Vorbild.

DFB.de: Ihr eigener Modellversuch startete Ende der 90er-Jahre in Oldenburg. Seit 2006 bezuschusst der DFB das Projekt mit jährlich 130.000 Euro. Wo steht man heute?

Dr. Gebken: 2006 haben wir dem DFB zehn Standorte vorgeschlagen, von denen dann sieben geklappt haben. Heute läuft „Soziale Integration von Mädchen durch den Fußball“ in hundert Stadtteilen. Insgesamt sieben Bundesländer haben unsere Idee übernommen oder sind gerade dabei, das Projekt auf den Weg zu bringen. Ohne die Hilfe des DFB und seiner Landesverbände wäre dieses rasante Wachstum organisatorisch nicht zu stemmen. „Mädchen. Mittendrin.“ heißt das Projekt in Nordrhein-Westfalen, das vom Familien- und Jugendministerium im Schulterschluss mit den DFB-Landesverbänden in 36 Stadtteilen gefördert wird. Derzeit reden wir mit weiteren holländischen Partnern in Kommunen und im Verband.

DFB.de: Warum ist es denn so wichtig, dass ein paar hundert türkische, arabische oder nordafrikanische Mädchen anfangen, Fußball zu spielen?

Dr. Gebken: In einigen deutschen Großstädten haben heute siebzig Prozent der Neugeborenen einen Migrationshintergrund. Bisher war es doch so, dass insbesondere die Mädchen aus Einwandererfamilien keinen Sport getrieben haben. Die Quote der Vereinszugehörigkeit liegt deutschlandweit bei unter fünf Prozent, für deutsche Jugendliche bei rund 35 Prozent. Es besteht also ein Bedarf. Und auf der anderen Seite auch eine Verantwortung der Sportverbände. Fußball kann auch ein Hebel der Emanzipation sein. Der ältere Bruder oder der Vater sehen die Schwester oder Tochter in einem ganz anderen Umfeld. Das Rollenverhalten ändert sich. Die Mädchen werden selbstbewusster. Und eins kann ich nach vier Jahren Projekterfahrung sagen: Ballett oder Reiten kriegen das nicht hin.

DFB.de: Durch das Projekt entsteht ein Schnittpunkt von Sport, Gesellschaft und Kultur. Ist diese Wirkung beabsichtigt?

Dr. Gebken: Das Projekt soll ganz sicher dazu beitragen, dass wir uns gegenseitig besser verstehen. Und vor Ort tritt dieser Effekt auch ein. Gerade der Fußball ist doch eine perfekte Begegnungsstätte von Deutschen, Migranten und Ausländern. Es geht dabei um eine Willkommenskultur, um das Anerkennen von Regeln und um die Toleranz für Andersartigkeit. Einige unserer Mädchen fassen den Entschluss, ohne Kopftuch Fußball spielen zu wollen, obwohl ihre Mutter und ihre Schwestern das Kopftuch tragen. Dass diese Mädchen für sich persönlich diese Entscheidung fällen und durchsetzen, finde ich bewundernswert.

DFB.de: Gab es nicht auch Widerstände?

Dr. Gebken: Wir mussten garantieren, dass die Vereine sanitäre Anlagen strikt getrennt zur Verfügung stellen. Auch Platz- und Hallenzeiten sind knapp, da müssten die Jungs auch mal zurückstecken, und viele Vereine schauen eben zuerst nur auf den männlichen Nachwuchs.

DFB.de: Und die Familien: Gab es da nicht auch ablehnende Reaktionen?

Dr. Gebken: Weil wir in der Schule angefangen haben, gab es erst mal keine Gegenreaktion. Der Schule wird ein großer Vertrauensvorschuss gegeben. Bei den Vereinen hat es sich im Einzelfall als erfolgreich erwiesen, auch mal einen Migrantenverein als Partner einzubinden. Wir haben dann auch Mütter-Töchter-Turniere organisiert. Dadurch hatten wir den Fuß in der Tür. Irgendwann steht der Papa am Spielfeldrand und erlebt, mit welcher Begeisterung seine Tochter Fußball spielt. Das sind tolle Momente.

DFB.de: Bei der Integration geht es um Fordern und Fördern. Gibt es die beiden Pole auch in Ihrem Projekt?

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Dr. Gebken: Wir haben eindeutig zu wenige Migranten, die sich ehrenamtlich engagieren. Beides muss geschehen - deutsche Vereine müssen diese Teilhabe mehr anschieben, aber Migranten müssen sich auch mehr einbringen. Wir müssen die Angebote besser gestalten, mehr einen Einladungscharakter schaffen, aber wir dürfen auch mehr Mitarbeit einfordern. Im Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen sind 500 Menschen haupt- und ehrenamtlich tätig. Drei davon haben einen Migrationshintergrund. Das ist eindeutig zu wenig.

DFB.de: Gibt es Nationen, bei denen Sie auf Granit stoßen?

Dr. Gebken: Mädchen mit arabischen Wurzeln erreichen wir kaum.

DFB.de: Leistet nicht ein Mesut Özil viel mehr für die Integration als alle gutgemeinte Basisarbeit?

Dr. Gebken: Ich halte wenig davon, diese Entwicklungen gegeneinander auszuspielen. Mesut Özil ist ein doppelter Glücksfall: auf dem Platz für den deutschen Fußball und außerhalb für die gesellschaftspolitische Aufgabe der Integration. Mesut Özil setzt sich über seine Leistung durch. Bei uns geht es um ein freiwilliges soziales Engagement. Beide Botschaften sind doch wichtig. Mal abwarten, vielleicht schießt ja 2011 Fatmire Bajramaj das Siegtor im WM-Finale.

DFB.de: Der DFB hat seinen Bundestag unter das Motto „Emotional. Sozial. Nachhaltig.“ gestellt. Das muss Ihnen gefallen haben.

Dr. Gebken: Theo Zwanziger traut sich, viele Themen - auch Tabus - anzusprechen, und ihm ist es gelungen, das Thema Fußball und Integration sehr positiv zu besetzen. Aber Tatsache ist auch, dass wir viel zu wenig Teilhabe von Migranten in den großen Sportverbänden haben. Der Weg ist noch lang.