Fröhlich: "Entscheidung auf dem Feld ist erstes Qualitätsmerkmal"

In den vergangenen Wochen kam es in der Bundesliga sowie im DFB-Pokal vereinzelt zu Diskussionen, die sich um konkrete Schiedsrichterentscheidungen, die jeweils angewandten Regelauslegungen und das grundsätzliche Regelwerk (Handspiel und Abseits) drehten. Lutz Michael Fröhlich (63), Sportlicher Leiter der Elite-Schiedsrichter, zieht im DFB.de-Interview ein Zwischenfazit.

DFB.de: Herr Fröhlich, wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt, und wie ordnen Sie dabei die Arbeit der Schiedsrichter auf dem Platz sowie der Video-Assistenten ein?

Lutz Michael Fröhlich: Wenn man die vergangenen Spieltage genauer betrachtet, dann ergibt sich ein sehr differenziertes Bild. Am 15. Spieltag hatten wir allein in der Bundesliga neun Interventionen durch die Video-Assistenten. Das ist eine sehr hohe Anzahl, denn im Durchschnitt sind es in der Regel nur zwei bis drei Interventionen pro Spieltag. Betrachten wir hier die Arbeit der Schiedsrichter auf dem Feld, dann muss man das schon als Verbesserungspotenzial einordnen. Betrachten wir die Arbeit der Video-Assistenten, dann können wir feststellen, dass die Intervention in allen neun Fällen berechtigt war und am Ende in allen Fällen eine korrekte Entscheidung getroffen wurde.

DFB.de: Sie sprechen von Verbesserungspotenzial. Gibt es ein Qualitätsmerkmal für Schiedsrichter?

Fröhlich: Wir haben das mit den Schiedsrichtern aufgearbeitet, mit dem Hinweis, dass die korrekte Entscheidung auf dem Feld das erste Qualitätsmerkmal für die Schiedsrichter ist und bleiben muss. In den darauffolgenden Spieltagen und in den Partien im DFB-Pokalachtelfinale waren es dann eher Einzelfälle wie ein Foul im Strafraum, ein Handspiel im Strafraum und eine Abseitsbewertung, die für vereinzelte Diskussionen sorgten.

DFB.de: Wie fällt dann Ihr Zwischenfazit nach 20 Spieltagen in der Bundesliga aus?

Fröhlich: Insgesamt machen unsere Schiedsrichter einen guten Job - besser, als es die aktuellen Diskussionen vermuten lassen. Diese beruhen vor allem auf komplexen Einzelszenen, die sich in kürzester Zeit aneinanderreihten und bei den Beteiligten eine persönliche Betroffenheit hervorriefen. In der Sportlichen Leitung stellen wir jedoch auch positiv fest, dass immer mehr Schiedsrichter den Mut entwickeln, die Spiele laufen zu lassen, und haben auch dadurch mit Blick auf den Spielfluss großartige Partien erlebt, zum Beispiel die Begegnung FC Bayern München gegen RB Leipzig oder auch RB Leipzig gegen Borussia Dortmund. Wir sehen auch grundsätzlich eine positive Entwicklung im Umgang mit unklaren Situationen. Die Schiedsrichter verzichten in solchen Fällen immer mehr auf Spielunterbrechungen oder nutzen im Zweifel ein geringeres Strafmaß. Entscheidend ist dabei jedoch immer die Wahrnehmung, die der Schiedsrichter hat, vor allem ist diese elementar für das Handeln des Video-Assistenten. Beim Video-Assistenten gab es bisher 50 Interventionen in der Bundesliga und 40 Interventionen in der 2. Bundesliga. Auch hier sehen wir eine noch striktere Orientierung an dem Aspekt "klar und offensichtlich falsch". Und die Schiedsrichter setzen eine gute, klare und dadurch auch akzeptierte Linie bei der Bewertung von Unsportlichkeiten um. Selbst die Regelauslegung beim Handspiel lief zumindest bis kurz vor dem Jahreswechsel ohne große Diskussionen ab.

DFB.de: Sie sprechen ein aktuell viel diskutiertes sowie in der Vergangenheit immer stark kontroverses Thema an: Handspiel. Täuscht der Eindruck, dass ein Kontakt der Hand beziehungsweise des Arms mit dem Ball in den meisten Fällen zu einem Strafstoß führt?

Fröhlich: Beim Thema Handspiel gab es in der laufenden Bundesligasaison bisher 44 Situationen, in denen Abwehrspieler den Ball am Arm oder an der Hand hatten. In zwölf Situationen wurden Strafstöße verhängt, in 32 Situationen lief das Spiel weiter. Es werden also wesentlich weniger Handspiele bestraft, als es sich in der öffentlichen Diskussion häufig darstellt, weil die Schiedsrichter eben den Aspekt der Absicht - natürlich neben den klassischen Aspekten wie Armhaltung, Bewegungsrichtung, Distanz - mitberücksichtigen. Schaut man sich die Situationen an, dann wird man dabei für den Saisonverlauf bis zum Jahreswechsel eine sehr gute Abgrenzung feststellen, die im starken Einklang mit dem Regelwerk steht und eigentlich auch breite Akzeptanz fand. Nach dem 13. Spieltag hatten wir jedoch vier Situationen in vier verschiedenen Spielen, in denen ein letztendlich strafbares Handspiel nicht geahndet wurde. Daran werden wir mit den Schiedsrichtern natürlich arbeiten, um die gleiche gute Abgrenzung wie vor dem Jahreswechsel schnell wieder zu erreichen.

DFB.de: Können Sie uns ein Beispiel nennen, bei dem ein strafbares Handspiel leider nicht geahndet wurde?

Fröhlich: Bleiben wir hier beim aktuellen Fall in Leverkusen, beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart am 20. Spieltag. Hier ist es so, dass die regeltechnisch relevanten Argumente in dieser Situation in der Intention des Spielers liegen, aktiv in eine Abwehraktion zu springen und dabei die abgespreizten Arme oberhalb der Schulterlinie zu haben. Das spricht für ein strafbares Handspiel. Der konkrete Ablauf dieser Situation ist dann jedoch nicht einfach einzuschätzen, da der rechte Arm beim Schuss des Gegners etwas zum Körper hin, vor den Kopf geführt wird. Aber dennoch bleibt der Arm noch leicht abgespreizt, und es bleibt eine Abwehraktion mit einem Handspiel. Insofern wäre ein Strafstoß für die Sportliche Leitung regeltechnisch die beste Entscheidung gewesen. Wir werden uns hierzu auch noch mal mit weiteren Experten und Trainern abstimmen und uns ein Meinungsbild einholen, auch was die externe Erwartungshaltung einer Intervention des Video-Assistenten in dieser Situation angeht.

DFB.de: Im DFB-Pokalachtelfinale gab es auch Irritationen zur Abseitsauslegung. Wie ordnen Sie diese beiden Situationen ein?

Fröhlich: Beim Spiel Borussia Dortmund gegen den SC Paderborn war die Abseitsauslegung eigentlich so, wie sie seit Jahren praktiziert wird: In ein Zuspiel zu einem im Abseits stehenden Spieler versucht ein gegnerischer Abwehrspieler den Ball zu spielen, das misslingt, aber der Schiedsrichter nimmt wahr, dass der Spieler den Ball berührt hat. In dem Moment ist eine vorherige Abseitsposition eines gegnerischen Spielers nicht mehr strafbar. Insofern eine korrekte Entscheidung in Dortmund. Es wäre auch absolut akzeptabel gewesen, am folgenden Tag beim Spiel Jahn Regensburg gegen den 1. FC Köln die Abwehraktion des Regensburger Abwehrspielers als ein bewusstes Spielen des Balles zu bewerten. Wir müssen sehen, dass die Regelauslegung dann Akzeptanz findet, wenn sie möglichst praxisnah und verständlich bleibt.

DFB.de: Wie gehen Sie in diesen Tagen, aber auch ganz grundsätzlich mit Kritik um?

Fröhlich: Wir setzen uns mit kritischem Feedback intensiv auseinander und schätzen sehr den Dialog mit den Klubs. Die Impulse aus diesen Dialogen besprechen wir auch mit unseren Schiedsrichtern, um unterschiedliche Perspektiven mit ihnen zu erörtern und die Regelauslegung weiterzuentwickeln. Und um die Arbeit auf dem Platz und im Video-Assist-Center VAC zu erleichtern sowie ein besseres Verständnis dafür zu erreichen. Wir wissen, dass Fehler passieren, auch im Zeitalter des Video-Assistenten. Aber keiner macht die Fehler absichtlich. Das VAR-Protokoll ist klar definiert, wodurch die Eingriffsmöglichkeiten in Einzelfällen teilweise an Grenzen stoßen. Was nicht geht und wogegen wir uns auch ausdrücklich verwahren, ist, wenn statt des konstruktiven Dialoges vereinzelt versucht wird, zusätzlichen Druck auf die Schiedsrichter auszuüben, indem über mediale Äußerungen eine permanente Benachteiligung unterstellt wird. Aber wir werden noch mal versuchen, solche vereinzelten Tendenzen auch in einen konstruktiven Dialog zu überführen.

[ar/sal]

In den vergangenen Wochen kam es in der Bundesliga sowie im DFB-Pokal vereinzelt zu Diskussionen, die sich um konkrete Schiedsrichterentscheidungen, die jeweils angewandten Regelauslegungen und das grundsätzliche Regelwerk (Handspiel und Abseits) drehten. Lutz Michael Fröhlich (63), Sportlicher Leiter der Elite-Schiedsrichter, zieht im DFB.de-Interview ein Zwischenfazit.

DFB.de: Herr Fröhlich, wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt, und wie ordnen Sie dabei die Arbeit der Schiedsrichter auf dem Platz sowie der Video-Assistenten ein?

Lutz Michael Fröhlich: Wenn man die vergangenen Spieltage genauer betrachtet, dann ergibt sich ein sehr differenziertes Bild. Am 15. Spieltag hatten wir allein in der Bundesliga neun Interventionen durch die Video-Assistenten. Das ist eine sehr hohe Anzahl, denn im Durchschnitt sind es in der Regel nur zwei bis drei Interventionen pro Spieltag. Betrachten wir hier die Arbeit der Schiedsrichter auf dem Feld, dann muss man das schon als Verbesserungspotenzial einordnen. Betrachten wir die Arbeit der Video-Assistenten, dann können wir feststellen, dass die Intervention in allen neun Fällen berechtigt war und am Ende in allen Fällen eine korrekte Entscheidung getroffen wurde.

DFB.de: Sie sprechen von Verbesserungspotenzial. Gibt es ein Qualitätsmerkmal für Schiedsrichter?

Fröhlich: Wir haben das mit den Schiedsrichtern aufgearbeitet, mit dem Hinweis, dass die korrekte Entscheidung auf dem Feld das erste Qualitätsmerkmal für die Schiedsrichter ist und bleiben muss. In den darauffolgenden Spieltagen und in den Partien im DFB-Pokalachtelfinale waren es dann eher Einzelfälle wie ein Foul im Strafraum, ein Handspiel im Strafraum und eine Abseitsbewertung, die für vereinzelte Diskussionen sorgten.

DFB.de: Wie fällt dann Ihr Zwischenfazit nach 20 Spieltagen in der Bundesliga aus?

Fröhlich: Insgesamt machen unsere Schiedsrichter einen guten Job - besser, als es die aktuellen Diskussionen vermuten lassen. Diese beruhen vor allem auf komplexen Einzelszenen, die sich in kürzester Zeit aneinanderreihten und bei den Beteiligten eine persönliche Betroffenheit hervorriefen. In der Sportlichen Leitung stellen wir jedoch auch positiv fest, dass immer mehr Schiedsrichter den Mut entwickeln, die Spiele laufen zu lassen, und haben auch dadurch mit Blick auf den Spielfluss großartige Partien erlebt, zum Beispiel die Begegnung FC Bayern München gegen RB Leipzig oder auch RB Leipzig gegen Borussia Dortmund. Wir sehen auch grundsätzlich eine positive Entwicklung im Umgang mit unklaren Situationen. Die Schiedsrichter verzichten in solchen Fällen immer mehr auf Spielunterbrechungen oder nutzen im Zweifel ein geringeres Strafmaß. Entscheidend ist dabei jedoch immer die Wahrnehmung, die der Schiedsrichter hat, vor allem ist diese elementar für das Handeln des Video-Assistenten. Beim Video-Assistenten gab es bisher 50 Interventionen in der Bundesliga und 40 Interventionen in der 2. Bundesliga. Auch hier sehen wir eine noch striktere Orientierung an dem Aspekt "klar und offensichtlich falsch". Und die Schiedsrichter setzen eine gute, klare und dadurch auch akzeptierte Linie bei der Bewertung von Unsportlichkeiten um. Selbst die Regelauslegung beim Handspiel lief zumindest bis kurz vor dem Jahreswechsel ohne große Diskussionen ab.

DFB.de: Sie sprechen ein aktuell viel diskutiertes sowie in der Vergangenheit immer stark kontroverses Thema an: Handspiel. Täuscht der Eindruck, dass ein Kontakt der Hand beziehungsweise des Arms mit dem Ball in den meisten Fällen zu einem Strafstoß führt?

Fröhlich: Beim Thema Handspiel gab es in der laufenden Bundesligasaison bisher 44 Situationen, in denen Abwehrspieler den Ball am Arm oder an der Hand hatten. In zwölf Situationen wurden Strafstöße verhängt, in 32 Situationen lief das Spiel weiter. Es werden also wesentlich weniger Handspiele bestraft, als es sich in der öffentlichen Diskussion häufig darstellt, weil die Schiedsrichter eben den Aspekt der Absicht - natürlich neben den klassischen Aspekten wie Armhaltung, Bewegungsrichtung, Distanz - mitberücksichtigen. Schaut man sich die Situationen an, dann wird man dabei für den Saisonverlauf bis zum Jahreswechsel eine sehr gute Abgrenzung feststellen, die im starken Einklang mit dem Regelwerk steht und eigentlich auch breite Akzeptanz fand. Nach dem 13. Spieltag hatten wir jedoch vier Situationen in vier verschiedenen Spielen, in denen ein letztendlich strafbares Handspiel nicht geahndet wurde. Daran werden wir mit den Schiedsrichtern natürlich arbeiten, um die gleiche gute Abgrenzung wie vor dem Jahreswechsel schnell wieder zu erreichen.

DFB.de: Können Sie uns ein Beispiel nennen, bei dem ein strafbares Handspiel leider nicht geahndet wurde?

Fröhlich: Bleiben wir hier beim aktuellen Fall in Leverkusen, beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart am 20. Spieltag. Hier ist es so, dass die regeltechnisch relevanten Argumente in dieser Situation in der Intention des Spielers liegen, aktiv in eine Abwehraktion zu springen und dabei die abgespreizten Arme oberhalb der Schulterlinie zu haben. Das spricht für ein strafbares Handspiel. Der konkrete Ablauf dieser Situation ist dann jedoch nicht einfach einzuschätzen, da der rechte Arm beim Schuss des Gegners etwas zum Körper hin, vor den Kopf geführt wird. Aber dennoch bleibt der Arm noch leicht abgespreizt, und es bleibt eine Abwehraktion mit einem Handspiel. Insofern wäre ein Strafstoß für die Sportliche Leitung regeltechnisch die beste Entscheidung gewesen. Wir werden uns hierzu auch noch mal mit weiteren Experten und Trainern abstimmen und uns ein Meinungsbild einholen, auch was die externe Erwartungshaltung einer Intervention des Video-Assistenten in dieser Situation angeht.

DFB.de: Im DFB-Pokalachtelfinale gab es auch Irritationen zur Abseitsauslegung. Wie ordnen Sie diese beiden Situationen ein?

Fröhlich: Beim Spiel Borussia Dortmund gegen den SC Paderborn war die Abseitsauslegung eigentlich so, wie sie seit Jahren praktiziert wird: In ein Zuspiel zu einem im Abseits stehenden Spieler versucht ein gegnerischer Abwehrspieler den Ball zu spielen, das misslingt, aber der Schiedsrichter nimmt wahr, dass der Spieler den Ball berührt hat. In dem Moment ist eine vorherige Abseitsposition eines gegnerischen Spielers nicht mehr strafbar. Insofern eine korrekte Entscheidung in Dortmund. Es wäre auch absolut akzeptabel gewesen, am folgenden Tag beim Spiel Jahn Regensburg gegen den 1. FC Köln die Abwehraktion des Regensburger Abwehrspielers als ein bewusstes Spielen des Balles zu bewerten. Wir müssen sehen, dass die Regelauslegung dann Akzeptanz findet, wenn sie möglichst praxisnah und verständlich bleibt.

DFB.de: Wie gehen Sie in diesen Tagen, aber auch ganz grundsätzlich mit Kritik um?

Fröhlich: Wir setzen uns mit kritischem Feedback intensiv auseinander und schätzen sehr den Dialog mit den Klubs. Die Impulse aus diesen Dialogen besprechen wir auch mit unseren Schiedsrichtern, um unterschiedliche Perspektiven mit ihnen zu erörtern und die Regelauslegung weiterzuentwickeln. Und um die Arbeit auf dem Platz und im Video-Assist-Center VAC zu erleichtern sowie ein besseres Verständnis dafür zu erreichen. Wir wissen, dass Fehler passieren, auch im Zeitalter des Video-Assistenten. Aber keiner macht die Fehler absichtlich. Das VAR-Protokoll ist klar definiert, wodurch die Eingriffsmöglichkeiten in Einzelfällen teilweise an Grenzen stoßen. Was nicht geht und wogegen wir uns auch ausdrücklich verwahren, ist, wenn statt des konstruktiven Dialoges vereinzelt versucht wird, zusätzlichen Druck auf die Schiedsrichter auszuüben, indem über mediale Äußerungen eine permanente Benachteiligung unterstellt wird. Aber wir werden noch mal versuchen, solche vereinzelten Tendenzen auch in einen konstruktiven Dialog zu überführen.

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