Froböse: "Sportverbote führen zu einer kranken Gesellschaft"

Prof. Dr. Ingo Froböse, Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln, hat gemeinsam mit der Deutschen Krankenversicherung (DKV) eine Studie zum Gesundheitszustand der Deutschen vorgelegt. Die Ergebnisse sind alarmierend: So führen nur elf Prozent der befragten Deutschen ein gesundes Leben in den fünf abgefragten Lebensbereichen körperliche Aktivität, Ernährung, Rauchen, Alkohol und Stressempfinden. Dies ist seit Beginn der Befragungsreihe im Jahr 2010 der niedrigste Wert.

Woran liegt das? Welche Rolle spielen dabei die Lockdowns während der Pandemie? Was kann der Sport und konkret der Fußball tun, um die Menschen aus ihrer Trägheit herauszuholen? Und warum war das Sportverbot eher kontraproduktiv als förderlich? Die Studienergebnisse werfen viele Fragen auf, die Froböse im DFB.de-Interview beantwortet.

DFB.de: Herr Prof. Dr. Froböse, die Ergebnisse ihrer Studie klingen besorgniserregend. Teilen Sie diese Einschätzung?

Prof. Dr. Ingo Froböse: Ja, durchaus. Wir haben drei Entwicklungen, die sehr gravierend sind. Das ist erstens der Verlauf in den vergangenen zehn Jahren. Schon da haben sich die Menschen zu wenig bewegt - und diese Problematik hat sich zuletzt nochmals verstärkt. Neun Prozent der Menschen bewegen sich aktuell gar nicht, betreiben also keinerlei körperliche Aktivität. Weitere 20 Prozent machen viel zu wenig. Das heißt zusammenfassend: Jeder Dritte in Deutschland ist unterversorgt, was die körperliche Betätigung betrifft. Zweitens kommt hinzu, dass viele Menschen zu viel Zeit sitzend verbringen. Mit einem abendlichen Training kann man das kaum kompensieren. Und drittens haben wir ein hohes Stresslevel festgestellt. Das hängt ganz einfach damit zusammen, dass die Menschen sich zu wenig bewegen und sie so kein Ventil mehr haben, um den Druck durch Sport abzubauen. Da hat sich ein Teufelskreis entwickelt.

DFB.de: Wieviel Bewegung braucht der Mensch denn eigentlich am Tag?

Froböse: Wir haben uns in unserer Untersuchung ganz eng an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation orientiert. Die WHO empfiehlt 150 bis 300 Minuten Herz-Kreislauf-Training in der Woche. Dazu an zwei Tagen in der Woche ein muskuläres Training. Das ist ein guter Wert, an dem man sich orientieren kann.

DFB.de: Welche gesundheitlichen Folgen hat der Bewegungsmangel für unterschiedliche Altersklassen?

Froböse: Man kann das tatsächlich gut auf die verschiedenen Altersklassen herunterbrechen, weil die Auswirkungen sehr unterschiedlich ausfallen.

DFB.de: Beginnen wir mit Kindern und Jugendlichen.

Froböse: In dieser Altersklasse kann zu wenig Bewegung dazu führen, dass Entwicklungsprozesse nicht mehr optimal ablaufen. Es gibt doch dieses schöne Sprichwort, das voll zutreffend ist: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr! Viele kognitive Prozesse, aber auch Entwicklungs- und Lernprozesse der Kinder, werden nicht ausreichend gefördert. Auch soziale Komponenten kommen zu kurz. Ich denke hier konkret an die Bildung von Freundschaften im Mannschaftssport oder an emotionale Aspekte - den Umgang mit Sieg oder Niederlage. Auch das Thema Fairness wird sehr stark über den Sport transportiert. Im schlimmsten Fall werden die Kinder und Jugendlichen isoliert. Im Alter von zehn bis zwölf Jahren wird der Nachwuchs in der Regel für bestimmte Sportarten begeistert. Auch das kann wegfallen und schlimme langfristige Folgen haben.

DFB.de: Die zweite Altersgruppe ist die der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren.

Froböse: Hier geht es um die Optimierung der Leistungsfähigkeit. Es ist aber auch die Phase, in der viele ins Berufsleben einsteigen. Um dort erfolgreich sein zu können, muss man mit Stress umgehen können und belastbar sein. Der Sport ist hierfür das Fundament. Man lernt, sich durchzukämpfen, Verantwortung innerhalb einer Mannschaft zu übernehmen oder Aufgaben an andere abgeben zu können. Das sind Aspekte, die für das Berufsleben enorm wichtig sind.

DFB.de: Welche Folgen hat der Bewegungsmangel für die Über-30-Jährigen?

Froböse: In dieser Altersgruppe geht es um die Vermeidung von Krankheiten. Bis zum 50. Lebensjahr treten bei vielen die ersten Problemchen auf. Der Blutzuckerspiegel ist vielleicht zu hoch oder es kommt zu Übergewicht. Es geht also darum, Risikofaktoren früh in den Griff zu bekommen.

DFB.de: Und ab 50 Jahren?

Froböse: Geht es um den Erhalt der Leistungsfähigkeit, die letzte Strecke des Arbeitslebens zu meistern und Krankheiten in den Griff zu bekommen. Auch präventiv sollte man in dieser Altersgruppe tätig werden. Und ab 65 Jahren ist es einfach entscheidend, durch den Sport Lebensqualität zu erhalten und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Ganz wichtige Schlagworte sind in diesem Zusammenhang, Mobilität und Selbstständigkeit zu erhalten.

DFB.de: Welche Rolle kann in diesem Zusammenhang ganz konkret der Fußball einnehmen?

Froböse: Fußball spricht vor allem die Kinder an. Insofern kann man durch den Fußball sehr früh Duftmarken setzen. So kann der Fußball einerseits in der Entwicklung der Kinder förderlich sein. Und das auch in Hinsicht auf die Werte des Sports. Wir schaffen Bindung zum Sport. Im besten Fall bleiben die Kinder und Jugendlichen dann bis ins hohe Alter aktiv. Wenn wir es schaffen, die Menschen früh für den Sport zu begeistern, haben wir etwas ganz Wichtiges erreicht. Der Fußball als Sportspiel mit seinen vielen Motivationsaspekten ist hierfür herausragend geeignet.

DFB.de: Welche positiven Aspekte hat der Sport und speziell der Fußball über die reine Bewegung hinaus?

Froböse: Sport und Fußball fördern die Lernprozesse und damit im weitesten Sinne sogar die Intelligenz. Die mentale und kognitive Entwicklung wird positiv beeinflusst. Sport ist aber auch ein psycho-physischer Ausgleich. Die ganzen Stressfaktoren des Alltags, die Schule, die Bildung, der Beruf werden durch körperliche Aktivität reduziert. Beim Fußball zum Beispiel kann man sich wunderbar austoben und den Kopf wieder freibekommen. Nicht zu vergessen die Persönlichkeitsentwicklung, die durch den Sport sehr positiv beeinflusst wird. Ich denke an Aspekte, die ich eben schon angedeutet habe: Fairness, Respekt, Akzeptanz, Niederlage und Sieg. Emotionale Dinge werden in einer spielerischen Situation gelernt. Wer schon gespürt hat, was Sieg oder Niederlage auslösen können, weiß, wofür man gemeinsam auf dem Rasen kämpft. Und auch das Wiederaufstehen nach einem Rückschlag ist eine wichtige Erfahrung. Durch den Fußball lernt man auch, sich anzupassen: eine Rolle anzunehmen, Verantwortung zu übernehmen, sich unterordnen zu können. Teamfähigkeit fasst das ganz gut zusammen.

DFB.de: Die Pandemie hat unser Leben in den vergangenen anderthalb Jahren bestimmt. Welche Rolle spielen die Lockdowns im Hinblick auf die alarmierenden Erkenntnisse Ihrer Studie?

Froböse: Die Lockdowns haben die negative Entwicklung rasant beschleunigt. Sportstätten waren zu, Fitnessstudios waren geschlossen. Alle waren isoliert. Wenn in den Familien nicht darauf geachtet wurde, dass Kinder und Jugendliche sich trotzdem ausreichend bewegen, ist viel verloren gegangen. Und die Ergebnisse unserer Studie zeigen ja, dass das leider passiert ist. Wir haben viele Kinder und Jugendliche verloren - und zwar in erster Linie an die Tastatur oder die Konsole.

DFB.de: Kann man sie zurückgewinnen für den Sport, für den Fußball?

Froböse: Das ist extrem schwierig, weil sie andere soziale Kontexte kennengelernt und andere Inhalte für ihr Leben erfahren haben. Corona hat leider keinen guten Dienst im Sinne des Sports und der Persönlichkeitsentwicklung geleistet.

DFB.de: Was können Vereine tun, um die Trägheit der Menschen zu durchbrechen und sie wieder von ihren Angeboten zu überzeugen?

Froböse: Ich sehe hier die Politik ganz klar in der Verantwortung. Ich erwarte eine Kampagne im Sinne der Sportförderung. Die Politiker haben den Sport über einen langen Zeitraum weggeschlossen, tun aber andererseits nichts dafür, um ihn wiederzubeleben und die Vereine zu unterstützen. Wir müssen die Wertigkeit des Sports wieder herausarbeiten. Das erwarte ich von allen Stakeholdern, aber vor allem von der Politik. Das ist keine Aufgabe nur der Vereine, das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Vereine allein können das nicht leisten. Die Klubs sind die wichtigen Local Player, in ihnen werden die Netzwerke und die sozialen Strukturen aufrechterhalten. Bindung, Zusammenhalt, Integration und vor allem das Ehrenamt werden viel zu wenig wertgeschätzt. Aber das sind doch die Merkmale, die Sportvereine so besonders machen. Das müssen die Verantwortlichen allerdings auch verstehen und entsprechend offensiv kommunizieren. Es reicht nicht aus zu sagen, dass der Verein unter anderem Fußball anbietet. Nein, es muss klar herausgestellt werden, dass der Verein eine Leistung anbietet, die persönlichkeitsbildend ist und soziale Isolation aufhebt. Wir müssen es schaffen, die Funktionen des Sports mehr nach draußen zu stellen und nicht nur die eigentliche Sportart.

DFB.de: Schätzt die Politik den Sport wichtig genug ein im Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung?

Froböse: Überhaupt nicht. Und das finde ich sogar absurd. In keinem politischen Papier findet sich eine Würdigung für den Sport und die Arbeit innerhalb der Vereine. Das ist wirklich dramatisch. Die Werte des Sports in unserer Gesellschaft werden nicht ausreichend gewürdigt. Das muss man mal ganz klar so sagen. Ich habe den Eindruck, dass der Breitensport während der Pandemie nahezu komplett vergessen wurde. Und das ist deshalb bitter, weil der Breitensport so wichtig für unsere Kultur ist. Unsere Vereinsstruktur ist wahrscheinlich weltweit einzigartig. Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen.

DFB.de: Wie wichtig ist es, dass in diesem Zusammenhang konkret der Amateurfußball erlaubt bleibt - auch falls die Inzidenzzahlen im Herbst wieder steigen sollten?

Froböse: Super wichtig. Es gibt doch unglaublich viele Möglichkeiten, den Sport oder hier das Fußballtraining so zu gestalten, dass es nicht zu Gefahrenmomenten kommt. Wir können es uns nicht noch einmal leisten, Entwicklungsprozesse der Kinder und Jugendlichen zu unterbrechen oder Krankheiten zu fördern, wie wir es aktuell erlebt haben. Wir müssen uns höhere Inzidenzzahlen leisten im Sinne des Sports.

DFB.de: Gilt das auch für den Hallensport?

Froböse: Natürlich! Warum denn nicht? Auch Hallen kann man gut lüften. Man kann in kleineren Gruppen agieren. Der Sport und der Fußball haben in der Pandemie wunderbar gezeigt, wie man Systeme schaffen kann, die auch während der Pandemie funktionieren. Es ist sogar kontraproduktiv, den Sport zu verbieten, weil wir über die Bewegung und die Aktivität unsere Abwehrkräfte stärken. Aber selbstverständlich ist es wichtig, alle Rahmenbedingungen dafür einzuhalten.

DFB.de: Was könnte Ihrer Einschätzung nach passieren, wenn es doch wieder ein Verbot beispielsweise des Amateurfußballs gibt?

Froböse: Ich hoffe nicht, dass das passiert. Das hätte gravierende Folgen. Schon jetzt gehe ich davon aus, dass wir bis zum Jahr 2030 eine Verdoppelung der Gesundheitsausgaben haben werden. Wir werden viele Krankheitsbilder erleben, die Pflegebedürftigkeit nach sich ziehen werden. Im Moment ist das noch nicht sichtbar, aber es wird so kommen. Wir werden ein gravierendes gesellschaftliches Problem bekommen. Ich will es ganz klar formulieren: Sollte es weitere Sportverbote geben, werden wir bis zum Jahr 2030 eine kranke Gesellschaft werden. Schon jetzt sind wir auf dem Weg dorthin.

[sw]

Prof. Dr. Ingo Froböse, Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln, hat gemeinsam mit der Deutschen Krankenversicherung (DKV) eine Studie zum Gesundheitszustand der Deutschen vorgelegt. Die Ergebnisse sind alarmierend: So führen nur elf Prozent der befragten Deutschen ein gesundes Leben in den fünf abgefragten Lebensbereichen körperliche Aktivität, Ernährung, Rauchen, Alkohol und Stressempfinden. Dies ist seit Beginn der Befragungsreihe im Jahr 2010 der niedrigste Wert.

Woran liegt das? Welche Rolle spielen dabei die Lockdowns während der Pandemie? Was kann der Sport und konkret der Fußball tun, um die Menschen aus ihrer Trägheit herauszuholen? Und warum war das Sportverbot eher kontraproduktiv als förderlich? Die Studienergebnisse werfen viele Fragen auf, die Froböse im DFB.de-Interview beantwortet.

DFB.de: Herr Prof. Dr. Froböse, die Ergebnisse ihrer Studie klingen besorgniserregend. Teilen Sie diese Einschätzung?

Prof. Dr. Ingo Froböse: Ja, durchaus. Wir haben drei Entwicklungen, die sehr gravierend sind. Das ist erstens der Verlauf in den vergangenen zehn Jahren. Schon da haben sich die Menschen zu wenig bewegt - und diese Problematik hat sich zuletzt nochmals verstärkt. Neun Prozent der Menschen bewegen sich aktuell gar nicht, betreiben also keinerlei körperliche Aktivität. Weitere 20 Prozent machen viel zu wenig. Das heißt zusammenfassend: Jeder Dritte in Deutschland ist unterversorgt, was die körperliche Betätigung betrifft. Zweitens kommt hinzu, dass viele Menschen zu viel Zeit sitzend verbringen. Mit einem abendlichen Training kann man das kaum kompensieren. Und drittens haben wir ein hohes Stresslevel festgestellt. Das hängt ganz einfach damit zusammen, dass die Menschen sich zu wenig bewegen und sie so kein Ventil mehr haben, um den Druck durch Sport abzubauen. Da hat sich ein Teufelskreis entwickelt.

DFB.de: Wieviel Bewegung braucht der Mensch denn eigentlich am Tag?

Froböse: Wir haben uns in unserer Untersuchung ganz eng an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation orientiert. Die WHO empfiehlt 150 bis 300 Minuten Herz-Kreislauf-Training in der Woche. Dazu an zwei Tagen in der Woche ein muskuläres Training. Das ist ein guter Wert, an dem man sich orientieren kann.

DFB.de: Welche gesundheitlichen Folgen hat der Bewegungsmangel für unterschiedliche Altersklassen?

Froböse: Man kann das tatsächlich gut auf die verschiedenen Altersklassen herunterbrechen, weil die Auswirkungen sehr unterschiedlich ausfallen.

DFB.de: Beginnen wir mit Kindern und Jugendlichen.

Froböse: In dieser Altersklasse kann zu wenig Bewegung dazu führen, dass Entwicklungsprozesse nicht mehr optimal ablaufen. Es gibt doch dieses schöne Sprichwort, das voll zutreffend ist: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr! Viele kognitive Prozesse, aber auch Entwicklungs- und Lernprozesse der Kinder, werden nicht ausreichend gefördert. Auch soziale Komponenten kommen zu kurz. Ich denke hier konkret an die Bildung von Freundschaften im Mannschaftssport oder an emotionale Aspekte - den Umgang mit Sieg oder Niederlage. Auch das Thema Fairness wird sehr stark über den Sport transportiert. Im schlimmsten Fall werden die Kinder und Jugendlichen isoliert. Im Alter von zehn bis zwölf Jahren wird der Nachwuchs in der Regel für bestimmte Sportarten begeistert. Auch das kann wegfallen und schlimme langfristige Folgen haben.

DFB.de: Die zweite Altersgruppe ist die der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren.

Froböse: Hier geht es um die Optimierung der Leistungsfähigkeit. Es ist aber auch die Phase, in der viele ins Berufsleben einsteigen. Um dort erfolgreich sein zu können, muss man mit Stress umgehen können und belastbar sein. Der Sport ist hierfür das Fundament. Man lernt, sich durchzukämpfen, Verantwortung innerhalb einer Mannschaft zu übernehmen oder Aufgaben an andere abgeben zu können. Das sind Aspekte, die für das Berufsleben enorm wichtig sind.

DFB.de: Welche Folgen hat der Bewegungsmangel für die Über-30-Jährigen?

Froböse: In dieser Altersgruppe geht es um die Vermeidung von Krankheiten. Bis zum 50. Lebensjahr treten bei vielen die ersten Problemchen auf. Der Blutzuckerspiegel ist vielleicht zu hoch oder es kommt zu Übergewicht. Es geht also darum, Risikofaktoren früh in den Griff zu bekommen.

DFB.de: Und ab 50 Jahren?

Froböse: Geht es um den Erhalt der Leistungsfähigkeit, die letzte Strecke des Arbeitslebens zu meistern und Krankheiten in den Griff zu bekommen. Auch präventiv sollte man in dieser Altersgruppe tätig werden. Und ab 65 Jahren ist es einfach entscheidend, durch den Sport Lebensqualität zu erhalten und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Ganz wichtige Schlagworte sind in diesem Zusammenhang, Mobilität und Selbstständigkeit zu erhalten.

DFB.de: Welche Rolle kann in diesem Zusammenhang ganz konkret der Fußball einnehmen?

Froböse: Fußball spricht vor allem die Kinder an. Insofern kann man durch den Fußball sehr früh Duftmarken setzen. So kann der Fußball einerseits in der Entwicklung der Kinder förderlich sein. Und das auch in Hinsicht auf die Werte des Sports. Wir schaffen Bindung zum Sport. Im besten Fall bleiben die Kinder und Jugendlichen dann bis ins hohe Alter aktiv. Wenn wir es schaffen, die Menschen früh für den Sport zu begeistern, haben wir etwas ganz Wichtiges erreicht. Der Fußball als Sportspiel mit seinen vielen Motivationsaspekten ist hierfür herausragend geeignet.

DFB.de: Welche positiven Aspekte hat der Sport und speziell der Fußball über die reine Bewegung hinaus?

Froböse: Sport und Fußball fördern die Lernprozesse und damit im weitesten Sinne sogar die Intelligenz. Die mentale und kognitive Entwicklung wird positiv beeinflusst. Sport ist aber auch ein psycho-physischer Ausgleich. Die ganzen Stressfaktoren des Alltags, die Schule, die Bildung, der Beruf werden durch körperliche Aktivität reduziert. Beim Fußball zum Beispiel kann man sich wunderbar austoben und den Kopf wieder freibekommen. Nicht zu vergessen die Persönlichkeitsentwicklung, die durch den Sport sehr positiv beeinflusst wird. Ich denke an Aspekte, die ich eben schon angedeutet habe: Fairness, Respekt, Akzeptanz, Niederlage und Sieg. Emotionale Dinge werden in einer spielerischen Situation gelernt. Wer schon gespürt hat, was Sieg oder Niederlage auslösen können, weiß, wofür man gemeinsam auf dem Rasen kämpft. Und auch das Wiederaufstehen nach einem Rückschlag ist eine wichtige Erfahrung. Durch den Fußball lernt man auch, sich anzupassen: eine Rolle anzunehmen, Verantwortung zu übernehmen, sich unterordnen zu können. Teamfähigkeit fasst das ganz gut zusammen.

DFB.de: Die Pandemie hat unser Leben in den vergangenen anderthalb Jahren bestimmt. Welche Rolle spielen die Lockdowns im Hinblick auf die alarmierenden Erkenntnisse Ihrer Studie?

Froböse: Die Lockdowns haben die negative Entwicklung rasant beschleunigt. Sportstätten waren zu, Fitnessstudios waren geschlossen. Alle waren isoliert. Wenn in den Familien nicht darauf geachtet wurde, dass Kinder und Jugendliche sich trotzdem ausreichend bewegen, ist viel verloren gegangen. Und die Ergebnisse unserer Studie zeigen ja, dass das leider passiert ist. Wir haben viele Kinder und Jugendliche verloren - und zwar in erster Linie an die Tastatur oder die Konsole.

DFB.de: Kann man sie zurückgewinnen für den Sport, für den Fußball?

Froböse: Das ist extrem schwierig, weil sie andere soziale Kontexte kennengelernt und andere Inhalte für ihr Leben erfahren haben. Corona hat leider keinen guten Dienst im Sinne des Sports und der Persönlichkeitsentwicklung geleistet.

DFB.de: Was können Vereine tun, um die Trägheit der Menschen zu durchbrechen und sie wieder von ihren Angeboten zu überzeugen?

Froböse: Ich sehe hier die Politik ganz klar in der Verantwortung. Ich erwarte eine Kampagne im Sinne der Sportförderung. Die Politiker haben den Sport über einen langen Zeitraum weggeschlossen, tun aber andererseits nichts dafür, um ihn wiederzubeleben und die Vereine zu unterstützen. Wir müssen die Wertigkeit des Sports wieder herausarbeiten. Das erwarte ich von allen Stakeholdern, aber vor allem von der Politik. Das ist keine Aufgabe nur der Vereine, das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Vereine allein können das nicht leisten. Die Klubs sind die wichtigen Local Player, in ihnen werden die Netzwerke und die sozialen Strukturen aufrechterhalten. Bindung, Zusammenhalt, Integration und vor allem das Ehrenamt werden viel zu wenig wertgeschätzt. Aber das sind doch die Merkmale, die Sportvereine so besonders machen. Das müssen die Verantwortlichen allerdings auch verstehen und entsprechend offensiv kommunizieren. Es reicht nicht aus zu sagen, dass der Verein unter anderem Fußball anbietet. Nein, es muss klar herausgestellt werden, dass der Verein eine Leistung anbietet, die persönlichkeitsbildend ist und soziale Isolation aufhebt. Wir müssen es schaffen, die Funktionen des Sports mehr nach draußen zu stellen und nicht nur die eigentliche Sportart.

DFB.de: Schätzt die Politik den Sport wichtig genug ein im Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung?

Froböse: Überhaupt nicht. Und das finde ich sogar absurd. In keinem politischen Papier findet sich eine Würdigung für den Sport und die Arbeit innerhalb der Vereine. Das ist wirklich dramatisch. Die Werte des Sports in unserer Gesellschaft werden nicht ausreichend gewürdigt. Das muss man mal ganz klar so sagen. Ich habe den Eindruck, dass der Breitensport während der Pandemie nahezu komplett vergessen wurde. Und das ist deshalb bitter, weil der Breitensport so wichtig für unsere Kultur ist. Unsere Vereinsstruktur ist wahrscheinlich weltweit einzigartig. Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen.

DFB.de: Wie wichtig ist es, dass in diesem Zusammenhang konkret der Amateurfußball erlaubt bleibt - auch falls die Inzidenzzahlen im Herbst wieder steigen sollten?

Froböse: Super wichtig. Es gibt doch unglaublich viele Möglichkeiten, den Sport oder hier das Fußballtraining so zu gestalten, dass es nicht zu Gefahrenmomenten kommt. Wir können es uns nicht noch einmal leisten, Entwicklungsprozesse der Kinder und Jugendlichen zu unterbrechen oder Krankheiten zu fördern, wie wir es aktuell erlebt haben. Wir müssen uns höhere Inzidenzzahlen leisten im Sinne des Sports.

DFB.de: Gilt das auch für den Hallensport?

Froböse: Natürlich! Warum denn nicht? Auch Hallen kann man gut lüften. Man kann in kleineren Gruppen agieren. Der Sport und der Fußball haben in der Pandemie wunderbar gezeigt, wie man Systeme schaffen kann, die auch während der Pandemie funktionieren. Es ist sogar kontraproduktiv, den Sport zu verbieten, weil wir über die Bewegung und die Aktivität unsere Abwehrkräfte stärken. Aber selbstverständlich ist es wichtig, alle Rahmenbedingungen dafür einzuhalten.

DFB.de: Was könnte Ihrer Einschätzung nach passieren, wenn es doch wieder ein Verbot beispielsweise des Amateurfußballs gibt?

Froböse: Ich hoffe nicht, dass das passiert. Das hätte gravierende Folgen. Schon jetzt gehe ich davon aus, dass wir bis zum Jahr 2030 eine Verdoppelung der Gesundheitsausgaben haben werden. Wir werden viele Krankheitsbilder erleben, die Pflegebedürftigkeit nach sich ziehen werden. Im Moment ist das noch nicht sichtbar, aber es wird so kommen. Wir werden ein gravierendes gesellschaftliches Problem bekommen. Ich will es ganz klar formulieren: Sollte es weitere Sportverbote geben, werden wir bis zum Jahr 2030 eine kranke Gesellschaft werden. Schon jetzt sind wir auf dem Weg dorthin.

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