Fritz Walter: "Der schwarze Tag von Paris"

Er war der Kapitän beim "Wunder von Bern", hat 61-mal in der deutschen Nationalmannschaft gestanden und neben grandiose Erfolgen auch so manch bittere Niederlage erlitten. Ein 3:8 gegen die Ungarn etwa oder ein 1:3 gegen die Schweden, beides bei Weltmeisterschaften. Mit seinem 1. FC Kaiserslautern hat er von fünf Endspielen um die deutsche Meisterschaft drei verloren, darunter das legendäre 1:5 gegen Hannover 96 im WM-Jahr 1954.

Doch sein schlimmstes Erlebnis auf dem Fußballplatz war 1952 ein Testspiel gegen Frankreich, heute vor 70 Jahren. In seinem Buch "Spiele, die ich nie vergessen werde" widmete Fritz Walter den 90 Minuten im Stadion Colombes ein eigenes Kapitel. Er nannte es "Der schwarze Tag von Paris" und titulierte das eigene Spiel mit "Provinzfußball". Damals wollte der später zum ersten Ehrenspielführer des DFB ernannte Walter zurücktreten, doch es kam anders - zum Glück. Der DFB.de-Rückblick.

Walter nach Bandscheibenverletzung nicht fit

Die Vorzeichen standen schlecht vor dem ersten Spiel nach dem Krieg gegen die Franzosen, gegen die Deutschland zuletzt 1937 angetreten war. Es war mehr als ein Testspiel, es war auch ein Politikum, und noch vor einem guten Abschneiden stand der Fair-Play-Gedanke. Deutschland kehrte allmählich zurück auf die Bühne der Völker, seit zwei Jahren hatte es wieder eine Nationalmannschaft, die mit ihrem Auftreten einen Beitrag zur Aussöhnung mit den einstigen Kriegsgegnern leisten sollte. Natürlich wollten sie trotzdem nicht verlieren, am liebsten die Siegesserie von vier Spielen verlängern.

Doch Bundestrainer Sepp Herberger plagten Personalsorgen: Werner Kohlmeyer und Jakob Streitle waren verletzt, Max Morlock nach einem Platzverweis im Nürnberger Dress intern gesperrt. Und Fritz Walter? Den Kapitän plagte eine Bandscheibenverletzung, eine Woche hatte er gar nicht trainiert. In den Stunden vor dem Spiel machte er auf dem Hotelflur ein paar Sprints und erklärte sich für einsatzfähig.

Vor 60.000 Zuschauern, darunter 8000 Deutsche, führte er die unerfahrene Mannschaft (im Schnitt 6,45 Länderspiele) aufs Feld. Der Düsseldorfer Verteidiger Kurt Borkenhagen gab sein Debüt, Ausputzer Werner Liebrich machte sein zweites und Verteidiger Erich Retter sein drittes Spiel. Fritz Walter (31. Einsatz) hatte nur neun Länderspiele weniger als alle anderen zusammen. Wenn dann ausgerechnet der mit Abstand erfahrenste Mann einen schwarzen Tag erwischt, kommen Spiele wie jenes zustande.

Herberger: "Wenn ihr nur flüssiger spielen würdet"

Die Franzosen gingen schon nach vier Minuten durch Joseph Ujlaki in Führung, die Ottmar Walter, Fritz' jüngerer Bruder, mit einem "halbhohen Bombenschuß" noch ausgleichen konnte (16.). 15 Minute später schied der Schütze verletzt aus, gerade noch frühzeitig genug, um nach damaligem Regelwerk ersetzt werden zu können. Es kam der Amateur Georg Stollenwerk von Düren 99, einem zweitklassigen Klub. Mit Glück retteten die Deutschen ein 1:1 in die Kabine, wo schon schlechte Stimmung herrschte.

Herberger versuchte zu beruhigen: "Noch ist nichts verloren, unsere Rechnung ist bisher aufgegangen. Wenn ihr nur flüssiger spielen würdet!" Das galt auch seinem Schützling Fritz Walter, der sich gleich mit zwei ihn abwechselnd beschattenden Gegenspielern zu tun hatte. Bis zur Verletzung seines Bruders hatte er gut gespielt und sogar Szenenbeifall provoziert, danach aber war er "wie umgewandelt, wirkte niedergeschlagen, langsam", stellte der Kicker fest.

Verwunderung über die Fähigkeiten der Franzosen.

Mit einem resignierenden Walter stand das DFB-Team nun auf verlorenem Posten. Zwar brauchten die permanent drückenden Franzosen viel zu lange, ihre Überlegenheit (23:11 Torschüsse) in Tore umzusetzen, aber letztlich fielen sie doch noch. Thadée Cisowski (83.) und André Strappe (89.) schenkten Toni Turek, einem von sechs kommenden Weltmeistern im deutschen Team, noch zwei Treffer ein. Hinterher äußerten einige Deutsche ihre Verwunderung über die Fähigkeiten der Gastgeber. "Ich bin erstaunt, was die Franzosen in der Nationalmannschaft können", sagte etwa Jupp Posipal. Auch Fritz Walter äußerte sich in ähnlicher Form, bloß verkraftete er es schwerer als alle anderen.

Der Endstand von 1:3 in einem Auswärtsspiel bei einer anerkannten Fußballnation wäre eigentlich allein kein Grund gewesen für eine Depression. Zumal: Schlecht waren sie alle an diesem Tag, Fritz Walter aber bezog alles auf sich und fand, es war "ein rabenschwarzer Tag, der schwärzeste vielleicht in meiner Laufbahn". Er sah im Gespräch mit DFB-Spielausschussmitglied Hans Körfer voraus: "Na, ich werde etwas erleben. An mir lässt man kein gutes Haar. Dabei hatte ich doch Blei in den Knochen." Der Hagel der Kritik traf ihn in der Tat außergewöhnlich hart: "Nachfolger für Fritz Walter gesucht, gerade diese Schlagzeile werde ich nie vergessen", gab er später zu.

Ein Auszug aus dem Blätterwald vom Oktober 1952:

"Fritz Walter wird 1954 bei der Weltmeisterschaft bestimmt nicht mehr in der deutschen Mannschaft stehen.“ (Sport Hamburg)

"So geht es wohl kaum weiter. Vielleicht tut eine Pause gut. Erschreckend ungenau im Abspiel“ (Sport Illustrierte Stuttgart)

"Unbeholfen, verzweifelt.“ (Sport Magazin)

"...empfand es als Majestätsbeleidigung, daß ihm der junge Bonifaci die Bälle abnahm“ (Sport Welt Saarbrücken)

"Die größte Enttäuschung von Paris“ (Der Neue Sport Frankfurt)

"Vor jedem wichtigen Spiel musste ich ihm in den Hintern treten"

Obwohl er all das noch nicht gelesen hatte, bot Fritz Walter auf der Rückfahrt im Schlafwagen Sepp Herberger bei einer Flasche Bier erstmals seinen Rücktritt an - das sollte noch öfter passieren. Walter schrieb in seinem Buch: "Bei mir löste der Schock, den mir das Spiel in Paris versetzt hatte, eine regelrechte Krise aus. Ich stand kurz vor meinem 32. Geburtstag. Durfte ich die Warnung, endlich die Fußballschuhe an den Nagel zu hängen, in den Wind schlagen?"

Herberger lehnte rigoros ab: "Erzählen Sie doch nicht solchen Quatsch. Ich brauch' Sie noch. Noch jahrelang!" So wies ihn der Bundestrainer zurück. Den Rest regelten die Freunde vom FCK. "Acht Tage sperrte er sich ein, die Rollläden blieben verschlossen - am Sonntag holten wir ihn und besiegten Wormatia Worms mit 10:2", erinnerte sich sein Bruder Ottmar, Weltmeister und FCK-Idol wie er, der seinen "Friedrich" so gut wie kaum einer kannte. "Vor jedem wichtigen Spiel musste ich ihm in den Hintern treten."

Weshalb Fritz Walter der Nationalelf noch sechs Jahre erhalten blieb und sie unter seiner grandiosen Führung 1954 den WM-Titel holte.

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Er war der Kapitän beim "Wunder von Bern", hat 61-mal in der deutschen Nationalmannschaft gestanden und neben grandiose Erfolgen auch so manch bittere Niederlage erlitten. Ein 3:8 gegen die Ungarn etwa oder ein 1:3 gegen die Schweden, beides bei Weltmeisterschaften. Mit seinem 1. FC Kaiserslautern hat er von fünf Endspielen um die deutsche Meisterschaft drei verloren, darunter das legendäre 1:5 gegen Hannover 96 im WM-Jahr 1954.

Doch sein schlimmstes Erlebnis auf dem Fußballplatz war 1952 ein Testspiel gegen Frankreich, heute vor 70 Jahren. In seinem Buch "Spiele, die ich nie vergessen werde" widmete Fritz Walter den 90 Minuten im Stadion Colombes ein eigenes Kapitel. Er nannte es "Der schwarze Tag von Paris" und titulierte das eigene Spiel mit "Provinzfußball". Damals wollte der später zum ersten Ehrenspielführer des DFB ernannte Walter zurücktreten, doch es kam anders - zum Glück. Der DFB.de-Rückblick.

Walter nach Bandscheibenverletzung nicht fit

Die Vorzeichen standen schlecht vor dem ersten Spiel nach dem Krieg gegen die Franzosen, gegen die Deutschland zuletzt 1937 angetreten war. Es war mehr als ein Testspiel, es war auch ein Politikum, und noch vor einem guten Abschneiden stand der Fair-Play-Gedanke. Deutschland kehrte allmählich zurück auf die Bühne der Völker, seit zwei Jahren hatte es wieder eine Nationalmannschaft, die mit ihrem Auftreten einen Beitrag zur Aussöhnung mit den einstigen Kriegsgegnern leisten sollte. Natürlich wollten sie trotzdem nicht verlieren, am liebsten die Siegesserie von vier Spielen verlängern.

Doch Bundestrainer Sepp Herberger plagten Personalsorgen: Werner Kohlmeyer und Jakob Streitle waren verletzt, Max Morlock nach einem Platzverweis im Nürnberger Dress intern gesperrt. Und Fritz Walter? Den Kapitän plagte eine Bandscheibenverletzung, eine Woche hatte er gar nicht trainiert. In den Stunden vor dem Spiel machte er auf dem Hotelflur ein paar Sprints und erklärte sich für einsatzfähig.

Vor 60.000 Zuschauern, darunter 8000 Deutsche, führte er die unerfahrene Mannschaft (im Schnitt 6,45 Länderspiele) aufs Feld. Der Düsseldorfer Verteidiger Kurt Borkenhagen gab sein Debüt, Ausputzer Werner Liebrich machte sein zweites und Verteidiger Erich Retter sein drittes Spiel. Fritz Walter (31. Einsatz) hatte nur neun Länderspiele weniger als alle anderen zusammen. Wenn dann ausgerechnet der mit Abstand erfahrenste Mann einen schwarzen Tag erwischt, kommen Spiele wie jenes zustande.

Herberger: "Wenn ihr nur flüssiger spielen würdet"

Die Franzosen gingen schon nach vier Minuten durch Joseph Ujlaki in Führung, die Ottmar Walter, Fritz' jüngerer Bruder, mit einem "halbhohen Bombenschuß" noch ausgleichen konnte (16.). 15 Minute später schied der Schütze verletzt aus, gerade noch frühzeitig genug, um nach damaligem Regelwerk ersetzt werden zu können. Es kam der Amateur Georg Stollenwerk von Düren 99, einem zweitklassigen Klub. Mit Glück retteten die Deutschen ein 1:1 in die Kabine, wo schon schlechte Stimmung herrschte.

Herberger versuchte zu beruhigen: "Noch ist nichts verloren, unsere Rechnung ist bisher aufgegangen. Wenn ihr nur flüssiger spielen würdet!" Das galt auch seinem Schützling Fritz Walter, der sich gleich mit zwei ihn abwechselnd beschattenden Gegenspielern zu tun hatte. Bis zur Verletzung seines Bruders hatte er gut gespielt und sogar Szenenbeifall provoziert, danach aber war er "wie umgewandelt, wirkte niedergeschlagen, langsam", stellte der Kicker fest.

Verwunderung über die Fähigkeiten der Franzosen.

Mit einem resignierenden Walter stand das DFB-Team nun auf verlorenem Posten. Zwar brauchten die permanent drückenden Franzosen viel zu lange, ihre Überlegenheit (23:11 Torschüsse) in Tore umzusetzen, aber letztlich fielen sie doch noch. Thadée Cisowski (83.) und André Strappe (89.) schenkten Toni Turek, einem von sechs kommenden Weltmeistern im deutschen Team, noch zwei Treffer ein. Hinterher äußerten einige Deutsche ihre Verwunderung über die Fähigkeiten der Gastgeber. "Ich bin erstaunt, was die Franzosen in der Nationalmannschaft können", sagte etwa Jupp Posipal. Auch Fritz Walter äußerte sich in ähnlicher Form, bloß verkraftete er es schwerer als alle anderen.

Der Endstand von 1:3 in einem Auswärtsspiel bei einer anerkannten Fußballnation wäre eigentlich allein kein Grund gewesen für eine Depression. Zumal: Schlecht waren sie alle an diesem Tag, Fritz Walter aber bezog alles auf sich und fand, es war "ein rabenschwarzer Tag, der schwärzeste vielleicht in meiner Laufbahn". Er sah im Gespräch mit DFB-Spielausschussmitglied Hans Körfer voraus: "Na, ich werde etwas erleben. An mir lässt man kein gutes Haar. Dabei hatte ich doch Blei in den Knochen." Der Hagel der Kritik traf ihn in der Tat außergewöhnlich hart: "Nachfolger für Fritz Walter gesucht, gerade diese Schlagzeile werde ich nie vergessen", gab er später zu.

Ein Auszug aus dem Blätterwald vom Oktober 1952:

"Fritz Walter wird 1954 bei der Weltmeisterschaft bestimmt nicht mehr in der deutschen Mannschaft stehen.“ (Sport Hamburg)

"So geht es wohl kaum weiter. Vielleicht tut eine Pause gut. Erschreckend ungenau im Abspiel“ (Sport Illustrierte Stuttgart)

"Unbeholfen, verzweifelt.“ (Sport Magazin)

"...empfand es als Majestätsbeleidigung, daß ihm der junge Bonifaci die Bälle abnahm“ (Sport Welt Saarbrücken)

"Die größte Enttäuschung von Paris“ (Der Neue Sport Frankfurt)

"Vor jedem wichtigen Spiel musste ich ihm in den Hintern treten"

Obwohl er all das noch nicht gelesen hatte, bot Fritz Walter auf der Rückfahrt im Schlafwagen Sepp Herberger bei einer Flasche Bier erstmals seinen Rücktritt an - das sollte noch öfter passieren. Walter schrieb in seinem Buch: "Bei mir löste der Schock, den mir das Spiel in Paris versetzt hatte, eine regelrechte Krise aus. Ich stand kurz vor meinem 32. Geburtstag. Durfte ich die Warnung, endlich die Fußballschuhe an den Nagel zu hängen, in den Wind schlagen?"

Herberger lehnte rigoros ab: "Erzählen Sie doch nicht solchen Quatsch. Ich brauch' Sie noch. Noch jahrelang!" So wies ihn der Bundestrainer zurück. Den Rest regelten die Freunde vom FCK. "Acht Tage sperrte er sich ein, die Rollläden blieben verschlossen - am Sonntag holten wir ihn und besiegten Wormatia Worms mit 10:2", erinnerte sich sein Bruder Ottmar, Weltmeister und FCK-Idol wie er, der seinen "Friedrich" so gut wie kaum einer kannte. "Vor jedem wichtigen Spiel musste ich ihm in den Hintern treten."

Weshalb Fritz Walter der Nationalelf noch sechs Jahre erhalten blieb und sie unter seiner grandiosen Führung 1954 den WM-Titel holte.

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