Feddermann: "Gehirnerschütterungen haben meistens eine gute Prognose."

Mats Hummels hat es schon erwischt, Marcel Schmelzer, Benedikt Höwedes oder auch Petr Čech. Sie alle haben bei Fußballspielen mehr oder minder starke Kopfverletzungen erlitten, sind dadurch ausgefallen und haben nach einer Verletzungspause mit Masken oder Helmen weiter gespielt. Es verdichtet sich das Gefühl, dass sich Kopfverletzuzngen in den letzten Jahren häufen. "Nein", sagt Dr. Nina Feddermann, von der Klinik für Neurologie, UniversitätsSpital Zürich. "Seitdem eine Regeländerung für absichtliche Ellenbogen-Schläge die Rote Karte vorschreibt, haben die (schweren) Kopfverletzungen abgenommen."

Feddermann ist Mitglied des FIFA Forschungszentrums F-MARC (FIFA - Medical Assessment and Research Centre) und seit 2005 in unterschiedliche Projekte der Bereiche Wissenschaft, Entwicklung und Implementierung involviert. Ihr besonderes Interesse gilt "Kopfverletzungen und Auswirkungen des Kopfballspiels im Fussball". Welche Verletzungen am häufigsten sind, wie diese diagnostiziert und behandelt werden und welche Soforthilfemaßnahmen auf dem Platz vorgenommen werden können, das erklärt sie im TWO-Interview mit DFB-Redakteur Peter Scheffler.

TWO: Frau Feddermann, welche sind die häufigsten Kopfverletzungen im Fußball?

Dr. Nina Feddermann: Die häufigste Kopfverletzung im Fußball ist die „Weichteilprellung“; danach kommt die „Platzwunde“. „Gehirnerschütterungen“ (Synonym: leichtes Schädel-Hirn-Trauma) machen im Profisport circa 13 Prozent aller Kopf- und Halsverletzungen aus.

TWO: Wie gefährlich sind diese Verletzungen?

Feddermann: Die meisten Kopfverletzungen werden als harmlos beurteilt, strukturelle Hirnschäden werden selten nachgewiesen. Es gibt verschiedene Unterteilungen, am einfachsten ist eine Unterscheidung in strukturelle (wie z.B. Blutungen innerhalb des Schädels, Anm. d. Red.) und nicht-strukturelle Verletzungen (wie z.B. eine „Gehirnerschütterung“). Frauen erleiden häufiger eine „Gehirnerschütterung“ als Männer. Die Ursache konnte noch nicht eindeutig geklärt werden, ist aber Gegenstand laufender Studien.

TWO: Was macht die Gehirnerschütterung so gefährlich? 

Feddermann: Die „Gehirnerschütterung“ ist durch eine diffuse, zumeist reversible Hirnschädigung gekennzeichnet, die zu rasch nach dem Ereignis eintretenden neurologischen (z.B. Schwindel, Kopfschmerzen) und neurokognitiven (z.B. Erinnerungslücke) Veränderungen mit und ohne Bewusstseinsverlust führen kann. Als gefährliche Komplikation der „Gehirnerschütterung“ wird das sogenannte „Second-Impact-Syndrom“ diskutiert, ein seltenes Phänomen, das bei Spielern auftreten kann, die nach einer „Gehirnerschütterung“ ein zweites Schädel-Hirntrauma erleiden, bevor sie sich vom Erstereignis vollständig erholt haben. Dies kann einerseits zu einer Verschlimmerung der bestehenden Symptome führen, andererseits zu einer akuten, schweren und lebensbedrohlichen „Hirnschwellung“. Es ist daher auf jeden Fall ratsam, einen Arzt aufzusuchen, bevor man wieder in den Sport einsteigt.

TWO: Welche Verletzungen sind ebenfalls gefährlich?

Feddermann: Akut lebensbedrohlich sind auch Hirnblutungen, die durch „Einrisse“ hirnversorgender Blutgefäße durch den Aufprall entstehen. Bedingt durch die knöcherne Begrenzung des Gehirns kann eine Hirnblutung schnell zu einem erhöhten Druck führen. Wenn nicht rechtzeitig eine Entlastung (Dekompression) erfolgt, können dabei lebensnotwendige Strukturen eingeklemmt werden.

TWO: Welche Risiken gibt es noch?

Feddermann: Aufgrund des ähnlichen Verletzungsmechanismus besteht zudem die Gefahr einer Halswirbelsäulenverletzung, die ebenfalls potentiell lebensbedrohlich sein kann. Eine blutende Kopfwunde kann ein Hinweis auf eine darunter liegende Fraktur sein. Wenn in solchen Fällen eine Blutstillung durch Druck versucht wird, muss eine Impression der Knochenfragmente vermieden werden. Platzwunden sollten gereinigt und falls nötig mit steriler Technik geklebt oder genäht werden, um eine Infektion zu vermeiden.

TWO: Wie lange sind die jeweiligen Ausfallzeiten?

Feddermann: Die Ausfallzeit des verletzten Spielers muss individuell beurteilt werden und hängt von der Art der Verletzung und vom Ausmaß der Symptome ab. Zum Beispiel bilden sich die Beschwerden einer „Gehirnerschütterung“ in der Mehrheit der Fälle (80 bis 90 Prozent) innerhalb kurzer Zeit (7 bis 10 Tage) zurück. Die Erholungszeiten können jedoch bei Kindern und Jugendlichen länger sein. Für eine genaue Analyse gibt es aktuelle Leitlinien, an denen sich Ärzte orientieren können. Ein graduiertes „Return to play“ (Rückkehr zum Spiel/Sport) gemäss dieser Leitlinien ist empfohlen.

TWO: Welche sind das?

Feddermann: Im März erschien das überarbeitete „Consensus statement on concussion in sport“ (deutsche Version folgt noch), das von einer internationalen Expertengruppe in Zusammenarbeit mit großen Sportverbänden (IOC, FIFA, IIHF, IRB, FEI) entwickelt und im November 2012 im Rahmen der in Zürich stattgefundenen „Consensus Conference on Concussion in Sport“ überarbeitet wurde.

Im Allgemeinen gilt die Regel, dass die Entscheidung betreffend „Return to play, school oder work“ (Rückkehr zum Sport, zur Schule oder ins Arbeitsleben) in Abhängigkeit der klinischen Beurteilung individuell vorzunehmen ist. Die „Return to play“ Kriterien nach einer "Gehirnerschütterung" folgen einem mehrstufigen Programm: Wenn der Athlet eine Stufe ohne erkennbare Beschwerden oder Symptome durchlaufen hat, kann er mit der nächsthöheren Stufe fortfahren. Jede Stufe sollte 24 Stunden umfassen, so dass ein verletzter Spieler im Idealfall nach einer Woche das gesamte Regenerationsprotokoll durchläuft. Wenn während einer Stufe Symptome auftreten, sollte der Spieler zur vorherigen Stufe zurückkehren und die nächsthöhere Stufe nach 24 Stunden erneut versuchen. Eine Fortführung des Spiels am Verletzungstag sollte nicht erfolgen.

TWO: Haben Kopfverletzungen in den letzten Jahren zugenommen?

Feddermann: Nein. Im Rahmen der FIFA Fußball-WeltmeisterschaftTM 2006 hat die FIFA aufgrund der Ergebnisse einer Studie von FIFAs Forschungszentrum F-MARC heraus gefunden, dass mehr als die Hälfte aller Kopfverletzungen (60%) im Fußball die Folge von Luftduellen (vor allem Ellenbogen-Kopf oder Kopf-Kopf-Kontakt) ist. Daraufhin wurde eine Regeländerung eingeführt, dass absichtliche Ellenbogen-Schläge gegen den Kopf mit einem Platzverweis geahndet werden. Hierdurch konnte eine Halbierung der schweren Kopfverletzungen bei den FIFA-Turnieren erreicht werden mit durchschnittlich einer „Gehirnerschütterung“ pro FIFA-Turnier.

TWO: Kann ich die unterschiedlichen Verletzungen als Laie erkennen?

Feddermann: Eine eindeutige Zuordnung der unterschiedlichen Verletzungen ist oftmals am Spielfeldrand noch nicht möglich und das Ausmaß der äußerlichen Verletzung, wie zum Beispiel eine Platzwunde oder Schwellung, spiegelt nicht die Schwere der Verletzung wieder. Hingegen weist zum Beispiel die Dauer einer Erinnerungslücke auf die Schwere einer Hirnverletzung hin. „Ohnmacht“ gehört zu den Symptomen, die immer einer raschen medizinischen Beurteilung bedürfen. Ein geeignetes Tool für Nicht-Mediziner ist das ebenfalls im März erschienene Pocket Concussion Recognititon Tool, das am Spielfeldrand eine Hilfe in der Zuordnung von Symptomen im Hinblick auf das Vorliegen einer möglichen Gehirnerschütterung darstellt (deutsche Version folgt noch).

TWO: Wie sollte ich als Betroffener bei Kopfverletzungen reagieren?

Feddermann: Wer eine Kopfverletzung erlitten hat, sollte das Spielfeld sofort verlassen und sich von einem Arzt oder anderem medizinischen Personal (Sanitäter(in), Pflegefachfrau/-mann, oder Physiotherapeut(in)) beurteilen lassen. Wenn die Kopfverletzung zu einem Sturz geführt hat, sollte der verletzte Spieler aufgrund der Gefahr einer Halswirbelsäulenverletzung zunächst auf dem Spielfeld ruhig liegen bleiben.

TWO: Kann auch eine nicht geschulte Fachkraft 1. Hilfe leisten?

Feddermann: Natürlich, wenn sie sich mit den 1. Hilfe-Maßnahmen auskennt. Eine spezielle Aufmerksamkeit sollte dem Ausschluss der zuvor erwähnten Halswirbelsäulenverletzung gelten. Falls nötig, ist hier eine geeignete Ruhigstellung der Halswirbelsäule notwendig, um weitere Schäden vorzubeugen. Wenn kein Arzt oder medizinisches Personal vor Ort ist, sollte der Spieler je nach Zustand vom Spielfeld getragen (bei entsprechender Schulung der Helfer) oder begleitet werden und schnell zu einem Arzt oder einem Krankenhaus gebracht werden. Bei Verdacht auf eine Halswirbelsäulenverletzung oder bei kritischem Allgemeinzustand sollte sofort ein Notarzt gerufen werden.

TWO: Welche Tests würde ein Facharzt nach der 1. Hilfe durchführen?

Feddermann: Schon am Spielfeldrand sollte eine spezielle Untersuchung auf Vorliegen einer Gehirnerschütterung oder sonstigen schweren Kopfverletzung unter Zuhilfenahme des sogenannten SCAT3TM (Standardized Concussion Assessment Tool3), Child-SCAT3TM oder anderen Seitenlinien-Assessment-Tests erfolgen. Hierbei kommt vor allem den vom verletzten Spieler beschriebenen Symptomen, der klinisch neurologischen- und neurokognitiven Untersuchung und den Gleichgewichts-Tests eine besondere Bedeutung zu. In der Beurteilung gilt ferner zu beachten, dass Beschwerden oder neurologische - und neurokognitive Defizite auch erst mit einer Verzögerung von einigen Stunden auftreten können, da es sich beispielweise im akuten Stadium einer Gehirnerschütterung um eine dynamische Verletzung handelt. Das bedeutet, dass deren Ausprägung sich schnell und manchmal unerwartet verändern kann. Wie bereits erwähnt, sollte dem Spieler bei Verdacht auf eine Gehirnerschütterung ein „Return to play“ am gleichen Tag nicht gestattet werden.

TWO: Gibt es Kopfverletzungen öfter im Profi- oder Amateurbereich?

Feddermann: Die Häufigkeit von Kopfverletzungen steigt mit dem Alter und der Spielklasse und ist im Profibereich etwa viermal häufiger als im Amateurbereich. Die Datenlage ist jedoch im Profi-Fußball aufgrund der guten medizinischen Betreuung der Spieler und der 1998 von der FIFA eingeführten standardisierten Verletzungsdokumentation besser als im Amateurbereich. Die Zahl der Kopfverletzungen wird im Amateurbereich möglicherweise unterschätzt.

TWO: Welches sind Warnhinweise, auf die ich als Spieler selbst reagieren kann?

Feddermann: Typische Zeichen einer Gehirnerschütterung sind Verwirrtheit und eine Erinnerungslücke mit und ohne Bewusstseinsverlust. Mögliche Begleitsymptome sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel mit Gangunsicherheit, Benommenheit, Sehstörung (Doppeltsehen), Licht- oder Lärmempfindlichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, rasche Ermüdbarkeit oder eine verlangsamte Reaktionszeit. Eine Zuweisung ins nächste Krankenhaus sollte bei den folgenden Symptomen erfolgen: Vorliegen einer Schädelfraktur oder mögliche Halswirbelsäulenverletzung, Bewusstseinsverlust oder Bewusstseinsminderung (Glasgow Coma Skala (GCS) <15 (normal 15), Verwirrtheit, abnormales Verhalten, neurologische Auffälligkeiten, Erbrechen oder Zunahme von Kopfschmerz, Krampfanfall, mehr als eine im Spiel oder Training erlittene Kopfverletzung, Gleichgewichtsstörungen oder bekannte Risikofaktoren wie zum Beispiel eine vermehrte Blutungsneigung im Rahmen einer Hämophilie.

TWO: Lohnt es sich, als Amateur eine Spezial-Maske, wie man sie aus dem Profibereich kennt, anfertigen zu lassen?

Feddermann: Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir, dass Helme, Mundschutz und Gesichtsmasken gut vor Rissquetschwunden und Zahnverletzungen schützen, jedoch eine schwere Kopfverletzung, wie Gehirnerschütterung, nicht verhindern können. Dies liegt im Unfallmechanismus begründet, der im Fußball aufgrund der Kombination unterschiedlicher Kräfte anders als zum Beispiel beim Reiten oder Skifahren ist. Im Vordergrund der Prävention von Kopfverletzungen sollte eine gute Schulung und Aufklärung von Spielern, Trainern, Eltern und Managern stehen. Dies beinhaltet eine stärkere Vermittlung von Werten wie Fairplay und Respekt vor dem Gegner, so dass sich Fußball noch mehr zu einem technischen und weniger physischen Spiel entwickeln kann.

[PS]

[bild1] Mats Hummels hat es schon erwischt, Marcel Schmelzer, Benedikt Höwedes oder auch Petr Čech. Sie alle haben bei Fußballspielen mehr oder minder starke Kopfverletzungen erlitten, sind dadurch ausgefallen und haben nach einer Verletzungspause mit Masken oder Helmen weiter gespielt. Es verdichtet sich das Gefühl, dass sich Kopfverletzuzngen in den letzten Jahren häufen. "Nein", sagt Dr. Nina Feddermann, von der Klinik für Neurologie, UniversitätsSpital Zürich. "Seitdem eine Regeländerung für absichtliche Ellenbogen-Schläge die Rote Karte vorschreibt, haben die (schweren) Kopfverletzungen abgenommen."

Feddermann ist Mitglied des FIFA Forschungszentrums F-MARC (FIFA - Medical Assessment and Research Centre) und seit 2005 in unterschiedliche Projekte der Bereiche Wissenschaft, Entwicklung und Implementierung involviert. Ihr besonderes Interesse gilt "Kopfverletzungen und Auswirkungen des Kopfballspiels im Fussball". Welche Verletzungen am häufigsten sind, wie diese diagnostiziert und behandelt werden und welche Soforthilfemaßnahmen auf dem Platz vorgenommen werden können, das erklärt sie im TWO-Interview mit DFB-Redakteur Peter Scheffler.

TWO: Frau Feddermann, welche sind die häufigsten Kopfverletzungen im Fußball?

Dr. Nina Feddermann: Die häufigste Kopfverletzung im Fußball ist die „Weichteilprellung“; danach kommt die „Platzwunde“. „Gehirnerschütterungen“ (Synonym: leichtes Schädel-Hirn-Trauma) machen im Profisport circa 13 Prozent aller Kopf- und Halsverletzungen aus.

TWO: Wie gefährlich sind diese Verletzungen?

Feddermann: Die meisten Kopfverletzungen werden als harmlos beurteilt, strukturelle Hirnschäden werden selten nachgewiesen. Es gibt verschiedene Unterteilungen, am einfachsten ist eine Unterscheidung in strukturelle (wie z.B. Blutungen innerhalb des Schädels, Anm. d. Red.) und nicht-strukturelle Verletzungen (wie z.B. eine „Gehirnerschütterung“). Frauen erleiden häufiger eine „Gehirnerschütterung“ als Männer. Die Ursache konnte noch nicht eindeutig geklärt werden, ist aber Gegenstand laufender Studien.

TWO: Was macht die Gehirnerschütterung so gefährlich? 

Feddermann: Die „Gehirnerschütterung“ ist durch eine diffuse, zumeist reversible Hirnschädigung gekennzeichnet, die zu rasch nach dem Ereignis eintretenden neurologischen (z.B. Schwindel, Kopfschmerzen) und neurokognitiven (z.B. Erinnerungslücke) Veränderungen mit und ohne Bewusstseinsverlust führen kann. Als gefährliche Komplikation der „Gehirnerschütterung“ wird das sogenannte „Second-Impact-Syndrom“ diskutiert, ein seltenes Phänomen, das bei Spielern auftreten kann, die nach einer „Gehirnerschütterung“ ein zweites Schädel-Hirntrauma erleiden, bevor sie sich vom Erstereignis vollständig erholt haben. Dies kann einerseits zu einer Verschlimmerung der bestehenden Symptome führen, andererseits zu einer akuten, schweren und lebensbedrohlichen „Hirnschwellung“. Es ist daher auf jeden Fall ratsam, einen Arzt aufzusuchen, bevor man wieder in den Sport einsteigt.

TWO: Welche Verletzungen sind ebenfalls gefährlich?

Feddermann: Akut lebensbedrohlich sind auch Hirnblutungen, die durch „Einrisse“ hirnversorgender Blutgefäße durch den Aufprall entstehen. Bedingt durch die knöcherne Begrenzung des Gehirns kann eine Hirnblutung schnell zu einem erhöhten Druck führen. Wenn nicht rechtzeitig eine Entlastung (Dekompression) erfolgt, können dabei lebensnotwendige Strukturen eingeklemmt werden.

TWO: Welche Risiken gibt es noch?

Feddermann: Aufgrund des ähnlichen Verletzungsmechanismus besteht zudem die Gefahr einer Halswirbelsäulenverletzung, die ebenfalls potentiell lebensbedrohlich sein kann. Eine blutende Kopfwunde kann ein Hinweis auf eine darunter liegende Fraktur sein. Wenn in solchen Fällen eine Blutstillung durch Druck versucht wird, muss eine Impression der Knochenfragmente vermieden werden. Platzwunden sollten gereinigt und falls nötig mit steriler Technik geklebt oder genäht werden, um eine Infektion zu vermeiden.

TWO: Wie lange sind die jeweiligen Ausfallzeiten?

Feddermann: Die Ausfallzeit des verletzten Spielers muss individuell beurteilt werden und hängt von der Art der Verletzung und vom Ausmaß der Symptome ab. Zum Beispiel bilden sich die Beschwerden einer „Gehirnerschütterung“ in der Mehrheit der Fälle (80 bis 90 Prozent) innerhalb kurzer Zeit (7 bis 10 Tage) zurück. Die Erholungszeiten können jedoch bei Kindern und Jugendlichen länger sein. Für eine genaue Analyse gibt es aktuelle Leitlinien, an denen sich Ärzte orientieren können. Ein graduiertes „Return to play“ (Rückkehr zum Spiel/Sport) gemäss dieser Leitlinien ist empfohlen.

TWO: Welche sind das?

Feddermann: Im März erschien das überarbeitete „Consensus statement on concussion in sport“ (deutsche Version folgt noch), das von einer internationalen Expertengruppe in Zusammenarbeit mit großen Sportverbänden (IOC, FIFA, IIHF, IRB, FEI) entwickelt und im November 2012 im Rahmen der in Zürich stattgefundenen „Consensus Conference on Concussion in Sport“ überarbeitet wurde.

Im Allgemeinen gilt die Regel, dass die Entscheidung betreffend „Return to play, school oder work“ (Rückkehr zum Sport, zur Schule oder ins Arbeitsleben) in Abhängigkeit der klinischen Beurteilung individuell vorzunehmen ist. Die „Return to play“ Kriterien nach einer "Gehirnerschütterung" folgen einem mehrstufigen Programm: Wenn der Athlet eine Stufe ohne erkennbare Beschwerden oder Symptome durchlaufen hat, kann er mit der nächsthöheren Stufe fortfahren. Jede Stufe sollte 24 Stunden umfassen, so dass ein verletzter Spieler im Idealfall nach einer Woche das gesamte Regenerationsprotokoll durchläuft. Wenn während einer Stufe Symptome auftreten, sollte der Spieler zur vorherigen Stufe zurückkehren und die nächsthöhere Stufe nach 24 Stunden erneut versuchen. Eine Fortführung des Spiels am Verletzungstag sollte nicht erfolgen.

TWO: Haben Kopfverletzungen in den letzten Jahren zugenommen?

Feddermann: Nein. Im Rahmen der FIFA Fußball-WeltmeisterschaftTM 2006 hat die FIFA aufgrund der Ergebnisse einer Studie von FIFAs Forschungszentrum F-MARC heraus gefunden, dass mehr als die Hälfte aller Kopfverletzungen (60%) im Fußball die Folge von Luftduellen (vor allem Ellenbogen-Kopf oder Kopf-Kopf-Kontakt) ist. Daraufhin wurde eine Regeländerung eingeführt, dass absichtliche Ellenbogen-Schläge gegen den Kopf mit einem Platzverweis geahndet werden. Hierdurch konnte eine Halbierung der schweren Kopfverletzungen bei den FIFA-Turnieren erreicht werden mit durchschnittlich einer „Gehirnerschütterung“ pro FIFA-Turnier.

TWO: Kann ich die unterschiedlichen Verletzungen als Laie erkennen?

Feddermann: Eine eindeutige Zuordnung der unterschiedlichen Verletzungen ist oftmals am Spielfeldrand noch nicht möglich und das Ausmaß der äußerlichen Verletzung, wie zum Beispiel eine Platzwunde oder Schwellung, spiegelt nicht die Schwere der Verletzung wieder. Hingegen weist zum Beispiel die Dauer einer Erinnerungslücke auf die Schwere einer Hirnverletzung hin. „Ohnmacht“ gehört zu den Symptomen, die immer einer raschen medizinischen Beurteilung bedürfen. Ein geeignetes Tool für Nicht-Mediziner ist das ebenfalls im März erschienene Pocket Concussion Recognititon Tool, das am Spielfeldrand eine Hilfe in der Zuordnung von Symptomen im Hinblick auf das Vorliegen einer möglichen Gehirnerschütterung darstellt (deutsche Version folgt noch).

TWO: Wie sollte ich als Betroffener bei Kopfverletzungen reagieren?

Feddermann: Wer eine Kopfverletzung erlitten hat, sollte das Spielfeld sofort verlassen und sich von einem Arzt oder anderem medizinischen Personal (Sanitäter(in), Pflegefachfrau/-mann, oder Physiotherapeut(in)) beurteilen lassen. Wenn die Kopfverletzung zu einem Sturz geführt hat, sollte der verletzte Spieler aufgrund der Gefahr einer Halswirbelsäulenverletzung zunächst auf dem Spielfeld ruhig liegen bleiben.

TWO: Kann auch eine nicht geschulte Fachkraft 1. Hilfe leisten?

[bild2]Feddermann: Natürlich, wenn sie sich mit den 1. Hilfe-Maßnahmen auskennt. Eine spezielle Aufmerksamkeit sollte dem Ausschluss der zuvor erwähnten Halswirbelsäulenverletzung gelten. Falls nötig, ist hier eine geeignete Ruhigstellung der Halswirbelsäule notwendig, um weitere Schäden vorzubeugen. Wenn kein Arzt oder medizinisches Personal vor Ort ist, sollte der Spieler je nach Zustand vom Spielfeld getragen (bei entsprechender Schulung der Helfer) oder begleitet werden und schnell zu einem Arzt oder einem Krankenhaus gebracht werden. Bei Verdacht auf eine Halswirbelsäulenverletzung oder bei kritischem Allgemeinzustand sollte sofort ein Notarzt gerufen werden.

TWO: Welche Tests würde ein Facharzt nach der 1. Hilfe durchführen?

Feddermann: Schon am Spielfeldrand sollte eine spezielle Untersuchung auf Vorliegen einer Gehirnerschütterung oder sonstigen schweren Kopfverletzung unter Zuhilfenahme des sogenannten SCAT3TM (Standardized Concussion Assessment Tool3), Child-SCAT3TM oder anderen Seitenlinien-Assessment-Tests erfolgen. Hierbei kommt vor allem den vom verletzten Spieler beschriebenen Symptomen, der klinisch neurologischen- und neurokognitiven Untersuchung und den Gleichgewichts-Tests eine besondere Bedeutung zu. In der Beurteilung gilt ferner zu beachten, dass Beschwerden oder neurologische - und neurokognitive Defizite auch erst mit einer Verzögerung von einigen Stunden auftreten können, da es sich beispielweise im akuten Stadium einer Gehirnerschütterung um eine dynamische Verletzung handelt. Das bedeutet, dass deren Ausprägung sich schnell und manchmal unerwartet verändern kann. Wie bereits erwähnt, sollte dem Spieler bei Verdacht auf eine Gehirnerschütterung ein „Return to play“ am gleichen Tag nicht gestattet werden.

TWO: Gibt es Kopfverletzungen öfter im Profi- oder Amateurbereich?

Feddermann: Die Häufigkeit von Kopfverletzungen steigt mit dem Alter und der Spielklasse und ist im Profibereich etwa viermal häufiger als im Amateurbereich. Die Datenlage ist jedoch im Profi-Fußball aufgrund der guten medizinischen Betreuung der Spieler und der 1998 von der FIFA eingeführten standardisierten Verletzungsdokumentation besser als im Amateurbereich. Die Zahl der Kopfverletzungen wird im Amateurbereich möglicherweise unterschätzt.

TWO: Welches sind Warnhinweise, auf die ich als Spieler selbst reagieren kann?

Feddermann: Typische Zeichen einer Gehirnerschütterung sind Verwirrtheit und eine Erinnerungslücke mit und ohne Bewusstseinsverlust. Mögliche Begleitsymptome sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel mit Gangunsicherheit, Benommenheit, Sehstörung (Doppeltsehen), Licht- oder Lärmempfindlichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, rasche Ermüdbarkeit oder eine verlangsamte Reaktionszeit. Eine Zuweisung ins nächste Krankenhaus sollte bei den folgenden Symptomen erfolgen: Vorliegen einer Schädelfraktur oder mögliche Halswirbelsäulenverletzung, Bewusstseinsverlust oder Bewusstseinsminderung (Glasgow Coma Skala (GCS) <15 (normal 15), Verwirrtheit, abnormales Verhalten, neurologische Auffälligkeiten, Erbrechen oder Zunahme von Kopfschmerz, Krampfanfall, mehr als eine im Spiel oder Training erlittene Kopfverletzung, Gleichgewichtsstörungen oder bekannte Risikofaktoren wie zum Beispiel eine vermehrte Blutungsneigung im Rahmen einer Hämophilie.

TWO: Lohnt es sich, als Amateur eine Spezial-Maske, wie man sie aus dem Profibereich kennt, anfertigen zu lassen?

Feddermann: Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir, dass Helme, Mundschutz und Gesichtsmasken gut vor Rissquetschwunden und Zahnverletzungen schützen, jedoch eine schwere Kopfverletzung, wie Gehirnerschütterung, nicht verhindern können. Dies liegt im Unfallmechanismus begründet, der im Fußball aufgrund der Kombination unterschiedlicher Kräfte anders als zum Beispiel beim Reiten oder Skifahren ist. Im Vordergrund der Prävention von Kopfverletzungen sollte eine gute Schulung und Aufklärung von Spielern, Trainern, Eltern und Managern stehen. Dies beinhaltet eine stärkere Vermittlung von Werten wie Fairplay und Respekt vor dem Gegner, so dass sich Fußball noch mehr zu einem technischen und weniger physischen Spiel entwickeln kann.