FC Bayern: Titelpremiere im Europapokal

DFB.de erinnert in einer neuen Serie an die deutschen Triumphe beim Europapokal der Pokalsieger, der zwischen 1960 und 1999 ausgetragen wurde. Heute: Der FC Bayern München gewinnt 1967 in Nürnberg sein erstes Finale im Europapokal.

Die Nacht vor dem größten Spiel der Vereinsgeschichte des FC Bayern verläuft nicht wie solche Nächte verlaufen sollten. Wir schreiben die letzten Stunden des 30. Mai 1967 und vor dem ersten Europapokal-Finale in der Historie des Rekordmeisters, der da noch keiner ist. Vorerst konzentriert er sich noch auf das Gewinnen von Pokalen und steht deshalb im Finale eines längst abgeschafften Wettbewerbs: dem Europapokal der Pokalsieger. Es geht gegen die gefürchteten Glasgow Rangers (1:0). Trainer Tschik Cajkovski hat seit Wochen in jeder Teamsitzung vor der Kopfballstärke der Schotten gewarnt, so sehr dass Kapitän Werner Olk „an keinem Baum vorbeigehen“ konnte „ohne zu köpfen“. Auch am 30. Mai weist Tschik wieder darauf hin, dass die Rangers stereotyp viele hohe Flanken schlagen würden. Dann schickt er sie ins Bett.

Für Torwart Sepp Maier, damals ein junger Dachs von 23 Jahren, beginnt das Warmmachen schon im Traum. Es wird eine unruhige Nacht, nicht nur für ihn. Denn plötzlich wachen sie alle auf im Kurhotel Beringersdorf in Schwaig, nahe des Finalortes Nürnberg. Ein markerschütternder Schrei hallt durch die Flure; „Bist Du denn wahnsinnig?“, ruft Hans Rigotti, Ersatzspieler und Zimmerpartner vom Sepp. Was ist passiert? Im Schlaf hat der Torwart wieder mal nach einem schottischen Flankenball gegriffen – es ist jedoch der Kopf des um sein Leben bangenden Bettnachbarn Rigotti. Maiers „Fehlgriff“ ist noch beim Frühstück das große Thema.

Ledermanschette: Bangen um Gerd Müller

Der große Tag fängt ja gut an, mag sich Manager Robert Schwan gedacht haben. Auch ihn beschäftigt ein Thema vor diesem Spiel, aber das ist nicht ganz so lustig. Gerd Müller, der 22-jährige Torjäger, hat sich im Länderspiel vier Wochen zuvor in Belgrad den linken Unterarm gebrochen. Erst seit vier Tagen ist er wieder im Training, er trägt eine Ledermanschette. Auch beim Finale? Das muss der italienische Schiedsrichter Lo Bello wegen der Verletzungsgefahr, die von der Manschette ausgehen könnte, erst noch genehmigen und so klingelt ihn Robert Schwan schon um halb zehn aus dem Bett. Er fällt mit Müller und Teamarzt Dr. Spannbauer in sein Hotelzimmer ein.

Lo Bello hat die Delegation erst eine Stunde später erwartet und trägt noch Pyjama. Er ist verärgert ob des Weckmanövers und sagt vielleicht schon deshalb: „Die Manschette muss um zwei Zentimeter gekürzt und die Höhe um drei Millimeter reduziert werden“. Nachmittags ist sie auf das rechte Maß gestutzt, aber Lo Bello verweigert die Zustimmung noch bis kurz vor dem Anpfiff. Dann erst lässt er den Bomber doch ran. Sehr zur Freude der Mehrheit der 69.000 Zuschauer, die den Bayern ein Heimspiel verschaffen. Der Finalort Nürnberg war – wie üblich – schon Monate vorher festgelegt worden. Die UEFA hatte wohl nicht damit gerechnet, dass die Bayern so weit kämen. Es ist ja auch das erste Mal, die Fußballwelt kennt sie noch nicht. Und der FC Bayern lernt erstmals die Fußballwelt kennen.

Zunächst sind es keine großen Adressen. Erster Gegner ist Tatran Presov, ein Zweitligist aus der Slowakei, den sie mit Mühe aus dem Weg räumen (1:1 und 3:2). Identisch sind die Resultate gegen die Shamrock Rovers (Irland). Bei Rapid Wien verlieren sie erstmals (0:1), aber in München kommen sie in der Verlängerung weiter (2:0). Das Halbfinale gegen Standard Lüttich wird zum Müller-Festival. Zuhause (2:0) schießt er ein Tor, auswärts (3:1) alle drei. Die Bild tauft ihn „Mister Europacup“ – und so einer darf in einem Europacup-Finale doch nicht fehlen. Zum Glück fehlt er nicht in Nürnberg. Der Austragungsort wird als gutes Omen aufgenommen, Bayerns bis dahin einzige Meisterschaft anno 1932 wurde eben dort gewonnen (2:0 im Finale gegen Eintracht Frankfurt) und das Sport Magazin schreibt zwei Tage vor dem Finale: „Die Bayern werden von einer selten erlebten Begeisterung angetrieben. Ganz Nürnberg steht hinter ihnen.“ Sepp Maier bittet dennoch öffentlich um Unterstützung, „ganz alleine können wir es auch nicht schaffen.“ Die Rangers, die unterwegs Titelverteidiger Borussia Dortmund eliminiert haben und im Viertelfinale nur per Los gegen Saragossa weiter gekommen sind, gelten als klarer Favorit. „Für mich sind die Rangers der kommende Europacupsieger“, sagt der damalige BVB-Manager Heinz Stork. Aber auch Dortmunder können irren.

0:0 nach 90 Minuten - Siegtor in der Verlängerung

Am Spieltag regnet es unentwegt, doch eine halbe Stunde vor Anpfiff um 19.30 Uhr hat Petrus ein Erbarmen. Wer zu Hause bleibt, kann das Spiel im ZDF live sehen. Glasgow gibt zunächst den Ton an und „wenn ich nach 30 Minuten Bilanz ziehe, dann führen die Schotten nach Längen“, schreibt Helmut Dirschner im Sport Magazin. Nach Toren aber führt keiner, zur Pause steht es 0:0 – vor allem dank Sepp Maier und Franz Beckenbauer, der schon mit 21 Abwehrchef ist. Robert Schwan geht vor lauter Aufregung die Pfeife aus, was selten vorkommt. Zum Nachfüllen kommt er vor Mitfiebern nicht. Weit tragischer: Ein 39-jähriger Bayern-Fan erleidet einen Herzinfarkt und stirbt.

Nach 70 Minuten fangen die schottischen Fans siegesgewiss an zu singen, obwohl es immer noch 0:0 stand. Damals singt man nicht ohne Grund, damals gibt es noch keine Ultras. Kurz vor Schluss bietet sich Dieter Brenninger die Chance zum 1:0, visiert aber Keeper Martin in seinem zitronengelben Shirt an. Das Finale ohne Tore geht deshalb in die Verlängerung, Cajkovski spricht in der Pause beruhigende Worte, wo er doch selbst am aufgeregtesten ist: „Spielt so weiter, Jungen!“



DFB.de erinnert in einer neuen Serie an die deutschen Triumphe beim Europapokal der Pokalsieger, der zwischen 1960 und 1999 ausgetragen wurde. Heute: Der FC Bayern München gewinnt 1967 in Nürnberg sein erstes Finale im Europapokal.

Die Nacht vor dem größten Spiel der Vereinsgeschichte des FC Bayern verläuft nicht wie solche Nächte verlaufen sollten. Wir schreiben die letzten Stunden des 30. Mai 1967 und vor dem ersten Europapokal-Finale in der Historie des Rekordmeisters, der da noch keiner ist. Vorerst konzentriert er sich noch auf das Gewinnen von Pokalen und steht deshalb im Finale eines längst abgeschafften Wettbewerbs: dem Europapokal der Pokalsieger. Es geht gegen die gefürchteten Glasgow Rangers (1:0). Trainer Tschik Cajkovski hat seit Wochen in jeder Teamsitzung vor der Kopfballstärke der Schotten gewarnt, so sehr dass Kapitän Werner Olk „an keinem Baum vorbeigehen“ konnte „ohne zu köpfen“. Auch am 30. Mai weist Tschik wieder darauf hin, dass die Rangers stereotyp viele hohe Flanken schlagen würden. Dann schickt er sie ins Bett.

Für Torwart Sepp Maier, damals ein junger Dachs von 23 Jahren, beginnt das Warmmachen schon im Traum. Es wird eine unruhige Nacht, nicht nur für ihn. Denn plötzlich wachen sie alle auf im Kurhotel Beringersdorf in Schwaig, nahe des Finalortes Nürnberg. Ein markerschütternder Schrei hallt durch die Flure; „Bist Du denn wahnsinnig?“, ruft Hans Rigotti, Ersatzspieler und Zimmerpartner vom Sepp. Was ist passiert? Im Schlaf hat der Torwart wieder mal nach einem schottischen Flankenball gegriffen – es ist jedoch der Kopf des um sein Leben bangenden Bettnachbarn Rigotti. Maiers „Fehlgriff“ ist noch beim Frühstück das große Thema.

Ledermanschette: Bangen um Gerd Müller

Der große Tag fängt ja gut an, mag sich Manager Robert Schwan gedacht haben. Auch ihn beschäftigt ein Thema vor diesem Spiel, aber das ist nicht ganz so lustig. Gerd Müller, der 22-jährige Torjäger, hat sich im Länderspiel vier Wochen zuvor in Belgrad den linken Unterarm gebrochen. Erst seit vier Tagen ist er wieder im Training, er trägt eine Ledermanschette. Auch beim Finale? Das muss der italienische Schiedsrichter Lo Bello wegen der Verletzungsgefahr, die von der Manschette ausgehen könnte, erst noch genehmigen und so klingelt ihn Robert Schwan schon um halb zehn aus dem Bett. Er fällt mit Müller und Teamarzt Dr. Spannbauer in sein Hotelzimmer ein.

Lo Bello hat die Delegation erst eine Stunde später erwartet und trägt noch Pyjama. Er ist verärgert ob des Weckmanövers und sagt vielleicht schon deshalb: „Die Manschette muss um zwei Zentimeter gekürzt und die Höhe um drei Millimeter reduziert werden“. Nachmittags ist sie auf das rechte Maß gestutzt, aber Lo Bello verweigert die Zustimmung noch bis kurz vor dem Anpfiff. Dann erst lässt er den Bomber doch ran. Sehr zur Freude der Mehrheit der 69.000 Zuschauer, die den Bayern ein Heimspiel verschaffen. Der Finalort Nürnberg war – wie üblich – schon Monate vorher festgelegt worden. Die UEFA hatte wohl nicht damit gerechnet, dass die Bayern so weit kämen. Es ist ja auch das erste Mal, die Fußballwelt kennt sie noch nicht. Und der FC Bayern lernt erstmals die Fußballwelt kennen.

Zunächst sind es keine großen Adressen. Erster Gegner ist Tatran Presov, ein Zweitligist aus der Slowakei, den sie mit Mühe aus dem Weg räumen (1:1 und 3:2). Identisch sind die Resultate gegen die Shamrock Rovers (Irland). Bei Rapid Wien verlieren sie erstmals (0:1), aber in München kommen sie in der Verlängerung weiter (2:0). Das Halbfinale gegen Standard Lüttich wird zum Müller-Festival. Zuhause (2:0) schießt er ein Tor, auswärts (3:1) alle drei. Die Bild tauft ihn „Mister Europacup“ – und so einer darf in einem Europacup-Finale doch nicht fehlen. Zum Glück fehlt er nicht in Nürnberg. Der Austragungsort wird als gutes Omen aufgenommen, Bayerns bis dahin einzige Meisterschaft anno 1932 wurde eben dort gewonnen (2:0 im Finale gegen Eintracht Frankfurt) und das Sport Magazin schreibt zwei Tage vor dem Finale: „Die Bayern werden von einer selten erlebten Begeisterung angetrieben. Ganz Nürnberg steht hinter ihnen.“ Sepp Maier bittet dennoch öffentlich um Unterstützung, „ganz alleine können wir es auch nicht schaffen.“ Die Rangers, die unterwegs Titelverteidiger Borussia Dortmund eliminiert haben und im Viertelfinale nur per Los gegen Saragossa weiter gekommen sind, gelten als klarer Favorit. „Für mich sind die Rangers der kommende Europacupsieger“, sagt der damalige BVB-Manager Heinz Stork. Aber auch Dortmunder können irren.

0:0 nach 90 Minuten - Siegtor in der Verlängerung

Am Spieltag regnet es unentwegt, doch eine halbe Stunde vor Anpfiff um 19.30 Uhr hat Petrus ein Erbarmen. Wer zu Hause bleibt, kann das Spiel im ZDF live sehen. Glasgow gibt zunächst den Ton an und „wenn ich nach 30 Minuten Bilanz ziehe, dann führen die Schotten nach Längen“, schreibt Helmut Dirschner im Sport Magazin. Nach Toren aber führt keiner, zur Pause steht es 0:0 – vor allem dank Sepp Maier und Franz Beckenbauer, der schon mit 21 Abwehrchef ist. Robert Schwan geht vor lauter Aufregung die Pfeife aus, was selten vorkommt. Zum Nachfüllen kommt er vor Mitfiebern nicht. Weit tragischer: Ein 39-jähriger Bayern-Fan erleidet einen Herzinfarkt und stirbt.

Nach 70 Minuten fangen die schottischen Fans siegesgewiss an zu singen, obwohl es immer noch 0:0 stand. Damals singt man nicht ohne Grund, damals gibt es noch keine Ultras. Kurz vor Schluss bietet sich Dieter Brenninger die Chance zum 1:0, visiert aber Keeper Martin in seinem zitronengelben Shirt an. Das Finale ohne Tore geht deshalb in die Verlängerung, Cajkovski spricht in der Pause beruhigende Worte, wo er doch selbst am aufgeregtesten ist: „Spielt so weiter, Jungen!“

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In der 109. Minute tut sich endlich etwas auf der von Hand betriebenen Anzeigetafel. Nach einer Flanke von Rainer Ohlhauser wirft sich Franz „Bulle“ Roth in den Ball, wird umgerissen und dreht ihn dennoch artistisch im Fluge mit links ins Tor. Kein klassischer Fallrückzieher, aber doch ein seltenes Kunststück. Es ist das Siegtor! Ein halbes Jahr später schildert Roth sein Tor so: „Ich sah, dass Ohlhauser den Ball hoch in Richtung Tor schlug. Ich rannte einfach los. Den Ball sah ich erst wieder, als er vor mir aufsprang. Der Schotte McKinnon hielt meinen linken Arm fest und riss mich zurück. Währenddessen sah ich Martin sein Tor verlassen. Selbstverständlich habe ich nicht die Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was ich tun sollte. Hätte ich das getan, wäre mir das Tor nicht geglückt. Von McKinnon umgerissen, befand ich mich schon im Fallen. Da riss ich einfach den Fuß hoch und schlug den Ball mit der Außenseite über Martin hinweg ins Tor.“ Wir lernen: zu viel Denke vor dem Tor schadet nur.

Cajkovski: "Jetzt gibt's nur noch Mars-Meister!"

Es ist das erste von drei Finaltoren des „Bullen“, der zu einem der unscheinbaren, stillen Helden der Vereinsgeschichte werden wird in Zeiten, da die Achse Maier-Beckenbauer-Müller die Fußballwelt beherrscht. Aber ohne seine Tore hätte der FC Bayern wohl drei Europapokale weniger gewonnen. Da vergeht so mancher Schmerz. Nach 120 Minuten verletzt (Kapselriss), humpelt er dennoch Freude strahlend in die Kabine. „Wir haben’s geschafft, wir sind ja so glücklich“, teilt er den Reportern mit. Tschik Cajkovski küsst, wie es seine Art ist, Roth („Junge, Du sein König“) und die anderen zehn Helden ab und jauchzt: „Jetzt wir alles gemacht. Wir auch Europacupsieger. Jetzt gibt’s nur noch Mars-Meister.“

Fußball vom anderen Stern boten sie zwar nicht an diesem 31. Mai 1967, der erste Europacup-Triumph des Klubs war vor allem ein großer Kampf, ganz nach britischem Geschmack. Fifa-Präsident Stanley Rous, ein Engländer, schwärmte: „Es war das beste Spiel, das ich seit langem gesehen habe.“

Robert Schwan macht den Sekt auf. „Den habe ich schon vorher bestellt. Weil ich wusste, dass wir es schaffen.“ Die feuchtfröhliche Feier endet in den Morgenstunden, Maier verweigert dem Trainer ein weiteres Bierchen „denn du hast net gespuit, Tschik“ und Bulle Roth nimmt den Pokal mit ins Bett. An die Prämie (7000 DM) denkt keiner in diesen Stunden. Am nächsten Tag bereiten rund 100.000 Münchner, wie ein „hoher Polizeibeamter“ für den Münchner Merkur schätzt, trotz Dauerregens einen großen Empfang. Erstmals zeigen die Bayern ihren Fans auf dem Marienplatz einen Europapokal. Sechs weitere sollten folgen.

Die Sieger-Elf:

Maier – Nowak, Beckenbauer, Olk, Kupferschmidt – Roth, Koulmann – Nafziger, Ohlhauser, Müller, Brenninger.

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