FC Bayern im Europacup: Der Tag des Titanen

Der FC Bayern und der Königscup unter den europäischen Klubtrophäen - am Samstag (ab 20.45 Uhr, live bei Sat.1 und Sky) können die Münchner in Madrid gegen Inter Mailand den wertvollsten Pokal Europas zum fünften Mal gewinnen. Für DFB.de Grund genug, in einer dreiteiligen Mini-Serie auf die bisherigen sieben Endspiele der Bayern im wichtigsten europäischen Cupwettbewerb zurückzublicken.

Die Triumphe des Jahrhundertteams um Müller, Maier und Beckenbauer in den 70ern, die bitteren Niederlagen in den 80ern und die Champions-League-Dramen des Hitzfeld-Teams mit Kahn und Effenberg um die Jahrtausendwende - der Autor und Historiker Udo Muras hat in den Archiven gesucht und erzählt ein Stück bayerisch-europäische Fußballgeschichte.

1998/1999: Die Fußball-Tragödie von Barcelona

Nach drei Siegen in Folge brachten die Bayern auch einen Niederlagen-Hattrick in Europapokalfinals zu Stande. 1982 und 1987 waren schon unglückliche Momente (siehe Teil II der Serie), doch was sie am 26. Mai 1999 erlebten, stellt bis dato alles in den Schatten. Es war eine Tragödie, die im Fußball ihresgleichen sucht.

Angesichts dessen verblassen die Erlebnisse der Saison 1998/1999, die nur kurz skizziert werden sollen.

Erstmals erreichten die Bayern in jener Saison ein Finale der Champions League, die den alten Landesmeister-Cup 1992 ablöste. Der Modus sah und sieht zu Beginn Gruppenspiele vor.

Die Bayern, als Vize-Meister nur über Entscheidungsspiele gegen FK Obilic (4:0, 1:1) in die Vorrunde gekommen, trafen auf Bröndby IF und die Hochkaräter Manchester United und FC Barcelona. Nach der Auftaktpleite in Bröndby (1:2) durch zwei Gegentore in den letzten vier Minuten und dem 2:2 gegen ManU, als Sheringhams Eigentor noch einen Punkt rettete, standen sie schon dicht vor dem Aus. Doch ein Tor von Stefan Effenberg, dem neuen Anführer jener Tage, besiegte Barcelona 1:0 und im Rückspiel siegten sie wieder.

Der eingewechselte Hasan Salihamidzic wurde zum Helden von Nou Camp und traf in der 87. Minute zum 2:1. Carsten Jancker und Mario Basler sicherten den 2:0-Pflichtsieg über Bröndby und im letzten Gruppenspiel ergatterten sie den fehlenden Punkt zum Gruppensieg – 1:1 in Old Trafford, wieder war Salihamidzic der Torschütze. Die Bayern waren auf einen Schlag um 8,4 Millionen D-Mark weiter.

Deutsches Duell gegen Kaiserslautern

Trainer Ottmar Hitzfeld ahnte gar nicht, wie sehr sich seine Prophezeiung bewahrheiten sollte: „Wenn man diese Gruppe übersteht, dann hat man gute Chancen ins Finale zu kommen.“ Oder sich dort wieder zu sehen. Noch galt es zwei Hürden zu nehmen. Im März 1999 kam es zum Bundesligaduell mit Meister 1. FC Kaiserslautern, der nicht mehr an die sensationellen Leistungen des Vorjahres anknüpfen konnte.

In München gewann Bayern „nur“ 2:0, Giovane Elber und Effenberg trafen binnen vier Minuten. Im Rückspiel wurde es eine Demonstration. Bayern rückte die Verhältnisse wieder gerade und stürmte den Betzenberg – 4:0 gegen zehn Lauterer, die einen sehr frühen Platzverweis quittieren mussten.

Mehr als die vier Treffer ärgerten die FCK-Fans aber die Provokationen von Mario Basler, der Mätzchen machte und auf den Ball stieg, als sei es ein Jux-Spiel. Der Ex-Lauterer war immerhin unter den Torschützen, wie Carsten Jancker, der an allen Treffern beteiligt war.

Im Halbfinale wartete der alte Rivale der Siebziger, Dynamo Kiew, der einst die Hattrick-Bayern gestoppt hatte. Von Revanche für 1977 war aber nicht mehr die Rede, als die Münchner am 7. April in der Ukraine aufkreuzten. Hoch her ging es dennoch vor 82.000 Zuschauern und nach 50 Minuten stand es 3:1 für Dynamo. Effenberg und Jancker in seiner wohl besten Saison für Bayern retteten aber noch ein 3:3.

„Wir müssen im Kopf haben, dass wir Außergewöhnliches leisten können“, sagte Effenberg. Im Rückspiel sahen 60.000 Zuschauer, dass sie es ernst meinten. Mario Basler schoss mit dem schwächeren linken Fuß ein Traumtor, und da es das einzige blieb an diesem April-Abend, zog Bayern ins Endspiel ein. Oliver Kahn hielt überragend, diesmal verzweifelte Weltklassestürmer Schewtschenko (2 Tore im Hinspiel) an ihm.

Wiedersehen mit ManU

Glückwünsche wehrte der Nationaltorwart ab: „Was soll ich im Finale, wenn ich es nicht gewinne?“ Hatte er schon eine Ahnung? Es kam zum Wiedersehen mit ManU, das bei Juventus Turin einen 0:2-Rückstand in ein 3:2 verwandelt hatte und einen weiteren Beweis seiner Unbeugsamkeit ablegte.

Was Bayern München am 26. Mai vor elf Jahren gegen Manchester United erlebte, können die Aktiven bis heute noch nicht so recht begreifen. An diesem schwül-warmen Tag schrieben sie in Barcelona eine Geschichte, die sie niemals lesen wollten.

Eine, die doch immer wieder erzählt werden muss, weil sie kaum zu glauben ist. Es ist die Geschichte einer Mannschaft, die in 102 Sekunden ihren größten Traum wegwarf – den Gewinn der Champions League, der wahr geworden wäre, wenn nur Sepp Herbergers Worte noch Gesetz gewesen wären. Aber dieses Spiel dauerte eben nicht neunzig Minuten und deshalb ist es im Grunde bis heute nicht zu Ende.

Rekordbesuch im Camp Nou

Das Protokoll des Untergangs: Als der große Abend herangerückt ist, liegt knisternde Spannung über dem Stadion Camp Nou. 90.000 Menschen haben Karten erworben, so viel wie noch nie bei einem Champions League-Finale. Es wird in 200 Länder live übertragen. Für RTL ist Marcel Reif am Mikrofon. Günter Jauch ist Moderator im Studio, Bayern-Präsident Franz Beckenbauer sein nicht ganz unparteiischer Experte.

Einen Favoriten gibt es nicht. In den Gruppenspielen haben sie zweimal Remis gegeneinander gespielt, und beide Klubs sind kurz zuvor Meister geworden. Aber die Bayern haben bereits 18 Tage vorher auf dem Marienplatz mit 35.000 Fans gefeiert und sich seitdem auf Barcelona konzentriert. Ottmar Hitzfeld kann zum Einstand gleich drei Titel holen, denn man steht später auch im DFB-Pokalfinale.

ManU hat in England erst am Wochenende das Double gewonnen, nun will Coach Alex Ferguson das Triple. Die Parallelen zur Gegenwart sind verblüffend.

Beiden Teams fehlen zwei wichtige Spieler: Bayern vermisst Weltmeister Bixente Lizarazu und Giovane Elber, ManU Kapitän Roy Keane und Paul Scholes. Im Stadion sind sie natürlich alle. Es ist ein idealer Tag für einen Vereinsausflug. Beckenbauer hat die ganze Geschäftsstelle eingeladen zum größten Spiel seit 23 Jahren, als er selbst noch als Kapitän den Europapokal der Meister gewonnen hat. Boris Becker, der gerade von der Bühne abgetretene Tennis-Superstar des Jahrhunderts, darf nicht fehlen. Er ist glühender Bayern-Fan.

Geldsegen für die ManU-Stars

Wäre Geld die wesentliche Motivation, müsste ManU haushoch gewinnen. Die Engländer zahlen umgerechnet 460.000 D-Mark pro Kopf, Bayern nur knapp ein Drittel. Doch es geht nicht um Geld heute.

Wer an Omen glaubt, muss sich um die Bayern sorgen, schon am Vortag feierten die Briten einen ersten Sieg. Eine Münze entschied: Manchester spielt in Rot, dabei wollten die Münchner doch ihre neuen Trikots präsentieren.

So bleibt ihnen nur das silberblaue Trikot mit den weinroten Ärmeln. Aber sie spielen wie immer in dieser Saison. Kontrolliert und effizient. Kein Fußball zum Verlieben, noch antiquiert mit Libero. Der heißt Lothar Matthäus und ist 38 Jahre. Der Chef aber heißt Stefan Effenberg. Kapitän ist er zwar nicht, aber er sagt jedem, wo es lang geht.

Als Schiedsrichter Collina nach fünf Minuten einen Freistoß gibt, schnappt sich Mario Basler den Ball. Effenberg beobachtet Torwart Peter Schmeichel und gibt Basler eine Regieanweisung: „Torwartecke! Ich glaube, der macht einen Schritt in die Mitte!“ Schmeichel macht einen Schritt in die Mitte, Basler schießt in die Torwartecke – und der eher harmlose Flachschuss rauscht ins Netz. 1:0! Ein frühes Tor ersehnen sich alle Teams, die nicht so recht von sich überzeugt sind. Einige Bayern-Spieler hatten vor Nervosität ihr Frühstück nicht heruntergebracht, doch nun verfliegt sie endlich.

Bayern verteidigen den Vorsprung souverän

Dem Spiel insgesamt tut das Tor jedoch entgegen aller Fußball-weisheiten nicht gut. Man wird hinterher von einem enttäuschen-den Finale sprechen, vom Epilog einmal abgesehen. Den Engländern fällt nicht viel ein, auch der blonde Wunderknabe mit der Nummer sieben, David Beckham, findet keinen Königsweg. Torwart Oliver Kahn wird es in seinem 50. Europapokalspiel schon beinahe langweilig. Mit 1:0 geht es in die Kabinen.

Alle 22 Spieler kommen wieder heraus und erst als sich die Besetzung auf dem Rasen ändert, wird es ein Drama. Es ist die 67. Minute. Kurz zuvor hat Basler voller Übermut aus 35 Metern geschossen und Schmeichel in Verlegenheit gebracht. Manchester droht nicht nur geschlagen, sondern auch noch verhöhnt zu werden. Ferguson reagiert, er bringt Teddy Sheringham, der gerade erst mit einem Tor das FA-Cup-Finale gegen Newcastle entschieden hat. Er ist 33 Jahre, aber Ferguson weiß: Alter schützt vor Toren nicht.

>Vor Müdigkeit aber auch nicht. Die Kameras zeigen immer wieder das verzerrte Gesicht von Lothar Matthäus. Er kann und will nicht mehr. Lässt die Schultern hängen als Signal für den Wunsch nach Auswechslung, „weil ich fast nur im Mittelfeld gespielt hatte und weil es verdammt heiß war in Barcelona“.

Hitzfeld schickt in der 80. Minute für den einstigen Weltfußballer des Jahres den unglamourösen Spieler Thorsten Fink aufs Feld, in dessen Vita Klubs wie Wattenscheid 09 und Karlsruher SC stehen. Später wird man diesen Wechsel als fatales Signal bezeichnen. Hitzfeld gab zu: „Die Auswechslung von Lothar hat uns nicht unbedingt sicherer gemacht.“

Alles schon für die Party gerichtet

Dennoch bespricht Mediendirektor Markus Hörwick schon mit den Fieldreportern, welche Spieler gleich vor den Mikrofonen ihre Siegesfreude herauslassen sollten. Betreuer schleppen Getränke herbei, auch Champagner darunter, und eine Kiste voller Mützen mit der Aufschrift: „Champions League-Sieger 1999 – FC Bayern München.“ Mario Basler ist der erste, der eine trägt. Er wird in der 89. Minute ausgewechselt, auch damit der Kämpfer Hasan Salihamidzic noch teilhaben kann am Erfolg.

Ferguson hat ebenfalls noch mal gewechselt und mit Gunnar Solskjaer seinen zweiten Joker gebracht. Es wirkt: Er und Sheringham haben in zehn Minuten mehr Chancen zusammen als die Kollegen in 90. Aber die größeren haben die Bayern, Mehmet Scholl trifft den Pfosten und Carsten Jancker per Fallrückzieher die Latte. Das Unheil kündet sich an, soll es doch nicht sein? Die Bayern-Abwehr ohne Matthäus schwimmt immer mehr – und Collina lässt sie ersaufen. Er erteilt drei Minuten Zugabe. Hitzfeld denkt: „Verdammt, das ist lang.“

Ein ungenauer Rückpass von Markus Babbel zwingt Thomas Linke dazu, den Ball ins Aus zu schlagen und nach dem Einwurf verursacht Stefan Effenberg einen Eckball. Die Spieluhr zeigt an: 90:16 Minuten. Das Drama beginnt. Die englischen Fans springen auf wie nach einem Treffer. Ecken von Beckham sind Torchancen, das wissen sie. Auf der Bayern-Bank wird gezittert. Co-Trainer Michael Henke wird später zugeben: „Wir haben uns nie super-sicher gefühlt, weil es bei den Standards von ManU immer gebrannt hat.“

Der Ball rauscht durch den Torraum, ausgerechnet Matthäus-Ersatz Fink befördert den Ball mit einem Querschläger in die Gefahrenzone zurück – und Sheringham verlängert den Schuss von Ryan Giggs zum 1:1. Vergeblich reklamieren die Bayern auf Abseits. Es war nicht mehr als ein Versuch, von eigenen Fehlern abzulenken. Matthäus steht wie versteinert am Spielfeldrand.

Solskjaers Schuss mitten ins Herz

Das Schlimmste aber kommt noch. Die Bayern brechen innerlich zusammen und verlieren den Ball postwendend und Sammy Kuffour klärt gegen Solskjaer – erneut auf Kosten einer Ecke. Die Uhr zeigt an: 92:14 Minuten.

Wieder tritt Beckham von links mit rechts, Sheringham gewinnt den Kopfball gegen Linke und verlängert auf Solskjaer, der drischt unter die Latte. 1:2! Die Bayern-Spieler fallen zu Boden, einige beginnen zu weinen. Es sind „die zwei unglaublichsten Minuten des Fußballs“, wird die englische Zeitung Sun titeln. Collina hat Mühe, das Spiel fortzusetzen und packt die Bayern mit einem bisschen Schul-Englisch bei der Ehre: „Stand up, when you are men“ ruft er ihnen zu. Sie stehen auf und sind doch am Boden zerstört.

Zwei Tore in 102 Sekunden Nachspielzeit machen Sieger zu Verlierern. Wer soll das verkraften? In den Fan-Blöcken brechen sich die Emotionen Bahn. Wunderkerzen hier, Tränen da. Auch die Kinder von Michael Henke, acht und zehn Jahre alt, fangen zu weinen an, weil plötzlich die anderen jubeln.

Auf der Pressetribüne bricht Hektik aus. Reporter telefonieren mit ihren Redaktionen, die bereits gesendeten Texte sind nicht mehr druckreif. Die Münchner Abendzeitung hat, eher der Bedeutung des Spiels denn der Leistung angemessen gewertet und allen Bayern-Spieler eine Eins gegeben. Nun werden die Noten in Windeseile angepasst und nach unten korrigiert, die ausformulierten Kritiken jedoch nicht. Und so steht am nächsten Morgen neben so mancher Lobeshymne eine glatte Fünf in der Zeitung.

Beckenbauer und Becker: Als Sieger in den Aufzug, raus als Verlierer

Den ganzen Irrwitz dieses dramatischen Epilogs von Barcelona verdeutlicht jedoch eine Episode in den Katakomben des Nou Camp. Um 22.30 Uhr besteigen drei VIPs den Aufzug, der von der Ehrentribüne ins Erdgeschoss führt. Lennart Johansson, der UEFA-Präsident, Franz Beckenbauer und Boris Becker müssen und wollen zur Siegerehrung. Das Spiel läuft noch.

Becker erzählt das Jahre später noch immer fassungslos: „Als wir in den Aufzug stiegen, stand es 1:0 für Bayern. In der Aufzugkabine hörten wir Jubel. Wir dachten: Okay, der Abpfiff. Als wir kurze Zeit später durch die Katakomben in Richtung Rasen gingen, sahen wir die ManU- Spieler jubeln, die Bayern lagen am Boden. „Mist, doch der Ausgleich“, dachte ich noch. Kurz darauf blinkt es an der Anzeigetafel: 1:2! Wir haben uns angeguckt und konnten es nicht glauben.“

"Etwas Schrecklicheres gibt es nicht mehr"

Aber wer konnte das schon? Marcel Reif stöhnte nur: „Wissen Sie was, ich habe gar keine Lust, das hier zu analysieren.“ Ex-Nationalspieler Bernd Schuster, damals fürs spanische Fernsehen im Einsatz, sagte: „Ich habe schon viel Schreckliches erlebt im Fußball, aber etwas Schrecklicheres gibt es nicht mehr.“

Auf dem Bankett ergreift Franz Beckenbauer das Wort: „Wir haben keinen Kampf verloren, keine Schlacht. Wir haben auch nicht das Leben verloren, wir haben ein Spiel verloren. Ich betone: Es ist ein Spiel, es war ein Spiel und es wird immer ein Spiel bleiben.“

Es waren weise Worte des deutschen Fußball-Kaisers zu später Stunde auf dem Bankett der Verlierer, die vielleicht gesagt werden mussten in den Tagen, als in Europa ein Krieg tobte. Als Bilder von brennenden Häusern und langen Flüchtlingsströmen im Kosovo Mitleid und Beklemmung erregten und auch in Deutschland Erinnerungen weckten an Tage, als das tägliche Überleben wichtiger war als alles andere. Wichtiger als irgendein Fußballspiel.

Irgendwann verklingen sie, die Emotionen müssen raus: Frustfeiern im Hotel mit rund 1000 geladenen Gästen. Nachts um drei tanzen die Bayern-Spieler mit ihren Frauen auf den Tischen, und Scholl lässt sich sogar Autogramme von Journalisten geben. Morgens um halb sechs beschließt Matthäus im Gespräch mit Vereinskoch Alfons Schuhbeck, mal einen Kochkurs zu belegen. Erst in diesem Zustand haben sie begriffen, dass es wohl doch nur ein Spiel ist. Als der Tag vorbei ist, nimmt sich Stefan Effenberg etwas vor. „Diesen Pokal hol ich mir noch!“ Zwei Jahre muss er noch warten.

Die Finalisten 1999: Kahn – Matthäus (Fink) – Kuffour, Linke – Babbel, Jeremies, Effenberg, Tarnat – Basler (Salihamidzic), Jancker, Zickler (Scholl).

2000/2001: Triumph in Mailand

Die Wartezeit hatten die Bayern auf denkbar erfolgreiche Weise überbrückt. Auch 2000 und 2001 wurden sie Meister, es war schon der dritte Hattrick ihrer Historie in der Bundesliga. Für Hitzfeld war es der Erste. Von Jahr zu Jahr wurde es schwerer, souverän spielten die Bayern nur selten.

In der Mannschaft hatte es seit 1999 einige Änderungen gegeben: die Säulen hießen noch immer Kahn und Effenberg, aber Matthäus, Babbel, Basler und Helmer waren nicht mehr dabei.

Mit Bixente Lizarazu und Willy Sagnol war nun ein französisches Element im Kader, was zu dieser Zeit nicht das Schlechteste war: Frankreich war Welt- und Europameister. Zum zweiten Mal versuchten die Bayern ihr Glück mit Ciriaco Sforza, den sie aus Kaiserslautern zurückgeholt hatten. In der Innenverteidigung standen solide Männer wie der Schwede Patrick Andersson und der Ex-Schalker Thomas Linke, der es zum Nationalspieler gebracht hatte.

In der Vorrunde kassierten die Bayern im dritten Spiel bei Paris St. Germain ihre einzige Niederlage (0:1) und auch nur durch ein Tor in letzter Sekunde. Schon drei Wochen später nahmen sie Revanche, Salihamidzic und Paulo Sergio trafen beim 2:0. Bei Gegen Schweden-Meister Helsingborg ernteten sie ein Pfeifkonzert, weil den 19.000 Fans keinerlei Tore präsentiert wurden. Auswärts immerhin glückte gleich zum Auftakt ein souveränes 3:1, aber die Auswechslung des verletzten Kahn war ein Schreckmoment.

Blieben noch die Norweger von Rosenborg Trondheim, die in München eine Viertelstunde vor Schluss noch führten, ehe Jancker, Elber und Linke ein befriedigendes Resultat herausschossen (3:1). In Trondheim wurde Oliver Kahn geschont, und Vertreter Stefan Wessels patzte prompt. Zum Glück rettete Jens Jeremies in der 88. Minute das 1:1.

"Wir wollen diesen Pott irgendwann gewinnen."

Nicht gerade glanzvoll und mit nur neun Toren aus sechs Spielen gewann der FC Bayern seine Gruppe, und Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge gab die Parole aus: "Wir wollen diesen Pott irgendwann gewinnen." Der Modus sah in jener Saison eine weitere Gruppenphase vor. In dieser Zwischenrunde mit drei Gegnern stellten sich den Bayern Olympique Lyon, Arsenal London und Spartak Moskau in den Weg.

Das Münchner Publikum hatte schon Besseres gesehen, keines der Heimspiele war ausverkauft und wer wegblieb, verpasste nicht viel: Bayern gewann sie sämtlich mit 1:0 und scherte sich nicht um Unterhaltung. Wie in der Bundesliga, wo sie der Meister mit den wenigsten Toren seit 13 Jahren werden sollten, konzentrierten sich die Bayern auf die Abwehr. Weltklassetorwart Oliver Kahn war der Rückhalt, der diese Elf zu Champions machte.

Dabei musste auch er in dieser Zwischenrunde noch fünfmal hinter sich greifen. In Highbury reichte es im Dezember bei Arsenal immerhin noch zu einem 2:2, weil Michael Tarnat und Mehmet Scholl deutsche Tugenden demonstrierten und einen 0:2-Rückstand noch egalisierten.

>Nach einem souveränen 3:0 auf unbespielbarem Untergrund in Moskau fuhren sie aber etwas zu überheblich nach Lyon, wo der FC Bayern am 6. März 2001 die wichtigste Niederlage seiner jüngeren Geschichte kassierte. Nach 20 Minuten hieß es schon 0:2, am Ende 0:3. Die Leistung war erbärmlich und wären die Noten, die das Fachblatt Kicker gab für den weiteren Karriereverlauf der Spieler relevant gewesen, hätte man außer Kahn allen ein „versetzungsgefährdet“ ins Zeugnis schreiben müssen.

Sieben Spieler erhielten eine Fünf, Elber und Sagnol (je 4) waren noch die besten Feldspieler. Schlimmer als die Presseschelte war für die Spieler aber die Standpauke, die ihnen Franz Beckenbauer auf dem Bankett hielt. Sie ging als Wutrede von Lyon in die Geschichte ein und wurde in allen Zeitungen landauf, landab abgedruckt. Ein Auszug: „Es war eine Blamage, kein Fußball, eher eine andere Sportart. Das war Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft, Altherren-Fußball (…) So hat man vor 30 Jahren gespielt. Ihr müsst wieder das Einmaleins des Fußballs beherzigen, Ihr müsst die Zweikämpfe gewinnen (…) Wir können uns alle einen anderen Beruf suchen, wenn das so weitergeht (…) So, das war’s. Bis auf das Spiel war es ja eigentlich ein schöner Ausflug.“

Bayern überwinden ihre Krise

Jeder Satz eine Ohrfeige für die Meister-Spieler, die sogar einsichtig waren. Kahn sprach von „der schlechtesten Partie des FC Bayern in der Champions League“, und aus New York rief ihnen Lothar Matthäus zu: „Bayern München steckt in der schwierigsten Krise seit Ottmar Hitzfelds Amtsantritt.“

Aber sie bewältigten sie: Elbers Kopfballtor gegen Arsenal sicherte den Einzug ins Viertelfinale, wo man in jenen Tagen erst nach zwölf Spielen angelangte. Doppelt so viele Spiele wie 1976 auf dem Weg zum Titel, aber ein Vielfaches an Geld als Lohn der Mühen. 18,9 Millionen D-Mark gab es für das Viertelfinale, bis zum Finale wurden es gar 39,3 Millionen.

Um so schöner, wenn man auf unterwegs noch alte Rechnungen begleichen konnte. Manchester United wartete am 3. April 2001, und der FC Bayern nahm Revanche für 1999. Wie so oft in jener Saison war es kein berauschendes Spiel, aber wieder reichte ein Tor zum Sieg: Der erst kurz zuvor eingewechselte Paulo Sergio staubte in der 86. Minute ab und brachte Old Trafford zum Schweigen. David Beckham, der neue Star am Himmel des englischen Fußballs, wurde von Effenberg der Schneid abgekauft, und dann handelte er sich auch noch eine Sperre fürs Rückspiel ein. Die Chancen standen also gut. Und wieder redete Franz Beckenbauer auf dem Bankett.

Vier Minuten nur diesmal, voll des Lobes sprach er von „einer großartigen Leistung“. So wie er im Schlechten übertrieben hatte, übertrieb er diesmal im Guten. Zwei Wochen später war die Revanche vollkommen, in München hieß es 2:1. Schon nach 17 Sekunden grätschte Jeremies den ersten Engländer ab, und alsbald trafen sie auch den Ball. Zur Pause war fast alles klar, Elber (5.) und Mehmet Scholl (40.) überwanden Weltmeister Barthez im Manu-Tor.

Manager Uli Hoeneß freute sich doppelt, endlich war auch das Olympiastadion einmal ausverkauft. Rummenigge schwelgte vor dem Halbfinale: „Wir haben uns in den vergangenen Jahren unter den Top Five Europas etabliert, diese Entwicklung ist nun bestätigt.“

Einmal mehr gegen Real Madrid

Jetzt galt es nur noch die Hürde Real Madrid zu nehmen, für Beckenbauer „von der Bedeutung her die Nummer eins der Welt.“ Auch mit Real stand noch eine Rechnung offen. Im Vorjahr hatten die Bayern dank des seltsamen Modus drei von vier Spielen gewonnen und waren doch im Halbfinale gegen die Spanier ausgeschieden.

Jetzt drehten sie den Spieß um. Das nicht sonderlich mitreißende Hinspiel in Bernabeu hatte einen Helden: Giovane Elber. Zwölf Tage zuvor noch am Knie operiert worden, stand er in Madrid schon wieder auf dem Platz – und nach 55 Minuten ganz allein auf der Anzeigetafel, als Schütze des einzigen Tores. Real gewann zwar nach Chancen 8:5 und nach Ecken 11:2, aber Oliver Kahn war unbezwingbar – zum achten Mal bereits in jener Champions League-Saison. Für Hitzfeld war er nicht erst nach diesem Abend „der beste Torwart der Welt“.

Es war bereits das fünfte 1:0 der Bayern in diesem Wettbewerb 2000/2001, und sie schämten sich nicht. Hitzfeld sagte: „Wir wissen, dass wir nicht die Substanz haben, gegen diese Spitzenteams so offen zu spielen wie noch vor zwei Jahren. Also spielen wir das, was wir können.“ Diszipliniert, kompakt, effizient – die Tugenden, für die eigentlich die Nationalmannschaft steht, trafen auf den FC Bayern 2001 zu. „Unsere Mannschaft hat den Willen und den Glauben, sie ist heiß“, fand Karl-Heinz Rummenigge.

Acht Tage später hatte sie auch die Gewissheit, im Finale zu stehen. Wie immer in München war für Real nichts zu holen, und wieder passten sie nicht auf Elber auf. Nach acht Minuten köpfte er bereits das 1:0, und den Ausgleich des großen Figo steckten sie schnell weg. Jens Jeremies, eher ein Zerstörer des Spiels, zerstörte nun die Hoffnungen der Königlichen mit dem vielleicht wichtigsten Tor seiner Karriere. Mehr konnte er nicht mehr tun für diese Mannschaft, sein verletztes Knie hielt den Belastungen nicht mehr stand – er humpelte nach 70 Minuten vom Platz und fiel monatelang aus.

Die verrückteste Woche der Bayern-Geschichte

Er verpasste die verrückteste Woche der Bayern-Historie. Am 19. Mai wurde die Mannschaft durch ein Tor in der Nachspielzeit in Hamburg noch Deutscher Meister, nachdem Konkurrent Schalke schon gefeiert hatte. Die Bayern jubelten nur, feiern durften sie nicht. „Nur eine ganz, ganz kleine Feier mit wenig Alkohol“ erlaubte Rummenigge, und am Sonntagmorgen um zehn war schon Auslaufen angesetzt.

Nichts sollte den Erfolg gefährden, den sie am 23. Mai einfahren wollten. Am Montag um 17 Uhr ging der Flieger in die Modemetropole Italiens, und der Gegner kam erneut aus Spanien: FC Valencia, eine ebenfalls nicht sehr offensivfreudige Mannschaft ohne Superstars.

Geschichte schreiben

Das Team von Trainer Hector Cuper baute auf Torwart Canizares, den blonden Spielmacher Mendieta und den norwegischen Stürmer John Carew. In der Meisterschaft war Valencia auf den fünften Platz abgerutscht und nur auf mäßige 55 Tore gekommen. Aber in der Champions League hatte das Team neunmal kein Tor zugelassen. Experten rechneten mit einer zähen Angelegenheit, die Fans freuten sich trotzdem auf ein großes Spiel. Eine Choreographie im Bayern-Block blieb jedenfalls noch lange in Erinnerung. „Heute ist ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben!!!“ stand da zu lesen.

Und sie schrieben Geschichte, diesmal eine, die sie immer wieder lesen möchten. Dabei fing es schlecht an. Schon nach drei Minuten führte Valencia durch einen Handelfmeter Mendietas, den Abwehrchef Patrick Andersson verursacht hatte. Die Ausgleichschance bot sich alsbald, auch Bayern erhielt einen Elfmeter, aber Scholl scheiterte an Canizares (7. Minute). Mit 0:1 ging es in die Pause, dann pfiff Herr Jol aus Holland den dritten Elfmeter: Pellegrini spielte Hand, und Effenberg traute sich – 1:1.

Außer Elfmetern gab es in zwei Stunden Finale inklusive Verlängerung nichts zu bejubeln – die Experten bekamen Recht. Ein schlechtes Spiel war es dennoch nicht, aber Valencia wollte nicht wenig zum Gelingen des Abends beitragen. „Auch die Bayern bremsten, körperlich ausgelaugt, ihre Offensivbemühungen, blieben aber willensstärker“, kommentierte der Kicker das Geschehen nach der Pause, „beiden Sturmreihen fehlte die Wucht“.

Hitzfeld wechselte Jancker als Unterstützung für Elber ein, später auch noch Scholl. Ein großes Risiko ging er nicht, das Mittelfeld arbeitete defensiv stark, und der blutjunge Engländer Owen Hargreaves ließ Jeremies beinahe vergessen.

Kahns große Stunde im Elfmeterschießen

Es kam zum Elfmeterschießen, aus dem Spiel heraus waren diese beiden Mannschaften nicht mehr zu Toren fähig an diesem 23. Mai. Wie die Partie begann auch dieses Nachspiel mit einem Schreckschuss für die Bayern, denn Sergio schoss über das Tor. Mendieta, Salihamidzic, Carew und Zickler trafen. Dann hielt Kahn den Schuss von Zahovic. Canizares hielt prompt gegen Andersson und Kahn erneut, nun gegen Carboni. Drei Fehlschüsse in Serie – das sieht man selten.

Effenberg brachte Bayern erstmals in Führung, aber Baraja glich aus. Lizarazu und Kily Gonzales schraubten das Resultat auf 5:5, dann schnappte sich Verteidiger Thomas Linke den Ball: „Ich dachte: Das Tor wird aber ganz schön klein.“ Es war groß genug, um Canizares zu verladen und das 6:5 zu erzielen.

Nun musste sein Stopper-Pendant Mauricio Pellegrini zur Exekution antreten. Er erlag dem unmenschlichen Druck, treffen zu müssen und schoss nicht sonderlich platziert. Oliver Kahn hielt seinen dritten Elfmeter, das war die Entscheidung! Wie er das gemacht habe, wo er doch nicht als Elfmeterkiller bekannt sei, wurde er gefragt: „Ich war wie in Trance, auf einer Konzentrationsebene wie noch nie. Ich kann mich an nichts erinnern, außer an die Schüsse. Die Zuschauer habe ich gar nicht wahrgenommen, es war wie ein Rausch.“

Einer, der nicht enden wollte. Im Konfetti-Regen stemmte Stefan Effenberg präzise um 23.44 Uhr den so lange entbehrten, 70 Zentimeter hohen Silber-Pokal, und der ganze Verein schwebte auf Wolke sieben.

Uli Hoeneß rühmte seine Bayern „als die im Moment beste Mannschaft der Welt, und Karl-Heinz Rummenigge hob buchstäblich ab: „Ich fühle mich wie im Himmel, wie im Himmel.“ Nach neun Jahren klopfen sie nun wieder an die Himmelspforte.

Die Sieger 2001: Kahn – Kuffour, Andersson, Linke – Sagnol (Jancker), Hargreaves, Effenberg, Lizarazu – Scholl (Sergio), Elber (Zickler), Salihamidzic.

[um]

[bild2]

Der FC Bayern und der Königscup unter den europäischen Klubtrophäen - am Samstag (ab 20.45 Uhr, live bei Sat.1 und Sky) können die Münchner in Madrid gegen Inter Mailand den wertvollsten Pokal Europas zum fünften Mal gewinnen. Für DFB.de Grund genug, in einer dreiteiligen Mini-Serie auf die bisherigen sieben Endspiele der Bayern im wichtigsten europäischen Cupwettbewerb zurückzublicken.

Die Triumphe des Jahrhundertteams um Müller, Maier und Beckenbauer in den 70ern, die bitteren Niederlagen in den 80ern und die Champions-League-Dramen des Hitzfeld-Teams mit Kahn und Effenberg um die Jahrtausendwende - der Autor und Historiker Udo Muras hat in den Archiven gesucht und erzählt ein Stück bayerisch-europäische Fußballgeschichte.

1998/1999: Die Fußball-Tragödie von Barcelona

Nach drei Siegen in Folge brachten die Bayern auch einen Niederlagen-Hattrick in Europapokalfinals zu Stande. 1982 und 1987 waren schon unglückliche Momente (siehe Teil II der Serie), doch was sie am 26. Mai 1999 erlebten, stellt bis dato alles in den Schatten. Es war eine Tragödie, die im Fußball ihresgleichen sucht.

Angesichts dessen verblassen die Erlebnisse der Saison 1998/1999, die nur kurz skizziert werden sollen.

Erstmals erreichten die Bayern in jener Saison ein Finale der Champions League, die den alten Landesmeister-Cup 1992 ablöste. Der Modus sah und sieht zu Beginn Gruppenspiele vor.

Die Bayern, als Vize-Meister nur über Entscheidungsspiele gegen FK Obilic (4:0, 1:1) in die Vorrunde gekommen, trafen auf Bröndby IF und die Hochkaräter Manchester United und FC Barcelona. Nach der Auftaktpleite in Bröndby (1:2) durch zwei Gegentore in den letzten vier Minuten und dem 2:2 gegen ManU, als Sheringhams Eigentor noch einen Punkt rettete, standen sie schon dicht vor dem Aus. Doch ein Tor von Stefan Effenberg, dem neuen Anführer jener Tage, besiegte Barcelona 1:0 und im Rückspiel siegten sie wieder.

Der eingewechselte Hasan Salihamidzic wurde zum Helden von Nou Camp und traf in der 87. Minute zum 2:1. Carsten Jancker und Mario Basler sicherten den 2:0-Pflichtsieg über Bröndby und im letzten Gruppenspiel ergatterten sie den fehlenden Punkt zum Gruppensieg – 1:1 in Old Trafford, wieder war Salihamidzic der Torschütze. Die Bayern waren auf einen Schlag um 8,4 Millionen D-Mark weiter.

Deutsches Duell gegen Kaiserslautern

Trainer Ottmar Hitzfeld ahnte gar nicht, wie sehr sich seine Prophezeiung bewahrheiten sollte: „Wenn man diese Gruppe übersteht, dann hat man gute Chancen ins Finale zu kommen.“ Oder sich dort wieder zu sehen. Noch galt es zwei Hürden zu nehmen. Im März 1999 kam es zum Bundesligaduell mit Meister 1. FC Kaiserslautern, der nicht mehr an die sensationellen Leistungen des Vorjahres anknüpfen konnte.

In München gewann Bayern „nur“ 2:0, Giovane Elber und Effenberg trafen binnen vier Minuten. Im Rückspiel wurde es eine Demonstration. Bayern rückte die Verhältnisse wieder gerade und stürmte den Betzenberg – 4:0 gegen zehn Lauterer, die einen sehr frühen Platzverweis quittieren mussten.

Mehr als die vier Treffer ärgerten die FCK-Fans aber die Provokationen von Mario Basler, der Mätzchen machte und auf den Ball stieg, als sei es ein Jux-Spiel. Der Ex-Lauterer war immerhin unter den Torschützen, wie Carsten Jancker, der an allen Treffern beteiligt war.

Im Halbfinale wartete der alte Rivale der Siebziger, Dynamo Kiew, der einst die Hattrick-Bayern gestoppt hatte. Von Revanche für 1977 war aber nicht mehr die Rede, als die Münchner am 7. April in der Ukraine aufkreuzten. Hoch her ging es dennoch vor 82.000 Zuschauern und nach 50 Minuten stand es 3:1 für Dynamo. Effenberg und Jancker in seiner wohl besten Saison für Bayern retteten aber noch ein 3:3.

„Wir müssen im Kopf haben, dass wir Außergewöhnliches leisten können“, sagte Effenberg. Im Rückspiel sahen 60.000 Zuschauer, dass sie es ernst meinten. Mario Basler schoss mit dem schwächeren linken Fuß ein Traumtor, und da es das einzige blieb an diesem April-Abend, zog Bayern ins Endspiel ein. Oliver Kahn hielt überragend, diesmal verzweifelte Weltklassestürmer Schewtschenko (2 Tore im Hinspiel) an ihm.

Wiedersehen mit ManU

Glückwünsche wehrte der Nationaltorwart ab: „Was soll ich im Finale, wenn ich es nicht gewinne?“ Hatte er schon eine Ahnung? Es kam zum Wiedersehen mit ManU, das bei Juventus Turin einen 0:2-Rückstand in ein 3:2 verwandelt hatte und einen weiteren Beweis seiner Unbeugsamkeit ablegte.

Was Bayern München am 26. Mai vor elf Jahren gegen Manchester United erlebte, können die Aktiven bis heute noch nicht so recht begreifen. An diesem schwül-warmen Tag schrieben sie in Barcelona eine Geschichte, die sie niemals lesen wollten.

Eine, die doch immer wieder erzählt werden muss, weil sie kaum zu glauben ist. Es ist die Geschichte einer Mannschaft, die in 102 Sekunden ihren größten Traum wegwarf – den Gewinn der Champions League, der wahr geworden wäre, wenn nur Sepp Herbergers Worte noch Gesetz gewesen wären. Aber dieses Spiel dauerte eben nicht neunzig Minuten und deshalb ist es im Grunde bis heute nicht zu Ende.

Rekordbesuch im Camp Nou

Das Protokoll des Untergangs: Als der große Abend herangerückt ist, liegt knisternde Spannung über dem Stadion Camp Nou. 90.000 Menschen haben Karten erworben, so viel wie noch nie bei einem Champions League-Finale. Es wird in 200 Länder live übertragen. Für RTL ist Marcel Reif am Mikrofon. Günter Jauch ist Moderator im Studio, Bayern-Präsident Franz Beckenbauer sein nicht ganz unparteiischer Experte.

Einen Favoriten gibt es nicht. In den Gruppenspielen haben sie zweimal Remis gegeneinander gespielt, und beide Klubs sind kurz zuvor Meister geworden. Aber die Bayern haben bereits 18 Tage vorher auf dem Marienplatz mit 35.000 Fans gefeiert und sich seitdem auf Barcelona konzentriert. Ottmar Hitzfeld kann zum Einstand gleich drei Titel holen, denn man steht später auch im DFB-Pokalfinale.

ManU hat in England erst am Wochenende das Double gewonnen, nun will Coach Alex Ferguson das Triple. Die Parallelen zur Gegenwart sind verblüffend.

Beiden Teams fehlen zwei wichtige Spieler: Bayern vermisst Weltmeister Bixente Lizarazu und Giovane Elber, ManU Kapitän Roy Keane und Paul Scholes. Im Stadion sind sie natürlich alle. Es ist ein idealer Tag für einen Vereinsausflug. Beckenbauer hat die ganze Geschäftsstelle eingeladen zum größten Spiel seit 23 Jahren, als er selbst noch als Kapitän den Europapokal der Meister gewonnen hat. Boris Becker, der gerade von der Bühne abgetretene Tennis-Superstar des Jahrhunderts, darf nicht fehlen. Er ist glühender Bayern-Fan.

Geldsegen für die ManU-Stars

Wäre Geld die wesentliche Motivation, müsste ManU haushoch gewinnen. Die Engländer zahlen umgerechnet 460.000 D-Mark pro Kopf, Bayern nur knapp ein Drittel. Doch es geht nicht um Geld heute.

Wer an Omen glaubt, muss sich um die Bayern sorgen, schon am Vortag feierten die Briten einen ersten Sieg. Eine Münze entschied: Manchester spielt in Rot, dabei wollten die Münchner doch ihre neuen Trikots präsentieren.

So bleibt ihnen nur das silberblaue Trikot mit den weinroten Ärmeln. Aber sie spielen wie immer in dieser Saison. Kontrolliert und effizient. Kein Fußball zum Verlieben, noch antiquiert mit Libero. Der heißt Lothar Matthäus und ist 38 Jahre. Der Chef aber heißt Stefan Effenberg. Kapitän ist er zwar nicht, aber er sagt jedem, wo es lang geht.

Als Schiedsrichter Collina nach fünf Minuten einen Freistoß gibt, schnappt sich Mario Basler den Ball. Effenberg beobachtet Torwart Peter Schmeichel und gibt Basler eine Regieanweisung: „Torwartecke! Ich glaube, der macht einen Schritt in die Mitte!“ Schmeichel macht einen Schritt in die Mitte, Basler schießt in die Torwartecke – und der eher harmlose Flachschuss rauscht ins Netz. 1:0! Ein frühes Tor ersehnen sich alle Teams, die nicht so recht von sich überzeugt sind. Einige Bayern-Spieler hatten vor Nervosität ihr Frühstück nicht heruntergebracht, doch nun verfliegt sie endlich.

Bayern verteidigen den Vorsprung souverän

Dem Spiel insgesamt tut das Tor jedoch entgegen aller Fußball-weisheiten nicht gut. Man wird hinterher von einem enttäuschen-den Finale sprechen, vom Epilog einmal abgesehen. Den Engländern fällt nicht viel ein, auch der blonde Wunderknabe mit der Nummer sieben, David Beckham, findet keinen Königsweg. Torwart Oliver Kahn wird es in seinem 50. Europapokalspiel schon beinahe langweilig. Mit 1:0 geht es in die Kabinen.

Alle 22 Spieler kommen wieder heraus und erst als sich die Besetzung auf dem Rasen ändert, wird es ein Drama. Es ist die 67. Minute. Kurz zuvor hat Basler voller Übermut aus 35 Metern geschossen und Schmeichel in Verlegenheit gebracht. Manchester droht nicht nur geschlagen, sondern auch noch verhöhnt zu werden. Ferguson reagiert, er bringt Teddy Sheringham, der gerade erst mit einem Tor das FA-Cup-Finale gegen Newcastle entschieden hat. Er ist 33 Jahre, aber Ferguson weiß: Alter schützt vor Toren nicht.

>Vor Müdigkeit aber auch nicht. Die Kameras zeigen immer wieder das verzerrte Gesicht von Lothar Matthäus. Er kann und will nicht mehr. Lässt die Schultern hängen als Signal für den Wunsch nach Auswechslung, „weil ich fast nur im Mittelfeld gespielt hatte und weil es verdammt heiß war in Barcelona“.

Hitzfeld schickt in der 80. Minute für den einstigen Weltfußballer des Jahres den unglamourösen Spieler Thorsten Fink aufs Feld, in dessen Vita Klubs wie Wattenscheid 09 und Karlsruher SC stehen. Später wird man diesen Wechsel als fatales Signal bezeichnen. Hitzfeld gab zu: „Die Auswechslung von Lothar hat uns nicht unbedingt sicherer gemacht.“

Alles schon für die Party gerichtet

Dennoch bespricht Mediendirektor Markus Hörwick schon mit den Fieldreportern, welche Spieler gleich vor den Mikrofonen ihre Siegesfreude herauslassen sollten. Betreuer schleppen Getränke herbei, auch Champagner darunter, und eine Kiste voller Mützen mit der Aufschrift: „Champions League-Sieger 1999 – FC Bayern München.“ Mario Basler ist der erste, der eine trägt. Er wird in der 89. Minute ausgewechselt, auch damit der Kämpfer Hasan Salihamidzic noch teilhaben kann am Erfolg.

Ferguson hat ebenfalls noch mal gewechselt und mit Gunnar Solskjaer seinen zweiten Joker gebracht. Es wirkt: Er und Sheringham haben in zehn Minuten mehr Chancen zusammen als die Kollegen in 90. Aber die größeren haben die Bayern, Mehmet Scholl trifft den Pfosten und Carsten Jancker per Fallrückzieher die Latte. Das Unheil kündet sich an, soll es doch nicht sein? Die Bayern-Abwehr ohne Matthäus schwimmt immer mehr – und Collina lässt sie ersaufen. Er erteilt drei Minuten Zugabe. Hitzfeld denkt: „Verdammt, das ist lang.“

Ein ungenauer Rückpass von Markus Babbel zwingt Thomas Linke dazu, den Ball ins Aus zu schlagen und nach dem Einwurf verursacht Stefan Effenberg einen Eckball. Die Spieluhr zeigt an: 90:16 Minuten. Das Drama beginnt. Die englischen Fans springen auf wie nach einem Treffer. Ecken von Beckham sind Torchancen, das wissen sie. Auf der Bayern-Bank wird gezittert. Co-Trainer Michael Henke wird später zugeben: „Wir haben uns nie super-sicher gefühlt, weil es bei den Standards von ManU immer gebrannt hat.“

Der Ball rauscht durch den Torraum, ausgerechnet Matthäus-Ersatz Fink befördert den Ball mit einem Querschläger in die Gefahrenzone zurück – und Sheringham verlängert den Schuss von Ryan Giggs zum 1:1. Vergeblich reklamieren die Bayern auf Abseits. Es war nicht mehr als ein Versuch, von eigenen Fehlern abzulenken. Matthäus steht wie versteinert am Spielfeldrand.

Solskjaers Schuss mitten ins Herz

Das Schlimmste aber kommt noch. Die Bayern brechen innerlich zusammen und verlieren den Ball postwendend und Sammy Kuffour klärt gegen Solskjaer – erneut auf Kosten einer Ecke. Die Uhr zeigt an: 92:14 Minuten.

Wieder tritt Beckham von links mit rechts, Sheringham gewinnt den Kopfball gegen Linke und verlängert auf Solskjaer, der drischt unter die Latte. 1:2! Die Bayern-Spieler fallen zu Boden, einige beginnen zu weinen. Es sind „die zwei unglaublichsten Minuten des Fußballs“, wird die englische Zeitung Sun titeln. Collina hat Mühe, das Spiel fortzusetzen und packt die Bayern mit einem bisschen Schul-Englisch bei der Ehre: „Stand up, when you are men“ ruft er ihnen zu. Sie stehen auf und sind doch am Boden zerstört.

Zwei Tore in 102 Sekunden Nachspielzeit machen Sieger zu Verlierern. Wer soll das verkraften? In den Fan-Blöcken brechen sich die Emotionen Bahn. Wunderkerzen hier, Tränen da. Auch die Kinder von Michael Henke, acht und zehn Jahre alt, fangen zu weinen an, weil plötzlich die anderen jubeln.

Auf der Pressetribüne bricht Hektik aus. Reporter telefonieren mit ihren Redaktionen, die bereits gesendeten Texte sind nicht mehr druckreif. Die Münchner Abendzeitung hat, eher der Bedeutung des Spiels denn der Leistung angemessen gewertet und allen Bayern-Spieler eine Eins gegeben. Nun werden die Noten in Windeseile angepasst und nach unten korrigiert, die ausformulierten Kritiken jedoch nicht. Und so steht am nächsten Morgen neben so mancher Lobeshymne eine glatte Fünf in der Zeitung.

Beckenbauer und Becker: Als Sieger in den Aufzug, raus als Verlierer

Den ganzen Irrwitz dieses dramatischen Epilogs von Barcelona verdeutlicht jedoch eine Episode in den Katakomben des Nou Camp. Um 22.30 Uhr besteigen drei VIPs den Aufzug, der von der Ehrentribüne ins Erdgeschoss führt. Lennart Johansson, der UEFA-Präsident, Franz Beckenbauer und Boris Becker müssen und wollen zur Siegerehrung. Das Spiel läuft noch.

Becker erzählt das Jahre später noch immer fassungslos: „Als wir in den Aufzug stiegen, stand es 1:0 für Bayern. In der Aufzugkabine hörten wir Jubel. Wir dachten: Okay, der Abpfiff. Als wir kurze Zeit später durch die Katakomben in Richtung Rasen gingen, sahen wir die ManU- Spieler jubeln, die Bayern lagen am Boden. „Mist, doch der Ausgleich“, dachte ich noch. Kurz darauf blinkt es an der Anzeigetafel: 1:2! Wir haben uns angeguckt und konnten es nicht glauben.“

"Etwas Schrecklicheres gibt es nicht mehr"

Aber wer konnte das schon? Marcel Reif stöhnte nur: „Wissen Sie was, ich habe gar keine Lust, das hier zu analysieren.“ Ex-Nationalspieler Bernd Schuster, damals fürs spanische Fernsehen im Einsatz, sagte: „Ich habe schon viel Schreckliches erlebt im Fußball, aber etwas Schrecklicheres gibt es nicht mehr.“

Auf dem Bankett ergreift Franz Beckenbauer das Wort: „Wir haben keinen Kampf verloren, keine Schlacht. Wir haben auch nicht das Leben verloren, wir haben ein Spiel verloren. Ich betone: Es ist ein Spiel, es war ein Spiel und es wird immer ein Spiel bleiben.“

Es waren weise Worte des deutschen Fußball-Kaisers zu später Stunde auf dem Bankett der Verlierer, die vielleicht gesagt werden mussten in den Tagen, als in Europa ein Krieg tobte. Als Bilder von brennenden Häusern und langen Flüchtlingsströmen im Kosovo Mitleid und Beklemmung erregten und auch in Deutschland Erinnerungen weckten an Tage, als das tägliche Überleben wichtiger war als alles andere. Wichtiger als irgendein Fußballspiel.

Irgendwann verklingen sie, die Emotionen müssen raus: Frustfeiern im Hotel mit rund 1000 geladenen Gästen. Nachts um drei tanzen die Bayern-Spieler mit ihren Frauen auf den Tischen, und Scholl lässt sich sogar Autogramme von Journalisten geben. Morgens um halb sechs beschließt Matthäus im Gespräch mit Vereinskoch Alfons Schuhbeck, mal einen Kochkurs zu belegen. Erst in diesem Zustand haben sie begriffen, dass es wohl doch nur ein Spiel ist. Als der Tag vorbei ist, nimmt sich Stefan Effenberg etwas vor. „Diesen Pokal hol ich mir noch!“ Zwei Jahre muss er noch warten.

Die Finalisten 1999: Kahn – Matthäus (Fink) – Kuffour, Linke – Babbel, Jeremies, Effenberg, Tarnat – Basler (Salihamidzic), Jancker, Zickler (Scholl).

2000/2001: Triumph in Mailand

Die Wartezeit hatten die Bayern auf denkbar erfolgreiche Weise überbrückt. Auch 2000 und 2001 wurden sie Meister, es war schon der dritte Hattrick ihrer Historie in der Bundesliga. Für Hitzfeld war es der Erste. Von Jahr zu Jahr wurde es schwerer, souverän spielten die Bayern nur selten.

In der Mannschaft hatte es seit 1999 einige Änderungen gegeben: die Säulen hießen noch immer Kahn und Effenberg, aber Matthäus, Babbel, Basler und Helmer waren nicht mehr dabei.

Mit Bixente Lizarazu und Willy Sagnol war nun ein französisches Element im Kader, was zu dieser Zeit nicht das Schlechteste war: Frankreich war Welt- und Europameister. Zum zweiten Mal versuchten die Bayern ihr Glück mit Ciriaco Sforza, den sie aus Kaiserslautern zurückgeholt hatten. In der Innenverteidigung standen solide Männer wie der Schwede Patrick Andersson und der Ex-Schalker Thomas Linke, der es zum Nationalspieler gebracht hatte.

In der Vorrunde kassierten die Bayern im dritten Spiel bei Paris St. Germain ihre einzige Niederlage (0:1) und auch nur durch ein Tor in letzter Sekunde. Schon drei Wochen später nahmen sie Revanche, Salihamidzic und Paulo Sergio trafen beim 2:0. Bei Gegen Schweden-Meister Helsingborg ernteten sie ein Pfeifkonzert, weil den 19.000 Fans keinerlei Tore präsentiert wurden. Auswärts immerhin glückte gleich zum Auftakt ein souveränes 3:1, aber die Auswechslung des verletzten Kahn war ein Schreckmoment.

Blieben noch die Norweger von Rosenborg Trondheim, die in München eine Viertelstunde vor Schluss noch führten, ehe Jancker, Elber und Linke ein befriedigendes Resultat herausschossen (3:1). In Trondheim wurde Oliver Kahn geschont, und Vertreter Stefan Wessels patzte prompt. Zum Glück rettete Jens Jeremies in der 88. Minute das 1:1.

"Wir wollen diesen Pott irgendwann gewinnen."

Nicht gerade glanzvoll und mit nur neun Toren aus sechs Spielen gewann der FC Bayern seine Gruppe, und Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge gab die Parole aus: "Wir wollen diesen Pott irgendwann gewinnen." Der Modus sah in jener Saison eine weitere Gruppenphase vor. In dieser Zwischenrunde mit drei Gegnern stellten sich den Bayern Olympique Lyon, Arsenal London und Spartak Moskau in den Weg.

Das Münchner Publikum hatte schon Besseres gesehen, keines der Heimspiele war ausverkauft und wer wegblieb, verpasste nicht viel: Bayern gewann sie sämtlich mit 1:0 und scherte sich nicht um Unterhaltung. Wie in der Bundesliga, wo sie der Meister mit den wenigsten Toren seit 13 Jahren werden sollten, konzentrierten sich die Bayern auf die Abwehr. Weltklassetorwart Oliver Kahn war der Rückhalt, der diese Elf zu Champions machte.

Dabei musste auch er in dieser Zwischenrunde noch fünfmal hinter sich greifen. In Highbury reichte es im Dezember bei Arsenal immerhin noch zu einem 2:2, weil Michael Tarnat und Mehmet Scholl deutsche Tugenden demonstrierten und einen 0:2-Rückstand noch egalisierten.

>Nach einem souveränen 3:0 auf unbespielbarem Untergrund in Moskau fuhren sie aber etwas zu überheblich nach Lyon, wo der FC Bayern am 6. März 2001 die wichtigste Niederlage seiner jüngeren Geschichte kassierte. Nach 20 Minuten hieß es schon 0:2, am Ende 0:3. Die Leistung war erbärmlich und wären die Noten, die das Fachblatt Kicker gab für den weiteren Karriereverlauf der Spieler relevant gewesen, hätte man außer Kahn allen ein „versetzungsgefährdet“ ins Zeugnis schreiben müssen.

Sieben Spieler erhielten eine Fünf, Elber und Sagnol (je 4) waren noch die besten Feldspieler. Schlimmer als die Presseschelte war für die Spieler aber die Standpauke, die ihnen Franz Beckenbauer auf dem Bankett hielt. Sie ging als Wutrede von Lyon in die Geschichte ein und wurde in allen Zeitungen landauf, landab abgedruckt. Ein Auszug: „Es war eine Blamage, kein Fußball, eher eine andere Sportart. Das war Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft, Altherren-Fußball (…) So hat man vor 30 Jahren gespielt. Ihr müsst wieder das Einmaleins des Fußballs beherzigen, Ihr müsst die Zweikämpfe gewinnen (…) Wir können uns alle einen anderen Beruf suchen, wenn das so weitergeht (…) So, das war’s. Bis auf das Spiel war es ja eigentlich ein schöner Ausflug.“

Bayern überwinden ihre Krise

Jeder Satz eine Ohrfeige für die Meister-Spieler, die sogar einsichtig waren. Kahn sprach von „der schlechtesten Partie des FC Bayern in der Champions League“, und aus New York rief ihnen Lothar Matthäus zu: „Bayern München steckt in der schwierigsten Krise seit Ottmar Hitzfelds Amtsantritt.“

Aber sie bewältigten sie: Elbers Kopfballtor gegen Arsenal sicherte den Einzug ins Viertelfinale, wo man in jenen Tagen erst nach zwölf Spielen angelangte. Doppelt so viele Spiele wie 1976 auf dem Weg zum Titel, aber ein Vielfaches an Geld als Lohn der Mühen. 18,9 Millionen D-Mark gab es für das Viertelfinale, bis zum Finale wurden es gar 39,3 Millionen.

Um so schöner, wenn man auf unterwegs noch alte Rechnungen begleichen konnte. Manchester United wartete am 3. April 2001, und der FC Bayern nahm Revanche für 1999. Wie so oft in jener Saison war es kein berauschendes Spiel, aber wieder reichte ein Tor zum Sieg: Der erst kurz zuvor eingewechselte Paulo Sergio staubte in der 86. Minute ab und brachte Old Trafford zum Schweigen. David Beckham, der neue Star am Himmel des englischen Fußballs, wurde von Effenberg der Schneid abgekauft, und dann handelte er sich auch noch eine Sperre fürs Rückspiel ein. Die Chancen standen also gut. Und wieder redete Franz Beckenbauer auf dem Bankett.

Vier Minuten nur diesmal, voll des Lobes sprach er von „einer großartigen Leistung“. So wie er im Schlechten übertrieben hatte, übertrieb er diesmal im Guten. Zwei Wochen später war die Revanche vollkommen, in München hieß es 2:1. Schon nach 17 Sekunden grätschte Jeremies den ersten Engländer ab, und alsbald trafen sie auch den Ball. Zur Pause war fast alles klar, Elber (5.) und Mehmet Scholl (40.) überwanden Weltmeister Barthez im Manu-Tor.

Manager Uli Hoeneß freute sich doppelt, endlich war auch das Olympiastadion einmal ausverkauft. Rummenigge schwelgte vor dem Halbfinale: „Wir haben uns in den vergangenen Jahren unter den Top Five Europas etabliert, diese Entwicklung ist nun bestätigt.“

Einmal mehr gegen Real Madrid

Jetzt galt es nur noch die Hürde Real Madrid zu nehmen, für Beckenbauer „von der Bedeutung her die Nummer eins der Welt.“ Auch mit Real stand noch eine Rechnung offen. Im Vorjahr hatten die Bayern dank des seltsamen Modus drei von vier Spielen gewonnen und waren doch im Halbfinale gegen die Spanier ausgeschieden.

Jetzt drehten sie den Spieß um. Das nicht sonderlich mitreißende Hinspiel in Bernabeu hatte einen Helden: Giovane Elber. Zwölf Tage zuvor noch am Knie operiert worden, stand er in Madrid schon wieder auf dem Platz – und nach 55 Minuten ganz allein auf der Anzeigetafel, als Schütze des einzigen Tores. Real gewann zwar nach Chancen 8:5 und nach Ecken 11:2, aber Oliver Kahn war unbezwingbar – zum achten Mal bereits in jener Champions League-Saison. Für Hitzfeld war er nicht erst nach diesem Abend „der beste Torwart der Welt“.

Es war bereits das fünfte 1:0 der Bayern in diesem Wettbewerb 2000/2001, und sie schämten sich nicht. Hitzfeld sagte: „Wir wissen, dass wir nicht die Substanz haben, gegen diese Spitzenteams so offen zu spielen wie noch vor zwei Jahren. Also spielen wir das, was wir können.“ Diszipliniert, kompakt, effizient – die Tugenden, für die eigentlich die Nationalmannschaft steht, trafen auf den FC Bayern 2001 zu. „Unsere Mannschaft hat den Willen und den Glauben, sie ist heiß“, fand Karl-Heinz Rummenigge.

Acht Tage später hatte sie auch die Gewissheit, im Finale zu stehen. Wie immer in München war für Real nichts zu holen, und wieder passten sie nicht auf Elber auf. Nach acht Minuten köpfte er bereits das 1:0, und den Ausgleich des großen Figo steckten sie schnell weg. Jens Jeremies, eher ein Zerstörer des Spiels, zerstörte nun die Hoffnungen der Königlichen mit dem vielleicht wichtigsten Tor seiner Karriere. Mehr konnte er nicht mehr tun für diese Mannschaft, sein verletztes Knie hielt den Belastungen nicht mehr stand – er humpelte nach 70 Minuten vom Platz und fiel monatelang aus.

Die verrückteste Woche der Bayern-Geschichte

Er verpasste die verrückteste Woche der Bayern-Historie. Am 19. Mai wurde die Mannschaft durch ein Tor in der Nachspielzeit in Hamburg noch Deutscher Meister, nachdem Konkurrent Schalke schon gefeiert hatte. Die Bayern jubelten nur, feiern durften sie nicht. „Nur eine ganz, ganz kleine Feier mit wenig Alkohol“ erlaubte Rummenigge, und am Sonntagmorgen um zehn war schon Auslaufen angesetzt.

Nichts sollte den Erfolg gefährden, den sie am 23. Mai einfahren wollten. Am Montag um 17 Uhr ging der Flieger in die Modemetropole Italiens, und der Gegner kam erneut aus Spanien: FC Valencia, eine ebenfalls nicht sehr offensivfreudige Mannschaft ohne Superstars.

[bild1]

Geschichte schreiben

Das Team von Trainer Hector Cuper baute auf Torwart Canizares, den blonden Spielmacher Mendieta und den norwegischen Stürmer John Carew. In der Meisterschaft war Valencia auf den fünften Platz abgerutscht und nur auf mäßige 55 Tore gekommen. Aber in der Champions League hatte das Team neunmal kein Tor zugelassen. Experten rechneten mit einer zähen Angelegenheit, die Fans freuten sich trotzdem auf ein großes Spiel. Eine Choreographie im Bayern-Block blieb jedenfalls noch lange in Erinnerung. „Heute ist ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben!!!“ stand da zu lesen.

Und sie schrieben Geschichte, diesmal eine, die sie immer wieder lesen möchten. Dabei fing es schlecht an. Schon nach drei Minuten führte Valencia durch einen Handelfmeter Mendietas, den Abwehrchef Patrick Andersson verursacht hatte. Die Ausgleichschance bot sich alsbald, auch Bayern erhielt einen Elfmeter, aber Scholl scheiterte an Canizares (7. Minute). Mit 0:1 ging es in die Pause, dann pfiff Herr Jol aus Holland den dritten Elfmeter: Pellegrini spielte Hand, und Effenberg traute sich – 1:1.

Außer Elfmetern gab es in zwei Stunden Finale inklusive Verlängerung nichts zu bejubeln – die Experten bekamen Recht. Ein schlechtes Spiel war es dennoch nicht, aber Valencia wollte nicht wenig zum Gelingen des Abends beitragen. „Auch die Bayern bremsten, körperlich ausgelaugt, ihre Offensivbemühungen, blieben aber willensstärker“, kommentierte der Kicker das Geschehen nach der Pause, „beiden Sturmreihen fehlte die Wucht“.

Hitzfeld wechselte Jancker als Unterstützung für Elber ein, später auch noch Scholl. Ein großes Risiko ging er nicht, das Mittelfeld arbeitete defensiv stark, und der blutjunge Engländer Owen Hargreaves ließ Jeremies beinahe vergessen.

Kahns große Stunde im Elfmeterschießen

Es kam zum Elfmeterschießen, aus dem Spiel heraus waren diese beiden Mannschaften nicht mehr zu Toren fähig an diesem 23. Mai. Wie die Partie begann auch dieses Nachspiel mit einem Schreckschuss für die Bayern, denn Sergio schoss über das Tor. Mendieta, Salihamidzic, Carew und Zickler trafen. Dann hielt Kahn den Schuss von Zahovic. Canizares hielt prompt gegen Andersson und Kahn erneut, nun gegen Carboni. Drei Fehlschüsse in Serie – das sieht man selten.

Effenberg brachte Bayern erstmals in Führung, aber Baraja glich aus. Lizarazu und Kily Gonzales schraubten das Resultat auf 5:5, dann schnappte sich Verteidiger Thomas Linke den Ball: „Ich dachte: Das Tor wird aber ganz schön klein.“ Es war groß genug, um Canizares zu verladen und das 6:5 zu erzielen.

Nun musste sein Stopper-Pendant Mauricio Pellegrini zur Exekution antreten. Er erlag dem unmenschlichen Druck, treffen zu müssen und schoss nicht sonderlich platziert. Oliver Kahn hielt seinen dritten Elfmeter, das war die Entscheidung! Wie er das gemacht habe, wo er doch nicht als Elfmeterkiller bekannt sei, wurde er gefragt: „Ich war wie in Trance, auf einer Konzentrationsebene wie noch nie. Ich kann mich an nichts erinnern, außer an die Schüsse. Die Zuschauer habe ich gar nicht wahrgenommen, es war wie ein Rausch.“

Einer, der nicht enden wollte. Im Konfetti-Regen stemmte Stefan Effenberg präzise um 23.44 Uhr den so lange entbehrten, 70 Zentimeter hohen Silber-Pokal, und der ganze Verein schwebte auf Wolke sieben.

Uli Hoeneß rühmte seine Bayern „als die im Moment beste Mannschaft der Welt, und Karl-Heinz Rummenigge hob buchstäblich ab: „Ich fühle mich wie im Himmel, wie im Himmel.“ Nach neun Jahren klopfen sie nun wieder an die Himmelspforte.

Die Sieger 2001: Kahn – Kuffour, Andersson, Linke – Sagnol (Jancker), Hargreaves, Effenberg, Lizarazu – Scholl (Sergio), Elber (Zickler), Salihamidzic.