Es geschah am 4. Spieltag: Rausch und der Hundebiss

„Es geschah am ... Spieltag“: In der neuen DFB.de-Serie blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: der legendäre Hundebiss gegen Friedel Rausch im Revierderby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04.

Datum: 6. September 1969
Ort: Stadion Rote Erde Dortmund
Partie: Borussia Dortmund – Schalke 04 1:1

Wenn bei Friedel Rausch heute das Telefon klingelt und sich ein deutscher Journalist meldet, dann weiß er schon warum: „Ach, ist wieder Derby?“ Der 71-jährige Rentner lebt schon seit vielen Jahren in der Schweiz am Vierwaldstätter See, aber die Erinnerung an den berühmtesten Moment in seiner Karriere verfolgt ihn immer noch. Und immer, wenn seine Schalker auf Borussia Dortmund treffen, dann will man sie noch mal hören, diese unglaubliche Geschichte aus der wilden Zeit der Bundesliga. Eine die so heute wohl nicht mehr möglich ist. Was gut ist, so sehr wir auch darüber lachen können. Ein Rückblick auf den Tag, der einen Moment fürs Kuriositäten-Kabinett der Bundesliga bescherte – und Rausch ein schmerzhaftes Erlebnis.

Das Dortmunder Stadion Rote Erde war wie gewöhnlich gegen Schalke mit 39.000 Zuschauern ausverkauft, Derby-Stimmung. Die Zuschauer standen in jenen Tagen noch dicht am Spielfeldrand hinter leicht zu überwindenden Barrieren – immer häufiger mussten Spiele unterbrochen werden, weil Fans den Platz stürmten. So auch an diesem Tag: Als Schalke nach 37 Minuten durch Hans Pirkner in Führung ging, rannten Dutzende Gästefans jubelnd aufs Feld und umarmten ihre Helden. Die Polizei versuchte, für Ordnung zu sorgen, setzte Hunde ein. Ein fünfjähriger Schäferhund namens „Blitz“ biss in der Hektik in den nächsten Hintern, den er zu fassen bekam: den von Schalkes Friedel Rausch.

Der erinnert sich im Bild-Buch 40 Jahre Bundesliga: „Riesenaufregung. Meine Hose blutdurchtränkt. Ich hörte nur Stimmen. ‚Haltet den Hund fest’. Ein Dortmunder Ordner hatte seinen Schäferhund von der Leine gelassen. Ich wurde vom Platz getragen. Die Schmerzen waren tierisch.“ Auch Mitspieler Gerd Neuser wurde durch einen Biss verwundet, am Oberschenkel. Das ist seltsamerweise heute längst vergessen – vielleicht weil ein Biss in den Hintern noch kurioser ist? Während Neuser ausgewechselt werden musste, hielt Rausch dank einer Tetanusspritze durch.

Später stellte sich übrigens heraus, dass es sich gar nicht um einen „offiziellen“ Wachhund gehandelt hatte. Vielmehr hatte ihn ein pfiffiger Fan mitgenommen, der sich am Einlass als Ordner ausgab um auf diese Weise um den Eintrittspreis zu kommen. Den eigentlich ganz braven Blitz hatte er sich vom Nachbarn ausgeliehen. Die Liga hatte jedenfalls etwas zu lachen.

Wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht zu sorgen: Der arme Friedel Rausch, der zwei Wochen lang nur auf dem Bauch schlafen konnte, wurde in der Folge von Passanten auf offener Straße angesprochen – oder, besser gesagt, angebellt. Auch Gegenspieler griffen anfangs noch zu diesem Mittel psychologischer Kriegsführung. Rausch erinnert sich mit Grausen: „Fast in jedem Spiel kam einer an und machte wuff-wuff.“ Die Sprüche der Mitspieler waren auch nicht besonders einfühlsam: „Mensch Friedel, sei doch froh! Stell Dir vor, der hätte dich vorne gebissen…“ Rauschs Konter: „Dann hätte der Köter seine Zähne verloren.“

Die Bundesliga verdankt dieser Episode die Maulkorbpflicht für alle vierbeinigen Ordnungskräfte und die Errichtung von Zäunen. Rausch und Neuser bekamen von Borussia Dortmund je 300 D-Mark Schmerzensgeld und Blumen. Die sind längst verwelkt, die sechs Zentimeter lange Narbe aber ist Friedel Rausch geblieben: „Das ist ein Andenken für immer.“ Aber keine (seelische) Wunde mehr, Rausch kann längst drüber lachen.

Mit eigentümlichem Humor reagierte auch Schalke-Präsident Günter Siebert auf den Hundebiss-Skandal. Er patrouillierte vor dem Rückspiel an der Mittellinie mit einem wahrhaftigen Löwen, den er sich vom nächsten Tierpark ausgeliehen hatte. Das Gelächter war groß, gebissen wurde zum Glück niemand.

Was sonst noch am 4. Spieltag geschah

1963/1964: Erster Platzverweis der Bundesliga für Weltmeister Helmut Rahn vom MSV Duisburg.

1965/1966: Aufsteiger Bayern München ist nach einem 6:0 gegen Neunkirchen erstmals in seiner Historie Tabellenführer der Bundesliga.

1967/1968: Torrekord in der Bundesligist (47). Die meisten Tore fallen am Bökelberg: Mönchengladbach gegen 1. FC Kaiserslautern 8:2.

1971/1972: Schalkes Klaus Scheer schießt gegen Köln (6:2) fünf Tore – Rekord eingestellt.

1972/1973: Experiment in Köln: eine Eintrittskarte (6,50 DM) für zwei Spiele – Regionalligist Fortuna gegen Münster, dann 1. FC gegen Werder. Doch nur 16.000 Zuschauer wollen drei Stunden am Stück sehen.

1973/1974: Novum in Frankfurt: Eintracht gegen VfB Stuttgart 4:3 nach 0:3 – und alle Tore fallen nach der Pause.

1984/1985: Bis dahin höchste Kölner Heimniederlage – ein 1:5 gegen Bayer Uerdingen.

1987/1988: Erstmals nach 26 Auswärtsspielen verliert Bayern München wieder – in Homburg reißt beim 2:3 die Rekordserie der Bundesliga.

1989/1990: Homburgs Andrzej Buncol sieht im vierten Spiel die vierte Gelbe Karte und wird gesperrt – Rekord.

1993/1994: Platzverweis-Rekord: vier Gelb-Rote und 3 Rote Karten.

1994/1995: Schlitzohr-Affäre am Betzenberg: Ciriaco Sforza bereitet ein Tor beim 3:2 gegen Stuttgart mit der Hand vor und sagt: „Ich bin ein Schlitzohr, ein halber Italiener. Das gehört dazu.“ Der DFB klagt ihn an.

1998/1999: HSV-Torwart Hans-Jörg Butt verwandelt gegen Wolfsburg (1:1) einen Elfmeter – seinen ersten von insgesamt 26 in der Bundesliga.

1999/2000: Vier Platzverweise gegen Ulmer Spieler beim 1:2 in Rostock – Liga-Rekord.

2001/2002: Bei der Bundesliga-Premiere in der Veltins-Arena trennen sich Schalke 04 und Bayer Leverkusen 3:3.

2002/2003: Stefan Effenberg trifft beim Heimdebüt für Wolfsburg (2:1 gegen HSV) per Elfmeter.

2004/2005: Nach einem 0:3 in Wolfsburg entlässt Schalke 04 Trainer Jupp Heynckes.

2005/2006: Bremen gewinnt 5:1 in Kaiserslautern, Ex-FCK-Stürmer Miroslav Klose schießt zwei Tore.

2006/2007: Die ersten Elf der Tabelle liegen nur zwei Plätze auseinander. Neuer Tabellenführer: Hertha BSC (2:0 gegen Schalke).

2008/2009: Dramatisches Revierderby: Dortmund rettet nach 0:3-Rückstand gegen Schalke ein 3:3. Ein Grund: zwei Platzverweise gegen Schalker.

2009/2010: Traumdebüt für Bayerns Arjen Robben – zwei Tore nach seiner Einwechslung beim 3:0 gegen Wolfsburg.

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„Es geschah am ... Spieltag“: In der neuen DFB.de-Serie blickt der Historiker und Autor Udo Muras zurück auf ein besonderes Ereignis am jeweiligen Spieltag einer früheren Saison. Heute: der legendäre Hundebiss gegen Friedel Rausch im Revierderby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04.

Datum: 6. September 1969
Ort: Stadion Rote Erde Dortmund
Partie: Borussia Dortmund – Schalke 04 1:1

Wenn bei Friedel Rausch heute das Telefon klingelt und sich ein deutscher Journalist meldet, dann weiß er schon warum: „Ach, ist wieder Derby?“ Der 71-jährige Rentner lebt schon seit vielen Jahren in der Schweiz am Vierwaldstätter See, aber die Erinnerung an den berühmtesten Moment in seiner Karriere verfolgt ihn immer noch. Und immer, wenn seine Schalker auf Borussia Dortmund treffen, dann will man sie noch mal hören, diese unglaubliche Geschichte aus der wilden Zeit der Bundesliga. Eine die so heute wohl nicht mehr möglich ist. Was gut ist, so sehr wir auch darüber lachen können. Ein Rückblick auf den Tag, der einen Moment fürs Kuriositäten-Kabinett der Bundesliga bescherte – und Rausch ein schmerzhaftes Erlebnis.

Das Dortmunder Stadion Rote Erde war wie gewöhnlich gegen Schalke mit 39.000 Zuschauern ausverkauft, Derby-Stimmung. Die Zuschauer standen in jenen Tagen noch dicht am Spielfeldrand hinter leicht zu überwindenden Barrieren – immer häufiger mussten Spiele unterbrochen werden, weil Fans den Platz stürmten. So auch an diesem Tag: Als Schalke nach 37 Minuten durch Hans Pirkner in Führung ging, rannten Dutzende Gästefans jubelnd aufs Feld und umarmten ihre Helden. Die Polizei versuchte, für Ordnung zu sorgen, setzte Hunde ein. Ein fünfjähriger Schäferhund namens „Blitz“ biss in der Hektik in den nächsten Hintern, den er zu fassen bekam: den von Schalkes Friedel Rausch.

Der erinnert sich im Bild-Buch 40 Jahre Bundesliga: „Riesenaufregung. Meine Hose blutdurchtränkt. Ich hörte nur Stimmen. ‚Haltet den Hund fest’. Ein Dortmunder Ordner hatte seinen Schäferhund von der Leine gelassen. Ich wurde vom Platz getragen. Die Schmerzen waren tierisch.“ Auch Mitspieler Gerd Neuser wurde durch einen Biss verwundet, am Oberschenkel. Das ist seltsamerweise heute längst vergessen – vielleicht weil ein Biss in den Hintern noch kurioser ist? Während Neuser ausgewechselt werden musste, hielt Rausch dank einer Tetanusspritze durch.

Später stellte sich übrigens heraus, dass es sich gar nicht um einen „offiziellen“ Wachhund gehandelt hatte. Vielmehr hatte ihn ein pfiffiger Fan mitgenommen, der sich am Einlass als Ordner ausgab um auf diese Weise um den Eintrittspreis zu kommen. Den eigentlich ganz braven Blitz hatte er sich vom Nachbarn ausgeliehen. Die Liga hatte jedenfalls etwas zu lachen.

Wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht zu sorgen: Der arme Friedel Rausch, der zwei Wochen lang nur auf dem Bauch schlafen konnte, wurde in der Folge von Passanten auf offener Straße angesprochen – oder, besser gesagt, angebellt. Auch Gegenspieler griffen anfangs noch zu diesem Mittel psychologischer Kriegsführung. Rausch erinnert sich mit Grausen: „Fast in jedem Spiel kam einer an und machte wuff-wuff.“ Die Sprüche der Mitspieler waren auch nicht besonders einfühlsam: „Mensch Friedel, sei doch froh! Stell Dir vor, der hätte dich vorne gebissen…“ Rauschs Konter: „Dann hätte der Köter seine Zähne verloren.“

Die Bundesliga verdankt dieser Episode die Maulkorbpflicht für alle vierbeinigen Ordnungskräfte und die Errichtung von Zäunen. Rausch und Neuser bekamen von Borussia Dortmund je 300 D-Mark Schmerzensgeld und Blumen. Die sind längst verwelkt, die sechs Zentimeter lange Narbe aber ist Friedel Rausch geblieben: „Das ist ein Andenken für immer.“ Aber keine (seelische) Wunde mehr, Rausch kann längst drüber lachen.

Mit eigentümlichem Humor reagierte auch Schalke-Präsident Günter Siebert auf den Hundebiss-Skandal. Er patrouillierte vor dem Rückspiel an der Mittellinie mit einem wahrhaftigen Löwen, den er sich vom nächsten Tierpark ausgeliehen hatte. Das Gelächter war groß, gebissen wurde zum Glück niemand.

Was sonst noch am 4. Spieltag geschah

1963/1964: Erster Platzverweis der Bundesliga für Weltmeister Helmut Rahn vom MSV Duisburg.

1965/1966: Aufsteiger Bayern München ist nach einem 6:0 gegen Neunkirchen erstmals in seiner Historie Tabellenführer der Bundesliga.

1967/1968: Torrekord in der Bundesligist (47). Die meisten Tore fallen am Bökelberg: Mönchengladbach gegen 1. FC Kaiserslautern 8:2.

1971/1972: Schalkes Klaus Scheer schießt gegen Köln (6:2) fünf Tore – Rekord eingestellt.

1972/1973: Experiment in Köln: eine Eintrittskarte (6,50 DM) für zwei Spiele – Regionalligist Fortuna gegen Münster, dann 1. FC gegen Werder. Doch nur 16.000 Zuschauer wollen drei Stunden am Stück sehen.

1973/1974: Novum in Frankfurt: Eintracht gegen VfB Stuttgart 4:3 nach 0:3 – und alle Tore fallen nach der Pause.

1984/1985: Bis dahin höchste Kölner Heimniederlage – ein 1:5 gegen Bayer Uerdingen.

1987/1988: Erstmals nach 26 Auswärtsspielen verliert Bayern München wieder – in Homburg reißt beim 2:3 die Rekordserie der Bundesliga.

1989/1990: Homburgs Andrzej Buncol sieht im vierten Spiel die vierte Gelbe Karte und wird gesperrt – Rekord.

1993/1994: Platzverweis-Rekord: vier Gelb-Rote und 3 Rote Karten.

1994/1995: Schlitzohr-Affäre am Betzenberg: Ciriaco Sforza bereitet ein Tor beim 3:2 gegen Stuttgart mit der Hand vor und sagt: „Ich bin ein Schlitzohr, ein halber Italiener. Das gehört dazu.“ Der DFB klagt ihn an.

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1998/1999: HSV-Torwart Hans-Jörg Butt verwandelt gegen Wolfsburg (1:1) einen Elfmeter – seinen ersten von insgesamt 26 in der Bundesliga.

1999/2000: Vier Platzverweise gegen Ulmer Spieler beim 1:2 in Rostock – Liga-Rekord.

2001/2002: Bei der Bundesliga-Premiere in der Veltins-Arena trennen sich Schalke 04 und Bayer Leverkusen 3:3.

2002/2003: Stefan Effenberg trifft beim Heimdebüt für Wolfsburg (2:1 gegen HSV) per Elfmeter.

2004/2005: Nach einem 0:3 in Wolfsburg entlässt Schalke 04 Trainer Jupp Heynckes.

2005/2006: Bremen gewinnt 5:1 in Kaiserslautern, Ex-FCK-Stürmer Miroslav Klose schießt zwei Tore.

2006/2007: Die ersten Elf der Tabelle liegen nur zwei Plätze auseinander. Neuer Tabellenführer: Hertha BSC (2:0 gegen Schalke).

2008/2009: Dramatisches Revierderby: Dortmund rettet nach 0:3-Rückstand gegen Schalke ein 3:3. Ein Grund: zwei Platzverweise gegen Schalker.

2009/2010: Traumdebüt für Bayerns Arjen Robben – zwei Tore nach seiner Einwechslung beim 3:0 gegen Wolfsburg.