Eric Mbarga: "Es geht ums Team Deutschland"

Eric Mbarga will helfen, den Fußball in Deutschland besser zu machen, was ja immer eine gute Idee ist und dieser Tage eine besonders gute. Der 39-jährige ehemalige DFB-Stützpunktrainer mit UEFA-A-Lizenz ist seit Oktober 2022 hauptamtlicher Kinderschutz- und Präventionsbeauftragter am FC Bayern Campus. 

Zuvor arbeitete Mbarga unter anderem als Gruppenleiter bei „HEROES - Gegen Gewalt im Namen der Ehre“ mit männlichen Jugendlichen aus sogenannten „Ehrenkulturen“ zusammen und leitete das vom bayerischen Innenministerium geförderte Projekt „Aktiv(ierend)e Antidiskriminierungsarbeit“. Für den DFB ist er ehrenamtlicher Referent beim Kindertrainerzertifikat sowie Gastreferent für das Projekt "Fußball Verein(t) Gegen Rassismus".  Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth spricht Eric Mbarga über den „Unconscious Bias“ und damit über einen Schlüsselbegriff der aktuellen Rassismus-Debatte in Deutschland.

DFB.de: Sie stemmen sich seit vielen Jahren gegen den Rassismus im Sport und in unserer Gesellschaft. Was macht das Thema so wichtig für Sie?

Eric Mbarga: Ja, das Thema ist mir eine Herzensangelegenheit, allerdings würde ich noch lieber sagen, dass ich mich für Vielfalt und Inklusion engagiere. Wir wissen als Gesellschaft immer noch zu wenig über Rassismus und Diskriminierung und erkennen noch nicht ausreichend die Vorteile des Mitnehmens und Mitdenkens unterschiedlicher Menschen. Wie äußert sich Rassismus, was löst er aus? Wir leben im Jahr 2023 und trotzdem gibt es immer noch zu viele, die nahezu nichts über diese Dinge wissen. Dadurch entstehen laute und verzichtbare Nebendiskussionen. Wir verzetteln uns.

DFB.de: Was ist aus Ihrer Sicht eine unnötige Nebendiskussion?

Mbarga: Diese Reaktion „Man weiß überhaupt nicht mehr, was man heutzutage noch sagen darf“. Darum geht es aber gar nicht. Wir verlieren durch solche Debatten den Fokus auf das Wesentliche. Oder beim Diskurs über Geschlechterrollen, wenn manche Männer sagen, man dürfe ja heute keine Komplimente mehr machen.  Als Gesellschaft sollte unser Fokus doch auf diejenigen gelegt werden, die bisher keine oder nur wenig Macht hatten. Oftmals ist das Gegenteil der Fall. Männer, und ich muss es so deutlich sagen, insbesondere weiße Männer, genießen seit Jahrhunderten Machtprivilegien, die jetzt zurecht hinterfragt werden.  Die Diskussion dreht sich viel zu oft um das Lamento derjenigen, die ihre Macht bedroht sehen - und dadurch zu selten darum, wie eine offenere Kultur uns alle voranbringen kann. Oder sehr konkret – wie mehr institutionelle Vielfalt den Fußball voranbringt. Wenn erstmal Vereine oder Verbände etwa auf Leitungsebene diverser aufgestellt sind, wird man viel mehr Menschen erreichen. Es geht ums Team Deutschland.

DFB.de: Zu Beginn Ihrer Sensibilisierungen etwa bei den DFB-Landesverbänden oder zuletzt bei Viktoria Köln sagen Sie zu den Teilnehmenden: „Es geht darum, dass wir gemeinsam an einer erfolgreichen Zukunft für den Fußball arbeiten." Meinen Sie damit mögliche Wachstumspotenziale für den Sport?

Mbarga: Mehr Mitglieder – das ist das eine. Und zum anderen geht es darum, das Bild von dem, was unser Land ausmacht, der Wirklichkeit anzupassen. Oft noch sind Entscheider*innen unbewusst der Meinung, dass der Fußball auf dem Platz multikulturell ist, aber auf höheren Ebenen nicht unbedingt sein muss. Sie unterschätzen oder verstehen noch nicht die immense Kraft und Bedeutung von Repräsentanz für all diejenigen, die ihresgleichen bisher kaum oder nie auf diesen Ebenen sehen. Ein positives Vorangehen wäre beispielsweise die bewusste Eingliederung Rassismus-sensibler PoC-Psycholog*innen (PoC ist die Abkürzung für People of Colour, Anm. d. Red.), die bei leider immer noch gängigen Rassismusvorfällen betroffene Spieler sofort und zielführend unterstützen könnten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Psycholog*innen überwiegend ohne eigene Rassismuserfahrungen oftmals nicht wirklich wissen, wie sie empowernd oder sogar präventiv mit der Situation umgehen sollen.

DFB.de: Zentrales Anliegen Ihrer Schulungen ist es, über den sogenannten „Unconscious Bias“ zu informieren. Was versteht man unter diesem sperrigen Begriff?

Mbarga: Zuerst einmal: wir alle tragen unbewusste Vorurteile oder, neutraler ausgedrückt, Kategorisierungen mit uns herum. Auf unser Gehirn prasseln im Zehntelsekundentakt unzählige Eindrücke. Wir ordnen ein, wir ordnen zu. Das dient der Ökonomisierung unseres Gehirns, ohne diesen Automatismus wären wir nicht lebensfähig. Wichtig ist, dass wir uns diesem Vorgang bewusst sind. Und dass wir uns hinterfragen. Was sind eigentlich meine Selbstverständlichkeiten, welche bringt mein Gegenüber mit? Bei meinen Vorträgen erlebe ich oft ein Kopfnicken der Menschen mit Migrationskontext und Stirnrunzeln bei denen ohne.

DFB.de: Die einen kapieren gar nicht, was sie da anstellen, die anderen sind tödlich verletzt. Ist das die Konstellation?

Mbarga: Ich würde es nicht so scharf ausdrücken. Die Welt der einen wurde bis jetzt gar nicht hinterfragt. Und die Welt der anderen wurde gar nicht wahrgenommen. Anders ausgedrückt: Ein körperlich gesunder Mensch macht sich anders als einer im Rollstuhl keine Gedanken, wie er in den 3. Stock kommt. Nehmen sie das Gehirn mit seinen drei Instanzen. Es gibt Impulse, es kontrolliert und es vernetzt. So auch in einer Firma, einem Verband oder einem Verein, dort gibt es immer Menschen, die Impulse geben, die vernetzen und die kontrollieren. Die Impulse kommen bei uns schon sehr lange immer aus dem gleichen Pool - und bei den Netzwerken ähnelt eins dem anderen. Den Leser*innen schlage ich folgendes vor: Werfen sie einen Blick in ihre Kantine und vergleichen sie es bei ihrem nächsten Besuch bei einem Verein oder einem Verband. Wer sitzt da und wie sitzen diese Menschen zusammen? Welche Lebenswelten sind ihnen bekannt, welche nicht? Sie werden sehr wahrscheinlich keine großen Unterschiede in der Zusammenstellung feststellen. Und dann stellen sie sich die Frage, wie echte gewinnbringende Veränderungen in einer sich verändernden Welt daraus entstehen sollen? Künftiges Wachstum wird möglich sein, wenn auch ganz andere Menschen Impulse setzen und so völlig neue Netzwerke entstehen. Wir schließen Menschen aus, die ganz sicher fest dazugehören. Das muss aufhören.

DFB.de: Was meinen Sie, wenn Sie von Affinitäts-Vorurteilen sprechen?

Mbarga: Wenn etwa Vorgesetzte unbewusst immer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einstellen, die ihnen ähnlich sind. Und weil sie ähnlich sind – etwa aufgrund derselben Universität, der sozialen Herkunft oder des Lebenslaufes – werden sie als gut und passend eingestuft. Und andere Bewerber*innen, nämlich all jene mit divergierenden Merkmalen und Lebensläufen werden bezüglich ihres Leistungsvermögens mehr hinterfragt. Das Alles ist zutiefst menschlich. Aber wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen, müssen wir uns trauen, solche Dinge zu hinterfragen. Diskriminierung, auch unbewusste verdeckt Talent. Junge Menschen aus Familien niedrigerer sozialer Herkunft können sich ein Praktikum bei einer Firma oder einem Verband in Frankfurt, München oder Hamburg gar nicht leisten. Einwandererkinder verstehen aus Mangel an Erfahrung meistens nicht, wie ein deutscher Sportverband funktioniert. Wir müssen lernen, die Perspektive der anderen zu erkennen und zumindest mit in Betracht ziehen. Denn wahr ist ja auch, dass die Bereitschaft mitzumachen sehr wohl da ist.

DFB.de: Versteht man sie richtig, wenn man sagt, dass es okay ist, Menschen zu erkennen, etwa aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Alters, ihres Geschlechts oder ihrer sozialen Herkunft, aber dass wir viel zu oft, weitreichende und dadurch falsche Schlussfolgerungen daraus ziehen?

Mbarga: Man sollte sich jedenfalls informieren. Wir alle sollten verstehen, dass Deutschland schon lange ein Einwanderungsland ist. Wir haben schwarze Menschen, die noch nie im Ausland waren und zutiefst deutsch geprägt sind. Und dennoch wird ihnen zu oft ihre Zugehörigkeit abgesprochen. Wir haben Muslime, die sich nur mit bestimmten Teilen ihrer Identität akzeptiert fühlen. Wir müssen achtsamer miteinander umgehen. Leider haben wir als Mehrheitsgesellschaft viel zu lange schon im Handeln und Denken wesentliche Teile der Bevölkerung nicht mitgenommen. Wer willentlich rassistisch handelt, ist ein Rassist. Wer unbewusst rassistisch handelt, ist kein Rassist. Aber Rassismus bleibt es trotzdem.

DFB.de: Diejenigen, die eine Sensibilisierung nötig hätten, tauchen wahrscheinlich nie bei ihren Schulungen auf. Predigen Sie nicht allzu oft zu den Konvertierten?

Mbarga: Mein Lieblingszitat ist von Dürrenmatt und lautet: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“ Wichtig ist also zu verstehen, dass alle die Sensibilisierung nötig haben. In den Workshops sitzen Geschäftsführer, also auch die, die Entscheidungen treffen. Wir erreichen schon sehr viele Leute, aber es dürfte immer auch noch mehr sein. Die Schulung zuletzt bei Viktoria Köln, einem Stützpunktverein der Initiative „Fußball Verein(t) gegen Rassismus“, war sehr gut besucht. Es steht und fällt mit der Führung. Den DFB möchte ich auffordern, diese Themen stärker noch etwa in die Qualifizierung eingehen zu lassen. Man hat zu lange vom System hin zum Menschen gedacht. Menschen werden für ein System passend gemacht. Auch deshalb haben wir im letzten Drittel zu wenige Ideen.

DFB.de: Vorurteile drücken sich auch in Form von Generalisierungen aus. Hätten Sie hierfür ein Beispiel aus dem Fußball?

Mbarga: Wir sprechen oft davon, wie französische Spieler, wie spanische Spieler, wie afrikanische Spieler sind. Da fällt den meisten nicht mal auf, dass wir hier von zwei Nationen und einem Kontinent sprechen. Und wenn wir dann sagen oder denken, die können alle tanzen oder alle schnell rennen, ist der Informationsgehalt doch schon sehr gering. Dabei wissen die wenigsten, dass Afrika der Kontinent mit der höchsten genetischen Vielfalt ist und damit die Unterschiede viel größer sind als etwa in Europa.

DFB.de: Und die Schnittmenge der spielerischen Qualitäten von Zidane, Benzema und Pavard ist ebenfalls überschaubar.

Mbarga: Exakt.

DFB.de: Sie sprechen darüber Vorurteile zu erkennen und zu überwinden, eingestanzte Denkmuster aufzubrechen. Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Mbarga: Nehmen Sie doch einfach nur Jamal Musiala, der genau durch seine außergewöhnlichen fußballerischen, aber auch mentalen Fähigkeiten den Siegtreffer im Saisonfinale erzielt. Am Campus zeige ich unseren jungen Spielern gerne ein Interview von Jamal, in dem er von den Dingen spricht, ohne die er nicht leben kann. Direkt nach einem Fußball hält er einen Basketball hoch und im Anschluss ein Buch von einem Mentaltrainer, der so Sportgrößen wie Michael Jordan und Kobe Bryant betreut hatte. Jamal kann dieses Buch scheinbar auswendig. Und nun schaut man sich diesen grandiosen beinahe Last-Minute-Treffer nach einer sternenschrittähnlichen Ballannahme nochmal an. Es ist sein Out of the Box-Denken, dass er ganz bestimmt nicht in unserem deutschen System gelernt hat. Man erkennt hier das Ergebnis einer Ausbildung, die ihn und seine Fähigkeiten im Fokus hatte, vor allem aber, einer Ausbildung, die ihn dazu ermutigte, weiter zu denken und sich auszuprobieren. In Deutschland hätten ihm wahrscheinlich einige Jugendtrainer gesagt, dass er nur Dribbeln soll, wenn er Platz hat, sprich eher am Flügel – wo sie ihn dann auch aufgrund des Denkens vom System zum Spieler gesehen hätten - und eben nicht im 16er. Unser Glück bleibt, dass er das in England durfte. Was ich sagen möchte: mit mehr Vielfalt und offenerem Denken in unseren Strukturen wäre das sicherlich auch wieder öfters möglich.

DFB.de: Ist der Fußball ein guter Katalysator, auch um den gesellschaftlichen Wandel zu einer offeneren und vielfältigeren Gesellschaft voranzutreiben?

Mbarga: Auf jeden Fall. Nennen Sie mir einen anderen Bereich unseres Lebens, der mehr unterschiedliche Menschen erreicht und zusammenführt, auch über Klassen und Milieus hinweg. Fußball hat eine gesellschaftliche Verantwortung. Und mit dem Fußball kann man ungeheuer viel bewirken.

[th]

Eric Mbarga will helfen, den Fußball in Deutschland besser zu machen, was ja immer eine gute Idee ist und dieser Tage eine besonders gute. Der 39-jährige ehemalige DFB-Stützpunktrainer mit UEFA-A-Lizenz ist seit Oktober 2022 hauptamtlicher Kinderschutz- und Präventionsbeauftragter am FC Bayern Campus. 

Zuvor arbeitete Mbarga unter anderem als Gruppenleiter bei „HEROES - Gegen Gewalt im Namen der Ehre“ mit männlichen Jugendlichen aus sogenannten „Ehrenkulturen“ zusammen und leitete das vom bayerischen Innenministerium geförderte Projekt „Aktiv(ierend)e Antidiskriminierungsarbeit“. Für den DFB ist er ehrenamtlicher Referent beim Kindertrainerzertifikat sowie Gastreferent für das Projekt "Fußball Verein(t) Gegen Rassismus".  Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth spricht Eric Mbarga über den „Unconscious Bias“ und damit über einen Schlüsselbegriff der aktuellen Rassismus-Debatte in Deutschland.

DFB.de: Sie stemmen sich seit vielen Jahren gegen den Rassismus im Sport und in unserer Gesellschaft. Was macht das Thema so wichtig für Sie?

Eric Mbarga: Ja, das Thema ist mir eine Herzensangelegenheit, allerdings würde ich noch lieber sagen, dass ich mich für Vielfalt und Inklusion engagiere. Wir wissen als Gesellschaft immer noch zu wenig über Rassismus und Diskriminierung und erkennen noch nicht ausreichend die Vorteile des Mitnehmens und Mitdenkens unterschiedlicher Menschen. Wie äußert sich Rassismus, was löst er aus? Wir leben im Jahr 2023 und trotzdem gibt es immer noch zu viele, die nahezu nichts über diese Dinge wissen. Dadurch entstehen laute und verzichtbare Nebendiskussionen. Wir verzetteln uns.

DFB.de: Was ist aus Ihrer Sicht eine unnötige Nebendiskussion?

Mbarga: Diese Reaktion „Man weiß überhaupt nicht mehr, was man heutzutage noch sagen darf“. Darum geht es aber gar nicht. Wir verlieren durch solche Debatten den Fokus auf das Wesentliche. Oder beim Diskurs über Geschlechterrollen, wenn manche Männer sagen, man dürfe ja heute keine Komplimente mehr machen.  Als Gesellschaft sollte unser Fokus doch auf diejenigen gelegt werden, die bisher keine oder nur wenig Macht hatten. Oftmals ist das Gegenteil der Fall. Männer, und ich muss es so deutlich sagen, insbesondere weiße Männer, genießen seit Jahrhunderten Machtprivilegien, die jetzt zurecht hinterfragt werden.  Die Diskussion dreht sich viel zu oft um das Lamento derjenigen, die ihre Macht bedroht sehen - und dadurch zu selten darum, wie eine offenere Kultur uns alle voranbringen kann. Oder sehr konkret – wie mehr institutionelle Vielfalt den Fußball voranbringt. Wenn erstmal Vereine oder Verbände etwa auf Leitungsebene diverser aufgestellt sind, wird man viel mehr Menschen erreichen. Es geht ums Team Deutschland.

DFB.de: Zu Beginn Ihrer Sensibilisierungen etwa bei den DFB-Landesverbänden oder zuletzt bei Viktoria Köln sagen Sie zu den Teilnehmenden: „Es geht darum, dass wir gemeinsam an einer erfolgreichen Zukunft für den Fußball arbeiten." Meinen Sie damit mögliche Wachstumspotenziale für den Sport?

Mbarga: Mehr Mitglieder – das ist das eine. Und zum anderen geht es darum, das Bild von dem, was unser Land ausmacht, der Wirklichkeit anzupassen. Oft noch sind Entscheider*innen unbewusst der Meinung, dass der Fußball auf dem Platz multikulturell ist, aber auf höheren Ebenen nicht unbedingt sein muss. Sie unterschätzen oder verstehen noch nicht die immense Kraft und Bedeutung von Repräsentanz für all diejenigen, die ihresgleichen bisher kaum oder nie auf diesen Ebenen sehen. Ein positives Vorangehen wäre beispielsweise die bewusste Eingliederung Rassismus-sensibler PoC-Psycholog*innen (PoC ist die Abkürzung für People of Colour, Anm. d. Red.), die bei leider immer noch gängigen Rassismusvorfällen betroffene Spieler sofort und zielführend unterstützen könnten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Psycholog*innen überwiegend ohne eigene Rassismuserfahrungen oftmals nicht wirklich wissen, wie sie empowernd oder sogar präventiv mit der Situation umgehen sollen.

DFB.de: Zentrales Anliegen Ihrer Schulungen ist es, über den sogenannten „Unconscious Bias“ zu informieren. Was versteht man unter diesem sperrigen Begriff?

Mbarga: Zuerst einmal: wir alle tragen unbewusste Vorurteile oder, neutraler ausgedrückt, Kategorisierungen mit uns herum. Auf unser Gehirn prasseln im Zehntelsekundentakt unzählige Eindrücke. Wir ordnen ein, wir ordnen zu. Das dient der Ökonomisierung unseres Gehirns, ohne diesen Automatismus wären wir nicht lebensfähig. Wichtig ist, dass wir uns diesem Vorgang bewusst sind. Und dass wir uns hinterfragen. Was sind eigentlich meine Selbstverständlichkeiten, welche bringt mein Gegenüber mit? Bei meinen Vorträgen erlebe ich oft ein Kopfnicken der Menschen mit Migrationskontext und Stirnrunzeln bei denen ohne.

DFB.de: Die einen kapieren gar nicht, was sie da anstellen, die anderen sind tödlich verletzt. Ist das die Konstellation?

Mbarga: Ich würde es nicht so scharf ausdrücken. Die Welt der einen wurde bis jetzt gar nicht hinterfragt. Und die Welt der anderen wurde gar nicht wahrgenommen. Anders ausgedrückt: Ein körperlich gesunder Mensch macht sich anders als einer im Rollstuhl keine Gedanken, wie er in den 3. Stock kommt. Nehmen sie das Gehirn mit seinen drei Instanzen. Es gibt Impulse, es kontrolliert und es vernetzt. So auch in einer Firma, einem Verband oder einem Verein, dort gibt es immer Menschen, die Impulse geben, die vernetzen und die kontrollieren. Die Impulse kommen bei uns schon sehr lange immer aus dem gleichen Pool - und bei den Netzwerken ähnelt eins dem anderen. Den Leser*innen schlage ich folgendes vor: Werfen sie einen Blick in ihre Kantine und vergleichen sie es bei ihrem nächsten Besuch bei einem Verein oder einem Verband. Wer sitzt da und wie sitzen diese Menschen zusammen? Welche Lebenswelten sind ihnen bekannt, welche nicht? Sie werden sehr wahrscheinlich keine großen Unterschiede in der Zusammenstellung feststellen. Und dann stellen sie sich die Frage, wie echte gewinnbringende Veränderungen in einer sich verändernden Welt daraus entstehen sollen? Künftiges Wachstum wird möglich sein, wenn auch ganz andere Menschen Impulse setzen und so völlig neue Netzwerke entstehen. Wir schließen Menschen aus, die ganz sicher fest dazugehören. Das muss aufhören.

DFB.de: Was meinen Sie, wenn Sie von Affinitäts-Vorurteilen sprechen?

Mbarga: Wenn etwa Vorgesetzte unbewusst immer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einstellen, die ihnen ähnlich sind. Und weil sie ähnlich sind – etwa aufgrund derselben Universität, der sozialen Herkunft oder des Lebenslaufes – werden sie als gut und passend eingestuft. Und andere Bewerber*innen, nämlich all jene mit divergierenden Merkmalen und Lebensläufen werden bezüglich ihres Leistungsvermögens mehr hinterfragt. Das Alles ist zutiefst menschlich. Aber wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen, müssen wir uns trauen, solche Dinge zu hinterfragen. Diskriminierung, auch unbewusste verdeckt Talent. Junge Menschen aus Familien niedrigerer sozialer Herkunft können sich ein Praktikum bei einer Firma oder einem Verband in Frankfurt, München oder Hamburg gar nicht leisten. Einwandererkinder verstehen aus Mangel an Erfahrung meistens nicht, wie ein deutscher Sportverband funktioniert. Wir müssen lernen, die Perspektive der anderen zu erkennen und zumindest mit in Betracht ziehen. Denn wahr ist ja auch, dass die Bereitschaft mitzumachen sehr wohl da ist.

DFB.de: Versteht man sie richtig, wenn man sagt, dass es okay ist, Menschen zu erkennen, etwa aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Alters, ihres Geschlechts oder ihrer sozialen Herkunft, aber dass wir viel zu oft, weitreichende und dadurch falsche Schlussfolgerungen daraus ziehen?

Mbarga: Man sollte sich jedenfalls informieren. Wir alle sollten verstehen, dass Deutschland schon lange ein Einwanderungsland ist. Wir haben schwarze Menschen, die noch nie im Ausland waren und zutiefst deutsch geprägt sind. Und dennoch wird ihnen zu oft ihre Zugehörigkeit abgesprochen. Wir haben Muslime, die sich nur mit bestimmten Teilen ihrer Identität akzeptiert fühlen. Wir müssen achtsamer miteinander umgehen. Leider haben wir als Mehrheitsgesellschaft viel zu lange schon im Handeln und Denken wesentliche Teile der Bevölkerung nicht mitgenommen. Wer willentlich rassistisch handelt, ist ein Rassist. Wer unbewusst rassistisch handelt, ist kein Rassist. Aber Rassismus bleibt es trotzdem.

DFB.de: Diejenigen, die eine Sensibilisierung nötig hätten, tauchen wahrscheinlich nie bei ihren Schulungen auf. Predigen Sie nicht allzu oft zu den Konvertierten?

Mbarga: Mein Lieblingszitat ist von Dürrenmatt und lautet: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“ Wichtig ist also zu verstehen, dass alle die Sensibilisierung nötig haben. In den Workshops sitzen Geschäftsführer, also auch die, die Entscheidungen treffen. Wir erreichen schon sehr viele Leute, aber es dürfte immer auch noch mehr sein. Die Schulung zuletzt bei Viktoria Köln, einem Stützpunktverein der Initiative „Fußball Verein(t) gegen Rassismus“, war sehr gut besucht. Es steht und fällt mit der Führung. Den DFB möchte ich auffordern, diese Themen stärker noch etwa in die Qualifizierung eingehen zu lassen. Man hat zu lange vom System hin zum Menschen gedacht. Menschen werden für ein System passend gemacht. Auch deshalb haben wir im letzten Drittel zu wenige Ideen.

DFB.de: Vorurteile drücken sich auch in Form von Generalisierungen aus. Hätten Sie hierfür ein Beispiel aus dem Fußball?

Mbarga: Wir sprechen oft davon, wie französische Spieler, wie spanische Spieler, wie afrikanische Spieler sind. Da fällt den meisten nicht mal auf, dass wir hier von zwei Nationen und einem Kontinent sprechen. Und wenn wir dann sagen oder denken, die können alle tanzen oder alle schnell rennen, ist der Informationsgehalt doch schon sehr gering. Dabei wissen die wenigsten, dass Afrika der Kontinent mit der höchsten genetischen Vielfalt ist und damit die Unterschiede viel größer sind als etwa in Europa.

DFB.de: Und die Schnittmenge der spielerischen Qualitäten von Zidane, Benzema und Pavard ist ebenfalls überschaubar.

Mbarga: Exakt.

DFB.de: Sie sprechen darüber Vorurteile zu erkennen und zu überwinden, eingestanzte Denkmuster aufzubrechen. Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Mbarga: Nehmen Sie doch einfach nur Jamal Musiala, der genau durch seine außergewöhnlichen fußballerischen, aber auch mentalen Fähigkeiten den Siegtreffer im Saisonfinale erzielt. Am Campus zeige ich unseren jungen Spielern gerne ein Interview von Jamal, in dem er von den Dingen spricht, ohne die er nicht leben kann. Direkt nach einem Fußball hält er einen Basketball hoch und im Anschluss ein Buch von einem Mentaltrainer, der so Sportgrößen wie Michael Jordan und Kobe Bryant betreut hatte. Jamal kann dieses Buch scheinbar auswendig. Und nun schaut man sich diesen grandiosen beinahe Last-Minute-Treffer nach einer sternenschrittähnlichen Ballannahme nochmal an. Es ist sein Out of the Box-Denken, dass er ganz bestimmt nicht in unserem deutschen System gelernt hat. Man erkennt hier das Ergebnis einer Ausbildung, die ihn und seine Fähigkeiten im Fokus hatte, vor allem aber, einer Ausbildung, die ihn dazu ermutigte, weiter zu denken und sich auszuprobieren. In Deutschland hätten ihm wahrscheinlich einige Jugendtrainer gesagt, dass er nur Dribbeln soll, wenn er Platz hat, sprich eher am Flügel – wo sie ihn dann auch aufgrund des Denkens vom System zum Spieler gesehen hätten - und eben nicht im 16er. Unser Glück bleibt, dass er das in England durfte. Was ich sagen möchte: mit mehr Vielfalt und offenerem Denken in unseren Strukturen wäre das sicherlich auch wieder öfters möglich.

DFB.de: Ist der Fußball ein guter Katalysator, auch um den gesellschaftlichen Wandel zu einer offeneren und vielfältigeren Gesellschaft voranzutreiben?

Mbarga: Auf jeden Fall. Nennen Sie mir einen anderen Bereich unseres Lebens, der mehr unterschiedliche Menschen erreicht und zusammenführt, auch über Klassen und Milieus hinweg. Fußball hat eine gesellschaftliche Verantwortung. Und mit dem Fußball kann man ungeheuer viel bewirken.

###more###