EM-Botschafter Philipp Lahm: "Hier ist Fußball zu Hause"

2014 führte Philipp Lahm als Kapitän die Nationalmannschaft in Brasilien zum WM-Titel. Jetzt will er dafür sorgen, dass zehn Jahre darauf wieder ein Fußballfest in Deutschland gefeiert werden kann. Als offizieller Botschafter der Bewerbung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) um die Ausrichtung der EURO 2024 will Lahm die UEFA von den Vorzügen der deutschen Bewerbung überzeugen. Welche das sind und warum ihm sein Engagement eine Herzensangelegenheit ist, erklärt der 34 Jahre alte DFB-Ehrenspielführer im Interview mit DFB.de.

DFB.de: Herr Lahm, Sie haben an drei Europameisterschaften teilgenommen. 2004 befand sich der deutsche Fußball im Umbruch, vier Jahre später hätte es beinahe zum Titel gereicht, 2012 haben Sie im Viertelfinale Ihr letztes Tor im Nationaltrikot geschossen. Wenn Sie an diese Turniere zurückdenken: Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Philipp Lahm: Ganz klar die EM 2004, auch wenn wir hier schlecht abgeschnitten haben. Ich bin im Februar Nationalspieler geworden, hatte mein erstes Länderspiel und durfte dann im Sommer die EM spielen, das war also mein erstes Turnier mit der Nationalmannschaft. Bei der EM 2008 haben wir im Finale gegen Spanien verloren und ich war am Gegentor beteiligt. Rückblickend war das mein bitterster Moment, weil ich meinen Fehler nicht korrigieren konnte und verletzt vom Platz musste. Bei der EM 2012 wurden wir als Mitfavorit gehandelt, und ich habe ein Tor gegen Griechenland erzielt. Insgesamt hatten wir eine gute Gruppenphase, sind dann aber leider im Halbfinale gegen Italien ausgeschieden.

DFB.de: 2008 in Wien waren Sie nah dran am EM-Pokal. Sie haben die Mannschaft im Halbfinale mit einem Treffer gegen die Türkei kurz vor Schluss ins Finale geschossen. Warum hat es dann gegen Spanien nicht zum Sieg gereicht?

Lahm: Es war ein enges Spiel, das Spanien letztlich mit 1:0 gewonnen hat. 2008 war der Beginn einer großen spanischen Mannschaft. Die Spanier waren über drei große Turniere die beste Mannschaft, eine Mannschaft, die stark von den Spielern und dem Stil Barcelonas als der damals besten Vereinsmannschaft geprägt wurde. Und deshalb hatten sie den Sieg verdient, sie waren das reifere Team und hatten eine höhere Spielkultur.

DFB.de: Sie haben im Laufe Ihrer Karriere zahlreiche Titel gewonnen. Sie sind neben weiteren Auszeichnungen Weltmeister geworden, Champions-League-Sieger, achtmal Deutscher Meister, sechsmal konnten Sie den DFB-Pokal gewinnen. Blicken Sie auf Ihre Laufbahn als makellos vollendet zurück, oder ärgern Sie sich in manch stillem Moment schon mal darüber, den EM-Pokal nicht gewonnen zu haben, obwohl Sie so kurz davor waren?

Lahm: Nein, ich bin dankbar, dass meine Karriere so erfolgreich verlaufen ist.

DFB.de: Nun wollen Sie abseits des Fußballfeldes die Europameisterschaft nach Deutschland holen. Würde sich dann für Sie der Kreis schließen?

Lahm: Die Rolle des EM-Botschafters ist für mich neu und in der Rolle als Funktionär bin ich zu jung, als dass ich sagen kann, dass sich ein Kreis schließt. Für uns alle besteht jetzt die Chance, dass wir die EM 2024 nach Deutschland holen. Ich sehe mich in der Verantwortung, weil ich vom Fußball profitiert habe.

DFB.de: Sie sind noch nicht lange als Fußballer zurückgetreten, Sie sind Familienvater, Unternehmer, Sie haben sich zunächst gegen den Sportdirektorposten beim FC Bayern München entschieden. Wieso konnte Sie der Deutsche Fußball-Bund als offizieller Botschafter der Bewerbung um die Ausrichtung der UEFA EURO 2024 gewinnen?

Lahm: Das Angebot, EM-Botschafter zu werden, konnte und wollte ich nicht ablehnen. Die intensiven Erinnerungen an die WM 2006 haben mich geprägt. Die Chance, die EM 2024 in Deutschland auszutragen, sollten wir nutzen.

DFB.de: Sie haben zehn Jahre lang für die Nationalmannschaft gespielt, 2014 haben Sie diese als Kapitän zum Weltmeistertitel geführt. Von der U 17 an haben Sie sämtliche Nachwuchs-Auswahlmannschaften des DFB durchlaufen, seit Dezember sind Sie neben fünf weiteren Legenden Ehrenspielführer. Ist es Ihnen eine Herzensangelegenheit, sich für eine EURO und damit für den Fußball in Deutschland zu engagieren?

Lahm: Ja, das ist so. Ich bin im Vereinsleben groß geworden. Ich weiß, wie es ist, wenn ein Großereignis wie eine Europameisterschaft stattfindet, wie das Vereinsleben aufblüht, wie locker und ausgelassen bei den Übertragungen gefeiert wird, wie der Nachwuchs die Spiele nachspielt, sich mit den Mannschaften identifiziert und Vorbilder sucht. So war es auch für mich bei der WM 1990. Die Trainer und ehrenamtlichen Funktionäre erhalten Achtung und Anerkennung. Dies ist wichtig für die Zukunft des Fußballs.

DFB.de: Sie haben das letzte große Turnier der Männer in Deutschland, die WM 2006, als Spieler erlebt und im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica das erste Tor geschossen, obwohl Ihre Teilnahme wegen einer kurz zuvor erlittenen Verletzung sogar noch gefährdet war. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf dieses Turnier zurück?

Lahm: Gerade das Spiel gegen Costa Rica war für mich eine große Erleichterung. Ich habe 2005 mit dem Kreuzbandriss und Ermüdungsbruch zwei schwere Verletzungen erlitten. Den Confederations Cup habe ich deshalb verpasst. 2005 konnte ich kein einziges Länderspiel bestreiten. Vor dem Spiel gab es eine lange Unsicherheit, ob ich überhaupt auflaufen darf, denn durch meine Ellenbogenverletzung musste ich eine extra angefertigte Schiene tragen. Erst der Schiedsrichter hat mir dann unmittelbar vor dem Spiel das „Go“ gegeben. Das Spiel war eine Befreiung für mich. Die WM 2006 war sicher für mich der internationale Durchbruch.

DFB.de: Hat dieses Turnier Deutschland und den Blick auf Deutschland nachhaltig verändert?

Lahm: Das weiß ich nicht, es hat aber meine Sicht auf den Fußball verändert. Ich habe gesehen, welche Bedeutung der Fußball für die Menschen in Deutschland hat. Es war für mich unfassbar, wie viele Menschen an den Straßen die Mannschaften unterstützt und wie die Menschen gefeiert haben. Diese Begeisterung war für mich der Anlass, dass ich ein Jahr später nach Südafrika gereist bin. Ich wollte das Land kennenlernen, das die nächste WM ausrichtet. Nach dem Besuch habe ich meine Stiftung gegründet – ich will etwas zurückgeben.

DFB.de: Glauben Sie, dass so eine Stimmung, solch ein Lebensgefühl auch 2024 noch einmal möglich ist und eine ähnliche Wirkung entfalten kann?

Lahm: Ja, ich glaube daran, deshalb engagiere ich mich. Deutschland ist ein stabiles Land, das nach wie vor – bei allen Schwierigkeiten, die es gibt – die Kraft hat, ein Fußballfest dieser Größenordnung auszutragen. Fast könnte man sagen: Wer denn sonst? Deutschland sollte Verantwortung dafür übernehmen, dass das Feiern im Sport einen kulturellen Wert darstellt. Einen Wert, den man alle 20 Jahre als Nation feiern kann und für den man sich die Mühe machen sollte, ein solches Großereignis auszurichten.

DFB.de: Sie haben, abgesehen von einem Abstecher nach Stuttgart, fast 15 Jahre lang in Ihrer Heimatstadt München gespielt. Sie haben trotz sicher lukrativer Angebote Deutschland nie verlassen. Was bedeutet Ihnen Heimat?

Lahm: Sicherheit und Vertrauen in mein Umfeld, starke demokratische Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit – als Basis dafür, dass ich mich entwickeln und mutig neue Unternehmungen angehen kann.

DFB.de: Abseits der Erfahrung und der friedlichen Stimmung: Welche Stärken zeichnen einen Ausrichter Deutschland noch aus?

Lahm: Wir sollten uns auch fragen, welche Chance die Ausrichtung eines solchen Turniers darstellt. Wir haben eine starke Infrastruktur im Fußball, die wir durch eine Veranstaltung wie diese verbessern und mit neuem Leben füllen können. Außerdem setzen Fußballfeste wie die WM oder EM große kulturelle, soziale und ökonomische Kräfte frei, die uns allen guttun. Im Rahmen der WM 2006 wurden zum Beispiel zahlreiche Kulturprojekte umgesetzt und viele neue Arbeitsplätze geschaffen. UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte damals, dass wir die beste WM aller Zeiten ausgerichtet hätten und wir als Volk glücklich und vereint worden seien.

DFB.de: Wie wichtig ist es Ihnen, dass der DFB Ende April nicht nur eine perfekte Bewerbung bei der UEFA abgeben will, sondern eine, die von Beginn an von Transparenz und Partizipation geprägt ist?

Lahm: Es ist wichtig, dass wir eine Präsentation abliefern, die allen Anforderungen der UEFA entspricht und überzeugend ist. Daran arbeiten der DFB und seine Mitarbeiter hart, und ich weiß, dass uns das gelingen wird. Zwei Beispiele: Unser Logo haben wir durch eine globale Community entwickeln lassen, und die Auswahl fand durch eine Abstimmung der Fans statt. Außerdem wurden die Spielorte unter Begleitung von Transparency International Deutschland ausgesucht, und wir haben einen ausführlichen Bericht zur Vergabe der Spielorte veröffentlicht.

DFB.de: Für welche Werte soll die deutsche EURO-Bewerbung darüber hinaus stehen?

Lahm: Für Weltoffenheit und Vielfalt. Ich habe in einer Mannschaft gespielt, in der zahlreiche Spieler einen Migrationshintergrund hatten. Unterschiedliche Kulturen, Sprachen oder Herangehensweisen im Sport zu erleben, hat mir einen offenen Blick – nicht zuletzt auf Europa – ermöglicht. Deutschland überzeugt durch Vielfalt, wir achten die Menschenrechte, wir haben genaue Vorstellungen, wie wir Diskriminierung bekämpfen. Deutschland ist ein tolerantes, demokratisches Land.

DFB.de: Schon als aktiver Fußballer war es Ihnen wichtig, sich an Spielregeln zu halten. Warum müssen Vorbilder auf und abseits des Rasens Regeln und Grenzen achten?

Lahm: Mir hat es immer Spaß gemacht, zu gewinnen. Über die Zeit habe ich gelernt, dass Gewinnen noch mehr Spaß macht, wenn ich als Sportsmann auftrete und mich an Regeln halte. Man profitiert für sich und sein Leben, man belohnt sich, man bekommt mehr Achtung. Und man genießt sein Leben. Natürlich habe ich registriert, dass ich zum Vorbild geworden bin. Das hat mich zusätzlich motiviert, die Grenzen einzuhalten.

DFB.de: Die Bewerbung des DFB steht unter dem Motto „United by Football – Vereint im Herzen Europas“. Aus Ihrer eigenen Erfahrung: Welche gesellschaftliche Kraft hat der Fußball?

Lahm: Fußball begeistert, und Fußball verbindet. Die Welt und der Fußball verändern sich. Als ich 1990 mit meinem Großvater vor dem Fernseher saß, hießen die Spieler, denen wir begeistert zugeschaut haben, Jürgen und Lothar, heute heißen die Nationalspieler Mesut und Jérôme. Veränderung ist unausweichlich – das ist einfach so. Fußball kann auch hier eine integrative Kraft entwickeln, Identität stiften und eine Brücke von Jürgen und Lothar zu Mesut und Jérôme schlagen.

DFB.de: Nicht nur der Spitzenfußball, sondern auch die Basis soll von einer EURO 2024 profitieren. Was hat ein Amateurklub auf dem Dorf von einer Europameisterschaft in Deutschland?

Lahm: Zum Beispiel ein Dorffest während der Spiele der Nationalmannschaft. Die Menschen kommen zusammen und feiern. Das ist der unmittelbare und beste Beweis, dass ein Fußballfest, eine EM oder WM, einen Wert hat. Oft ist es doch so: Ist das Spiel vorüber, bleiben die Menschen zusammen. Die Kinder nehmen sich einen Ball und spielen Fußball. Damit lebt der Fußball im Verein auf dem Dorf weiter.

DFB.de: Ihre Mutter ist noch immer Jugendleiterin bei Ihrem Heimatklub FT Gern, bei dem Sie einst mit dem Fußballspielen begannen, heute spielt Ihr Sohn dort. Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zur Fußballbasis?

Lahm: Sehr wichtig, denn ich fühle mich wohl, wenn ich meinen Heimatverein besuche. Das geht so weit, dass ich hoffe, dass mein Sohn weiterhin Spaß am Fußball hat – weil ich dann die Atmosphäre bei meinem Heimatverein genießen kann. Es ist schön, mit den anderen Eltern am Rand des Spielfeldes zu stehen und unseren Kindern zuzuschauen. Für mich werden dann viele Erinnerungen wach. Ich bin auf meine Mutter stolz, dass sie so lange durchhält und noch immer Freude an ihrem Ehrenamt hat.

DFB.de: Sie sind nun als Diplomat gefragt. Ist das eine Rolle, die Ihnen behagt, weil Sie schon als Kapitän zwischen den Interessen der Spieler und Trainer vermitteln mussten?

Lahm: Natürlich haben die letzten Jahre meiner Karriere und meine Zeit als Kapitän beim FC Bayern München dazu beigetragen, dass ich nochmals gereift bin und darüber nachgedacht habe, wie eine Mannschaft im Großen und Ganzen funktioniert. Jetzt ist es meine Aufgabe, allen zu zeigen, dass diese Großveranstaltung eine gute Sache für unser Land ist. Dann wollen wir die Vertreter des Fußballs in Europa davon überzeugen, dass Deutschland das richtige Land für dieses Fußballfest ist.

DFB.de: Im Juni werden Sie zur WM nach Russland reisen. Welche Botschaft wollen Sie dort vermitteln?

Lahm: Wenn ich jetzt zu Turnieren gehe, mache ich das als EM-Botschafter und ehemaliger Fußballer, der Deutschland auf dem Fußballplatz repräsentiert hat – und ich mache es als Philipp Lahm. Ich will das ausstrahlen, was Deutschland sein kann: In Deutschland ist Fußball zu Hause, in Deutschland kann man Fußball feiern, hier kann man sich offen und frei begegnen, hier können alle sozialen Schichten an diesem Fußballfest teilhaben. Deutschland ist für alle gut zu erreichen. Deutschland kann wieder einen Impuls setzen, dass es schön ist, Europäer zu sein. Und wir sind stabil, sozial und großzügig unseren europäischen Nachbarn gegenüber.

DFB.de: In Moskau werden Sie sich aller Voraussicht nach das erste Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Mexiko anschauen: Trauen Sie Ihrem früheren Bundestrainer Joachim Löw und seinem Team zu, den Titel noch einmal gewinnen zu können?

Lahm: Ja, natürlich. Jogi Löw hat bewiesen, dass er ein sehr guter Trainer ist. Deutschland ist eine Turniermannschaft. Seit Generationen haben wir das gezeigt. Wir waren die erste europäische Mannschaft, die in Südamerika den WM-Titel geholt hat. Jetzt wollen wir die erste deutsche Mannschaft sein, die den Titel verteidigt. Das nimmt sich die Mannschaft sicher vor.

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2014 führte Philipp Lahm als Kapitän die Nationalmannschaft in Brasilien zum WM-Titel. Jetzt will er dafür sorgen, dass zehn Jahre darauf wieder ein Fußballfest in Deutschland gefeiert werden kann. Als offizieller Botschafter der Bewerbung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) um die Ausrichtung der EURO 2024 will Lahm die UEFA von den Vorzügen der deutschen Bewerbung überzeugen. Welche das sind und warum ihm sein Engagement eine Herzensangelegenheit ist, erklärt der 34 Jahre alte DFB-Ehrenspielführer im Interview mit DFB.de.

DFB.de: Herr Lahm, Sie haben an drei Europameisterschaften teilgenommen. 2004 befand sich der deutsche Fußball im Umbruch, vier Jahre später hätte es beinahe zum Titel gereicht, 2012 haben Sie im Viertelfinale Ihr letztes Tor im Nationaltrikot geschossen. Wenn Sie an diese Turniere zurückdenken: Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Philipp Lahm: Ganz klar die EM 2004, auch wenn wir hier schlecht abgeschnitten haben. Ich bin im Februar Nationalspieler geworden, hatte mein erstes Länderspiel und durfte dann im Sommer die EM spielen, das war also mein erstes Turnier mit der Nationalmannschaft. Bei der EM 2008 haben wir im Finale gegen Spanien verloren und ich war am Gegentor beteiligt. Rückblickend war das mein bitterster Moment, weil ich meinen Fehler nicht korrigieren konnte und verletzt vom Platz musste. Bei der EM 2012 wurden wir als Mitfavorit gehandelt, und ich habe ein Tor gegen Griechenland erzielt. Insgesamt hatten wir eine gute Gruppenphase, sind dann aber leider im Halbfinale gegen Italien ausgeschieden.

DFB.de: 2008 in Wien waren Sie nah dran am EM-Pokal. Sie haben die Mannschaft im Halbfinale mit einem Treffer gegen die Türkei kurz vor Schluss ins Finale geschossen. Warum hat es dann gegen Spanien nicht zum Sieg gereicht?

Lahm: Es war ein enges Spiel, das Spanien letztlich mit 1:0 gewonnen hat. 2008 war der Beginn einer großen spanischen Mannschaft. Die Spanier waren über drei große Turniere die beste Mannschaft, eine Mannschaft, die stark von den Spielern und dem Stil Barcelonas als der damals besten Vereinsmannschaft geprägt wurde. Und deshalb hatten sie den Sieg verdient, sie waren das reifere Team und hatten eine höhere Spielkultur.

DFB.de: Sie haben im Laufe Ihrer Karriere zahlreiche Titel gewonnen. Sie sind neben weiteren Auszeichnungen Weltmeister geworden, Champions-League-Sieger, achtmal Deutscher Meister, sechsmal konnten Sie den DFB-Pokal gewinnen. Blicken Sie auf Ihre Laufbahn als makellos vollendet zurück, oder ärgern Sie sich in manch stillem Moment schon mal darüber, den EM-Pokal nicht gewonnen zu haben, obwohl Sie so kurz davor waren?

Lahm: Nein, ich bin dankbar, dass meine Karriere so erfolgreich verlaufen ist.

DFB.de: Nun wollen Sie abseits des Fußballfeldes die Europameisterschaft nach Deutschland holen. Würde sich dann für Sie der Kreis schließen?

Lahm: Die Rolle des EM-Botschafters ist für mich neu und in der Rolle als Funktionär bin ich zu jung, als dass ich sagen kann, dass sich ein Kreis schließt. Für uns alle besteht jetzt die Chance, dass wir die EM 2024 nach Deutschland holen. Ich sehe mich in der Verantwortung, weil ich vom Fußball profitiert habe.

DFB.de: Sie sind noch nicht lange als Fußballer zurückgetreten, Sie sind Familienvater, Unternehmer, Sie haben sich zunächst gegen den Sportdirektorposten beim FC Bayern München entschieden. Wieso konnte Sie der Deutsche Fußball-Bund als offizieller Botschafter der Bewerbung um die Ausrichtung der UEFA EURO 2024 gewinnen?

Lahm: Das Angebot, EM-Botschafter zu werden, konnte und wollte ich nicht ablehnen. Die intensiven Erinnerungen an die WM 2006 haben mich geprägt. Die Chance, die EM 2024 in Deutschland auszutragen, sollten wir nutzen.

DFB.de: Sie haben zehn Jahre lang für die Nationalmannschaft gespielt, 2014 haben Sie diese als Kapitän zum Weltmeistertitel geführt. Von der U 17 an haben Sie sämtliche Nachwuchs-Auswahlmannschaften des DFB durchlaufen, seit Dezember sind Sie neben fünf weiteren Legenden Ehrenspielführer. Ist es Ihnen eine Herzensangelegenheit, sich für eine EURO und damit für den Fußball in Deutschland zu engagieren?

Lahm: Ja, das ist so. Ich bin im Vereinsleben groß geworden. Ich weiß, wie es ist, wenn ein Großereignis wie eine Europameisterschaft stattfindet, wie das Vereinsleben aufblüht, wie locker und ausgelassen bei den Übertragungen gefeiert wird, wie der Nachwuchs die Spiele nachspielt, sich mit den Mannschaften identifiziert und Vorbilder sucht. So war es auch für mich bei der WM 1990. Die Trainer und ehrenamtlichen Funktionäre erhalten Achtung und Anerkennung. Dies ist wichtig für die Zukunft des Fußballs.

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DFB.de: Sie haben das letzte große Turnier der Männer in Deutschland, die WM 2006, als Spieler erlebt und im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica das erste Tor geschossen, obwohl Ihre Teilnahme wegen einer kurz zuvor erlittenen Verletzung sogar noch gefährdet war. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf dieses Turnier zurück?

Lahm: Gerade das Spiel gegen Costa Rica war für mich eine große Erleichterung. Ich habe 2005 mit dem Kreuzbandriss und Ermüdungsbruch zwei schwere Verletzungen erlitten. Den Confederations Cup habe ich deshalb verpasst. 2005 konnte ich kein einziges Länderspiel bestreiten. Vor dem Spiel gab es eine lange Unsicherheit, ob ich überhaupt auflaufen darf, denn durch meine Ellenbogenverletzung musste ich eine extra angefertigte Schiene tragen. Erst der Schiedsrichter hat mir dann unmittelbar vor dem Spiel das „Go“ gegeben. Das Spiel war eine Befreiung für mich. Die WM 2006 war sicher für mich der internationale Durchbruch.

DFB.de: Hat dieses Turnier Deutschland und den Blick auf Deutschland nachhaltig verändert?

Lahm: Das weiß ich nicht, es hat aber meine Sicht auf den Fußball verändert. Ich habe gesehen, welche Bedeutung der Fußball für die Menschen in Deutschland hat. Es war für mich unfassbar, wie viele Menschen an den Straßen die Mannschaften unterstützt und wie die Menschen gefeiert haben. Diese Begeisterung war für mich der Anlass, dass ich ein Jahr später nach Südafrika gereist bin. Ich wollte das Land kennenlernen, das die nächste WM ausrichtet. Nach dem Besuch habe ich meine Stiftung gegründet – ich will etwas zurückgeben.

DFB.de: Glauben Sie, dass so eine Stimmung, solch ein Lebensgefühl auch 2024 noch einmal möglich ist und eine ähnliche Wirkung entfalten kann?

Lahm: Ja, ich glaube daran, deshalb engagiere ich mich. Deutschland ist ein stabiles Land, das nach wie vor – bei allen Schwierigkeiten, die es gibt – die Kraft hat, ein Fußballfest dieser Größenordnung auszutragen. Fast könnte man sagen: Wer denn sonst? Deutschland sollte Verantwortung dafür übernehmen, dass das Feiern im Sport einen kulturellen Wert darstellt. Einen Wert, den man alle 20 Jahre als Nation feiern kann und für den man sich die Mühe machen sollte, ein solches Großereignis auszurichten.

DFB.de: Sie haben, abgesehen von einem Abstecher nach Stuttgart, fast 15 Jahre lang in Ihrer Heimatstadt München gespielt. Sie haben trotz sicher lukrativer Angebote Deutschland nie verlassen. Was bedeutet Ihnen Heimat?

Lahm: Sicherheit und Vertrauen in mein Umfeld, starke demokratische Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit – als Basis dafür, dass ich mich entwickeln und mutig neue Unternehmungen angehen kann.

DFB.de: Abseits der Erfahrung und der friedlichen Stimmung: Welche Stärken zeichnen einen Ausrichter Deutschland noch aus?

Lahm: Wir sollten uns auch fragen, welche Chance die Ausrichtung eines solchen Turniers darstellt. Wir haben eine starke Infrastruktur im Fußball, die wir durch eine Veranstaltung wie diese verbessern und mit neuem Leben füllen können. Außerdem setzen Fußballfeste wie die WM oder EM große kulturelle, soziale und ökonomische Kräfte frei, die uns allen guttun. Im Rahmen der WM 2006 wurden zum Beispiel zahlreiche Kulturprojekte umgesetzt und viele neue Arbeitsplätze geschaffen. UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte damals, dass wir die beste WM aller Zeiten ausgerichtet hätten und wir als Volk glücklich und vereint worden seien.

DFB.de: Wie wichtig ist es Ihnen, dass der DFB Ende April nicht nur eine perfekte Bewerbung bei der UEFA abgeben will, sondern eine, die von Beginn an von Transparenz und Partizipation geprägt ist?

Lahm: Es ist wichtig, dass wir eine Präsentation abliefern, die allen Anforderungen der UEFA entspricht und überzeugend ist. Daran arbeiten der DFB und seine Mitarbeiter hart, und ich weiß, dass uns das gelingen wird. Zwei Beispiele: Unser Logo haben wir durch eine globale Community entwickeln lassen, und die Auswahl fand durch eine Abstimmung der Fans statt. Außerdem wurden die Spielorte unter Begleitung von Transparency International Deutschland ausgesucht, und wir haben einen ausführlichen Bericht zur Vergabe der Spielorte veröffentlicht.

DFB.de: Für welche Werte soll die deutsche EURO-Bewerbung darüber hinaus stehen?

Lahm: Für Weltoffenheit und Vielfalt. Ich habe in einer Mannschaft gespielt, in der zahlreiche Spieler einen Migrationshintergrund hatten. Unterschiedliche Kulturen, Sprachen oder Herangehensweisen im Sport zu erleben, hat mir einen offenen Blick – nicht zuletzt auf Europa – ermöglicht. Deutschland überzeugt durch Vielfalt, wir achten die Menschenrechte, wir haben genaue Vorstellungen, wie wir Diskriminierung bekämpfen. Deutschland ist ein tolerantes, demokratisches Land.

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DFB.de: Schon als aktiver Fußballer war es Ihnen wichtig, sich an Spielregeln zu halten. Warum müssen Vorbilder auf und abseits des Rasens Regeln und Grenzen achten?

Lahm: Mir hat es immer Spaß gemacht, zu gewinnen. Über die Zeit habe ich gelernt, dass Gewinnen noch mehr Spaß macht, wenn ich als Sportsmann auftrete und mich an Regeln halte. Man profitiert für sich und sein Leben, man belohnt sich, man bekommt mehr Achtung. Und man genießt sein Leben. Natürlich habe ich registriert, dass ich zum Vorbild geworden bin. Das hat mich zusätzlich motiviert, die Grenzen einzuhalten.

DFB.de: Die Bewerbung des DFB steht unter dem Motto „United by Football – Vereint im Herzen Europas“. Aus Ihrer eigenen Erfahrung: Welche gesellschaftliche Kraft hat der Fußball?

Lahm: Fußball begeistert, und Fußball verbindet. Die Welt und der Fußball verändern sich. Als ich 1990 mit meinem Großvater vor dem Fernseher saß, hießen die Spieler, denen wir begeistert zugeschaut haben, Jürgen und Lothar, heute heißen die Nationalspieler Mesut und Jérôme. Veränderung ist unausweichlich – das ist einfach so. Fußball kann auch hier eine integrative Kraft entwickeln, Identität stiften und eine Brücke von Jürgen und Lothar zu Mesut und Jérôme schlagen.

DFB.de: Nicht nur der Spitzenfußball, sondern auch die Basis soll von einer EURO 2024 profitieren. Was hat ein Amateurklub auf dem Dorf von einer Europameisterschaft in Deutschland?

Lahm: Zum Beispiel ein Dorffest während der Spiele der Nationalmannschaft. Die Menschen kommen zusammen und feiern. Das ist der unmittelbare und beste Beweis, dass ein Fußballfest, eine EM oder WM, einen Wert hat. Oft ist es doch so: Ist das Spiel vorüber, bleiben die Menschen zusammen. Die Kinder nehmen sich einen Ball und spielen Fußball. Damit lebt der Fußball im Verein auf dem Dorf weiter.

DFB.de: Ihre Mutter ist noch immer Jugendleiterin bei Ihrem Heimatklub FT Gern, bei dem Sie einst mit dem Fußballspielen begannen, heute spielt Ihr Sohn dort. Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zur Fußballbasis?

Lahm: Sehr wichtig, denn ich fühle mich wohl, wenn ich meinen Heimatverein besuche. Das geht so weit, dass ich hoffe, dass mein Sohn weiterhin Spaß am Fußball hat – weil ich dann die Atmosphäre bei meinem Heimatverein genießen kann. Es ist schön, mit den anderen Eltern am Rand des Spielfeldes zu stehen und unseren Kindern zuzuschauen. Für mich werden dann viele Erinnerungen wach. Ich bin auf meine Mutter stolz, dass sie so lange durchhält und noch immer Freude an ihrem Ehrenamt hat.

DFB.de: Sie sind nun als Diplomat gefragt. Ist das eine Rolle, die Ihnen behagt, weil Sie schon als Kapitän zwischen den Interessen der Spieler und Trainer vermitteln mussten?

Lahm: Natürlich haben die letzten Jahre meiner Karriere und meine Zeit als Kapitän beim FC Bayern München dazu beigetragen, dass ich nochmals gereift bin und darüber nachgedacht habe, wie eine Mannschaft im Großen und Ganzen funktioniert. Jetzt ist es meine Aufgabe, allen zu zeigen, dass diese Großveranstaltung eine gute Sache für unser Land ist. Dann wollen wir die Vertreter des Fußballs in Europa davon überzeugen, dass Deutschland das richtige Land für dieses Fußballfest ist.

DFB.de: Im Juni werden Sie zur WM nach Russland reisen. Welche Botschaft wollen Sie dort vermitteln?

Lahm: Wenn ich jetzt zu Turnieren gehe, mache ich das als EM-Botschafter und ehemaliger Fußballer, der Deutschland auf dem Fußballplatz repräsentiert hat – und ich mache es als Philipp Lahm. Ich will das ausstrahlen, was Deutschland sein kann: In Deutschland ist Fußball zu Hause, in Deutschland kann man Fußball feiern, hier kann man sich offen und frei begegnen, hier können alle sozialen Schichten an diesem Fußballfest teilhaben. Deutschland ist für alle gut zu erreichen. Deutschland kann wieder einen Impuls setzen, dass es schön ist, Europäer zu sein. Und wir sind stabil, sozial und großzügig unseren europäischen Nachbarn gegenüber.

DFB.de: In Moskau werden Sie sich aller Voraussicht nach das erste Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Mexiko anschauen: Trauen Sie Ihrem früheren Bundestrainer Joachim Löw und seinem Team zu, den Titel noch einmal gewinnen zu können?

Lahm: Ja, natürlich. Jogi Löw hat bewiesen, dass er ein sehr guter Trainer ist. Deutschland ist eine Turniermannschaft. Seit Generationen haben wir das gezeigt. Wir waren die erste europäische Mannschaft, die in Südamerika den WM-Titel geholt hat. Jetzt wollen wir die erste deutsche Mannschaft sein, die den Titel verteidigt. Das nimmt sich die Mannschaft sicher vor.

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