Einfach Horst: Wie Hrubesch sein letztes Länderspiel erlebte

Das letzte Mal zum Stadion, das letzte Mal auf den Platz, die letzte Teambesprechung, das letzte Spiel - und jede Menge Freude. Horst Hrubesch hat emotional Abschied genommen von der Trainerbank. Wie immer bodenständig und unprätentiös, ohne große Worte, die hat er noch nie gebraucht. Es war ein denkwürdiger Tag im herbstlichen Erfurt. DFB.de hat den 67-Jährigen auf seinem Weg in den Ruhestand dabei.

Der Moment des Schlusspfiffs ist ein Moment der Erleichterung. Horst Hrubesch dreht sich um, die ganze Zeit über hat er an der Außenlinie gestanden, diese 90 Minuten im Spiel der Frauen-Nationalmannschaft gegen Spanien, die seine letzten als Trainer gewesen sein sollen. Er hat gestikuliert, lautstark Anweisungen gegeben, sich geärgert, sich gefreut. Und nun, da der Schlusspfiff ertönt, dreht er sich um zur Bank, zu seinem Trainerteam. Und lächelt. Befreit, zufrieden, erleichtert. Klatscht seine Kollegen ab, die Spielerinnen, umarmt jede Einzelne und sagt immer wieder: "Klasse! Klasse, Mädels!"

So, genau so, hat sich der 67-Jährige seinen Abschied vorgestellt - auch wenn es keinen Sieg gab. Es ist ein 0:0 gegen Spanien geworden. Er wird dennoch als ungeschlagener Bundestrainer der Frauen-Nationalmannschaft abtreten - und damit einmal mehr eine Bestmarke setzen. Für ihn, der einst das Dachdecker-Handwerk erlernte und erst mit 24 Jahren Profifußballer wurde, in seiner Laufbahn unter anderem bei Rot-Weiss Essen, dem Hamburger SV, Standard Lüttich und Borussia Dortmund spielte, ist das nur eine Randnotiz.

Die Einstellung: "Das war doch perfekt"

Horst Hrubesch war dreimal Deutscher Meister, Europameister und Europapokalsieger, sein Rufname "Kopfballungeheuer" gilt als Marke und wird auch schon mal in Kreuzworträtseln abgefragt, er ist immer geradlinig, ehrlich und authentisch geblieben. Gleichermaßen auf dem Platz als Spieler, wie auch daneben als Trainer in seiner zweiten, ebenso erfolgreichen Karriere. Mit der U 19 und der U 21 wurde er Europameister, mit der Olympia-Auswahl gewann er Silber in Rio. Erfolge, die bleiben, auch wenn bloße Statistiken für einen Horst Hrubesch nur aneinandergereihte Zahlen sind.

Gewinnen will er immer, klar, aber vorrechnen lassen, welche Rekorde er da gerade wieder gebrochen hat - nö, kein Bedarf. Verwundert schüttelt er deshalb den Kopf, als er später von Medienvertretern gefragt wird, ob es nicht schade sei, dass ihm der perfekte Abschied - nämlich der Sieg seines Teams im letzten Spiel - verwehrt geblieben sei. "Warum denn?" fragt Hrubesch. "Das war doch perfekt, wie die Mädels das alles umgesetzt haben. Wie sie aufgetreten, immer drangeblieben sind. Ich bin sehr glücklich darüber." Denn darum geht es ihm: Die Einstellung, das Umsetzen auf den Platz, den Mut, die Weiterentwicklung. Horst Hrubesch strahlt.

Es endet in Erfurt

Dieser 13. November 2018, ein Dienstag, beginnt wie jeder andere Spieltag auch. Nichts deutet darauf hin, dass hier und heute in Erfurt eine Karriere zu Ende gehen soll, die ihresgleichen sucht. Horst Hrubesch taucht gegen halb neun im Frühstücksraum auf, das Ritual ist immer das gleiche: Ein, zwei Kaffee, Smalltalk mit der einen oder anderen Spielerin und Betreuern, dann steht er auf. Auch an diesem Morgen schaut er im Teambüro vorbei, steckt den Kopf in die Tür, stellt die obligatorische Frage: "Gibt es etwas?" Nee, alles wie immer, die Orga läuft, der Tagesablauf steht. Alles wie immer?

Nicht wirklich. Denn jeder, der Teil dieses DFB-Teams ist, Spielerinnen, Betreuer, Trainer, alle spüren es doch irgendwie: Es ist eben nicht so wie sonst. Auch wenn es sich niemand anmerken lässt. Sie wissen, dass sie Teil einer besonderen Geschichte sind, die an diesem Tag zu Ende erzählt wird. Zumindest was den sportlichen Teil der Laufbahn von Horst Hrubesch angeht. Schon in den Tagen zuvor sind sie darauf angesprochen worden und die Spielerinnen haben geantwortet, dass sie den Abschied für ihren Trainer so schön wie möglich gestalten wollen. Ein Sieg, ein gutes Spiel, so der Anspruch, um dann am Ende des Tages, gemeinsam zu feiern. Hrubesch weiß das. Und versucht dennoch den Tag so normal wie möglich zu gestalten.

Der Ablauf: "Es gibt Dinge, die solltest du nicht ändern"

10.30 Uhr, Aktivierung. Heißt: Anschwitzen. Ohne Ball. Beine vertreten, lockere Gespräche, Kopf frei bekommen, 15 Minuten durch Erfurts Straßen. Danach, wie üblich, keine Besprechung. Es ist alles gesagt.

12.30 Uhr, Matchmeal. Traditionell auf dem Speiseplan: Pfannkuchen mit Nuss-Nougatcreme. Ein bisschen Aberglaube braucht es. Eingeführt von Tina Theune, beibehalten von Horst Hrubesch. "Es gibt Dinge, die solltest du nicht ändern", hat er mal gesagt. Die Konzentrationsphase beginnt.

14.15 Uhr: Abfahrt zum Stadion. Hrubesch ist einer der Ersten im Bus. Sitzt auf seinem Stammplatz, erste Reihe rechts, freie Sicht nach vorne. Jede einzelne Spielerin, die in den Bus steigt, beobachtet er, konzentriert sein Blick und wohlwollend zugleich. In Reihe zwei, gleich hinter ihm, sitzen Thomas Nörenberg und Britta Carlson, seine beiden Assistenztrainer. Wie üblich sucht er das Gespräch mit den beiden, dreht seinen Oberkörper zu ihnen, das Bein locker angewinkelt auf dem Nebensitz und redet. Die Musik läuft, Popmusik, irgendwas Aktuelles, Hrubesch wippt mit der Fußspitze zum Rhythmus. Je mehr sich der Bus dem Stadion nähert, desto ruhiger wird er. Nun geht der Blick geradeaus, die Gespräche verstummen. Fokus.

14.40 Uhr: Ankunft im Stadion. Als einer der Ersten verlässt er den Bus und geht Richtung Kabine. Greift sich eine Cola Zero, öffnet sie mangels Alternativen mit einer Kuchengabel. Als seine Mädels die Kabine zum Aufwärmen verlassen, folgt er ihnen lässig. Mit einem Lächeln im Gesicht beobachtet er sie aufmerksam, geht auf den Platz, die Hände in den Taschen. Das eine oder andere Gespräch mit seinen Co-Trainern. Dann geht es los.

16 Uhr: Anpfiff. Die letzten 90 Minuten des Trainers Horst Hrubesch. Es regnet und ist windig. Unangenehme Bedingungen. Ihn ficht das nicht an. Von der ersten bis zur letzten Minute steht er an der Seitenlinie, der Fels in der Brandung, dem, so scheint es, nichts etwas anhaben kann. Geht mit, wippt mit dem Oberkörper, zuckt mit den Beinen, schlägt die Hände vors Gesicht, reißt die Arme hoch, ist laut: "Genauso. Und jetzt fällt das Tor von ganz alleine - Spiel‘ den einfachen Ball - Höher, Lena, höher - Poppi, hol‘ die Petermann da raus." Hrubesch geht mit, reißt mit.

17.49 Uhr: Abpfiff. Er feiert dieses torlose Unentschieden. "Klasse, das haben die klasse gemacht", sagt er immer wieder. Strahlend absolviert er das obligatorische Interview für den übertragenden Sender ZDF. "Empfinden sie Wehmut?" fragt Moderator Sven Voss. "Nein", sagt Hrubesch." Überhaupt nicht. Nur Dankbarkeit, dass ich das erleben durfte. Jetzt ist es gut, irgendwann muss mal Schluss sein."

"So, lass uns dann gleich die PK machen"

Schluss ist noch lange nicht für ihn an diesem Abend. Es hat fast 30 Minuten gedauert, bis er die Interviews für die Live-Übertrager von TV und Hörfunk beendet hat. Jetzt geht er über den Platz in Richtung Spielertunnel. Zur Pressekonferenz. Die Reihen auf den Tribünen haben sich gelichtet, aber es sind noch genug Zuschauer da, die ihm mit freundlichen Applaus sagen wollen: Danke, Horst. Einer hält ein Plakat hoch: Horst Hrubesch - ein Mensch. "Ich habe immer versucht, authentisch zu sein, bescheiden und bodenständig", wird er gleich auf der PK sagen.

Er winkt den Menschen zu, die ihm applaudieren, lächelt, freut sich und sagt: "Bin ich froh, dass ich keine Standing Ovations bekomme." Die hat er erst wenige Tage vor seinem letzten Länderspiel erhalten, als er in Nürnberg den renommierten Walther-Bensemann-Preis der Deutschen Akademie für Fußballkultur erhielt. Aus den Händen seines guten Freundes Günter Netzer, Patenonkel seines Sohnes, der auch die Laudatio hielt. Eine große Ehre für Hrubesch, dem Ovationen immer irgendwie unangenehm sind. Hier in Erfurt reicht freundlicher Applaus.

"So, lass uns dann gleich die PK machen", sagt er jetzt. Nach der obligatorischen Pressekonferenz nach dem Spiel, auf der er erzählt, dass er keine Wehmut verspürt, auf der er von Werten wie Anstand, Höflichkeit und Disziplin spricht, wird es plötzlich hektisch. Hrubesch verschwindet durch die Tür zum Spielertunnel, es ist das Bild auf das die Fotografen im Raum gewartet haben. Als sich die Tür hinter im schließt, ruft er bestimmt: "Alle in fünf Minuten in die Kabine. Alle!"

Danke, Horst!

Was folgt ist wieder so ein Moment, der an diesem Tag im Gedächtnis bleiben wird. An der Wand prangen die Worte "Mädels, mit der Qualität macht es keinen Sinn, Spiele zu verlieren." Ein Spruch von ihm, das Branding initiiert von der Mannschaft. Die Tür schließt sich. Erwartungsvolle Stille. Dann spricht Horst Hrubesch. Redet von den Chancen und möglichen Niederlagen, davon niemals aufgeben zu dürfen, der Herausforderung WM, seine Erwartungen an sie, seine Erfahrungen mit ihnen. "Ich bin dankbar, dass ihr mich so mitgenommen habt. Das war eine tolle Zeit." Ernst sind die Gesichter, manche schauen ihn an, andere auf den Boden. Dann ist Horst Hrubesch fertig.

Später, nach dem Abendessen, ist die Stimmung gelöst, es wird viel gelacht. Ein Video mit den schönsten Bildern dieser acht Monate wird gezeigt. Lustig, nachdenklich, aber immer authentisch. Am Ende bleibt eine Tafel stehen: Danke, Trainer! Und Hrubesch meint: "Ich hab' immer gesagt, ihr werdet mich nicht zum Weinen bringen - aber wisst ihr was: Ihr wart nah dran."

[as]

Das letzte Mal zum Stadion, das letzte Mal auf den Platz, die letzte Teambesprechung, das letzte Spiel - und jede Menge Freude. Horst Hrubesch hat emotional Abschied genommen von der Trainerbank. Wie immer bodenständig und unprätentiös, ohne große Worte, die hat er noch nie gebraucht. Es war ein denkwürdiger Tag im herbstlichen Erfurt. DFB.de hat den 67-Jährigen auf seinem Weg in den Ruhestand dabei.

Der Moment des Schlusspfiffs ist ein Moment der Erleichterung. Horst Hrubesch dreht sich um, die ganze Zeit über hat er an der Außenlinie gestanden, diese 90 Minuten im Spiel der Frauen-Nationalmannschaft gegen Spanien, die seine letzten als Trainer gewesen sein sollen. Er hat gestikuliert, lautstark Anweisungen gegeben, sich geärgert, sich gefreut. Und nun, da der Schlusspfiff ertönt, dreht er sich um zur Bank, zu seinem Trainerteam. Und lächelt. Befreit, zufrieden, erleichtert. Klatscht seine Kollegen ab, die Spielerinnen, umarmt jede Einzelne und sagt immer wieder: "Klasse! Klasse, Mädels!"

So, genau so, hat sich der 67-Jährige seinen Abschied vorgestellt - auch wenn es keinen Sieg gab. Es ist ein 0:0 gegen Spanien geworden. Er wird dennoch als ungeschlagener Bundestrainer der Frauen-Nationalmannschaft abtreten - und damit einmal mehr eine Bestmarke setzen. Für ihn, der einst das Dachdecker-Handwerk erlernte und erst mit 24 Jahren Profifußballer wurde, in seiner Laufbahn unter anderem bei Rot-Weiss Essen, dem Hamburger SV, Standard Lüttich und Borussia Dortmund spielte, ist das nur eine Randnotiz.

Die Einstellung: "Das war doch perfekt"

Horst Hrubesch war dreimal Deutscher Meister, Europameister und Europapokalsieger, sein Rufname "Kopfballungeheuer" gilt als Marke und wird auch schon mal in Kreuzworträtseln abgefragt, er ist immer geradlinig, ehrlich und authentisch geblieben. Gleichermaßen auf dem Platz als Spieler, wie auch daneben als Trainer in seiner zweiten, ebenso erfolgreichen Karriere. Mit der U 19 und der U 21 wurde er Europameister, mit der Olympia-Auswahl gewann er Silber in Rio. Erfolge, die bleiben, auch wenn bloße Statistiken für einen Horst Hrubesch nur aneinandergereihte Zahlen sind.

Gewinnen will er immer, klar, aber vorrechnen lassen, welche Rekorde er da gerade wieder gebrochen hat - nö, kein Bedarf. Verwundert schüttelt er deshalb den Kopf, als er später von Medienvertretern gefragt wird, ob es nicht schade sei, dass ihm der perfekte Abschied - nämlich der Sieg seines Teams im letzten Spiel - verwehrt geblieben sei. "Warum denn?" fragt Hrubesch. "Das war doch perfekt, wie die Mädels das alles umgesetzt haben. Wie sie aufgetreten, immer drangeblieben sind. Ich bin sehr glücklich darüber." Denn darum geht es ihm: Die Einstellung, das Umsetzen auf den Platz, den Mut, die Weiterentwicklung. Horst Hrubesch strahlt.

Es endet in Erfurt

Dieser 13. November 2018, ein Dienstag, beginnt wie jeder andere Spieltag auch. Nichts deutet darauf hin, dass hier und heute in Erfurt eine Karriere zu Ende gehen soll, die ihresgleichen sucht. Horst Hrubesch taucht gegen halb neun im Frühstücksraum auf, das Ritual ist immer das gleiche: Ein, zwei Kaffee, Smalltalk mit der einen oder anderen Spielerin und Betreuern, dann steht er auf. Auch an diesem Morgen schaut er im Teambüro vorbei, steckt den Kopf in die Tür, stellt die obligatorische Frage: "Gibt es etwas?" Nee, alles wie immer, die Orga läuft, der Tagesablauf steht. Alles wie immer?

Nicht wirklich. Denn jeder, der Teil dieses DFB-Teams ist, Spielerinnen, Betreuer, Trainer, alle spüren es doch irgendwie: Es ist eben nicht so wie sonst. Auch wenn es sich niemand anmerken lässt. Sie wissen, dass sie Teil einer besonderen Geschichte sind, die an diesem Tag zu Ende erzählt wird. Zumindest was den sportlichen Teil der Laufbahn von Horst Hrubesch angeht. Schon in den Tagen zuvor sind sie darauf angesprochen worden und die Spielerinnen haben geantwortet, dass sie den Abschied für ihren Trainer so schön wie möglich gestalten wollen. Ein Sieg, ein gutes Spiel, so der Anspruch, um dann am Ende des Tages, gemeinsam zu feiern. Hrubesch weiß das. Und versucht dennoch den Tag so normal wie möglich zu gestalten.

Der Ablauf: "Es gibt Dinge, die solltest du nicht ändern"

10.30 Uhr, Aktivierung. Heißt: Anschwitzen. Ohne Ball. Beine vertreten, lockere Gespräche, Kopf frei bekommen, 15 Minuten durch Erfurts Straßen. Danach, wie üblich, keine Besprechung. Es ist alles gesagt.

12.30 Uhr, Matchmeal. Traditionell auf dem Speiseplan: Pfannkuchen mit Nuss-Nougatcreme. Ein bisschen Aberglaube braucht es. Eingeführt von Tina Theune, beibehalten von Horst Hrubesch. "Es gibt Dinge, die solltest du nicht ändern", hat er mal gesagt. Die Konzentrationsphase beginnt.

14.15 Uhr: Abfahrt zum Stadion. Hrubesch ist einer der Ersten im Bus. Sitzt auf seinem Stammplatz, erste Reihe rechts, freie Sicht nach vorne. Jede einzelne Spielerin, die in den Bus steigt, beobachtet er, konzentriert sein Blick und wohlwollend zugleich. In Reihe zwei, gleich hinter ihm, sitzen Thomas Nörenberg und Britta Carlson, seine beiden Assistenztrainer. Wie üblich sucht er das Gespräch mit den beiden, dreht seinen Oberkörper zu ihnen, das Bein locker angewinkelt auf dem Nebensitz und redet. Die Musik läuft, Popmusik, irgendwas Aktuelles, Hrubesch wippt mit der Fußspitze zum Rhythmus. Je mehr sich der Bus dem Stadion nähert, desto ruhiger wird er. Nun geht der Blick geradeaus, die Gespräche verstummen. Fokus.

14.40 Uhr: Ankunft im Stadion. Als einer der Ersten verlässt er den Bus und geht Richtung Kabine. Greift sich eine Cola Zero, öffnet sie mangels Alternativen mit einer Kuchengabel. Als seine Mädels die Kabine zum Aufwärmen verlassen, folgt er ihnen lässig. Mit einem Lächeln im Gesicht beobachtet er sie aufmerksam, geht auf den Platz, die Hände in den Taschen. Das eine oder andere Gespräch mit seinen Co-Trainern. Dann geht es los.

16 Uhr: Anpfiff. Die letzten 90 Minuten des Trainers Horst Hrubesch. Es regnet und ist windig. Unangenehme Bedingungen. Ihn ficht das nicht an. Von der ersten bis zur letzten Minute steht er an der Seitenlinie, der Fels in der Brandung, dem, so scheint es, nichts etwas anhaben kann. Geht mit, wippt mit dem Oberkörper, zuckt mit den Beinen, schlägt die Hände vors Gesicht, reißt die Arme hoch, ist laut: "Genauso. Und jetzt fällt das Tor von ganz alleine - Spiel‘ den einfachen Ball - Höher, Lena, höher - Poppi, hol‘ die Petermann da raus." Hrubesch geht mit, reißt mit.

17.49 Uhr: Abpfiff. Er feiert dieses torlose Unentschieden. "Klasse, das haben die klasse gemacht", sagt er immer wieder. Strahlend absolviert er das obligatorische Interview für den übertragenden Sender ZDF. "Empfinden sie Wehmut?" fragt Moderator Sven Voss. "Nein", sagt Hrubesch." Überhaupt nicht. Nur Dankbarkeit, dass ich das erleben durfte. Jetzt ist es gut, irgendwann muss mal Schluss sein."

"So, lass uns dann gleich die PK machen"

Schluss ist noch lange nicht für ihn an diesem Abend. Es hat fast 30 Minuten gedauert, bis er die Interviews für die Live-Übertrager von TV und Hörfunk beendet hat. Jetzt geht er über den Platz in Richtung Spielertunnel. Zur Pressekonferenz. Die Reihen auf den Tribünen haben sich gelichtet, aber es sind noch genug Zuschauer da, die ihm mit freundlichen Applaus sagen wollen: Danke, Horst. Einer hält ein Plakat hoch: Horst Hrubesch - ein Mensch. "Ich habe immer versucht, authentisch zu sein, bescheiden und bodenständig", wird er gleich auf der PK sagen.

Er winkt den Menschen zu, die ihm applaudieren, lächelt, freut sich und sagt: "Bin ich froh, dass ich keine Standing Ovations bekomme." Die hat er erst wenige Tage vor seinem letzten Länderspiel erhalten, als er in Nürnberg den renommierten Walther-Bensemann-Preis der Deutschen Akademie für Fußballkultur erhielt. Aus den Händen seines guten Freundes Günter Netzer, Patenonkel seines Sohnes, der auch die Laudatio hielt. Eine große Ehre für Hrubesch, dem Ovationen immer irgendwie unangenehm sind. Hier in Erfurt reicht freundlicher Applaus.

"So, lass uns dann gleich die PK machen", sagt er jetzt. Nach der obligatorischen Pressekonferenz nach dem Spiel, auf der er erzählt, dass er keine Wehmut verspürt, auf der er von Werten wie Anstand, Höflichkeit und Disziplin spricht, wird es plötzlich hektisch. Hrubesch verschwindet durch die Tür zum Spielertunnel, es ist das Bild auf das die Fotografen im Raum gewartet haben. Als sich die Tür hinter im schließt, ruft er bestimmt: "Alle in fünf Minuten in die Kabine. Alle!"

Danke, Horst!

Was folgt ist wieder so ein Moment, der an diesem Tag im Gedächtnis bleiben wird. An der Wand prangen die Worte "Mädels, mit der Qualität macht es keinen Sinn, Spiele zu verlieren." Ein Spruch von ihm, das Branding initiiert von der Mannschaft. Die Tür schließt sich. Erwartungsvolle Stille. Dann spricht Horst Hrubesch. Redet von den Chancen und möglichen Niederlagen, davon niemals aufgeben zu dürfen, der Herausforderung WM, seine Erwartungen an sie, seine Erfahrungen mit ihnen. "Ich bin dankbar, dass ihr mich so mitgenommen habt. Das war eine tolle Zeit." Ernst sind die Gesichter, manche schauen ihn an, andere auf den Boden. Dann ist Horst Hrubesch fertig.

Später, nach dem Abendessen, ist die Stimmung gelöst, es wird viel gelacht. Ein Video mit den schönsten Bildern dieser acht Monate wird gezeigt. Lustig, nachdenklich, aber immer authentisch. Am Ende bleibt eine Tafel stehen: Danke, Trainer! Und Hrubesch meint: "Ich hab' immer gesagt, ihr werdet mich nicht zum Weinen bringen - aber wisst ihr was: Ihr wart nah dran."

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