Ein Schumacher, der Fußballschuhe sammelt

Sein Name steht wieder auf den Titelseiten. Seine Rückkehr in die Formel 1 ist jetzt schon - neben der WM in Südafrika - die Sportgeschichte des Jahres 2010. Vor den jüngsten Entwicklungen traf sich Anno Hecker, Formel-1-Experte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, mit Michael Schumacher in Peking für das DFB-Journal und hat mit ihm über seine Leidenschaft für Fußball gesprochen. In Peking beim „Race of Champions“ lenkte er drei Tage lang die Boliden über die Rennstrecke. Ein Spektakel, mit und um den siebenmaligen Formel-1-Weltmeister. Interviews, Autogramme, Fotos. Dazwischen bleibt nur wenig Zeit für Ausflüge. Der eine führt ihn in die „Verbotene Stadt“. Der andere wie so oft in ein Sportgeschäft. „Und das erste, was ich in der Hand hatte“, sagt Schumacher, „war ein Fußballschuh.“

Li Zhang, Reporter der chinesischen Sportzeitung „Titan“ mit Bundesliga-Erfahrung, ist begeistert. „Ich halte Schumacher für einen herausragenden Techniker“, sagt Li beim Anblick des Deutschen im Zentrum des Pekinger Olympiastadions. Man weiß nicht, wie er das meint. Auf Asphalt oder auf Rasen, im Auto oder auch am Ball? Li ist sehr höflich. Aber in einem Fall hat der Chinese vielleicht Recht. Michael Ballack wird wohl nicht schlecht staunen, wenn Schumacher sein Wissen über Fußballschuhe vorträgt und die Kollektion auspackt: „Ja, es könnten schon mehr als hundert Paar sein. Ab und zu muss ich mal Platz schaffen.“ Für Modelle aus einer unbekannteren Welt? „Ich weiß ja nicht, ob es in Peking nicht doch andere Fußballschuhe gibt als bei uns in Europa.“ Jeden viel versprechenden Schuh wiegt er in der Hand, drückt an ihm herum, prüft die Verarbeitung.

Wie der Handtaschen-Tick bei Frauen

Schumacher ist längst Experte. Er hat aus einer Männer-Not eine Tugend gemacht. „Man kann es schon mit dem Handtaschen-Tick von Frauen vergleichen. Wenn ich mit meiner Frau einkaufen gehe, dann schaue ich halt nach Fußballschuhen.“ So peinlich genau wie früher nach den Reifen, dem entscheidenden Bindeglied zwischen Mensch, Maschine und Asphalt. Schumachers Einkäufe auf dem Schuhmarkt werden akribisch getestet. Auf dem Platz in verschiedenen Klassen. Er spielt noch immer, mit fast 41 Jahren, in drei Kategorien: In der inoffiziellen Benefiz-Liga, mit der Piloten-Elf „Nazionale Piloti“ in aller Welt und daheim in der Schweiz als Stammspieler der Ü 32 des FC Echichens: „In diesem Jahr waren es insgesamt nicht so viele Spiele. Ich war auch verletzt, aber 30, 35 könnten es schon sein. Übrigens bin ich jetzt zum Stürmer geworden. Der Coach hat mich nach vorne beordert. Bis zur Verletzung lief es gut, manchmal zwei Tore pro Spiel.“

Die Erfahrungen in der Schweizer Liga, sein Leben mit dem Druck in der Formel 1 haben den Blick für den Fußball in doppelter Hinsicht geschärft. Schiedsrichter kleinerer Klassen fürchten Schumachers Händedruck angeblich. „Ich kann schon feststellen, ob ein Ball den vorgeschriebenen Druck hat, also 0,84 bar. Das Gefühl dafür habe er beim Umgang mit den Reifen als Kartfahrer bekommen. Leider sind die Bälle manchmal viel zu hart aufgepumpt.“ Luft lässt er auch gerne raus, wenn es der Nationalmannschaft an den Kragen geht. „Ich habe die harte Kritik damals nach dem 1:4 gegen Italien in Florenz vor der WM überhaupt nicht verstanden. Man hat ja dann gesehen, was sie leisten kann.“

Verbindungen zur DFB-Auswahl

Schumachers Gespür für Atmosphären und kritische Situationen im Leben von Spitzensportlern verstärkten die Verbindungen zur Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes. Er versteht sich gut mit Bundestrainer Joachim Löw, mit Ballack, trifft den Ton seines „Landsmanns aus Kölle“, Lukas Podolski. Sie alle spüren den Respekt des deutschen Weltstars. Seine Augen funkeln, wenn er von den Könnern am Ball schwärmt. Vielleicht schließt sich beim Fußball ein Kreis für Schumacher: Torwart, Formel-1-Weltmeister, Stürmer, der Aufstieg zum Rekordmann der Formel 1 wäre ohne des Deutschen Lieblingsspiels vielleicht gar nicht zu Stande gekommen. Ohne den Frust als Kind auf der Bank. Schumachers Jugendtrainer verzichtete immer wieder auf den Einsatz eines Jungen, der in der Schule gerne erzählte, Nationaltorwart Harald „Toni“ Schumacher sei sein Onkel. Der eine aus Kerpen, der andere aus Düren, das klang plausibel. „Ich wollte den Klassenkameraden imponieren.“

Auf dem Platz aber reichte es nicht für die Stammelf. Vielleicht muss die Motorsport-Fraktion dem Coach dankbar sein, dass er das Talent Schumachers anders einschätzte als Jahrzehnte später ein hochdekorierter deutscher Meistertrainer von internationalem Ruf. „Ich wäre nie Profi geworden“, sagt Schumacher. Und doch ist ihm gelungen, was selbst mancher Nationalspieler nie erreichen wird: Er spielte (und spielt) mit Künstlern wie Zidane, Figo und Ronaldo, Ronaldinho, kickte in den Kultstätten des Weltspiels: im Bernabéu- und Maracanã-Stadion, in Rom gegen das siegreiche WM-Team Deutschlands von 1990 oder dort, wo der Fußballer aller Fußballer, Pelé, sein Talent entfaltete. „Man selbst sieht natürlich viel besser aus, wenn man von solchen Spielern eingebunden und angespielt wird“, sagt Schumacher, „aber ich habe immer Spaß zu spielen, egal wo und mit wem.“



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Sein Name steht wieder auf den Titelseiten. Seine Rückkehr in die Formel 1 ist jetzt schon - neben der WM in Südafrika - die Sportgeschichte des Jahres 2010. Vor den jüngsten Entwicklungen traf sich Anno Hecker, Formel-1-Experte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, mit Michael Schumacher in Peking für das DFB-Journal und hat mit ihm über seine Leidenschaft für Fußball gesprochen. In Peking beim „Race of Champions“ lenkte er drei Tage lang die Boliden über die Rennstrecke. Ein Spektakel, mit und um den siebenmaligen Formel-1-Weltmeister. Interviews, Autogramme, Fotos. Dazwischen bleibt nur wenig Zeit für Ausflüge. Der eine führt ihn in die „Verbotene Stadt“. Der andere wie so oft in ein Sportgeschäft. „Und das erste, was ich in der Hand hatte“, sagt Schumacher, „war ein Fußballschuh.“

Li Zhang, Reporter der chinesischen Sportzeitung „Titan“ mit Bundesliga-Erfahrung, ist begeistert. „Ich halte Schumacher für einen herausragenden Techniker“, sagt Li beim Anblick des Deutschen im Zentrum des Pekinger Olympiastadions. Man weiß nicht, wie er das meint. Auf Asphalt oder auf Rasen, im Auto oder auch am Ball? Li ist sehr höflich. Aber in einem Fall hat der Chinese vielleicht Recht. Michael Ballack wird wohl nicht schlecht staunen, wenn Schumacher sein Wissen über Fußballschuhe vorträgt und die Kollektion auspackt: „Ja, es könnten schon mehr als hundert Paar sein. Ab und zu muss ich mal Platz schaffen.“ Für Modelle aus einer unbekannteren Welt? „Ich weiß ja nicht, ob es in Peking nicht doch andere Fußballschuhe gibt als bei uns in Europa.“ Jeden viel versprechenden Schuh wiegt er in der Hand, drückt an ihm herum, prüft die Verarbeitung.

Wie der Handtaschen-Tick bei Frauen

Schumacher ist längst Experte. Er hat aus einer Männer-Not eine Tugend gemacht. „Man kann es schon mit dem Handtaschen-Tick von Frauen vergleichen. Wenn ich mit meiner Frau einkaufen gehe, dann schaue ich halt nach Fußballschuhen.“ So peinlich genau wie früher nach den Reifen, dem entscheidenden Bindeglied zwischen Mensch, Maschine und Asphalt. Schumachers Einkäufe auf dem Schuhmarkt werden akribisch getestet. Auf dem Platz in verschiedenen Klassen. Er spielt noch immer, mit fast 41 Jahren, in drei Kategorien: In der inoffiziellen Benefiz-Liga, mit der Piloten-Elf „Nazionale Piloti“ in aller Welt und daheim in der Schweiz als Stammspieler der Ü 32 des FC Echichens: „In diesem Jahr waren es insgesamt nicht so viele Spiele. Ich war auch verletzt, aber 30, 35 könnten es schon sein. Übrigens bin ich jetzt zum Stürmer geworden. Der Coach hat mich nach vorne beordert. Bis zur Verletzung lief es gut, manchmal zwei Tore pro Spiel.“

Die Erfahrungen in der Schweizer Liga, sein Leben mit dem Druck in der Formel 1 haben den Blick für den Fußball in doppelter Hinsicht geschärft. Schiedsrichter kleinerer Klassen fürchten Schumachers Händedruck angeblich. „Ich kann schon feststellen, ob ein Ball den vorgeschriebenen Druck hat, also 0,84 bar. Das Gefühl dafür habe er beim Umgang mit den Reifen als Kartfahrer bekommen. Leider sind die Bälle manchmal viel zu hart aufgepumpt.“ Luft lässt er auch gerne raus, wenn es der Nationalmannschaft an den Kragen geht. „Ich habe die harte Kritik damals nach dem 1:4 gegen Italien in Florenz vor der WM überhaupt nicht verstanden. Man hat ja dann gesehen, was sie leisten kann.“

Verbindungen zur DFB-Auswahl

Schumachers Gespür für Atmosphären und kritische Situationen im Leben von Spitzensportlern verstärkten die Verbindungen zur Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes. Er versteht sich gut mit Bundestrainer Joachim Löw, mit Ballack, trifft den Ton seines „Landsmanns aus Kölle“, Lukas Podolski. Sie alle spüren den Respekt des deutschen Weltstars. Seine Augen funkeln, wenn er von den Könnern am Ball schwärmt. Vielleicht schließt sich beim Fußball ein Kreis für Schumacher: Torwart, Formel-1-Weltmeister, Stürmer, der Aufstieg zum Rekordmann der Formel 1 wäre ohne des Deutschen Lieblingsspiels vielleicht gar nicht zu Stande gekommen. Ohne den Frust als Kind auf der Bank. Schumachers Jugendtrainer verzichtete immer wieder auf den Einsatz eines Jungen, der in der Schule gerne erzählte, Nationaltorwart Harald „Toni“ Schumacher sei sein Onkel. Der eine aus Kerpen, der andere aus Düren, das klang plausibel. „Ich wollte den Klassenkameraden imponieren.“

Auf dem Platz aber reichte es nicht für die Stammelf. Vielleicht muss die Motorsport-Fraktion dem Coach dankbar sein, dass er das Talent Schumachers anders einschätzte als Jahrzehnte später ein hochdekorierter deutscher Meistertrainer von internationalem Ruf. „Ich wäre nie Profi geworden“, sagt Schumacher. Und doch ist ihm gelungen, was selbst mancher Nationalspieler nie erreichen wird: Er spielte (und spielt) mit Künstlern wie Zidane, Figo und Ronaldo, Ronaldinho, kickte in den Kultstätten des Weltspiels: im Bernabéu- und Maracanã-Stadion, in Rom gegen das siegreiche WM-Team Deutschlands von 1990 oder dort, wo der Fußballer aller Fußballer, Pelé, sein Talent entfaltete. „Man selbst sieht natürlich viel besser aus, wenn man von solchen Spielern eingebunden und angespielt wird“, sagt Schumacher, „aber ich habe immer Spaß zu spielen, egal wo und mit wem.“

Freude am Kick

Die Freude am Kick überspielt jede Frage nach dem Spielplatz. Schumacher hat Erfahrungen mit wechselnden Untergründen wie sonst nur Rallye-Piloten. Vom englischen Rasen, über Asphalt (im Fahrerlager) bis zum Eifel-Acker, Hauptsache der Ball rollt – halbwegs. Vor ein paar Jahren schloss sich der Formel-1-Pilot donnerstags vor dem Grand Prix (jeweils am Sonntag) gerne spontan der Spielgemeinschaft einer Gruppe Formel-1-Journalisten an. Nach der Arbeit im Fahrerlager traf man sich zum Fußball – in Deutschland etwa unweit des Nürburgrings. Zufällige Zeugen rieben sich die Augen. Schumacher, der Mann, an den man nicht herankommt, der nicht nur hinter dem Gitterzaun des Fahrerlagers unantastbar schien, auf freier Wildbahn? Das Spiel auf einer Lichtung begann mit vier Zuschauern. Zur Halbzeit säumten (geschätzt) 400 die krummen Seitenauslinien. „Diese Spielchen waren Entspannung pur für mich“, sagt Schumacher, „aber auch ein Teil meines Trainings.“

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Die Wiederentdeckung seiner verschmähten Jugendliebe Fußball 1996 half ihm, auf spielerische Weise in Form zu bleiben. Wo immer Schumacher arbeitete, versuchte er sein Fitness-Programm mit einem Training am Ball zu verbinden. An Test-Tagen im Rennwagen ließ er erkunden, welcher Klub am Abend in der Nähe trainierte. Nach 100 und mehr Runden im Boliden sprintete er dann über Aschenplätze oder Kunstrasenanlagen, bei Kreisligaklubs in der italienischen Provinz, bei Bundesliga-Vereinen oder ersten italienischen Adressen wie dem AC Bologna oder Juventus Turin. Selbst im Wintersportort Madonna di Campiglio, wo Ferrari traditionell zum Neujahrsempfang lädt, gehörte ein Kick mit Skilehrern und Bergsteigern zum Standard-Programm; in der Halle, auf 1.550 Metern Höhe, bis alle nach Luft schnappten.

Im Gegensatz zu anderen Formel-1-Rennställen hat Ferrari die Leidenschaft Schumachers nie zu unterbinden versucht. Dabei hätte schon ein verstauchter Knöchel den bevorstehenden Gewinn eines Titels gefährden können. Statt den Chefpiloten zu bremsen, band die Scuderia in den letzten Jahren der Ära Schumacher den Weltsport in die minutiös geplante Rennvorbereitung ein. Donnerstags vor den Grand Prix spielte Schumacher fortan mit der eigenen Mannschaft, mit dem Rennteam. Überall. Wer die Roten so spielen sah, glaubte, was der Deutsche immer wieder beteuert hatte: Dieses Team beflügelte eine große Harmonie und die Fähigkeit, sie über viele Jahre zu erhalten.

Offensiver Drang

„Es gibt ja immer wieder Konflikte“, sagte Schumacher damals, „beim Fußball lernt man die Charaktere der Leute noch besser kennen, lernt, mit ihnen umzugehen. Das kriegt man bei der Arbeit sonst so nicht mit.“ Den Zaungästen fiel beim ausgelassenen Treiben der Motorsportler auf, wie Schumacher, für die Welt der ehrgeizige Solist im Cockpit, alle Mannschaftsteile mit einer Allgegenwart verband. Vom Mittelfeld aus trieb er das Spiel mit offensivem Drang voran. Und falls sich in der Abwehr Lücken zeigten, füllt er sie. „Ich versuche schon, der Koordinator zu sein. Ich nehme die Sache in die Hand, das steckt in mir drin. Ich versuche, die Dinge so gut wie möglich zu organisieren.“

Wie auf dem Platz, so im Leben. Wer den Fußballspieler Schumacher beobachtet, versteht eher, warum dessen Freunde über manch veröffentlichtes Urteil die Köpfe schüttelten. Wie kann einer, der so mit dem Herz dabei ist, als kühler Rechner abgestempelt werden? Beispiel WM 2006: Die deutsche Nationalmannschaft spielt im Viertelfinale gegen Argentinien. Schumacher kämpft gegen Fernando Alonso zum letzten Mal um den Fahrertitel. Die Formel 1 trainiert an diesem Freitag in Indianapolis für den Großen Preis der Vereinigten Staaten. In jeder Runde werden Daten für die Feinabstimmung des Autos gesammelt. Es geht um Hundertstelsekunden.

Schumacher schaut wie seine Kollegen in den Monitor, der ihm auf das Chassis vor dem Cockpit gestellt wird. Statt der Rundenzeiten der Konkurrenz aber sieht er immer wieder das Live-Bild der dramatischen Partie. Im Overall, mit feuerfesten Handschuhen, dem Helm auf dem Kopf, festgezurrt im Boliden. „Im ersten Training wurde Gott sei Dank nicht so viel gefahren. Die Jungs waren so nett und haben mir das Programm eingestellt.“ Trotzdem reichte es für drei Bestzeiten – in der Halbzeit des Spiels. Allerdings kehrte Deutschlands berühmtester Steuermann ohne Auto zur Box zurück: „Ich habe wohl“, erklärte er nach dem Auszug des Overalls und dem Einzug ins Halbfinale, „das Gras neben der Strecke als Spielfeld betrachtet.“

Bis heute hat der Fußball seine Ablenkungskraft behalten. Als das Team der Nazionale Piloti im Sommer in Wiesbaden gegen ehemalige Größen Frankfurter Fußball-Vereine und andere frühere Spitzensportler antrat, sollte Schumacher vor dem Abpfiff das Feld verlassen und die Heimreise antreten. Sonst hätte er keine Landeerlaubnis mehr daheim in der Schweiz erhalten. Auf den Wink von der Seitenauslinie reagierte er mehrmals mit Gesten, die man so übersetzen darf: „Nur noch fünf Minuten …“, „noch einen Angriff …“, „ganz bestimmt nach diesem Eckball“. Als er dann ging, hatte der Schiedsrichter längst abgepfiffen. Schumacher hatte die Zeit vergessen. Wie ein kleiner, fußballbegeisterter Junge auf dem Bolzplatz um die Ecke.