Ein Held von Bern: Zum 95. Geburtstag von Hans Schäfer

Die Helden von Bern, Deutschlands wohl berühmteste Fußballelf, leben nicht mehr. Im Dezember 2021 verschied als Letzter der Jüngste, Horst Eckel, kurz vor seinem 90. Geburtstag. Vor ihm ging im November 2017 sein Freund Hans Schäfer, der seinen 90. Geburtstag noch feiern durfte. Heute wäre der langjährige Kapitän des 1. FC Köln 95 Jahre geworden. Auch diesen Tag wollte er noch erleben, denn schließlich war sein Plan "mit 102 mit einem Glas Kölsch an der Theke zu sterben". Eine Hommage an einen Weltmeister mit Herz.

Ohne ihn hätte es das bis heute berühmteste Tor der DFB-Geschichte nie gegeben, denn er hat es vorbereitet. Hören wir noch mal rein in die legendäre Radio-Reportage von Herbert Zimmermann, damals in Bern am verregneten 4. Juli 1954. Am Tag, als über Nachkriegs-Deutschland die Sonne wieder aufging, weil der Linksaußen aus Köln gegen den rechten Läufer der Ungarn den Ball eroberte. "Boszik, immer wieder Boszik, der rechte Läufer der Ungarn. Hat den Ball verloren. Diesmal gegen Schäfer. Schäfer - nach innen geflankt, Kopfball, abgewehrt, aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen...". Was dann kommt, weiß auch nach fast 70 Jahren noch jedes Kind: Rahn schießt aus dem Hintergrund das mythische 3:2, Deutschland wird erstmals Weltmeister.

Hans Schäfer war also dabei in Bern. Deutschland hatte kaum einen besseren Linksaußen als den damals 26-jährigen Kölner, der am Fließband Tore schoss. In fünf Spielen erzielte er bei der WM 1954 deren vier und half den Weg ins Finale zu ebnen. Dort, gab er später zu, bereitete er auch Helmut Rahns erstes Tor vor, weil er Keeper Grosics bei der Ecke ein wenig rempelte. Durchsetzungsvermögen zeichnete ihn immer aus. Sepp Herberger nominierte den eigensinnigen Mann, den sie in Köln alsbald "de Knoll" (Dickkopf) tauften, noch für die WM 1958 und 1962, bei beiden Turnieren sogar als Spielführer. Dabei war er 1959 schon zurückgetreten, doch eines Frühjahrsmorgens 1962 stand Herberger plötzlich bei ihm zuhause in seinem Schlafzimmer und überrumpelte ihn: "Hans, wir brauchen Sie!"

"Er ist mit Abstand Deutschlands Linksaußen Nummer 1"

Herberger schätzte ihn sehr. Seit 1950 war er dabei eine neue Nationalmannschaft aufzubauen und ihn hatte er schon bald auf dem Notizzettel. Überliefert ist seine Einschätzung: "Von allen Linksaußen unter unseren Nationalspielern war Hans Schäfer der zielstrebigste." Im November 1952 bestritt Schäfer gegen die Schweiz sein erstes von 39 Länderspielen, blieb dabei blass. Herberger testete ihn weiter in der sogenannten "B-Elf", wo ihm am 14. Juni 1953 ein seltenes Kunststück gelang. Beim 5:2 gegen Spanien schoss er in Düsseldorf mit seinem dritten Tor das Netz kaputt. "Er ist mit Abstand Deutschlands Linksaußen Nummer 1", lobte das Sport Magazin den gelernten Friseur.

In den sagenumwobenen WM-Tagen in der Schweiz kürte ihn die internationale Presse zum besten Linksaußen der Welt. Wenn es schon 1954 eine Weltfußballerwahl gegeben hätte, Hans Schäfer hätte zumindest zum Kreis der Nominierten gehört. Auch wenn mit dem Alter der Antritt nachließ, machte ihn seine Persönlichkeit unverzichtbar für Verein und Land. Er war ein Anführer und einen solchen brauchte Herberger vor 60 Jahren, als er bettelnd am Bett von Hans Schäfer stand. Dem Chef konnte eigentlich keiner seiner Berner einen Wunsch abschlagen - und so flog Schäfer mit 34 Jahren zu seiner dritten WM. Drei WM-Teilnahmen schaffte sonst keiner der Sieger-Elf von Bern.

Chile 1962 war ein Reinfall, sein 39. und letztes Länderspiel endete mit einer Niederlage im WM-Viertelfinale gegen Jugoslawien (0:1). Schäfers Karrierebilanz tat das keinen Abbruch, die Fakten sprechen für sich: Zwischen 1948 und 1963 bestritt er 355 Oberligaspiele und stellte mit 223 Treffern einen Torrekord auf. Schäfer war der Gerd Müller der alten Oberligen und sein Rekord ist ihm auf ewig sicher, da es sie seit 1963 in der Form (vier Staffeln als oberste Ligen) nicht mehr gibt.

Meister 1964 mit Köln

In den Annalen der Bundesliga verewigte er sich auch noch, in den ersten beiden Jahren kam er auf 39 Spiele und traf 20 Mal. Glücklicher als alle Zahlen machte ihn der Moment, als er im Mai 1964 als erster Bundesligaspieler die Meisterschale anfasste - als Kapitän seines 1. FC Köln. Weshalb es dem DFB eine besondere Freude war, Schäfer im Juli 2012 zur Jubiläumsveranstaltung zur Bundesligagründung 50 Jahre zuvor in Dortmund begrüßen zu können.

Schon 1962 hatte er mit seinem FC die Schale gewonnen, um die bis heute gekämpft wird. 1965 trat er von der großen Fußballbühne ab, blieb im Lande und nährte sich zunächst redlich als Inhaber einer Großtankstelle. So wie sein Zimmerpartner von Spiez, Ottmar Walter, der in Kaiserslautern auch eine Tankstelle pachtete. Mit "dem Ottes", wie Fritz Walters kleinen Bruder alle nannten, verband ihn viel. Als der Weggefährte in den Sechzigern in Köln an Knie und Hüfte operiert wurde, war Schäfer jeden Morgen an seinem Krankenbett. "Was gibt es zu erledigen, Ottes? Obst, Zeitung, Butterbrote?", fragte er fürsorglich. Die Tage von Spiez haben die 22 Spieler zusammen geschweißt.

Hans Schäfer nahm noch weit nach dem Eintritt ins Rentenalter am Leben teil, denn "Leben ist mein Hobby", sagte er schon an seinem 80. Geburtstag. Zu seinem FC ging er, so lange er gehen konnte. Und heute ist er immer noch da, jedenfalls sein Geist. 2018 weihte der Verein im Gedenken an seinen ersten Meisterkapitän die "Hans Schäfer-Südkurve" ein.

"Ich lebe absolut in der Jetzt-Zeit"

2007 gestand er dem kicker auf Kölsch: "Ich han noch zu vill vüür". Seine Zukunftsplanung schilderte der da 80-Jährige augenzwinkernd so: "Mit 90 gehe ich in Rente und mit 102 will ich mit einem Glas Kölsch in der Hand an der Theke stehen und sterben." Dort erzählte Schäfer von den Tagen in Spiez und dem Wunder von Bern, im Freundes- und Bekanntenkreis. Und "auch wenn man es zum hundertsten Mal gehört hat, läuft es einem immer noch eiskalt den Rücken runter", bezeugte sein Schwiegersohn Rainer Dahmen.

In der Öffentlichkeit hat man ihn aber nur noch selten gesehen. Er wurde kein Trainer, kein Manager und auch nicht Präsident seines Klubs wie der Kölner Weltmeister von 1974, Wolfgang Overath. Was damit zu tun hat, dass Hans Schäfer eben Hans Schäfer war und das Rampenlicht nie suchte. Die zahllosen Retro-Veranstaltungen in 2004 zum Wunder von Bern absolvierten vorwiegend Horst Eckel und Ottmar Walter. Schäfer schaute lieber voraus als zurück: "Ich lebe absolut in der Jetzt-Zeit."

Die Fußball-Historiker mussten also weiterhin ohne die Erinnerungen von "de Knoll" auskommen, Interviews mit ihm waren seltener als ein Sechser im Lotto und nur alten Weggefährten vergönnt. Millionen Deutsche, die in Bern nur in Gedanken dabei waren, am Radio oder vor den wenigen TV-Geräten, haben ihn nie gesehen und wussten doch nur zu gut, wer er gewesen ist. Der Mann, der in der 84. Minute nach innen geflankt hat. Damals in Bern.

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Die Helden von Bern, Deutschlands wohl berühmteste Fußballelf, leben nicht mehr. Im Dezember 2021 verschied als Letzter der Jüngste, Horst Eckel, kurz vor seinem 90. Geburtstag. Vor ihm ging im November 2017 sein Freund Hans Schäfer, der seinen 90. Geburtstag noch feiern durfte. Heute wäre der langjährige Kapitän des 1. FC Köln 95 Jahre geworden. Auch diesen Tag wollte er noch erleben, denn schließlich war sein Plan "mit 102 mit einem Glas Kölsch an der Theke zu sterben". Eine Hommage an einen Weltmeister mit Herz.

Ohne ihn hätte es das bis heute berühmteste Tor der DFB-Geschichte nie gegeben, denn er hat es vorbereitet. Hören wir noch mal rein in die legendäre Radio-Reportage von Herbert Zimmermann, damals in Bern am verregneten 4. Juli 1954. Am Tag, als über Nachkriegs-Deutschland die Sonne wieder aufging, weil der Linksaußen aus Köln gegen den rechten Läufer der Ungarn den Ball eroberte. "Boszik, immer wieder Boszik, der rechte Läufer der Ungarn. Hat den Ball verloren. Diesmal gegen Schäfer. Schäfer - nach innen geflankt, Kopfball, abgewehrt, aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen...". Was dann kommt, weiß auch nach fast 70 Jahren noch jedes Kind: Rahn schießt aus dem Hintergrund das mythische 3:2, Deutschland wird erstmals Weltmeister.

Hans Schäfer war also dabei in Bern. Deutschland hatte kaum einen besseren Linksaußen als den damals 26-jährigen Kölner, der am Fließband Tore schoss. In fünf Spielen erzielte er bei der WM 1954 deren vier und half den Weg ins Finale zu ebnen. Dort, gab er später zu, bereitete er auch Helmut Rahns erstes Tor vor, weil er Keeper Grosics bei der Ecke ein wenig rempelte. Durchsetzungsvermögen zeichnete ihn immer aus. Sepp Herberger nominierte den eigensinnigen Mann, den sie in Köln alsbald "de Knoll" (Dickkopf) tauften, noch für die WM 1958 und 1962, bei beiden Turnieren sogar als Spielführer. Dabei war er 1959 schon zurückgetreten, doch eines Frühjahrsmorgens 1962 stand Herberger plötzlich bei ihm zuhause in seinem Schlafzimmer und überrumpelte ihn: "Hans, wir brauchen Sie!"

"Er ist mit Abstand Deutschlands Linksaußen Nummer 1"

Herberger schätzte ihn sehr. Seit 1950 war er dabei eine neue Nationalmannschaft aufzubauen und ihn hatte er schon bald auf dem Notizzettel. Überliefert ist seine Einschätzung: "Von allen Linksaußen unter unseren Nationalspielern war Hans Schäfer der zielstrebigste." Im November 1952 bestritt Schäfer gegen die Schweiz sein erstes von 39 Länderspielen, blieb dabei blass. Herberger testete ihn weiter in der sogenannten "B-Elf", wo ihm am 14. Juni 1953 ein seltenes Kunststück gelang. Beim 5:2 gegen Spanien schoss er in Düsseldorf mit seinem dritten Tor das Netz kaputt. "Er ist mit Abstand Deutschlands Linksaußen Nummer 1", lobte das Sport Magazin den gelernten Friseur.

In den sagenumwobenen WM-Tagen in der Schweiz kürte ihn die internationale Presse zum besten Linksaußen der Welt. Wenn es schon 1954 eine Weltfußballerwahl gegeben hätte, Hans Schäfer hätte zumindest zum Kreis der Nominierten gehört. Auch wenn mit dem Alter der Antritt nachließ, machte ihn seine Persönlichkeit unverzichtbar für Verein und Land. Er war ein Anführer und einen solchen brauchte Herberger vor 60 Jahren, als er bettelnd am Bett von Hans Schäfer stand. Dem Chef konnte eigentlich keiner seiner Berner einen Wunsch abschlagen - und so flog Schäfer mit 34 Jahren zu seiner dritten WM. Drei WM-Teilnahmen schaffte sonst keiner der Sieger-Elf von Bern.

Chile 1962 war ein Reinfall, sein 39. und letztes Länderspiel endete mit einer Niederlage im WM-Viertelfinale gegen Jugoslawien (0:1). Schäfers Karrierebilanz tat das keinen Abbruch, die Fakten sprechen für sich: Zwischen 1948 und 1963 bestritt er 355 Oberligaspiele und stellte mit 223 Treffern einen Torrekord auf. Schäfer war der Gerd Müller der alten Oberligen und sein Rekord ist ihm auf ewig sicher, da es sie seit 1963 in der Form (vier Staffeln als oberste Ligen) nicht mehr gibt.

Meister 1964 mit Köln

In den Annalen der Bundesliga verewigte er sich auch noch, in den ersten beiden Jahren kam er auf 39 Spiele und traf 20 Mal. Glücklicher als alle Zahlen machte ihn der Moment, als er im Mai 1964 als erster Bundesligaspieler die Meisterschale anfasste - als Kapitän seines 1. FC Köln. Weshalb es dem DFB eine besondere Freude war, Schäfer im Juli 2012 zur Jubiläumsveranstaltung zur Bundesligagründung 50 Jahre zuvor in Dortmund begrüßen zu können.

Schon 1962 hatte er mit seinem FC die Schale gewonnen, um die bis heute gekämpft wird. 1965 trat er von der großen Fußballbühne ab, blieb im Lande und nährte sich zunächst redlich als Inhaber einer Großtankstelle. So wie sein Zimmerpartner von Spiez, Ottmar Walter, der in Kaiserslautern auch eine Tankstelle pachtete. Mit "dem Ottes", wie Fritz Walters kleinen Bruder alle nannten, verband ihn viel. Als der Weggefährte in den Sechzigern in Köln an Knie und Hüfte operiert wurde, war Schäfer jeden Morgen an seinem Krankenbett. "Was gibt es zu erledigen, Ottes? Obst, Zeitung, Butterbrote?", fragte er fürsorglich. Die Tage von Spiez haben die 22 Spieler zusammen geschweißt.

Hans Schäfer nahm noch weit nach dem Eintritt ins Rentenalter am Leben teil, denn "Leben ist mein Hobby", sagte er schon an seinem 80. Geburtstag. Zu seinem FC ging er, so lange er gehen konnte. Und heute ist er immer noch da, jedenfalls sein Geist. 2018 weihte der Verein im Gedenken an seinen ersten Meisterkapitän die "Hans Schäfer-Südkurve" ein.

"Ich lebe absolut in der Jetzt-Zeit"

2007 gestand er dem kicker auf Kölsch: "Ich han noch zu vill vüür". Seine Zukunftsplanung schilderte der da 80-Jährige augenzwinkernd so: "Mit 90 gehe ich in Rente und mit 102 will ich mit einem Glas Kölsch in der Hand an der Theke stehen und sterben." Dort erzählte Schäfer von den Tagen in Spiez und dem Wunder von Bern, im Freundes- und Bekanntenkreis. Und "auch wenn man es zum hundertsten Mal gehört hat, läuft es einem immer noch eiskalt den Rücken runter", bezeugte sein Schwiegersohn Rainer Dahmen.

In der Öffentlichkeit hat man ihn aber nur noch selten gesehen. Er wurde kein Trainer, kein Manager und auch nicht Präsident seines Klubs wie der Kölner Weltmeister von 1974, Wolfgang Overath. Was damit zu tun hat, dass Hans Schäfer eben Hans Schäfer war und das Rampenlicht nie suchte. Die zahllosen Retro-Veranstaltungen in 2004 zum Wunder von Bern absolvierten vorwiegend Horst Eckel und Ottmar Walter. Schäfer schaute lieber voraus als zurück: "Ich lebe absolut in der Jetzt-Zeit."

Die Fußball-Historiker mussten also weiterhin ohne die Erinnerungen von "de Knoll" auskommen, Interviews mit ihm waren seltener als ein Sechser im Lotto und nur alten Weggefährten vergönnt. Millionen Deutsche, die in Bern nur in Gedanken dabei waren, am Radio oder vor den wenigen TV-Geräten, haben ihn nie gesehen und wussten doch nur zu gut, wer er gewesen ist. Der Mann, der in der 84. Minute nach innen geflankt hat. Damals in Bern.

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