Ehrenpreis für Ausstellung "Es war kein Spiel"

Leonardo Albajari hat für seine Ausstellung "No fue un juego" den Julius Hirsch Ehrenpreis erhalten. Seit 2005 verleiht der DFB im Namen des in Auschwitz ermordeten Nationalspielers den hochanerkannten Preis. Erstmals nun beschloss die Jury, einen internationalen Aktivisten auszuzeichnen. Was aber bewegte diesen 36 Jahre alten Fußballreporter aus Buenos Aires, eine Ausstellung über die Verfolgung jüdischer Sportler vor 80 Jahren im weit entfernten Deutschland zu kuratieren?

Als Furcht und Elend des Dritten Reichs überstanden waren, entzogen sich mit Adolf Eichmann und Josef Mengele zwei der schlimmsten Naziverbrecher ihrer Bestrafung. Beide schifften sich nach Argentinien ein. Eichmann, der mit eiskalter Pedanterie die Enteignung, Deportation und Ermordung jüdischer Menschen veranlasst hatte, und der für die Wannseekonferenz im Frühjahr 1942 die Redevorlage für Heydrichs Vortrag verfasst hatte, flüchtete nach Jahren im Untergrund 1950 nach Argentinien. Dr. Josef Mengele, der Lagerarzt von Auschwitz, erreichte im Frühjahr 1949 den Hafen von Buenos Aires.

Tagebuch der Anne Frank gab Anstoß

Aber diese historische Verzweigung zwischen Deutschland und Argentinien, das Entkommen etlicher Naziverbrecher über die "Rattenlinie" nach Südamerika, hatte eben nicht Leonardo Albajaris nun schon zweieinhalb Jahrzehnte andauernde Suche auf den Spuren der verfolgten jüdischen Sportler ausgelöst. "Sicher habe ich davon erfahren, dass Eichmann, Mengele, Klaus Barbie, Erich Priebke und viele andere Nazis in Argentinien untergetaucht sind. Aber das war viel später." Ein weltbekanntes Buch hatte Leonardo Albajari lange zuvor bewegt.

"Ich war zwölf Jahre alt, da gab mir meine Mutter 'El diario de Ana Frank' zu lesen", erzählt Albajari. Einige Vorfahren der Familie waren jüdischen Glaubens gewesen. "Damals war das Buch in Argentinien eher unbekannt, heute wird es oft im Schulunterricht gelesen. Als ich auf der letzten Seite angekommen war, musste ich mehr über diese Zeit erfahren. Wie konnte es dazu kommen, dass ein 15-jähriges Mädchen sich über Jahre mit ihrer Familie verstecken musste, dann ins KZ Bergen-Belsen deportiert wurde und dort am Fleckfieber starb?" Leo Albajari wollte Antworten finden.

Elf Geschichten

Seit nun einem Jahr organisiert der heute 36-jährige Albajari gemeinsam mit zwei Mitstreitern die Ausstellung "No fue un juego" ("Es war kein Spiel"). Man recherchierte elf Geschichten jüdischer Fußballer während der Zeit des Nationalsozialismus, darunter auch den Leidensweg Julius Hirschs. "Wir wollten ihre Geschichten einer breiteren Öffentlichkeit in Argentinien erzählen. Inzwischen sind wir mit der Ausstellung an so vielen Orten gewesen", sagt Albajari. An Grundschulen und Gymnasien, im Stadion von River Plate, in einem Folterkeller aus der Zeit der argentinischen Militärdiktatur baute er "No fue un juego" auf. "Wir wollten nicht nur historisieren, sondern die Besucher anregen, über Themen wie Menschenrechte und Diskriminierung auch allgemeiner und zeitloser nachzudenken." Als er begann, bezahlte er alles aus eigener Tasche. Inzwischen beteiligen sich die Deutsche und die Österreichische Botschaft an den Kosten.

Auf vier horizontalen Bannern sind Zitate von Anne Frank, Primo Levi, Joseph Goebbels und Otto Nerz zu lesen. Künstler aus Buenos Aires haben für "No fue un juego" 13 Aquarelle und sechs weitere Fußballskulpturen gefertigt. Schließlich werden die elf Geschichten erzählt, etwa auch die des österreichischen Nationalspielers Matthias Sindelar, der sich nach dem Anschluss 1938 geweigert hatte, für eine großdeutsche Nationalmannschaft zu spielen. Nach der Reichspogromnacht hatten hunderttausende Juden versucht, aus Deutschland herauszukommen. 45.000 gelang die Flucht nach Argentinien. Heute noch lebten 200 jüdische Menschen aus dieser Zeit in Buenos Aires, berichtet Albajari. "Auch für sie haben wir diese Ausstellung gemacht."

Botschaft des Friedens

Der ehemalige Sportjournalist, der seit einem Jahr seine Arbeitszeit voll und ganz "No fue un juego" widmet, will gerade auch die Fußballfans seines Landes "mit meiner Botschaft des Friedens" erreichen. Im Juli 2013 war vor einem Ligaspiel zwischen Estudiantes und Lanús ein Fan des Gästeteams durch eine Kugel getötet worden. Seitdem herrscht der Ausnahmezustand in Argentiniens Fußball. Die Regierung verbat Gästefans kategorisch den Stadionzutritt, doch schon wenige Wochen später starben zwei Menschen beim Zusammenstoß von Hooligans der Boca Juniors und von San Lorenzo. Mit den Ausschreitungen rund um das Final-Rückspiel der Copa Libertadores ist Argentiniens Fußball zuletzt weltweit in die Schlagzeilen geraten. Leo Albajari will auch bei dieser hochaktuellen Krise des Fußballs in seinem Land einen Beitrag zur Befriedung und Entspannung leisten.

Ganz am Ende der feierlichen Verleihung des Julius Hirsch Preises stand er dann im Scheinwerferlicht auf der Bühne des Deutschen Fußballmuseums in Dortmund. "Die Auszeichnung mit dem Julius Hirsch Preis ist mein größter Erfolg", sagte Albajari und erhielt von DFB-Präsident Reinhard Grindel und 300 geladenen Gästen großen Applaus. Einen Tag bevor die Gestapo das Versteck von Anne Franks Familie aufspürte, am 3. August 1944, schrieb sie in ihrem Tagebuch: "Es war so still wie seit langem nicht mehr. Die Sonne strahlt nur noch dann und wann. Ein Schatten überzog die Gemüter aller. Die Katzen blieben stets drin, setzen keine Pfote mehr hinaus. Man sah es allen an. Angst. Furcht. Keine Hoffnung." Leonardo Albajari stemmt sich gegen diese Furcht und Hoffnungslosigkeit. Dafür erhielt er in Dortmund den Julius Hirsch Ehrenpreis 2018.

[th]

Leonardo Albajari hat für seine Ausstellung "No fue un juego" den Julius Hirsch Ehrenpreis erhalten. Seit 2005 verleiht der DFB im Namen des in Auschwitz ermordeten Nationalspielers den hochanerkannten Preis. Erstmals nun beschloss die Jury, einen internationalen Aktivisten auszuzeichnen. Was aber bewegte diesen 36 Jahre alten Fußballreporter aus Buenos Aires, eine Ausstellung über die Verfolgung jüdischer Sportler vor 80 Jahren im weit entfernten Deutschland zu kuratieren?

Als Furcht und Elend des Dritten Reichs überstanden waren, entzogen sich mit Adolf Eichmann und Josef Mengele zwei der schlimmsten Naziverbrecher ihrer Bestrafung. Beide schifften sich nach Argentinien ein. Eichmann, der mit eiskalter Pedanterie die Enteignung, Deportation und Ermordung jüdischer Menschen veranlasst hatte, und der für die Wannseekonferenz im Frühjahr 1942 die Redevorlage für Heydrichs Vortrag verfasst hatte, flüchtete nach Jahren im Untergrund 1950 nach Argentinien. Dr. Josef Mengele, der Lagerarzt von Auschwitz, erreichte im Frühjahr 1949 den Hafen von Buenos Aires.

Tagebuch der Anne Frank gab Anstoß

Aber diese historische Verzweigung zwischen Deutschland und Argentinien, das Entkommen etlicher Naziverbrecher über die "Rattenlinie" nach Südamerika, hatte eben nicht Leonardo Albajaris nun schon zweieinhalb Jahrzehnte andauernde Suche auf den Spuren der verfolgten jüdischen Sportler ausgelöst. "Sicher habe ich davon erfahren, dass Eichmann, Mengele, Klaus Barbie, Erich Priebke und viele andere Nazis in Argentinien untergetaucht sind. Aber das war viel später." Ein weltbekanntes Buch hatte Leonardo Albajari lange zuvor bewegt.

"Ich war zwölf Jahre alt, da gab mir meine Mutter 'El diario de Ana Frank' zu lesen", erzählt Albajari. Einige Vorfahren der Familie waren jüdischen Glaubens gewesen. "Damals war das Buch in Argentinien eher unbekannt, heute wird es oft im Schulunterricht gelesen. Als ich auf der letzten Seite angekommen war, musste ich mehr über diese Zeit erfahren. Wie konnte es dazu kommen, dass ein 15-jähriges Mädchen sich über Jahre mit ihrer Familie verstecken musste, dann ins KZ Bergen-Belsen deportiert wurde und dort am Fleckfieber starb?" Leo Albajari wollte Antworten finden.

Elf Geschichten

Seit nun einem Jahr organisiert der heute 36-jährige Albajari gemeinsam mit zwei Mitstreitern die Ausstellung "No fue un juego" ("Es war kein Spiel"). Man recherchierte elf Geschichten jüdischer Fußballer während der Zeit des Nationalsozialismus, darunter auch den Leidensweg Julius Hirschs. "Wir wollten ihre Geschichten einer breiteren Öffentlichkeit in Argentinien erzählen. Inzwischen sind wir mit der Ausstellung an so vielen Orten gewesen", sagt Albajari. An Grundschulen und Gymnasien, im Stadion von River Plate, in einem Folterkeller aus der Zeit der argentinischen Militärdiktatur baute er "No fue un juego" auf. "Wir wollten nicht nur historisieren, sondern die Besucher anregen, über Themen wie Menschenrechte und Diskriminierung auch allgemeiner und zeitloser nachzudenken." Als er begann, bezahlte er alles aus eigener Tasche. Inzwischen beteiligen sich die Deutsche und die Österreichische Botschaft an den Kosten.

Auf vier horizontalen Bannern sind Zitate von Anne Frank, Primo Levi, Joseph Goebbels und Otto Nerz zu lesen. Künstler aus Buenos Aires haben für "No fue un juego" 13 Aquarelle und sechs weitere Fußballskulpturen gefertigt. Schließlich werden die elf Geschichten erzählt, etwa auch die des österreichischen Nationalspielers Matthias Sindelar, der sich nach dem Anschluss 1938 geweigert hatte, für eine großdeutsche Nationalmannschaft zu spielen. Nach der Reichspogromnacht hatten hunderttausende Juden versucht, aus Deutschland herauszukommen. 45.000 gelang die Flucht nach Argentinien. Heute noch lebten 200 jüdische Menschen aus dieser Zeit in Buenos Aires, berichtet Albajari. "Auch für sie haben wir diese Ausstellung gemacht."

Botschaft des Friedens

Der ehemalige Sportjournalist, der seit einem Jahr seine Arbeitszeit voll und ganz "No fue un juego" widmet, will gerade auch die Fußballfans seines Landes "mit meiner Botschaft des Friedens" erreichen. Im Juli 2013 war vor einem Ligaspiel zwischen Estudiantes und Lanús ein Fan des Gästeteams durch eine Kugel getötet worden. Seitdem herrscht der Ausnahmezustand in Argentiniens Fußball. Die Regierung verbat Gästefans kategorisch den Stadionzutritt, doch schon wenige Wochen später starben zwei Menschen beim Zusammenstoß von Hooligans der Boca Juniors und von San Lorenzo. Mit den Ausschreitungen rund um das Final-Rückspiel der Copa Libertadores ist Argentiniens Fußball zuletzt weltweit in die Schlagzeilen geraten. Leo Albajari will auch bei dieser hochaktuellen Krise des Fußballs in seinem Land einen Beitrag zur Befriedung und Entspannung leisten.

Ganz am Ende der feierlichen Verleihung des Julius Hirsch Preises stand er dann im Scheinwerferlicht auf der Bühne des Deutschen Fußballmuseums in Dortmund. "Die Auszeichnung mit dem Julius Hirsch Preis ist mein größter Erfolg", sagte Albajari und erhielt von DFB-Präsident Reinhard Grindel und 300 geladenen Gästen großen Applaus. Einen Tag bevor die Gestapo das Versteck von Anne Franks Familie aufspürte, am 3. August 1944, schrieb sie in ihrem Tagebuch: "Es war so still wie seit langem nicht mehr. Die Sonne strahlt nur noch dann und wann. Ein Schatten überzog die Gemüter aller. Die Katzen blieben stets drin, setzen keine Pfote mehr hinaus. Man sah es allen an. Angst. Furcht. Keine Hoffnung." Leonardo Albajari stemmt sich gegen diese Furcht und Hoffnungslosigkeit. Dafür erhielt er in Dortmund den Julius Hirsch Ehrenpreis 2018.

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