Drees: "Zwei weitere VAR-Eingriffe wären notwendig gewesen"

Knappe, aber korrekte Abseitsentscheidungen dank kalibrierter Linien. Strafstoß oder weiterspielen? Passives oder aktives - und damit strafbares - Abseits? Vereinzelte Schiedsrichterentscheidungen im Zusammenhang mit dem Video-Assistenten sorgten am 19. Spieltag der Bundesliga öffentlich für Diskussionen.

Im DFB.de-Interview nimmt Dr. Jochen Drees, fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), Stellung zu den Entscheidungen vom vergangenen Wochenende, lobt den korrekten Einsatz der kalibrierten Linie und damit die Verhinderung zweier irregulärer Tore - und benennt zwei ausgebliebene Eingriffe der Video-Assistenten.

DFB.de: Herr Drees, sowohl beim Spiel Mainz gegen Nürnberg in der 62. Spielminute als auch bei der Begegnung Wolfsburg gegen Leverkusen in der 66. wurde jeweils eine knappe Abseitsstellung vor einer vermeintlichen Torerzielung durch den Einsatz der kalibrierten Linie aufgelöst. Wie bewerten Sie in diesen zwei Fällen das Vorgehen der zuständigen Video-Assistenten und die finale Entscheidung?

Dr. Jochen Drees: Erfreulich ist, dass durch den Einsatz der Video-Assistenten zwei irreguläre Tore verhindert werden konnten, die sonst erheblichen Einfluss auf das Spielergebnis gehabt hätten. In beiden Fällen haben die Video-Assistenten sehr genau und gewissenhaft gearbeitet. Das betrifft sowohl die Identifizierung des relevanten Moments des Ballabspiels als auch die Positionierung der kalibrierten Abseitslinien. Beim Ballabspiel ist der erste Impuls des ballführenden Spielers beim Pass entscheidend, nicht der Moment, in dem der Ball den Fuß des Spielers beim Zuspiel verlässt. Beide Situationen sind so regeltechnisch korrekt entschieden worden.

DFB.de: Warum wurden die beiden beschriebenen Situationen im VAC, dem Kölner Video-Assist-Center, überprüft? Schließlich hat es sich nicht um "klare und offensichtliche Fehlentscheidungen" gehandelt, sondern um sehr knappe Abseitspositionen.

Drees: Bei der Frage der Beurteilung einer strafbaren Abseitsposition spielt die Kategorisierung "klar und offensichtlich" keine Rolle. Hierbei handelt es sich um eine klassische Schwarz-Weiß-Entscheidung. In den beiden Situationen in Wolfsburg und Mainz lagen zwei sehr knappe Abseitspositionen vor, die beide genau und korrekt gelöst worden sind. Dass diese faktisch richtig getroffenen Entscheidungen im Nachgang für Diskussionen gesorgt haben, dient leider nicht der inhaltlich wertvollen Auseinandersetzung mit dem Thema Video-Assistent.  

DFB.de: Bei der Begegnung Dortmund gegen Hannover traf BVB-Profi Thomas Delaney in der 35. Minute seinen Gegenspieler Sarenren Bazee im Dortmunder Strafraum am Standbein. Schiedsrichter Manuel Gräfe ließ weiterlaufen, Video-Assistent Daniel Siebert griff nicht ein und auch die Spieler beider Mannschaften nahmen diesen Vorgang nicht wahr. Hätten Sie sich in dieser Situation einen On-Field-Review gewünscht, Herr Drees?

Drees: In der Nachbetrachtung wäre ein Eingriff des Video-Assistent notwendig und richtig gewesen. Die Bilder lassen hier keinen Spielraum für Interpretationen, da es sich um ein eindeutiges Foulspiel handelt. Allerdings war die Situation im laufenden Spiel so unscheinbar, dass weder Spieler, Offizielle noch das Schiedsrichterteam auf das Foulspiel aufmerksam wurden. Und ich bin mir sicher, dass bei dem erfolgten Torabschluss des Hannoveraner Spielers kaum ein Zuschauer im Stadion ein Foulspiel vermutet hätte.

DFB.de: Bei der Partie Mönchengladbach gegen Augsburg erzielte Oscar Wendt in der 78. Minute das 1:0 für die Heimmannschaft. Nach dem Schlusspfiff wurde diskutiert, ob der Gladbacher Lars Stindl beim Schuss seines Mitspielers strafbar im Abseits gestanden hatte. Herr Drees, hat es sich um ein korrekt erzieltes Tor gehandelt?  

Drees: Nach unserer Analyse und Auffassung handelt es sich hier um eine strafbare Abseitsposition des Mönchengladbacher Spielers, da er zum einen aktiv versucht, den Ball zu spielen und sich damit in einem Zweikampf mit dem Augsburger Torwart (Gregor Kobel; Anm. d. Red.) befindet. Zum anderen nimmt er dem Augsburger Gegenspieler Kevin Danso, der auf der Torlinie stand, die Sicht und beeinflusst diesen. Hier war nicht die Frage vordergründig, ob sich der Spieler Stindl in einer Abseitsposition befand, sondern die Schwierigkeit der Interpretation, ob diese Position einen relevanten Einfluss darstellt. Sicherlich gibt es auch Gründe für die getroffene Einschätzung auf dem Platz, dass keine Beeinflussung vorliegt - allerdings überwiegen für uns die Gründe, die für eine strafbare Abseitsposition sprechen. Bei einer genaueren, detaillierten Analyse des Video-Assistenten- und des Schiedsrichterteams im Stadion hätte das Team - ähnlich wie bei den beiden Abseitssituationen in Mainz und Wolfsburg - die Situation gegebenenfalls korrekt lösen können.

[ar]

Knappe, aber korrekte Abseitsentscheidungen dank kalibrierter Linien. Strafstoß oder weiterspielen? Passives oder aktives - und damit strafbares - Abseits? Vereinzelte Schiedsrichterentscheidungen im Zusammenhang mit dem Video-Assistenten sorgten am 19. Spieltag der Bundesliga öffentlich für Diskussionen.

Im DFB.de-Interview nimmt Dr. Jochen Drees, fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), Stellung zu den Entscheidungen vom vergangenen Wochenende, lobt den korrekten Einsatz der kalibrierten Linie und damit die Verhinderung zweier irregulärer Tore - und benennt zwei ausgebliebene Eingriffe der Video-Assistenten.

DFB.de: Herr Drees, sowohl beim Spiel Mainz gegen Nürnberg in der 62. Spielminute als auch bei der Begegnung Wolfsburg gegen Leverkusen in der 66. wurde jeweils eine knappe Abseitsstellung vor einer vermeintlichen Torerzielung durch den Einsatz der kalibrierten Linie aufgelöst. Wie bewerten Sie in diesen zwei Fällen das Vorgehen der zuständigen Video-Assistenten und die finale Entscheidung?

Dr. Jochen Drees: Erfreulich ist, dass durch den Einsatz der Video-Assistenten zwei irreguläre Tore verhindert werden konnten, die sonst erheblichen Einfluss auf das Spielergebnis gehabt hätten. In beiden Fällen haben die Video-Assistenten sehr genau und gewissenhaft gearbeitet. Das betrifft sowohl die Identifizierung des relevanten Moments des Ballabspiels als auch die Positionierung der kalibrierten Abseitslinien. Beim Ballabspiel ist der erste Impuls des ballführenden Spielers beim Pass entscheidend, nicht der Moment, in dem der Ball den Fuß des Spielers beim Zuspiel verlässt. Beide Situationen sind so regeltechnisch korrekt entschieden worden.

DFB.de: Warum wurden die beiden beschriebenen Situationen im VAC, dem Kölner Video-Assist-Center, überprüft? Schließlich hat es sich nicht um "klare und offensichtliche Fehlentscheidungen" gehandelt, sondern um sehr knappe Abseitspositionen.

Drees: Bei der Frage der Beurteilung einer strafbaren Abseitsposition spielt die Kategorisierung "klar und offensichtlich" keine Rolle. Hierbei handelt es sich um eine klassische Schwarz-Weiß-Entscheidung. In den beiden Situationen in Wolfsburg und Mainz lagen zwei sehr knappe Abseitspositionen vor, die beide genau und korrekt gelöst worden sind. Dass diese faktisch richtig getroffenen Entscheidungen im Nachgang für Diskussionen gesorgt haben, dient leider nicht der inhaltlich wertvollen Auseinandersetzung mit dem Thema Video-Assistent.  

DFB.de: Bei der Begegnung Dortmund gegen Hannover traf BVB-Profi Thomas Delaney in der 35. Minute seinen Gegenspieler Sarenren Bazee im Dortmunder Strafraum am Standbein. Schiedsrichter Manuel Gräfe ließ weiterlaufen, Video-Assistent Daniel Siebert griff nicht ein und auch die Spieler beider Mannschaften nahmen diesen Vorgang nicht wahr. Hätten Sie sich in dieser Situation einen On-Field-Review gewünscht, Herr Drees?

Drees: In der Nachbetrachtung wäre ein Eingriff des Video-Assistent notwendig und richtig gewesen. Die Bilder lassen hier keinen Spielraum für Interpretationen, da es sich um ein eindeutiges Foulspiel handelt. Allerdings war die Situation im laufenden Spiel so unscheinbar, dass weder Spieler, Offizielle noch das Schiedsrichterteam auf das Foulspiel aufmerksam wurden. Und ich bin mir sicher, dass bei dem erfolgten Torabschluss des Hannoveraner Spielers kaum ein Zuschauer im Stadion ein Foulspiel vermutet hätte.

DFB.de: Bei der Partie Mönchengladbach gegen Augsburg erzielte Oscar Wendt in der 78. Minute das 1:0 für die Heimmannschaft. Nach dem Schlusspfiff wurde diskutiert, ob der Gladbacher Lars Stindl beim Schuss seines Mitspielers strafbar im Abseits gestanden hatte. Herr Drees, hat es sich um ein korrekt erzieltes Tor gehandelt?  

Drees: Nach unserer Analyse und Auffassung handelt es sich hier um eine strafbare Abseitsposition des Mönchengladbacher Spielers, da er zum einen aktiv versucht, den Ball zu spielen und sich damit in einem Zweikampf mit dem Augsburger Torwart (Gregor Kobel; Anm. d. Red.) befindet. Zum anderen nimmt er dem Augsburger Gegenspieler Kevin Danso, der auf der Torlinie stand, die Sicht und beeinflusst diesen. Hier war nicht die Frage vordergründig, ob sich der Spieler Stindl in einer Abseitsposition befand, sondern die Schwierigkeit der Interpretation, ob diese Position einen relevanten Einfluss darstellt. Sicherlich gibt es auch Gründe für die getroffene Einschätzung auf dem Platz, dass keine Beeinflussung vorliegt - allerdings überwiegen für uns die Gründe, die für eine strafbare Abseitsposition sprechen. Bei einer genaueren, detaillierten Analyse des Video-Assistenten- und des Schiedsrichterteams im Stadion hätte das Team - ähnlich wie bei den beiden Abseitssituationen in Mainz und Wolfsburg - die Situation gegebenenfalls korrekt lösen können.

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