Drees: "VA-Eingriff in Augsburg war falsch"

An jedem Bundesliga-Wochenende müssen Situationen blitzschnell erkannt, bewertet und anschließend Entscheidungen in Bruchteilen von Sekunden getroffen werden. "Nach dem Spiel ist vor der Diskussion" - nach diesem Motto sind strittige Situationen auch noch nach dem Spieltag oft Thema in Freundeskreisen, unter Kollegen und in den Medien.

In der Rubrik "Ich erklär's mal..." erläutern DFB-Schiedsrichter gegenüber DFB.de ihre Entscheidungen und bringen Klarheit in vermeintlich unklare Spielszenen. Seit dem 1. Oktober 2018 ist Dr. Jochen Drees als fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) verantwortlich. Nach dem 8. Spieltag geht der Projektleiter auf vier diskutierte Situationen vom Wochenende ein und bewertet diese aus fachlicher Sicht.

DFB.de: Herr Drees, beim Spiel Frankfurt gegen Düsseldorf griff der Video-Assistent in der 19. Spielminute ein. Der Düsseldorfer Spieler Bodzek bekam eine Hereingabe vom Frankfurter Spieler Torró an den Arm. Nach Ansicht der Bilder in der Review-Area entschied Schiedsrichter Deniz Aytekin auf Strafstoß. Wie bewerten Sie den Eingriff des Video-Assistenten und die finale Entscheidung?

Dr. Jochen Drees: Ein Beispiel für einen absolut notwendigen Eingriff des Video-Assistenten, nachdem der Schiedsrichter auf dem Feld zu dem Vorgang keine Wahrnehmung hatte und somit weder bewerten noch beurteilen konnte, ob es sich um ein strafbares Handspiel handelt oder nicht. Insofern ist die dann final getroffene Entscheidung absolut regelkonform und deckt sich mit der Auslegung, die im Handspielbereich momentan praktiziert wird. Der Prozess bis zum Start des Reviews hat nach unserer Einschätzung jedoch etwas zu lange gedauert.

DFB.de: Auch in Augsburg kam der Video-Assistent zum Einsatz. Schiedsrichter Tobias Welz entschied in der zehnten Spielminute zunächst auf Strafstoß für Leipzig, ehe er einen Hinweis aus dem Kölner Video-Assist-Center bekam. Nach der Überprüfung, die exakt vier Minuten und 30 Sekunden in Anspruch nahm, wurde eine Abseitsstellung des Leipziger Spielers Augustin erkannt. Was sagen Sie zum zeitlichen Ablauf, sehen Sie Verbesserungspotential?

Drees: Der zeitliche Ablauf ist auf jeden Fall kritisch zu bewerten und wird durch uns nachbearbeitet. Die finale Entscheidung, die Spielsituation als strafbares Abseits zu bewerten, ist regeltechnisch korrekt. Allerdings hat sich diese Situation sehr kompliziert dargestellt, da wir eine zweiteilige Entscheidung bewerten mussten. Da die Beurteilung des Strafstoßes, die durch den Schiedsrichter auf dem Feld getroffen wurde, nicht klar und offensichtlich falsch war, hätte sich der Video-Assistent hier zurückhalten müssen. Deshalb sehen wir diesen Eingriff als falsch an.

DFB.de: Sie haben von einer zweiteiligen Entscheidung gesprochen. Was bedeutet das in diesem Fall konkret?

Drees: Im zweiten Schritt musste natürlich auch die fragliche Abseitsposition geprüft werden. Hier war die entscheidende Schwierigkeit, weshalb sich die Überprüfung so in die Länge gezogen hat, dass wir keine adäquate Kameraeinstellung zur Verfügung hatten, die diese Situation klar auflösen konnte. Nur durch eine Kamera, die normalerweise für das Einfangen von Emotionen im Stadion zuständig ist, ist es uns gelungen, am Ende des Prozesses diese Abseitsstellung auflösen zu können. Wenn die Aktion im Strafraum nicht so lange überprüft worden, sondern das Augenmerk schnell auf die strafbare Abseitsstellung gelegt worden wäre, hätte der Prozess deutlich verkürzt werden können. Am Ende stand jedoch die richtige Entscheidung.

DFB.de: Beim Spiel Leverkusen gegen Hannover nahm der On-Field-Review durch Schiedsrichter Patrick Ittrich dagegen nur wenige Sekunden ein. Nach einem Leverkusener Freistoß kam es zu einer Ellbogenabwehr des Balls weit oberhalb des Kopfs durch den Hannoveraner Felipe, der im eigenen Strafraum in der Freistoßmauer stand. Ein positives Beispiel für den Einsatz des Video-Assistenten, Herr Drees?

Drees: Eine völlig korrekte Entscheidung durch den Video-Assistenten, in dieser Situation einzugreifen. Auch der Ablauf in der zeitlichen Dimension war bemerkenswert. In dieser Situation hatte der Schiedsrichter keine Wahrnehmung und das Handspiel dementsprechend nicht erkannt. Video-Assistent Sven Jablonski hat das Handspiel in wenigen Sekunden als strafbar ausgearbeitet und dieses unmittelbar an den Schiedsrichter zurückgemeldet, der sich nur noch eine Einstellung ansehen musste, um zu erkennen, dass es sich um ein strafbares Handspiel handelt. Die Ansicht der Bilder musste dem Schiedsrichter in diesem Fall gewährleistet werden, da es sich nicht um eine faktische Entscheidung gehandelt hat. Egal, wie eindeutig ein Handspiel ist, eine solche Situation muss der Schiedsrichter selbst in der Review-Area beurteilen und eine Entscheidung auf dem Platz treffen.

DFB.de: Beim Sonntagsspiel zwischen Berlin und Freiburg kam es zu einem diskutierten Eingriff des Video-Assistenten. Einen Zweikampf im Freiburger Strafraum zwischen dem Freiburger Spieler Gulde und dem Berliner Spieler Dardai bewertete Schiedsrichter Benjamin Cortus als strafbar und entschied in der 88. Spielminute zunächst auf Elfmeter. Nach einem Hinweis aus dem VAC schaute sich Cortus die Situation noch mal in der Review-Area an, erkannte ein Stürmerfoul und nahm den Strafstoß für Berlin zurück. Wie bewerten Sie diese diskutierte Szene?

Drees: Auch das ist ein gutes Beispiel für eine Situation, in der eine Bewertung durch den Schiedsrichter auf dem Feld stattgefunden hat und keine klare und offensichtliche Fehlentscheidung vorlag. Ein Beispiel für eine Situation, in der sich der Video-Assistent nicht einzumischen hat. Ein Eingriff, den wir als sehr kritisch ansehen, da es sich um eine Interpretationsfrage handelt, die der Schiedsrichter auf dem Feld bewertet hat. Ein Lehrbeispiel für eine Situation, wie auch die Zweikampfbewertung bei der Strafstoßentscheidung in Augsburg, in der der Video-Assistent nicht eingreifen soll. Im Ergebnis wäre die Strafstoßentscheidung von Benjamin Cortus zu akzeptieren und nicht grundsätzlich falsch gewesen.

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An jedem Bundesliga-Wochenende müssen Situationen blitzschnell erkannt, bewertet und anschließend Entscheidungen in Bruchteilen von Sekunden getroffen werden. "Nach dem Spiel ist vor der Diskussion" - nach diesem Motto sind strittige Situationen auch noch nach dem Spieltag oft Thema in Freundeskreisen, unter Kollegen und in den Medien.

In der Rubrik "Ich erklär's mal..." erläutern DFB-Schiedsrichter gegenüber DFB.de ihre Entscheidungen und bringen Klarheit in vermeintlich unklare Spielszenen. Seit dem 1. Oktober 2018 ist Dr. Jochen Drees als fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) verantwortlich. Nach dem 8. Spieltag geht der Projektleiter auf vier diskutierte Situationen vom Wochenende ein und bewertet diese aus fachlicher Sicht.

DFB.de: Herr Drees, beim Spiel Frankfurt gegen Düsseldorf griff der Video-Assistent in der 19. Spielminute ein. Der Düsseldorfer Spieler Bodzek bekam eine Hereingabe vom Frankfurter Spieler Torró an den Arm. Nach Ansicht der Bilder in der Review-Area entschied Schiedsrichter Deniz Aytekin auf Strafstoß. Wie bewerten Sie den Eingriff des Video-Assistenten und die finale Entscheidung?

Dr. Jochen Drees: Ein Beispiel für einen absolut notwendigen Eingriff des Video-Assistenten, nachdem der Schiedsrichter auf dem Feld zu dem Vorgang keine Wahrnehmung hatte und somit weder bewerten noch beurteilen konnte, ob es sich um ein strafbares Handspiel handelt oder nicht. Insofern ist die dann final getroffene Entscheidung absolut regelkonform und deckt sich mit der Auslegung, die im Handspielbereich momentan praktiziert wird. Der Prozess bis zum Start des Reviews hat nach unserer Einschätzung jedoch etwas zu lange gedauert.

DFB.de: Auch in Augsburg kam der Video-Assistent zum Einsatz. Schiedsrichter Tobias Welz entschied in der zehnten Spielminute zunächst auf Strafstoß für Leipzig, ehe er einen Hinweis aus dem Kölner Video-Assist-Center bekam. Nach der Überprüfung, die exakt vier Minuten und 30 Sekunden in Anspruch nahm, wurde eine Abseitsstellung des Leipziger Spielers Augustin erkannt. Was sagen Sie zum zeitlichen Ablauf, sehen Sie Verbesserungspotential?

Drees: Der zeitliche Ablauf ist auf jeden Fall kritisch zu bewerten und wird durch uns nachbearbeitet. Die finale Entscheidung, die Spielsituation als strafbares Abseits zu bewerten, ist regeltechnisch korrekt. Allerdings hat sich diese Situation sehr kompliziert dargestellt, da wir eine zweiteilige Entscheidung bewerten mussten. Da die Beurteilung des Strafstoßes, die durch den Schiedsrichter auf dem Feld getroffen wurde, nicht klar und offensichtlich falsch war, hätte sich der Video-Assistent hier zurückhalten müssen. Deshalb sehen wir diesen Eingriff als falsch an.

DFB.de: Sie haben von einer zweiteiligen Entscheidung gesprochen. Was bedeutet das in diesem Fall konkret?

Drees: Im zweiten Schritt musste natürlich auch die fragliche Abseitsposition geprüft werden. Hier war die entscheidende Schwierigkeit, weshalb sich die Überprüfung so in die Länge gezogen hat, dass wir keine adäquate Kameraeinstellung zur Verfügung hatten, die diese Situation klar auflösen konnte. Nur durch eine Kamera, die normalerweise für das Einfangen von Emotionen im Stadion zuständig ist, ist es uns gelungen, am Ende des Prozesses diese Abseitsstellung auflösen zu können. Wenn die Aktion im Strafraum nicht so lange überprüft worden, sondern das Augenmerk schnell auf die strafbare Abseitsstellung gelegt worden wäre, hätte der Prozess deutlich verkürzt werden können. Am Ende stand jedoch die richtige Entscheidung.

DFB.de: Beim Spiel Leverkusen gegen Hannover nahm der On-Field-Review durch Schiedsrichter Patrick Ittrich dagegen nur wenige Sekunden ein. Nach einem Leverkusener Freistoß kam es zu einer Ellbogenabwehr des Balls weit oberhalb des Kopfs durch den Hannoveraner Felipe, der im eigenen Strafraum in der Freistoßmauer stand. Ein positives Beispiel für den Einsatz des Video-Assistenten, Herr Drees?

Drees: Eine völlig korrekte Entscheidung durch den Video-Assistenten, in dieser Situation einzugreifen. Auch der Ablauf in der zeitlichen Dimension war bemerkenswert. In dieser Situation hatte der Schiedsrichter keine Wahrnehmung und das Handspiel dementsprechend nicht erkannt. Video-Assistent Sven Jablonski hat das Handspiel in wenigen Sekunden als strafbar ausgearbeitet und dieses unmittelbar an den Schiedsrichter zurückgemeldet, der sich nur noch eine Einstellung ansehen musste, um zu erkennen, dass es sich um ein strafbares Handspiel handelt. Die Ansicht der Bilder musste dem Schiedsrichter in diesem Fall gewährleistet werden, da es sich nicht um eine faktische Entscheidung gehandelt hat. Egal, wie eindeutig ein Handspiel ist, eine solche Situation muss der Schiedsrichter selbst in der Review-Area beurteilen und eine Entscheidung auf dem Platz treffen.

DFB.de: Beim Sonntagsspiel zwischen Berlin und Freiburg kam es zu einem diskutierten Eingriff des Video-Assistenten. Einen Zweikampf im Freiburger Strafraum zwischen dem Freiburger Spieler Gulde und dem Berliner Spieler Dardai bewertete Schiedsrichter Benjamin Cortus als strafbar und entschied in der 88. Spielminute zunächst auf Elfmeter. Nach einem Hinweis aus dem VAC schaute sich Cortus die Situation noch mal in der Review-Area an, erkannte ein Stürmerfoul und nahm den Strafstoß für Berlin zurück. Wie bewerten Sie diese diskutierte Szene?

Drees: Auch das ist ein gutes Beispiel für eine Situation, in der eine Bewertung durch den Schiedsrichter auf dem Feld stattgefunden hat und keine klare und offensichtliche Fehlentscheidung vorlag. Ein Beispiel für eine Situation, in der sich der Video-Assistent nicht einzumischen hat. Ein Eingriff, den wir als sehr kritisch ansehen, da es sich um eine Interpretationsfrage handelt, die der Schiedsrichter auf dem Feld bewertet hat. Ein Lehrbeispiel für eine Situation, wie auch die Zweikampfbewertung bei der Strafstoßentscheidung in Augsburg, in der der Video-Assistent nicht eingreifen soll. Im Ergebnis wäre die Strafstoßentscheidung von Benjamin Cortus zu akzeptieren und nicht grundsätzlich falsch gewesen.

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