"Diego" statt Guido: Buchwald wird 60

Wenn Trainer gefragt werden, welchen Spieler sie aus einer erfolgreichen Mannschaft denn noch herausheben möchten, mauern sie für gewöhnlich. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Sie haben schließlich immer den Teamgedanken im Sinn, Eifersüchteleien waren dem nie förderlich. DFB-Teamchef Franz Beckenbauer hat in der Stunde seines größten Triumphes, die zugleich seine Abschiedsstunde war, eine Ausnahme von dieser Regel gemacht. Zwei Tage nach dem WM-Triumph von Rom erschien 1990 im Kicker ein Interview, in dem er nach dem überragenden Spieler befragt wurde. Seine Antwort überraschte, denn in aller Munde waren eigentlich ein Matthäus, Brehme, Völler, Klinsmann - Torschützen, Antreiber, Matchwinner.

Des Kaisers Ritterschlag erhielt indes der Mann, der heute seinen 60. Geburtstag feiert: "In meiner persönlichen Rangliste steht aber Guido Buchwald an erster Stelle. Er hat in allen Spielen mit einer unglaublichen Konstanz weit über internationalem Durchschnitt gespielt. Der Guido war unser bester Spieler bei dieser WM."

Das muss dem sympathischen Schwaben, der nur seine ersten sechs Lebensmonate in Berlin verbracht hat, wie Öl runter gegangen sein. Es war eine späte Genugtuung für ihn und die Aussöhnung mit dem Mann, der ihn vor der WM 1986 in Mexiko im letzten Moment aussortiert hatte. So hat der Kaiser für Tief- und Höhepunkt gleichermaßen in der Karriere des 76-maligen Nationalspielers gesorgt.

Debüt mit zu kurzen Ärmeln

Beckenbauer war der zweite von drei Bundestrainern, die Buchwald erlebte, denn er spielte von 1984 bis 1994 in bewegten, teils unruhigen Zeiten des deutschen Fußballs. Schon in seiner ersten Bundesligasaison avancierte Guido zum Nationalspieler, Jupp Derwall nahm ihn mit zur EM 1984 nach Frankreich, weil der hochaufgeschossene Defensivallrounder erheblichen Anteil an der Deutschen Meisterschaft des VfB Stuttgart hatte.

Niemand hatte ihm das zugetraut, schon der Wechsel von Lokalrivale Kickers zum VfB schien fatal zu sein, da auf seiner Position Weltklassevorstopper Karlheinz Förster, sein Vorbild, spielte. Doch VfB-Trainer Helmut Benthaus fand einen anderen Platz für den blondgelockten Schlacks mit den langen Beinen - im Mittelfeld - und da machte er alle 34 Ligaspiele. So kam er zum DFB, für den 1979 nur ein U-Länderspiel bestritten hatte.

Bei der Einkleidung vor dem Debüt im März 1984 gegen Italien waren prompt die Ärmel zu kurz. Die Skeptiker witzelten, die Nationalelf sei eben doch eine Nummer zu groß für ihn. Irrtum! Er schlug voll ein und als die EM losging, stand er mit der Erfahrung eines Länderspiels gegen Portugal in der Startelf. Sensationell! Für den Kicker war er der "Aufsteiger des Jahres". Guido hatte zuvor vier Jahre in der 2. Liga gespielt, manche sagen: verplempert. Nun, mit 23, ging es endlich los.

Knöchelbruch und Karriereknick

Dass die EM ein Fiasko wurde und Jupp Derwall nach dem ersten Vorrundenaus einer deutschen Mannschaft zurücktrat, war zu allerletzt Buchwalds Schuld. Trotzdem dauerte es über zwei Jahre, bis er als Nationalspieler etabliert war.

Im Juli durfte er noch mit der Olympiaauswahl nach Los Angeles fliegen und weitere internationale Erfahrungen sammeln, wenn es auch wieder ein vorzeitiges Aus - im Viertelfinale - gab. Das Jahr 1984, so schien es, war ein einziger endloser Traum. Er endete jäh als die neue Saison begann. Gleich in der ersten Minute verletzte er sich auf dem Kaiserslauterer Betzenberg schwer: Knöchelbruch, zehn Wochen Pause, erster Karriereknick mit 23.

Zwei Jahre ohne Länderspiel

Fast zwei Jahre fehlte er nun bei Länderspielen und seine Rückkehr im Frühjahr 1986 erfolgte zu spät, um den WM-Flieger nach Mexiko zu bekommen, denn andere hatten sich auf seiner Position unentbehrlich gemacht.

Einer war Lothar Matthäus, der sich 1984 noch beklagt hatte, dass Derwall Buchwald ihm vorzog. Beckenbauer traf eine andere Wahl und strich Buchwald als einen von vier Spielern aus dem vorläufigen Aufgebot. Der Kaiser gestand 1990, diese Ausmusterung habe ihn selbst "in depressive Stimmung versetzt". Auch Buchwald war verstimmt: "Ich habe Beckenbauer klar meine Meinung gesagt. Ich akzeptiere seine Entscheidung, auch wenn ich sie nicht verstehen kann."

Die Entscheidung von Kaiserau stand zwischen den beiden, aber wurde nie zum unüberwindlichen Hindernis. Beckenbauer war alt genug, einen Fehler zuzugeben und zu korrigieren, Buchwald zu jung, um zurückzutreten. Fortan verpasste er keins der nächsten vier Turniere. 1988 stand er bei der EM im eigenen Land im Team, verlor aber nach zwei Spielen seinen Stammplatz an Uli Borowka, weshalb ihm immerhin die Halbfinalschmach von Hamburg - das 1:2 gegen die Niederlande - erspart blieb.

"Du schon wieder!", zischte Maradona

Nach der EM begann seine beste Zeit im DFB-Dress. 1989 bestritt er alle Länderspiele, 1990 verpasste er vor der WM nur einen Test und während des Turniers keine Minute, elf Stunden war er in Italien am Ball. Was dort geschah, ist längst legendär. Im Achtelfinale gegen die Niederländer bereitete er beide Tore vor, das erste für seinen besten Freund aus dem WM-Team, Jürgen Klinsmann, per Übersteiger. Solche Finessen kannte man nicht von dem zuweilen hölzern wirkenden Buchwald, doch schon im Training vor der WM hatte er die Kollegen damit verblüfft und so taufte ihn Klaus Augenthaler "Diego" - nach Weltfußballer Diego Maradona.

Den Argentinier traf er im Finale von Rom, musste ihn beschatten und trieb ihn mit seiner Beharrlichkeit zur Verzweiflung. "Du schon wieder!", zischte Maradona auf Englisch. "Es war das wichtigste Spiel meines Lebens", hat er später gesagt. Wie auch nicht, wenn man den Weltpokal in die Hände bekommt? Dass Reservist Frank Mill beim Trikottausch schneller war und sich das Hemd von Maradona schnappte "als ich zur Dopingprobe musste" - vergessen und verziehen.

Seinen endgültigen Frieden machte er schon in der rauschenden Siegesnacht von Rom mit dem Kaiser. Als ihm Beckenbauer über den Weg lief, sagte Buchwald süffisant: "Weltmeister hättest Du mit mir schon in Mexiko werden können!" Die Wunde schmerzte nicht mehr, denn nun war ein großes Pflaster drauf.

Kopfballtor zur Meisterschaft

Wie fast alle Weltmeister hatte sich auch Buchwald 1990 in den Blickpunkt der großen Klubs jenseits der Alpen gespielt. Während die halbe Nationalmannschaft gen Italien zog - einige waren ohnehin schon da - verweigerte der VfB Stuttgart ihm die Freigabe. Gerne wäre er nach Parma gegangen, aber die Absage hatte ein Gutes: "Dann wäre ich 1992 nicht Deutscher Meister mit dem VfB geworden." Zum zweiten Mal schon - und dieser Titel, den er in einem emotionalen Moment sogar über den WM-Triumph stellte, war vor allem sein Werk.

Buchwald war Kapitän jener Mannschaft unter Trainer Christoph Daum und ging voran, als es am nötigsten war: am letzten Spieltag köpfte er in Leverkusen das entscheidende Tor für seine in Unterzahl spielende Mannschaft. Spätestens seit jenem 16. Mai 1992 war er eine VfB-Legende, heute ist er Ehrenspielführer des Klubs. Einen Monat später stand er bei seiner dritten EM in Schweden, nun unter Bundestrainer Berti Vogts, im Finale. Es endete mit einer Enttäuschung (0:2 gegen Dänemark) und mit damals 31 wusste er: Europameister würde er wohl nicht mehr werden.

Vogts aber gab ihm die Chance, mit schon 33 in den USA den WM-Titel zu verteidigen. Die überalterte Mannschaft scheiterte jedoch im Viertelfinale, das 1:2 gegen die Bulgaren war sein letztes Länderspiel. Endstation New York. Er hätte wie auch ein Andy Brehme oder Rudi Völler ein besseres Ende verdient. Zurück trat er nicht, noch 1995 bot er Vogts seine Dienste an, wenn Not am Mann sei. Dazu kam es nicht mehr und sie gingen im Guten auseinander, was nicht jedem gelang nach der Enttäuschung von Amerika.

"Ich hätte eher ins Ausland gehen müssen"

Das Jahr 1994 wurde in doppelter Hinsicht zur Zäsur für Buchwald, der nach elf Jahren und 325 Bundesligaspielen seinen VfB und sein Land verließ, um sein Glück in Japan zu suchen - und zu finden. "Ich hätte eher ins Ausland gehen müssen", sagte er dieser Tage im Rückblick, aber ohne Wehmut.

Bei den Urawa Red Diamonds gewann er zwar keine Titel, fand in dreieinhalb Jahren aber viele Freunde und Gefallen an dem Land, das ihn so großartig aufnahm. Weshalb er 2001 als Sportlicher Berater und danach Trainer zurückkehrte und die Diamonds zur Meisterschaft und zwei Pokalsiegen führte. Das war ein reichlicher Trost für das unglückliche Karriereende als Spieler, das er 1998 beim Karlsruher SC verbrachte und dabei seinen ersten Abstieg erleben musste.

Guido Buchwald hat nach seiner Spielerkarriere fast alles ausprobiert, was man im Fußballgeschäft machen kann. Er war wie erwähnt Trainer (u.a. Alemannia Aachen, Stuttgarter Kickers und Urawa Red Diamonds), Sportdirektor (KSC, Stuttgarter Kickers), Vorstand (Stuttgarter Kickers), Scout (VfB) und Aufsichtsrat (VfB), aber am schönsten und erfolgreichsten war es als Spieler. "Ich bin einer, der täglich den Rasen riechen muss", sagte er mal. Mit dieser Begründung lehnte er auch 2007 die Stelle eines DFB-Sportdirektors ab.

"Ich habe bisher auf der Sonnenseite des Lebens gestanden"

Heute muss er den Rasen nicht mehr riechen. Am Fußball und da besonders am VfB hängt weiterhin sein Herz, trotz Dissonanzen, die 2019 zu seinem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat führten. Bloß ist der Fußball nicht alles für den Mann, den sie "Diego" nannten. Der Horizont des Familienvaters und gelernten Elektroinstallateurs, der als Jugendlicher täglich um 5.45 Uhr aufstand, um die Lehre in Esslingen und den Fußball in Stuttgart unter einen Hut zu bringen, war schon immer etwas weiter.

Als Bundesligaprofi war er im Ruch, "sich ein Firmenimperium aufzubauen", wie VfB-Torwart Eike Immel 1992 witzelte. Buchwald war damals Besitzer oder Teilhaber diverser Unternehmen - ob Bürokommunikation, Sportgeschäft, Toto-Lotto-Annahme oder Tennishalle, überall steckte der Schwabe sein Geld rein. Denn er wusste: "Als Profifußballer kann man nun mal höchstens 15 Jahre spielen. In dieser Zeit muss man die Weichen stellen."

Das ist ihm gelungen. Heute ist er ein unabhängiger Mann, sitzt im Aufsichtsrat einer Firma, die Dokument-Management-Systeme anbietet, und kümmert sich - wie schon sehr lange - um soziale Projekte. So unterstützt er beispielsweise eine Kinderkrebsklinik in Tübingen. Und zwei-, dreimal im Jahr fliegt er nach Japan, so Corona es erlaubt, alte Freundschaften pflegen. "Ich habe bisher auf der Sonnenseite des Lebens gestanden. Ich bin gesund, fühle mich wohl und habe alles, was ich mir wünsche", sagte er am Vorabend seines Jubiläums dem sid. Sogar den Ritterschlag des Kaisers.

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Wenn Trainer gefragt werden, welchen Spieler sie aus einer erfolgreichen Mannschaft denn noch herausheben möchten, mauern sie für gewöhnlich. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Sie haben schließlich immer den Teamgedanken im Sinn, Eifersüchteleien waren dem nie förderlich. DFB-Teamchef Franz Beckenbauer hat in der Stunde seines größten Triumphes, die zugleich seine Abschiedsstunde war, eine Ausnahme von dieser Regel gemacht. Zwei Tage nach dem WM-Triumph von Rom erschien 1990 im Kicker ein Interview, in dem er nach dem überragenden Spieler befragt wurde. Seine Antwort überraschte, denn in aller Munde waren eigentlich ein Matthäus, Brehme, Völler, Klinsmann - Torschützen, Antreiber, Matchwinner.

Des Kaisers Ritterschlag erhielt indes der Mann, der heute seinen 60. Geburtstag feiert: "In meiner persönlichen Rangliste steht aber Guido Buchwald an erster Stelle. Er hat in allen Spielen mit einer unglaublichen Konstanz weit über internationalem Durchschnitt gespielt. Der Guido war unser bester Spieler bei dieser WM."

Das muss dem sympathischen Schwaben, der nur seine ersten sechs Lebensmonate in Berlin verbracht hat, wie Öl runter gegangen sein. Es war eine späte Genugtuung für ihn und die Aussöhnung mit dem Mann, der ihn vor der WM 1986 in Mexiko im letzten Moment aussortiert hatte. So hat der Kaiser für Tief- und Höhepunkt gleichermaßen in der Karriere des 76-maligen Nationalspielers gesorgt.

Debüt mit zu kurzen Ärmeln

Beckenbauer war der zweite von drei Bundestrainern, die Buchwald erlebte, denn er spielte von 1984 bis 1994 in bewegten, teils unruhigen Zeiten des deutschen Fußballs. Schon in seiner ersten Bundesligasaison avancierte Guido zum Nationalspieler, Jupp Derwall nahm ihn mit zur EM 1984 nach Frankreich, weil der hochaufgeschossene Defensivallrounder erheblichen Anteil an der Deutschen Meisterschaft des VfB Stuttgart hatte.

Niemand hatte ihm das zugetraut, schon der Wechsel von Lokalrivale Kickers zum VfB schien fatal zu sein, da auf seiner Position Weltklassevorstopper Karlheinz Förster, sein Vorbild, spielte. Doch VfB-Trainer Helmut Benthaus fand einen anderen Platz für den blondgelockten Schlacks mit den langen Beinen - im Mittelfeld - und da machte er alle 34 Ligaspiele. So kam er zum DFB, für den 1979 nur ein U-Länderspiel bestritten hatte.

Bei der Einkleidung vor dem Debüt im März 1984 gegen Italien waren prompt die Ärmel zu kurz. Die Skeptiker witzelten, die Nationalelf sei eben doch eine Nummer zu groß für ihn. Irrtum! Er schlug voll ein und als die EM losging, stand er mit der Erfahrung eines Länderspiels gegen Portugal in der Startelf. Sensationell! Für den Kicker war er der "Aufsteiger des Jahres". Guido hatte zuvor vier Jahre in der 2. Liga gespielt, manche sagen: verplempert. Nun, mit 23, ging es endlich los.

Knöchelbruch und Karriereknick

Dass die EM ein Fiasko wurde und Jupp Derwall nach dem ersten Vorrundenaus einer deutschen Mannschaft zurücktrat, war zu allerletzt Buchwalds Schuld. Trotzdem dauerte es über zwei Jahre, bis er als Nationalspieler etabliert war.

Im Juli durfte er noch mit der Olympiaauswahl nach Los Angeles fliegen und weitere internationale Erfahrungen sammeln, wenn es auch wieder ein vorzeitiges Aus - im Viertelfinale - gab. Das Jahr 1984, so schien es, war ein einziger endloser Traum. Er endete jäh als die neue Saison begann. Gleich in der ersten Minute verletzte er sich auf dem Kaiserslauterer Betzenberg schwer: Knöchelbruch, zehn Wochen Pause, erster Karriereknick mit 23.

Zwei Jahre ohne Länderspiel

Fast zwei Jahre fehlte er nun bei Länderspielen und seine Rückkehr im Frühjahr 1986 erfolgte zu spät, um den WM-Flieger nach Mexiko zu bekommen, denn andere hatten sich auf seiner Position unentbehrlich gemacht.

Einer war Lothar Matthäus, der sich 1984 noch beklagt hatte, dass Derwall Buchwald ihm vorzog. Beckenbauer traf eine andere Wahl und strich Buchwald als einen von vier Spielern aus dem vorläufigen Aufgebot. Der Kaiser gestand 1990, diese Ausmusterung habe ihn selbst "in depressive Stimmung versetzt". Auch Buchwald war verstimmt: "Ich habe Beckenbauer klar meine Meinung gesagt. Ich akzeptiere seine Entscheidung, auch wenn ich sie nicht verstehen kann."

Die Entscheidung von Kaiserau stand zwischen den beiden, aber wurde nie zum unüberwindlichen Hindernis. Beckenbauer war alt genug, einen Fehler zuzugeben und zu korrigieren, Buchwald zu jung, um zurückzutreten. Fortan verpasste er keins der nächsten vier Turniere. 1988 stand er bei der EM im eigenen Land im Team, verlor aber nach zwei Spielen seinen Stammplatz an Uli Borowka, weshalb ihm immerhin die Halbfinalschmach von Hamburg - das 1:2 gegen die Niederlande - erspart blieb.

"Du schon wieder!", zischte Maradona

Nach der EM begann seine beste Zeit im DFB-Dress. 1989 bestritt er alle Länderspiele, 1990 verpasste er vor der WM nur einen Test und während des Turniers keine Minute, elf Stunden war er in Italien am Ball. Was dort geschah, ist längst legendär. Im Achtelfinale gegen die Niederländer bereitete er beide Tore vor, das erste für seinen besten Freund aus dem WM-Team, Jürgen Klinsmann, per Übersteiger. Solche Finessen kannte man nicht von dem zuweilen hölzern wirkenden Buchwald, doch schon im Training vor der WM hatte er die Kollegen damit verblüfft und so taufte ihn Klaus Augenthaler "Diego" - nach Weltfußballer Diego Maradona.

Den Argentinier traf er im Finale von Rom, musste ihn beschatten und trieb ihn mit seiner Beharrlichkeit zur Verzweiflung. "Du schon wieder!", zischte Maradona auf Englisch. "Es war das wichtigste Spiel meines Lebens", hat er später gesagt. Wie auch nicht, wenn man den Weltpokal in die Hände bekommt? Dass Reservist Frank Mill beim Trikottausch schneller war und sich das Hemd von Maradona schnappte "als ich zur Dopingprobe musste" - vergessen und verziehen.

Seinen endgültigen Frieden machte er schon in der rauschenden Siegesnacht von Rom mit dem Kaiser. Als ihm Beckenbauer über den Weg lief, sagte Buchwald süffisant: "Weltmeister hättest Du mit mir schon in Mexiko werden können!" Die Wunde schmerzte nicht mehr, denn nun war ein großes Pflaster drauf.

Kopfballtor zur Meisterschaft

Wie fast alle Weltmeister hatte sich auch Buchwald 1990 in den Blickpunkt der großen Klubs jenseits der Alpen gespielt. Während die halbe Nationalmannschaft gen Italien zog - einige waren ohnehin schon da - verweigerte der VfB Stuttgart ihm die Freigabe. Gerne wäre er nach Parma gegangen, aber die Absage hatte ein Gutes: "Dann wäre ich 1992 nicht Deutscher Meister mit dem VfB geworden." Zum zweiten Mal schon - und dieser Titel, den er in einem emotionalen Moment sogar über den WM-Triumph stellte, war vor allem sein Werk.

Buchwald war Kapitän jener Mannschaft unter Trainer Christoph Daum und ging voran, als es am nötigsten war: am letzten Spieltag köpfte er in Leverkusen das entscheidende Tor für seine in Unterzahl spielende Mannschaft. Spätestens seit jenem 16. Mai 1992 war er eine VfB-Legende, heute ist er Ehrenspielführer des Klubs. Einen Monat später stand er bei seiner dritten EM in Schweden, nun unter Bundestrainer Berti Vogts, im Finale. Es endete mit einer Enttäuschung (0:2 gegen Dänemark) und mit damals 31 wusste er: Europameister würde er wohl nicht mehr werden.

Vogts aber gab ihm die Chance, mit schon 33 in den USA den WM-Titel zu verteidigen. Die überalterte Mannschaft scheiterte jedoch im Viertelfinale, das 1:2 gegen die Bulgaren war sein letztes Länderspiel. Endstation New York. Er hätte wie auch ein Andy Brehme oder Rudi Völler ein besseres Ende verdient. Zurück trat er nicht, noch 1995 bot er Vogts seine Dienste an, wenn Not am Mann sei. Dazu kam es nicht mehr und sie gingen im Guten auseinander, was nicht jedem gelang nach der Enttäuschung von Amerika.

"Ich hätte eher ins Ausland gehen müssen"

Das Jahr 1994 wurde in doppelter Hinsicht zur Zäsur für Buchwald, der nach elf Jahren und 325 Bundesligaspielen seinen VfB und sein Land verließ, um sein Glück in Japan zu suchen - und zu finden. "Ich hätte eher ins Ausland gehen müssen", sagte er dieser Tage im Rückblick, aber ohne Wehmut.

Bei den Urawa Red Diamonds gewann er zwar keine Titel, fand in dreieinhalb Jahren aber viele Freunde und Gefallen an dem Land, das ihn so großartig aufnahm. Weshalb er 2001 als Sportlicher Berater und danach Trainer zurückkehrte und die Diamonds zur Meisterschaft und zwei Pokalsiegen führte. Das war ein reichlicher Trost für das unglückliche Karriereende als Spieler, das er 1998 beim Karlsruher SC verbrachte und dabei seinen ersten Abstieg erleben musste.

Guido Buchwald hat nach seiner Spielerkarriere fast alles ausprobiert, was man im Fußballgeschäft machen kann. Er war wie erwähnt Trainer (u.a. Alemannia Aachen, Stuttgarter Kickers und Urawa Red Diamonds), Sportdirektor (KSC, Stuttgarter Kickers), Vorstand (Stuttgarter Kickers), Scout (VfB) und Aufsichtsrat (VfB), aber am schönsten und erfolgreichsten war es als Spieler. "Ich bin einer, der täglich den Rasen riechen muss", sagte er mal. Mit dieser Begründung lehnte er auch 2007 die Stelle eines DFB-Sportdirektors ab.

"Ich habe bisher auf der Sonnenseite des Lebens gestanden"

Heute muss er den Rasen nicht mehr riechen. Am Fußball und da besonders am VfB hängt weiterhin sein Herz, trotz Dissonanzen, die 2019 zu seinem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat führten. Bloß ist der Fußball nicht alles für den Mann, den sie "Diego" nannten. Der Horizont des Familienvaters und gelernten Elektroinstallateurs, der als Jugendlicher täglich um 5.45 Uhr aufstand, um die Lehre in Esslingen und den Fußball in Stuttgart unter einen Hut zu bringen, war schon immer etwas weiter.

Als Bundesligaprofi war er im Ruch, "sich ein Firmenimperium aufzubauen", wie VfB-Torwart Eike Immel 1992 witzelte. Buchwald war damals Besitzer oder Teilhaber diverser Unternehmen - ob Bürokommunikation, Sportgeschäft, Toto-Lotto-Annahme oder Tennishalle, überall steckte der Schwabe sein Geld rein. Denn er wusste: "Als Profifußballer kann man nun mal höchstens 15 Jahre spielen. In dieser Zeit muss man die Weichen stellen."

Das ist ihm gelungen. Heute ist er ein unabhängiger Mann, sitzt im Aufsichtsrat einer Firma, die Dokument-Management-Systeme anbietet, und kümmert sich - wie schon sehr lange - um soziale Projekte. So unterstützt er beispielsweise eine Kinderkrebsklinik in Tübingen. Und zwei-, dreimal im Jahr fliegt er nach Japan, so Corona es erlaubt, alte Freundschaften pflegen. "Ich habe bisher auf der Sonnenseite des Lebens gestanden. Ich bin gesund, fühle mich wohl und habe alles, was ich mir wünsche", sagte er am Vorabend seines Jubiläums dem sid. Sogar den Ritterschlag des Kaisers.

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