"Die Rekonvaleszenz ist eine Doping-kritische Phase"

Kein anderer deutscher Sportverband hat mehr Wettkampfkontrollen durchgeführt als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) - in der abgelaufenen Saison wurden insgesamt 886 vorgenommen. In der Addition der Trainings- und Wettkampfkontrollen kommt der DFB auf eine Zahl von 973, womit er in der aktuellen NADA-Statistik für das Jahr 2006 auf Platz zwei hinter dem Deutschen Leichtathletik-Verband liegt. Und auch weltweit ist der Fußball bislang vergleichsweise sauber.

Der Weltverband FIFA hat 2006 über 20.000 Spieler auf Doping getestet. Lediglich 0,4 Prozent der Tests zeigten einen positiven Befund, wobei mehr als zwei Drittel der positiv Getesteten sogenannte Gesellschaftsdrogen wie Kokain oder Cannabis konsumiert hatten, deren Einnahme höchstwahrscheinlich nicht dem Zweck der Leistungssteigerung diente. "Im Fußball gibt es kein flächendeckendes Doping", sagt denn auch Professor Dr. Wilfried Kindermann, der ehemalige Arzt der deutschen Nationalmannschaft.

Manchmal aber führt der leichtfertige Umgang mit Arzneimitteln zu einem positiven Befund – ein Grund dafür, dass der DFB die Teamärzte der Bundesliga- und Zweitligaklubs zu einem Anti-Doping-Symposium nach Stuttgart eingeladen hatte. Am Rande der Tagung hat DFB.de mit Professor Dr. Tim Meyer, dem Mannschaftsarzt der deutschen Nationalmannschaft, über die Gefahren des Dopings im Fußball gesprochen.

Im Exklusiv-Interview mit DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth regt Meyer unter anderem an, über eine anteilige Finanzierung der Tests durch die Profis oder ihrer Sponsoren nachzudenken. Der 39-Jährige ist seit 2001 für die internistische und leistungsphysiologische Betreuung der Nationalmannschaft verantwortlich.

Frage: Herr Meyer, schon häufiger gab es positive Befunde durch fehlende Kenntnis auf Seiten der Spieler und Ärzte. Fußballer wurden positiv getestet, weil sie Haarwuchsmittel oder Nahrungsergänzungsmittel genommen hatten. Wie groß ist die Gefahr?

Tim Meyer: Das ist in der Tat schon passiert. Auch falsch ausgefüllte Formulare führten bereits zu einem positiven Befund. Wenn ein Spieler aus gesundheitlichen Gründe auf die Einnahme eines Medikamentes angewiesen ist, kann das durchaus bewilligt werden – es muss eben nur dieses Genehmigungsverfahren durchlaufen. Die Dopingliste ändert sich jährlich. Es ist also erforderlich, sich immer auf den neuesten Stand zu bringen.

Frage: Wie bedroht ist der Fußball durch Doping?

Tim Meyer: Ich glaube, wir tun gut daran, die Gefahr nicht herunterzuspielen. Beim Fußball geht es um sehr viel Geld, das macht den Betrug attraktiv. Einzelne Komponenten der körperlichen Leistungsfähigkeit werden durch Doping gesteigert, das hat durchaus auch für den Fußball seine Gültigkeit. Durch ein dichtes Testverfahren und eine offene Informationspolitik kann man Vorbeugung leisten. Das tun wir.

Frage: Wie gut schützt sich der Fußball vor dem Missbrauch durch Doping?

Tim Meyer: Zukünftig wird es sicher stärker um den Ausbau der Trainingskontrollen gehen. Ein Schwerpunkt der Kontrollen sollte auch vom Wettkampf auf die Trainingsphasen verlagert werden. Gerade die Rekonvaleszenz ist eine kritische Phase, weil hier die Einnahme bestimmter Mittel den Zeitraum bis zur Rückkehr in die Stammelf verkürzen kann.

Frage: Vor welchen Mitteln müssen die verantwortlichen Ärzte beim Fußball besonders warnen?

Tim Meyer: Das sind die bekannten Mittel: anabole Steroide und Anabolika zur Förderung des Muskelaufbaus, dazu auch Wachstumshormone sowie die Mittel zur Förderung der Ausdauerleistung wie etwa EPO. Das sind alles potenzielle Substanzen für ein Doping im Fußball. Daneben kommen sicherlich auch Stimulanzien und andere Mittel in Betracht, stellen aber aktuell aus meiner Sicht eher eine geringere Problematik dar.

Frage: Es gibt sogar einige Stimmen, die sagen, dass aufgrund der verschwindend geringen Anzahl positiver Tests im Fußball das gesamte Verfahren nicht mehr zu rechtfertigen sei, auch mit Blick auf die finanzielle Belastung. Was sagen Sie zu diesem Standpunkt?

Tim Meyer: Die Tests müssen nicht legitimiert werden durch den Prozentsatz der positiven Proben. Dopingtests haben auch ein Potenzial der Abschreckung. Natürlich sind dafür hohe Summen fällig. Man muss aber klar herausstellen, dass die Sportler einen Vorteil davon haben, wenn sie belegen können, sauber zu sein. Warum sollten nicht die Fußballer selbst anteilig bei der Finanzierung mithelfen? Das scheint mir zumindest eine Überlegung wert.

Frage: Beraten Sie die Nationalspieler über die Gefahren des Dopings?

Tim Meyer: Die Vereinsärzte leisten hier bereits einen guten Job und informieren ihre Spieler gründlich. Im Rahmen der Nationalmannschaft suche ich das individuelle Gespräch. Da erreicht man oft mehr als durch einen Vortrag vor der versammelten Mannschaft.

Frage: Sind Sie eigentlich Radsport-Fan?

Tim Meyer: Noch nie mit ganzem Herzen, aber inzwischen aufgrund des Dopingsumpfs überhaupt nicht mehr. Wobei man sich im Klaren sein muss, dass es derartige Verstöße immer schon gab. Jetzt kommt wohl alles ans Tageslicht. Der Schaden ist riesengroß. Mal schauen, ob die Tour de France in dieser Form weiter stattfinden kann.

Frage: Hatten Sie während eines Fußballspiels selbst jemals den Verdacht, dass ein Spieler aufgrund seiner Aggressivität oder seines Laufvermögens gedopt sein muss?

Tim Meyer: Ganz ehrliche Antwort: So einen Verdacht hatte ich noch nie.

Frage: Es gibt einen Wettlauf zwischen denen, die immer neue Dopingmittel entwickeln, und denen, die das Doping aus dem Sport verbannen wollen. Welche Seite liegt ihrer Meinung nach momentan vorne?

Tim Meyer: Die meisten Mittel, über die heute diskutiert wird, haben auch eine therapeutische Wirkung. Unternehmen der Pharmaindustrie entwickeln diese Mittel also für eine reguläre und legale Anwendung. Zwar wurden offensichtlich synthetische Steroide auch explizit nur für Dopingzwecke entwickelt - Stichwort Balco in Kalifornien -, aber glücklicherweise ist das die Ausnahme. Aus Sicht des Patienten gibt es Gott sei dank immer eine Weiterentwicklung bei den Medikamenten, und insofern wird es auch immer eine Entwicklung geben bei den Substanzen, die für Doping in Frage kommen. Die Dopingkontroll-Labore stehen, soweit ich weiß, im Kontakt mit den Pharmafirmen, so dass bei einer potenziellen Dopingsubstanz das entsprechende Nachweisverfahren mitgeliefert wird. Gerade bei körpereigenen Substanzen ist der Nachweis jedoch sehr schwierig, wie etwa bei roten Blutkörperchen oder körpereigenen Hormonen.

Frage: Welche Maßnahmen muss der Fußball ergreifen?

Tim Meyer: Das Kontrollsystem muss so eng wie möglich und finanzierbar gestrickt werden. Zudem ist es für die Durchführung sogenannter intelligenter Kontrollen wünschenswert, dass sich eine oder mehrere Personen mit Sachverstand mit einer strategischen Terminierung auseinandersetzen. Darüber hinaus muss man die Aufklärungsarbeit forcieren.

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Kein anderer deutscher Sportverband hat mehr Wettkampfkontrollen durchgeführt als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) - in der abgelaufenen Saison wurden insgesamt 886 vorgenommen. In der Addition der Trainings- und Wettkampfkontrollen kommt der DFB auf eine Zahl von 973, womit er in der aktuellen NADA-Statistik für das Jahr 2006 auf Platz zwei hinter dem Deutschen Leichtathletik-Verband liegt. Und auch weltweit ist der Fußball bislang vergleichsweise sauber.

Der Weltverband FIFA hat 2006 über 20.000 Spieler auf Doping getestet. Lediglich 0,4 Prozent der Tests zeigten einen positiven Befund, wobei mehr als zwei Drittel der positiv Getesteten sogenannte Gesellschaftsdrogen wie Kokain oder Cannabis konsumiert hatten, deren Einnahme höchstwahrscheinlich nicht dem Zweck der Leistungssteigerung diente. "Im Fußball gibt es kein flächendeckendes Doping", sagt denn auch Professor Dr. Wilfried Kindermann, der ehemalige Arzt der deutschen Nationalmannschaft.

Manchmal aber führt der leichtfertige Umgang mit Arzneimitteln zu einem positiven Befund – ein Grund dafür, dass der DFB die Teamärzte der Bundesliga- und Zweitligaklubs zu einem Anti-Doping-Symposium nach Stuttgart eingeladen hatte. Am Rande der Tagung hat DFB.de mit Professor Dr. Tim Meyer, dem Mannschaftsarzt der deutschen Nationalmannschaft, über die Gefahren des Dopings im Fußball gesprochen.

Im Exklusiv-Interview mit DFB-Internetredakteur Thomas Hackbarth regt Meyer unter anderem an, über eine anteilige Finanzierung der Tests durch die Profis oder ihrer Sponsoren nachzudenken. Der 39-Jährige ist seit 2001 für die internistische und leistungsphysiologische Betreuung der Nationalmannschaft verantwortlich.

Frage: Herr Meyer, schon häufiger gab es positive Befunde durch fehlende Kenntnis auf Seiten der Spieler und Ärzte. Fußballer wurden positiv getestet, weil sie Haarwuchsmittel oder Nahrungsergänzungsmittel genommen hatten. Wie groß ist die Gefahr?

Tim Meyer: Das ist in der Tat schon passiert. Auch falsch ausgefüllte Formulare führten bereits zu einem positiven Befund. Wenn ein Spieler aus gesundheitlichen Gründe auf die Einnahme eines Medikamentes angewiesen ist, kann das durchaus bewilligt werden – es muss eben nur dieses Genehmigungsverfahren durchlaufen. Die Dopingliste ändert sich jährlich. Es ist also erforderlich, sich immer auf den neuesten Stand zu bringen.

Frage: Wie bedroht ist der Fußball durch Doping?

Tim Meyer: Ich glaube, wir tun gut daran, die Gefahr nicht herunterzuspielen. Beim Fußball geht es um sehr viel Geld, das macht den Betrug attraktiv. Einzelne Komponenten der körperlichen Leistungsfähigkeit werden durch Doping gesteigert, das hat durchaus auch für den Fußball seine Gültigkeit. Durch ein dichtes Testverfahren und eine offene Informationspolitik kann man Vorbeugung leisten. Das tun wir.

Frage: Wie gut schützt sich der Fußball vor dem Missbrauch durch Doping?

Tim Meyer: Zukünftig wird es sicher stärker um den Ausbau der Trainingskontrollen gehen. Ein Schwerpunkt der Kontrollen sollte auch vom Wettkampf auf die Trainingsphasen verlagert werden. Gerade die Rekonvaleszenz ist eine kritische Phase, weil hier die Einnahme bestimmter Mittel den Zeitraum bis zur Rückkehr in die Stammelf verkürzen kann.

Frage: Vor welchen Mitteln müssen die verantwortlichen Ärzte beim Fußball besonders warnen?

Tim Meyer: Das sind die bekannten Mittel: anabole Steroide und Anabolika zur Förderung des Muskelaufbaus, dazu auch Wachstumshormone sowie die Mittel zur Förderung der Ausdauerleistung wie etwa EPO. Das sind alles potenzielle Substanzen für ein Doping im Fußball. Daneben kommen sicherlich auch Stimulanzien und andere Mittel in Betracht, stellen aber aktuell aus meiner Sicht eher eine geringere Problematik dar.

Frage: Es gibt sogar einige Stimmen, die sagen, dass aufgrund der verschwindend geringen Anzahl positiver Tests im Fußball das gesamte Verfahren nicht mehr zu rechtfertigen sei, auch mit Blick auf die finanzielle Belastung. Was sagen Sie zu diesem Standpunkt?

Tim Meyer: Die Tests müssen nicht legitimiert werden durch den Prozentsatz der positiven Proben. Dopingtests haben auch ein Potenzial der Abschreckung. Natürlich sind dafür hohe Summen fällig. Man muss aber klar herausstellen, dass die Sportler einen Vorteil davon haben, wenn sie belegen können, sauber zu sein. Warum sollten nicht die Fußballer selbst anteilig bei der Finanzierung mithelfen? Das scheint mir zumindest eine Überlegung wert.

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Frage: Beraten Sie die Nationalspieler über die Gefahren des Dopings?

Tim Meyer: Die Vereinsärzte leisten hier bereits einen guten Job und informieren ihre Spieler gründlich. Im Rahmen der Nationalmannschaft suche ich das individuelle Gespräch. Da erreicht man oft mehr als durch einen Vortrag vor der versammelten Mannschaft.

Frage: Sind Sie eigentlich Radsport-Fan?

Tim Meyer: Noch nie mit ganzem Herzen, aber inzwischen aufgrund des Dopingsumpfs überhaupt nicht mehr. Wobei man sich im Klaren sein muss, dass es derartige Verstöße immer schon gab. Jetzt kommt wohl alles ans Tageslicht. Der Schaden ist riesengroß. Mal schauen, ob die Tour de France in dieser Form weiter stattfinden kann.

Frage: Hatten Sie während eines Fußballspiels selbst jemals den Verdacht, dass ein Spieler aufgrund seiner Aggressivität oder seines Laufvermögens gedopt sein muss?

Tim Meyer: Ganz ehrliche Antwort: So einen Verdacht hatte ich noch nie.

Frage: Es gibt einen Wettlauf zwischen denen, die immer neue Dopingmittel entwickeln, und denen, die das Doping aus dem Sport verbannen wollen. Welche Seite liegt ihrer Meinung nach momentan vorne?

Tim Meyer: Die meisten Mittel, über die heute diskutiert wird, haben auch eine therapeutische Wirkung. Unternehmen der Pharmaindustrie entwickeln diese Mittel also für eine reguläre und legale Anwendung. Zwar wurden offensichtlich synthetische Steroide auch explizit nur für Dopingzwecke entwickelt - Stichwort Balco in Kalifornien -, aber glücklicherweise ist das die Ausnahme. Aus Sicht des Patienten gibt es Gott sei dank immer eine Weiterentwicklung bei den Medikamenten, und insofern wird es auch immer eine Entwicklung geben bei den Substanzen, die für Doping in Frage kommen. Die Dopingkontroll-Labore stehen, soweit ich weiß, im Kontakt mit den Pharmafirmen, so dass bei einer potenziellen Dopingsubstanz das entsprechende Nachweisverfahren mitgeliefert wird. Gerade bei körpereigenen Substanzen ist der Nachweis jedoch sehr schwierig, wie etwa bei roten Blutkörperchen oder körpereigenen Hormonen.

Frage: Welche Maßnahmen muss der Fußball ergreifen?

Tim Meyer: Das Kontrollsystem muss so eng wie möglich und finanzierbar gestrickt werden. Zudem ist es für die Durchführung sogenannter intelligenter Kontrollen wünschenswert, dass sich eine oder mehrere Personen mit Sachverstand mit einer strategischen Terminierung auseinandersetzen. Darüber hinaus muss man die Aufklärungsarbeit forcieren.