Die erste Fanreise: Per Schiff zum Länderspiel nach England

Wenn Deutschland gegen England spielt, ist das immer etwas Besonderes (gewesen). Auch in Zeiten, als die Fußballmächte noch Welten trennten. Als die Nationalmannschaft vor 75 Jahren auf dem Tottenham-Platz zu einem Freundschaftsspiel - damals nannte man es "Gesellschaftsspiel" - antrat, titelte die Fußball Woche: "Das größte Ereignis der deutschen Fußballgeschichte".

Aus heutiger Sicht sind die Deutschen sehr froh, dass es noch größere geben sollte als jenes 0:3 in England. Aber es waren auch andere Zeiten damals: Noch hatte Deutschlands Fußball keinen allzu großen Klang in der Welt, auch wenn er im Vorjahr bei der WM 1934 mit Platz drei erstmals für internationales Aufsehen gesorgt hatte.

Für DFB.de war der Autor und Historiker Udo Muras in den Archiven - und hat Bemerkenswertes über die erste Fan-Reisegruppe der DFB-Geschichte herausgefunden. Am 2. Dezember 1935, also genau heute vor 75 Jahren, machten sich 1500 Anhänger mit dem Schiff auf den Weg auf die Insel.

England das Maß aller Dinge

England war als Mutterland des Fußballs mit seinen Vollprofis 1935 immer noch das Maß aller Dinge. Das Spiel auf dem Tottenham-Platz war erst das zweite in England - und gemessen an der Premiere 1909 in Oxford (0:9) war das Ergebnis in der Tat ehrenhaft.

In der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes hat dieses Spiel aber aus einem anderen Grund einen besonderen Stellenwert: Erstmals veranstaltete der Verband eine Schiffsreise für die Anhänger der Nationalmannschaft zu einem Länderspiel.

Das mag im dritten Jahr nach der nationalsozialistischen Machtergreifung dem Geist der Zeit entsprungen sein, die Volksgemeinschaft auf vielfältige Weise zusammenzuschweißen, aber an Politik dachten die Reiseteilnehmer in den fünf Tagen auf hoher See gewiss am wenigsten. Sie freuten sich vor allen Dingen auf ein außergewöhnliches Reiseerlebnis in ein Land, das die meisten von ihnen noch nie gesehen hatten. Es war eine echte Sensation.

"Das ist kein Aprilscherz!"



[bild1]

Wenn Deutschland gegen England spielt, ist das immer etwas Besonderes (gewesen). Auch in Zeiten, als die Fußballmächte noch Welten trennten. Als die Nationalmannschaft vor 75 Jahren auf dem Tottenham-Platz zu einem Freundschaftsspiel - damals nannte man es "Gesellschaftsspiel" - antrat, titelte die Fußball Woche: "Das größte Ereignis der deutschen Fußballgeschichte".

Aus heutiger Sicht sind die Deutschen sehr froh, dass es noch größere geben sollte als jenes 0:3 in England. Aber es waren auch andere Zeiten damals: Noch hatte Deutschlands Fußball keinen allzu großen Klang in der Welt, auch wenn er im Vorjahr bei der WM 1934 mit Platz drei erstmals für internationales Aufsehen gesorgt hatte.

Für DFB.de war der Autor und Historiker Udo Muras in den Archiven - und hat Bemerkenswertes über die erste Fan-Reisegruppe der DFB-Geschichte herausgefunden. Am 2. Dezember 1935, also genau heute vor 75 Jahren, machten sich 1500 Anhänger mit dem Schiff auf den Weg auf die Insel.

England das Maß aller Dinge

England war als Mutterland des Fußballs mit seinen Vollprofis 1935 immer noch das Maß aller Dinge. Das Spiel auf dem Tottenham-Platz war erst das zweite in England - und gemessen an der Premiere 1909 in Oxford (0:9) war das Ergebnis in der Tat ehrenhaft.

In der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes hat dieses Spiel aber aus einem anderen Grund einen besonderen Stellenwert: Erstmals veranstaltete der Verband eine Schiffsreise für die Anhänger der Nationalmannschaft zu einem Länderspiel.

Das mag im dritten Jahr nach der nationalsozialistischen Machtergreifung dem Geist der Zeit entsprungen sein, die Volksgemeinschaft auf vielfältige Weise zusammenzuschweißen, aber an Politik dachten die Reiseteilnehmer in den fünf Tagen auf hoher See gewiss am wenigsten. Sie freuten sich vor allen Dingen auf ein außergewöhnliches Reiseerlebnis in ein Land, das die meisten von ihnen noch nie gesehen hatten. Es war eine echte Sensation.

"Das ist kein Aprilscherz!"

So schrieb die Fußball Woche im September 1935: "Das ist kein Aprilscherz! Allen Ernstes beschäftigt sich ein so unternehmenslustiger und beweglicher Mann wie der Bundes-Kassenwart Stenzel - im Einverständnis mit Bundesführer Linnemann selbstverständlich - mit der Ausführung des Planes, ein großes Schiff zu chartern, das rund 1500 Interessenten für das Länderspiel England gegen Deutschland zum 4. Dezember auf dem Wasserwege nach London bringen soll."

Die Anmeldungen mussten bereits am 7.Oktober, also zwei Monate vorher, in der Berliner DFB-Zentrale eingegangen sein. Die günstigste Kabine kostete 70 Reichsmark, wer mehr Luxus wie eine eigene Badewanne haben wollte, zahlte auch mehr: 85, 100 oder gar 120 Reichsmark waren die weiteren Preisstufen.

Revolutionäre Idee von DFB-Schatzmeister Stenzel

Der revolutionäre Idee des DFB-Schatzmeisters Arthur Stenzel stieß auf große Resonanz. Als der Luxusliner Columbus am 2. Dezember 1935 unter den Klängen der schönen deutschen Weise "Muss i denn zum Städtele hinaus" abends um sechs in Bremerhaven ablegte, war er bis auf die letzte Kabine ausgebucht. 1500 Fußballfans aus dem ganzen Land waren an Bord und segelten unter grüner DFB-Flagge über den Kanal gen England.

Der Tagesplan an Bord ist überliefert: Es gab fünf Mahlzeiten pro Tag, vom Frühstück morgens um sieben bis zu den belegten Schnittchen abends um zehn, und nur die Seekrankheit dezimierte am ersten Morgen die Reihen, denn im Dezember kann die See schon mal etwas rauher sein - Windstärke sieben bis acht wurde gemessen.

Essen, Tischtennis, Tanzen und Kino

"Das Essen war Hauptbeschäftigung an Bord zu jeder Zeit. Was es da an lukullischen Genüssen gab, was da auch der verwöhnte Passagier auswählen konnte, ist unbeschreiblich", schrieb ein Mitreisender im Fachmagazin "Deutscher Fußball-Sport". Wer sich um seine Figur Sorgen machte, dem konnte geholfen werden: Das Schiff hatte eine eigene Turnhalle, es gab Tischtennisplatten und Billardtische - und jeden Abend wurde zum Tanz gespielt.

Das war für die meist männlichen Teilnehmer jedoch ein kleines Ärgernis, denn, so berichtet es der Berliner Journalist Carl Koppehel in der Fußball Woche, "das Verhältnis der Männer zu Frauen war 15:1. Nur einmal gelang es mir an den drei Tanzabenden, eine Partnerin zu erwischen, die Tochter unseres Bundesschatzmeisters Stenzel."

Wer zu kurz kam auf dem Parkett, freute sich eben im Kinosaal über die abendliche Vorführung von damals noch außergewöhnlichen Fußballfilmen. "So gab es niemals Langeweile, wohl aber neue Freundschaften unter der wesensverwandten Fußballgemeinde. Strahlend zogen die DFB-Funktionäre umher, nirgends trat ein Organisationsfehler zutage", meldete die Fußball Woche. Am Mittwoch morgen wurde die Gesellschaft bereits um fünf Uhr geweckt - die Bordkapelle spielte aufmunternd "Freut euch des Lebens" -, um in Southampton an Land zu gehen.

Begrüßungskomitee und Frühstück

Der lokale FC entsandte zu dieser frühen Stunde ein Begrüßungskomitee und servierte ein Frühstück, was die Befürchtungen über einen unfreundlichen Empfang sogleich zunichte machte. Schon weit vor Kriegsbeginn waren die Deutschen schließlich nicht sonderlich beliebt gewesen, wie sie schon bei der WM in Italien gemerkt hatten - aber davon spürten sie in England anno 1935 wenig.

Nur die Hakenkreuz-Flagge im Stadion, das die Reisenden am 4. Dezember 1935 mit Sonderzügen ab Southampton und Bussen nach zweistündiger Stadtrundfahrt erreichten, hing plötzlich auf Halbmast. "Ein Störenfried hatte sein törichtes Handwerk getrieben", monierte die Fußball Woche und druckte ein Foto ab, das einen Engländer zeigte, der den Imageschaden auch für die Gastgeber wieder behob.

Lehner trifft, der Schiedsrichter entscheidet auf Abseits

Auf dem Feld wurde weniger Rücksicht genommen. Davon überzeugten sich insgesamt rund 10.000 Deutsche an jenem regnerischen Mittwochnachmittag, der Anpfiff war um 14.30 Uhr. Die von Reichstrainer Dr. Otto Nerz betreute Nationalelf, per Flieger von Berlin am Montag in London gelandet, stand auf verlorenem Posten. Sie führte über fast die gesamte Spielzeit eine tapfere Abwehrschlacht gegen Englands nominell beste Elf seit Jahren.

Erst kurz vor der Pause wurde Hans Jakob erstmals bezwungen, Camsell setzte sich gegen Widersacher Reinhold Münzenberg durch. Nach dem Wechsel endlich Torjubel im deutschen Block, doch er erstarb schnell: Ernst Lehner soll im Abseits gestanden haben, keine Kamera hat es je aufgeklärt.

Zwei verpassen das Schiff

Die Engländer belohnten sich anschließend für ihre Feldüberlegenheit und erhöhten noch auf 3:0. Um einige Tore zu niedrig, mäkelte die eigene Presse und huldigte dem Gegner, insbesondere dem blonden Regisseur Fritz Szepan vom Schalke 04.

Die Stimmung beim deutschen Anhang litt auch unter den chaotischen Vekehrsbedingungen nach dem Spiel: Die für sie bestimmten Busse kamen nicht durch, längere Fußmärsche waren nötig, um die Sonderzüge nach Southampton zu erreichen.

Als die Columbus ablegte, fehlten drei Passagiere. Einer kam immerhin noch so rechtzeitig, dass er sie noch sah und mit einer gecharterten Barkasse hinterherfuhr, um von den Matrosen dann an Bord gehievt zu werden. Was aus den beiden anderen wurde, verschwiegen die zeitgenössischen Quellen.

"Eine schöne Fußballfahrt"

Die Fußballdemonstration durch den Lehrmeister ließ am Mittwochabend auch keine rechte Partystimmung aufkommen, und "so geht man früher als erwartet in die Zimmer", berichtet Koppehel.

Am nächsten Tag aber genossen sie das Seefahrerleben noch mal ausgiebig, ehe die erste Schiffsreise des DFB am Freitagmorgen in Bremerhaven zu Ende ging. Carl Koppehel bilanziert in der Fußball Woche: "Eine schöne Fußballfahrt war zu Ende, in schwer auszulöschender Erinnerung wird sie all denen bleiben, die an ihr teilgenommen haben."

Bei Arthur Stenzel wurde noch etwas nachgeholfen, dankbare DFB-Mitarbeiter schenkten dem Initiator ein Miniaturmodell von Christoph Columbus.