DFB trauert um Trainerikone Dietrich Weise

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) trauert um Dietrich Weise, der am Sonntag in Heilbronn im Alter von 86 Jahren gestorben ist. Weise war einer der größten Fußball-Lehrer der DFB-Geschichte, kein anderer Junioren-Nationaltrainer war so erfolgreich wie er. Auch als Bundesliga-Trainer, als Vereinstrainer im Ausland und als Cheftrainer diverser Nationalverbände hat Weise erfolgreich gearbeitet. Seine größte Qualität war die Förderung von Talenten, und eine seiner größten Leistungen wirkt bis heute fort: Das Talentförderkonzept des DFB mit dem flächendeckenden Netz an DFB-Stützpunkten basiert auf Weises Gedanken und Ideen.

Aus Anlass seines 85. Geburtstages vor einem Jahr hatte das DFB-Journal Dietrich Weise einen Tag lang begleitet und in einer Reportage sein Lebenswerk gewürdigt. Es war einer der letzten öffentlichen Auftritte Weise, der schon damals gesundheitlich angeschlagen war. Sein Tod ist für DFB.de ein trauriger Anlass, mit diesem Text erneut an sein Lebenswerk zu erinnern.

Das Lächeln wollte gar nicht mehr weichen aus seinem Gesicht, den ganzen Nachmittag nicht. An dem Samstag vor seinem 85. Geburtstag, den Dietrich Weise heute feiert, war der erfolgreichste DFB-Jugendauswahltrainer wieder voll in seinem Element. Im Kreise von rund 20 alten Wegbegleitern sah er ein Fußballspiel der Oberliga Baden-Württemberg, SU Neckarsulm gegen 1. FC Pforzheim, 600 Zuschauer. In der Halbzeit wurde er in einem grünen Retrowagen der Marke NSU Prinz 1000, der in den Sechzigerjahren in Neckarsulm serienmäßig produziert wurde, einmal um den Platz gefahren. Eine Ehrenrunde mit 85 – welchem Fußballer ist das schon beschieden? Von den Rängen prasselte der Applaus – und er winkte freundlich.

"Knefler war mein großer Lehrer"

Hier in Neckarsulm hat alles angefangen für ihn nach seiner Flucht aus Weißenfels in der DDR 1958 und der Blick zurück rechtfertigt allemal ein zufriedenes Lächeln. Zufrieden über ein Leben mit und für den Fußball, das auch ein paar Opfer forderte. Die Familie sei immer etwas zu kurz gekommen, hat er schon vor zehn Jahren gesagt. Heute lebt er allein in Heilbronn, seine Frau im hessischen Karben und der Sohn in Winterthur in der Schweiz.

Der Draht zu seiner Fußballfamilie aber glüht immer noch, wie dieser Samstag im November beweist. Die Sportunion Neckarsulm feierte das Double aus Landespokalsieg und Aufstieg in die erste Amateurliga der damaligen Spielvereinigung Neckarsulm vor 50 Jahren und lud alle ein, die daran beteiligt waren. Und Dietrich Weise, der daran nicht beteiligt war. Jedenfalls nicht direkt, "aber er hat als Spielertrainer die Basis für alles gelegt", versichert der Stuttgarter Ex-Profi Dieter Dollmann, einst Spieler unter Weise, den es kurz vor dem großen Jahr der Neckarsulmer zu höheren Aufgaben zog.

Otto Knefler, Trainer in Kaiserslautern, hatte ihn bei der Ausbildung zum Fußballlehrer in Köln kennen und schätzen gelernt und holte ihn zu sich, denn er brauchte einen Assistenten. "Er war mein großer Lehrer", gesteht Weise im Interview mit DFB.de.

"Weise-Bubis" Europa- und Weltmeister

Wir haben Dietrich Weise dabei nicht ganz für uns allein in den Katakomben des Neckarsulmer Stadions, Dollmann und Eugen Lieb sitzen mit am Tisch. Früher hat er auf sie aufgepasst, nun passen seine Neckarsulmer Weggefährten ein bisschen auf ihn auf und sind ihm zuweilen behilflich. Nach einer Augen- und einer Herz-OP fällt eben alles etwas schwerer und so leisten die Schützlinge von einst gern Chauffeurdienste und so manches mehr. Auch helfen sie beim Wiederfinden des Gesprächsfadens, denn nur zu gern schweift Weise ab in die goldenen Achtziger, als der deutsche Jugendfußball Weltspitze war – und das war ihm eine echte Genugtuung. Weise hatte immer ein Herz für die Jugend, das zeichnete ihn aus und das zahlte sich für den DFB aus.

Man schrieb das Jahr 1981, bis dahin hatte es noch keine Titel für die deutschen Junioren-Nationalmannschaften gegeben. Dann kamen die "Weise-Bubis", wie der Boulevard sie nannte, und wurden als U 18 im Juni im eigenen Land Europameister und als U 20, aber quasi in selber Besetzung in Australien Weltmeister. Namen wie Rüdiger VollbornRalf LooseMichael Zorc oder Roland Wohlfarth waren plötzlich in aller Munde, bloß nicht für lange. Noch immer hadert Weise damit, dass keiner aus seiner "treuen Truppe" eine Weltkarriere gemacht hat.  Nur Zorc (sieben Einsätze) und Wohlfarth (zwei) wurden A-Nationalspieler, spielten aber bei keinem Turnier. Weise gesteht: "Es sind zu wenige von ihnen durchgekommen, das war für mich enttäuschend."

Weil die Bundesligatrainer nicht so tickten wie er und im rauen Alltag lieber auf Erfahrung setzten. Er war da anders. Auch vor und nach seiner Zeit beim DFB (1978 bis 1983), an die ihn ein schmucker grüner Bildband vom Verband, den er zum Termin mitbrachte, noch an seine alten Tage erinnert.

Trainer in Kaiserslautern, Frankfurt und Düsseldorf

Er war auch ein Bundesligatrainer, coachte je zweimal den 1. FC Kaiserslautern und Eintracht Frankfurt und einmal die Düsseldorfer Fortuna, saß in 361 Bundesligaspielen auf der Bank. Viermal erreichte er ein Pokalfinale, zweimal, 1974 und 1975 mit Frankfurt, gewann er es. Und immer hatte er seine Mannschaft hinter sich, weil er kein Diktator war und das Gegenteil der damals noch angesagten Schleifertypen wie Zebec, Michels, Lorant oder Schafstall. Weise sagt heute: "Meine Stärke war: Ich konnte mich schnell auf Spieler einstellen und habe ihnen ihre Freiheiten gelassen. Und ich habe Fehler immer mehr bei mir gesucht als bei den Spielern." Bis heute hält der Kontakt zu den Ex-Nationalspielern Bernd Hölzenbein, Wolfgang Seel und Gerd Zewe, um nur einige zu nennen. Dollmann wirft ein: "Er hat den Spielern Vertrauen geschenkt und ihnen die Chance gegeben, ihre Stärken auszuspielen. Die Mannschaften, bei denen er war, sind doch alle besser geworden."

Das war von Anfang an so. 1969 wurde er mit gerade einmal 34 in Kaiserslautern ins kalte Wasser geworfen, sollte vier Spiele vor Schluss den Klassenerhalt sichern – und schaffte es. Aber danach musste er zurück ins zweite Glied, ehe im März 1971 sein zweiter Interimsjob beim FCK in die Festanstellung als Cheftrainer führte. Nun gewöhnte sich auch die Fachwelt an den Sachsen aus der zweiten Reihe. 1969 hatte ihn der kicker noch Dieter Weise getauft, 1971 dann Lothar Weise. Es dauerte eben etwas, bis er sich einen Namen machte. Bei den Spielern aber hatte er gleich einen Stein im Brett. Der Jugoslawe Idriz Hosic wurde so zitiert: "Ich habe in meiner ganzen Laufbahn noch keinen Trainer erlebt, der so richtig verständnisvoll und einfühlend die Stimmung seiner Spieler zu beurteilen vermag, wie Dietrich Weise. Ich will auf Deutsch sagen: So wie es jetzt ist, gehen wir alle für ihn durchs Feuer."

Mensch statt Schreihals

Weise ließ Nähe zu, führte in Kaiserslautern sogar die freie Aussprache im Rahmen einer Kaffeerunde am Montag ein. Ein moderner Trainer, der den Zeitgeist traf, wenn auch nicht den im Profifußball der Siebziger. Der Spiegel schrieb 1987 über ihn: "Immer war es ihm zuwider, in der Trainerbranche, jener Schaubude der Schreihälse und exzentrischen Gestalten, als ein typischer Vertreter seines Fachs zu gelten." Manchen galt er als zu weich. Zu den härtesten Maßnahmen, zu denen er je gegriffen haben soll, gehörte es, dass er 1983 beim FCK Andreas Brehme und Dieter Kitzmann wegen zu langer Haare zum Friseur schickte. Als es im selben Jahr in Kaiserslautern einmal kriselte und die Presse forderte: "Weise, hau endlich mal auf den Tisch", da winkte er nur ab: "Ich ändere mich nicht mehr."

Veränderungen aber strebte er zuweilen schon an. Nach sieben Jahren als Cheftrainer in der Bundesliga verließ er 1978 Düsseldorf und ging zum DFB, denn, so sagt er noch heute mit funkelnden Augen "ich wollte mal was gewinnen mit einer jungen Mannschaft." Das ist ihm dann wahrlich gelungen, wenn auch nicht auf Anhieb. Zu seinen ersten Schützlingen zählten die Spieler des Jahrgangs 1960/1961; Lothar Matthäus und Rudi Völler waren darunter. Den Titel aber holte er mit den 63-ern, trotz aller Schwierigkeiten bei der Abstellung für die Turniere, die beide während des Spielbetriebs der Bundesliga liefen. Besonders vor dem strapaziösen Australien-Trip, für den das Team bis zur Landung in Amsterdam zwölfmal die Gangway von Flugzeugen besteigen musste, wurden ihm Knüppel zwischen die Beine geworfen. "Die Vereine gaben ihre Spieler nicht heraus für die U 20-WM. Ich wollte einen Thomas von Heesen, Reinhold Mathy oder Uwe Rahn mitnehmen, aber die Bundesliga ging eben vor. Da habe ich halt meine U 18 genommen."

Dass die mit Abstand jüngste Mannschaft das Turnier gewann, war natürlich eine Bestätigung für Jugend-Freund Weise: "Dass wir Weltmeister wurden, ist nur gelungen, weil jeder jeden kannte. Das war gewachsen und kein Zufall." Aber er mahnte in der Stunde des Triumphes auch, nicht zu glauben "dass wir uns jetzt auf den Lorbeeren ausruhen dürfen. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch in den Stunden des Erfolgs technische Mängel sichtbar waren." Da war er wieder ganz Fußballlehrer und als solcher wies er im Oktober 1981 darauf hin, dass es bei einer Jugend-WM "vorrangig nicht um stolze Titel, sondern um die Zukunft des Fußballs" gehe.

Korb für Hoeneß und Bayern

Die hatte er immer im Sinn und sie fördern zu können, war stets ein wichtiger Faktor bei der Wahl seines Arbeitsplatzes. Vielleicht auch deshalb zerschlug sich der Kontakt zu den Bayern, Uli Hoeneß hatte nämlich mal angefragt. Weise geht nicht näher darauf ein, ist alles schon so lange her. Seinem Faible für Talente, wirft Eugen Lieb ein, verdanke Weltmeister Thomas Berthold übrigens seine große Karriere. Weise habe als Eintracht-Trainer Franz Beckenbauer immer in den Ohren damit gelegen, Berthold mit erst 20 Jahren mit nach Mexiko zu nehmen. Weise schmunzelt dabei nur wissend vor sich hin und schwärmt auf die Frage nach dem größten Talent unter seiner Ägide lieber von Ralf Falkenmayer, der andere Überflieger in seiner zweiten Frankfurter Zeit (1983 bis 1986). "Er war ja nur ein Hänfling und alle fragten mich: Was willst Du mit dem, wenn wir gegen Italiener oder Schotten spielen? Aber ich sah, dass er andere Qualitäten hat." Auch der filigrane Techniker Falkenmayer brachte es zum Nationalspieler, 1984 stand er in Jupp Derwalls EM-Kader.

Die Frankfurter Mannschaft, die 1984 noch den Klassenverbleib schaffte, bestand ohnehin aus einem Haufen junger Wilder. Weise ging mit ihnen volles Risiko und wieder zahlte es sich aus, in der Relegation gewannen sie in Duisburg mit dem Mut der Unbekümmerten 5:0! Die Fähigkeit, mit Geduld etwas aufzubauen, verhalf ihm auch zu seinen internationalen Jobs am Abend der Karriere. Seinem Rauswurf in Frankfurt im Herbst 1986, als er sich wie schon in Kaiserslautern mit dem Vorstand überwarf, folgte die nächste Wende zum Guten. Weise nahm 1987 ein Angebot aus Ägypten an und wurde, obwohl es "dort mit der Sprache am schlimmsten war, da kam man auch mit Englisch nicht weit", mit Al-Ahly Kairo 1988 Asien-Cup-Sieger und 1989 Meister und Pokalsieger.

Von Ägypten nach Liechtenstein

Diese Triumphe brachten ihm den Job des ägyptischen Nationaltrainers ein, den er aber nur kurz bekleidete. Denn Europa rief wieder, wenn auch nicht gerade eine Hochburg des Fußballs. Das kleine Liechtenstein suchte einen Nationaltrainer, Günter Netzer vermittelte den Kontakt, und wieder reizte es Weise, etwas aufzubauen. Er begründet seinen damals mit allgemeiner Verwunderung begleiteten Schritt: "Bei Liechtenstein hat mich gereizt, ob es wirklich machbar war. Die hatten ja nie auch nur ansatzweise die Chance gehabt, an einem Turnier teilzunehmen. Es hat mich am meisten überrascht zu sehen: Die sind ja gar nicht so schlecht." Sie waren sogar so gut, Irland die Teilnahme an der EM 1996 zu vermasseln durch ein 0:0 in Vaduz, wo auf Betreiben Weises hin ein Stadion gebaut wurde, in dem sie heute noch spielen.

"Er war der Herberger von Liechtenstein", erklärt uns Eugen Lieb mit bedeutungsvoller Miene. 1996 setzte sich der Pionier und Entwickler Weise zur Ruhe, aber ruhig blieb er nicht. Im Oktober 1997 legte er dem DFB, der sich damals um den Nachwuchs für die Nationalmannschaft sorgte, ein Konzept vor, betitelt "Maßnahmen zur effektiven Talentsichtung und Förderung". Seine Kernthesen: zu wenig Ballschulung der Jugend, kein flächendeckendes Scoutingsystem. Das Papier blieb noch ein Weilchen liegen, doch als Deutschland bei der WM 1998 im Viertelfinale mit der ältesten Mannschaft der DFB-Historie ausschied, holten sie es aus dem Tresor.

Das DFB-Präsidium genehmigte Weises Konzept, für 3,2 Millionen Mark sollten landesweit 120 Stützpunkte errichtet werden, auf dass kein Talent unentdeckt bliebe, bloß weil es am falschen Ort wohne. Weise selbst kümmerte sich darum, dass Bürgermeister im Winter Turnhallen öffneten und Platzwarte ihre Rasenplätze freigaben. Er warb Ex-Nationalspieler als Stützpunkttrainer an und so bekamen 3000 Talente jede Woche zwei Stunden zusätzliches Training. Es war der letzte Liebesdienst Dietrich Weises, der nach seinem Triumph von 1981 das Bundesverdienstkreuz erhielt, für die Fußballjugend, die ihm stets am Herzen lag. Zum Schluss muss er uns noch die Frage beantworten, ob er denn gern Bundestrainer geworden wäre. "Nun ja, ich habe darüber nachgedacht."

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Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) trauert um Dietrich Weise, der am Sonntag in Heilbronn im Alter von 86 Jahren gestorben ist. Weise war einer der größten Fußball-Lehrer der DFB-Geschichte, kein anderer Junioren-Nationaltrainer war so erfolgreich wie er. Auch als Bundesliga-Trainer, als Vereinstrainer im Ausland und als Cheftrainer diverser Nationalverbände hat Weise erfolgreich gearbeitet. Seine größte Qualität war die Förderung von Talenten, und eine seiner größten Leistungen wirkt bis heute fort: Das Talentförderkonzept des DFB mit dem flächendeckenden Netz an DFB-Stützpunkten basiert auf Weises Gedanken und Ideen.

Aus Anlass seines 85. Geburtstages vor einem Jahr hatte das DFB-Journal Dietrich Weise einen Tag lang begleitet und in einer Reportage sein Lebenswerk gewürdigt. Es war einer der letzten öffentlichen Auftritte Weise, der schon damals gesundheitlich angeschlagen war. Sein Tod ist für DFB.de ein trauriger Anlass, mit diesem Text erneut an sein Lebenswerk zu erinnern.

Das Lächeln wollte gar nicht mehr weichen aus seinem Gesicht, den ganzen Nachmittag nicht. An dem Samstag vor seinem 85. Geburtstag, den Dietrich Weise heute feiert, war der erfolgreichste DFB-Jugendauswahltrainer wieder voll in seinem Element. Im Kreise von rund 20 alten Wegbegleitern sah er ein Fußballspiel der Oberliga Baden-Württemberg, SU Neckarsulm gegen 1. FC Pforzheim, 600 Zuschauer. In der Halbzeit wurde er in einem grünen Retrowagen der Marke NSU Prinz 1000, der in den Sechzigerjahren in Neckarsulm serienmäßig produziert wurde, einmal um den Platz gefahren. Eine Ehrenrunde mit 85 – welchem Fußballer ist das schon beschieden? Von den Rängen prasselte der Applaus – und er winkte freundlich.

"Knefler war mein großer Lehrer"

Hier in Neckarsulm hat alles angefangen für ihn nach seiner Flucht aus Weißenfels in der DDR 1958 und der Blick zurück rechtfertigt allemal ein zufriedenes Lächeln. Zufrieden über ein Leben mit und für den Fußball, das auch ein paar Opfer forderte. Die Familie sei immer etwas zu kurz gekommen, hat er schon vor zehn Jahren gesagt. Heute lebt er allein in Heilbronn, seine Frau im hessischen Karben und der Sohn in Winterthur in der Schweiz.

Der Draht zu seiner Fußballfamilie aber glüht immer noch, wie dieser Samstag im November beweist. Die Sportunion Neckarsulm feierte das Double aus Landespokalsieg und Aufstieg in die erste Amateurliga der damaligen Spielvereinigung Neckarsulm vor 50 Jahren und lud alle ein, die daran beteiligt waren. Und Dietrich Weise, der daran nicht beteiligt war. Jedenfalls nicht direkt, "aber er hat als Spielertrainer die Basis für alles gelegt", versichert der Stuttgarter Ex-Profi Dieter Dollmann, einst Spieler unter Weise, den es kurz vor dem großen Jahr der Neckarsulmer zu höheren Aufgaben zog.

Otto Knefler, Trainer in Kaiserslautern, hatte ihn bei der Ausbildung zum Fußballlehrer in Köln kennen und schätzen gelernt und holte ihn zu sich, denn er brauchte einen Assistenten. "Er war mein großer Lehrer", gesteht Weise im Interview mit DFB.de.

"Weise-Bubis" Europa- und Weltmeister

Wir haben Dietrich Weise dabei nicht ganz für uns allein in den Katakomben des Neckarsulmer Stadions, Dollmann und Eugen Lieb sitzen mit am Tisch. Früher hat er auf sie aufgepasst, nun passen seine Neckarsulmer Weggefährten ein bisschen auf ihn auf und sind ihm zuweilen behilflich. Nach einer Augen- und einer Herz-OP fällt eben alles etwas schwerer und so leisten die Schützlinge von einst gern Chauffeurdienste und so manches mehr. Auch helfen sie beim Wiederfinden des Gesprächsfadens, denn nur zu gern schweift Weise ab in die goldenen Achtziger, als der deutsche Jugendfußball Weltspitze war – und das war ihm eine echte Genugtuung. Weise hatte immer ein Herz für die Jugend, das zeichnete ihn aus und das zahlte sich für den DFB aus.

Man schrieb das Jahr 1981, bis dahin hatte es noch keine Titel für die deutschen Junioren-Nationalmannschaften gegeben. Dann kamen die "Weise-Bubis", wie der Boulevard sie nannte, und wurden als U 18 im Juni im eigenen Land Europameister und als U 20, aber quasi in selber Besetzung in Australien Weltmeister. Namen wie Rüdiger VollbornRalf LooseMichael Zorc oder Roland Wohlfarth waren plötzlich in aller Munde, bloß nicht für lange. Noch immer hadert Weise damit, dass keiner aus seiner "treuen Truppe" eine Weltkarriere gemacht hat.  Nur Zorc (sieben Einsätze) und Wohlfarth (zwei) wurden A-Nationalspieler, spielten aber bei keinem Turnier. Weise gesteht: "Es sind zu wenige von ihnen durchgekommen, das war für mich enttäuschend."

Weil die Bundesligatrainer nicht so tickten wie er und im rauen Alltag lieber auf Erfahrung setzten. Er war da anders. Auch vor und nach seiner Zeit beim DFB (1978 bis 1983), an die ihn ein schmucker grüner Bildband vom Verband, den er zum Termin mitbrachte, noch an seine alten Tage erinnert.

Trainer in Kaiserslautern, Frankfurt und Düsseldorf

Er war auch ein Bundesligatrainer, coachte je zweimal den 1. FC Kaiserslautern und Eintracht Frankfurt und einmal die Düsseldorfer Fortuna, saß in 361 Bundesligaspielen auf der Bank. Viermal erreichte er ein Pokalfinale, zweimal, 1974 und 1975 mit Frankfurt, gewann er es. Und immer hatte er seine Mannschaft hinter sich, weil er kein Diktator war und das Gegenteil der damals noch angesagten Schleifertypen wie Zebec, Michels, Lorant oder Schafstall. Weise sagt heute: "Meine Stärke war: Ich konnte mich schnell auf Spieler einstellen und habe ihnen ihre Freiheiten gelassen. Und ich habe Fehler immer mehr bei mir gesucht als bei den Spielern." Bis heute hält der Kontakt zu den Ex-Nationalspielern Bernd Hölzenbein, Wolfgang Seel und Gerd Zewe, um nur einige zu nennen. Dollmann wirft ein: "Er hat den Spielern Vertrauen geschenkt und ihnen die Chance gegeben, ihre Stärken auszuspielen. Die Mannschaften, bei denen er war, sind doch alle besser geworden."

Das war von Anfang an so. 1969 wurde er mit gerade einmal 34 in Kaiserslautern ins kalte Wasser geworfen, sollte vier Spiele vor Schluss den Klassenerhalt sichern – und schaffte es. Aber danach musste er zurück ins zweite Glied, ehe im März 1971 sein zweiter Interimsjob beim FCK in die Festanstellung als Cheftrainer führte. Nun gewöhnte sich auch die Fachwelt an den Sachsen aus der zweiten Reihe. 1969 hatte ihn der kicker noch Dieter Weise getauft, 1971 dann Lothar Weise. Es dauerte eben etwas, bis er sich einen Namen machte. Bei den Spielern aber hatte er gleich einen Stein im Brett. Der Jugoslawe Idriz Hosic wurde so zitiert: "Ich habe in meiner ganzen Laufbahn noch keinen Trainer erlebt, der so richtig verständnisvoll und einfühlend die Stimmung seiner Spieler zu beurteilen vermag, wie Dietrich Weise. Ich will auf Deutsch sagen: So wie es jetzt ist, gehen wir alle für ihn durchs Feuer."

Mensch statt Schreihals

Weise ließ Nähe zu, führte in Kaiserslautern sogar die freie Aussprache im Rahmen einer Kaffeerunde am Montag ein. Ein moderner Trainer, der den Zeitgeist traf, wenn auch nicht den im Profifußball der Siebziger. Der Spiegel schrieb 1987 über ihn: "Immer war es ihm zuwider, in der Trainerbranche, jener Schaubude der Schreihälse und exzentrischen Gestalten, als ein typischer Vertreter seines Fachs zu gelten." Manchen galt er als zu weich. Zu den härtesten Maßnahmen, zu denen er je gegriffen haben soll, gehörte es, dass er 1983 beim FCK Andreas Brehme und Dieter Kitzmann wegen zu langer Haare zum Friseur schickte. Als es im selben Jahr in Kaiserslautern einmal kriselte und die Presse forderte: "Weise, hau endlich mal auf den Tisch", da winkte er nur ab: "Ich ändere mich nicht mehr."

Veränderungen aber strebte er zuweilen schon an. Nach sieben Jahren als Cheftrainer in der Bundesliga verließ er 1978 Düsseldorf und ging zum DFB, denn, so sagt er noch heute mit funkelnden Augen "ich wollte mal was gewinnen mit einer jungen Mannschaft." Das ist ihm dann wahrlich gelungen, wenn auch nicht auf Anhieb. Zu seinen ersten Schützlingen zählten die Spieler des Jahrgangs 1960/1961; Lothar Matthäus und Rudi Völler waren darunter. Den Titel aber holte er mit den 63-ern, trotz aller Schwierigkeiten bei der Abstellung für die Turniere, die beide während des Spielbetriebs der Bundesliga liefen. Besonders vor dem strapaziösen Australien-Trip, für den das Team bis zur Landung in Amsterdam zwölfmal die Gangway von Flugzeugen besteigen musste, wurden ihm Knüppel zwischen die Beine geworfen. "Die Vereine gaben ihre Spieler nicht heraus für die U 20-WM. Ich wollte einen Thomas von Heesen, Reinhold Mathy oder Uwe Rahn mitnehmen, aber die Bundesliga ging eben vor. Da habe ich halt meine U 18 genommen."

Dass die mit Abstand jüngste Mannschaft das Turnier gewann, war natürlich eine Bestätigung für Jugend-Freund Weise: "Dass wir Weltmeister wurden, ist nur gelungen, weil jeder jeden kannte. Das war gewachsen und kein Zufall." Aber er mahnte in der Stunde des Triumphes auch, nicht zu glauben "dass wir uns jetzt auf den Lorbeeren ausruhen dürfen. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch in den Stunden des Erfolgs technische Mängel sichtbar waren." Da war er wieder ganz Fußballlehrer und als solcher wies er im Oktober 1981 darauf hin, dass es bei einer Jugend-WM "vorrangig nicht um stolze Titel, sondern um die Zukunft des Fußballs" gehe.

Korb für Hoeneß und Bayern

Die hatte er immer im Sinn und sie fördern zu können, war stets ein wichtiger Faktor bei der Wahl seines Arbeitsplatzes. Vielleicht auch deshalb zerschlug sich der Kontakt zu den Bayern, Uli Hoeneß hatte nämlich mal angefragt. Weise geht nicht näher darauf ein, ist alles schon so lange her. Seinem Faible für Talente, wirft Eugen Lieb ein, verdanke Weltmeister Thomas Berthold übrigens seine große Karriere. Weise habe als Eintracht-Trainer Franz Beckenbauer immer in den Ohren damit gelegen, Berthold mit erst 20 Jahren mit nach Mexiko zu nehmen. Weise schmunzelt dabei nur wissend vor sich hin und schwärmt auf die Frage nach dem größten Talent unter seiner Ägide lieber von Ralf Falkenmayer, der andere Überflieger in seiner zweiten Frankfurter Zeit (1983 bis 1986). "Er war ja nur ein Hänfling und alle fragten mich: Was willst Du mit dem, wenn wir gegen Italiener oder Schotten spielen? Aber ich sah, dass er andere Qualitäten hat." Auch der filigrane Techniker Falkenmayer brachte es zum Nationalspieler, 1984 stand er in Jupp Derwalls EM-Kader.

Die Frankfurter Mannschaft, die 1984 noch den Klassenverbleib schaffte, bestand ohnehin aus einem Haufen junger Wilder. Weise ging mit ihnen volles Risiko und wieder zahlte es sich aus, in der Relegation gewannen sie in Duisburg mit dem Mut der Unbekümmerten 5:0! Die Fähigkeit, mit Geduld etwas aufzubauen, verhalf ihm auch zu seinen internationalen Jobs am Abend der Karriere. Seinem Rauswurf in Frankfurt im Herbst 1986, als er sich wie schon in Kaiserslautern mit dem Vorstand überwarf, folgte die nächste Wende zum Guten. Weise nahm 1987 ein Angebot aus Ägypten an und wurde, obwohl es "dort mit der Sprache am schlimmsten war, da kam man auch mit Englisch nicht weit", mit Al-Ahly Kairo 1988 Asien-Cup-Sieger und 1989 Meister und Pokalsieger.

Von Ägypten nach Liechtenstein

Diese Triumphe brachten ihm den Job des ägyptischen Nationaltrainers ein, den er aber nur kurz bekleidete. Denn Europa rief wieder, wenn auch nicht gerade eine Hochburg des Fußballs. Das kleine Liechtenstein suchte einen Nationaltrainer, Günter Netzer vermittelte den Kontakt, und wieder reizte es Weise, etwas aufzubauen. Er begründet seinen damals mit allgemeiner Verwunderung begleiteten Schritt: "Bei Liechtenstein hat mich gereizt, ob es wirklich machbar war. Die hatten ja nie auch nur ansatzweise die Chance gehabt, an einem Turnier teilzunehmen. Es hat mich am meisten überrascht zu sehen: Die sind ja gar nicht so schlecht." Sie waren sogar so gut, Irland die Teilnahme an der EM 1996 zu vermasseln durch ein 0:0 in Vaduz, wo auf Betreiben Weises hin ein Stadion gebaut wurde, in dem sie heute noch spielen.

"Er war der Herberger von Liechtenstein", erklärt uns Eugen Lieb mit bedeutungsvoller Miene. 1996 setzte sich der Pionier und Entwickler Weise zur Ruhe, aber ruhig blieb er nicht. Im Oktober 1997 legte er dem DFB, der sich damals um den Nachwuchs für die Nationalmannschaft sorgte, ein Konzept vor, betitelt "Maßnahmen zur effektiven Talentsichtung und Förderung". Seine Kernthesen: zu wenig Ballschulung der Jugend, kein flächendeckendes Scoutingsystem. Das Papier blieb noch ein Weilchen liegen, doch als Deutschland bei der WM 1998 im Viertelfinale mit der ältesten Mannschaft der DFB-Historie ausschied, holten sie es aus dem Tresor.

Das DFB-Präsidium genehmigte Weises Konzept, für 3,2 Millionen Mark sollten landesweit 120 Stützpunkte errichtet werden, auf dass kein Talent unentdeckt bliebe, bloß weil es am falschen Ort wohne. Weise selbst kümmerte sich darum, dass Bürgermeister im Winter Turnhallen öffneten und Platzwarte ihre Rasenplätze freigaben. Er warb Ex-Nationalspieler als Stützpunkttrainer an und so bekamen 3000 Talente jede Woche zwei Stunden zusätzliches Training. Es war der letzte Liebesdienst Dietrich Weises, der nach seinem Triumph von 1981 das Bundesverdienstkreuz erhielt, für die Fußballjugend, die ihm stets am Herzen lag. Zum Schluss muss er uns noch die Frage beantworten, ob er denn gern Bundestrainer geworden wäre. "Nun ja, ich habe darüber nachgedacht."

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