DFB-Teampsychologe Hermann über erfolgreiches Coaching

Hans-Dieter Hermann betreut seit mehr als einem Jahrzehnt die deutsche Nationalmannschaft. Als Philipp Lahm am 13. Juli 2014 im Maracana den WM-Pokal überreicht bekam, war das auch für den 54 Jahre alten Sportpsychologen ein besonderer Moment. Der Lohn der Arbeit, des Nachdenkens und Einfühlens, seines Coachings der besten Fußballmannschaft der Welt.

Nun hat er gemeinsam mit Dr. Jan Meyer, der unter anderem 1899 Hoffenheim berät, ein Buch geschrieben: "Make them go – Was wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können". DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth fragte nach, was wir lernen können – etwa auch für den Amateurfußball.

DFB.de: Herr Dr. Hermann, wie oft wurden Sie nach Brasilien gefragt, was psychologisch den Ausschlag für den WM-Gewinn gegeben habe?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Schwierig, eine Zahl zu nennen, aber die Frage kam in den Wochen nach der WM ständig.

DFB.de: Und: Was war der entscheidende Faktor?

Hermann: Viele Faktoren haben beigetragen, sie waren alle bedeutsam. Besonders wichtig erschien mir jedoch, dass wirklich jedes Mitglied dieses WM-Kaders – auch jeder Führungsspieler – bereit war, für den Mannschaftserfolg eigene Interessen zurück zu stellen.

DFB.de: Der Trainer, der der Mannschaft seinen Willen aufzwingt. Der Kapitän und zwei, drei andere Führungsspieler, die alle durch Rumbrüllen mitreißen. Das sind ja so beliebte Vorstellungen. Ist dieser Führungsstil durch den vierten Stern in Brasilien passé?

Hermann: Passé ist er nicht. Außerdem kann genau dieser Stil situativ durchaus zielführend sein. Um aber langfristig mit einer Mannschaft erfolgreich zu sein, braucht es andere Führungsinstrumente und Vorgehensweisen. Durch den Erfolg des deutschen Teams fand der in erster Linie inspirierende und wertschätzende Führungsstil – wie ihn Joachim Löw verkörpert – viel Anerkennung. Nicht nur im Sport, sondern auch bei Führungskräften in der Wirtschaft.



Hans-Dieter Hermann betreut seit mehr als einem Jahrzehnt die deutsche Nationalmannschaft. Als Philipp Lahm am 13. Juli 2014 im Maracana den WM-Pokal überreicht bekam, war das auch für den 54 Jahre alten Sportpsychologen ein besonderer Moment. Der Lohn der Arbeit, des Nachdenkens und Einfühlens, seines Coachings der besten Fußballmannschaft der Welt.

Nun hat er gemeinsam mit Dr. Jan Meyer, der unter anderem 1899 Hoffenheim berät, ein Buch geschrieben: "Make them go – Was wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können". DFB.de-Redakteur Thomas Hackbarth fragte nach, was wir lernen können – etwa auch für den Amateurfußball.

DFB.de: Herr Dr. Hermann, wie oft wurden Sie nach Brasilien gefragt, was psychologisch den Ausschlag für den WM-Gewinn gegeben habe?

Dr. Hans-Dieter Hermann: Schwierig, eine Zahl zu nennen, aber die Frage kam in den Wochen nach der WM ständig.

DFB.de: Und: Was war der entscheidende Faktor?

Hermann: Viele Faktoren haben beigetragen, sie waren alle bedeutsam. Besonders wichtig erschien mir jedoch, dass wirklich jedes Mitglied dieses WM-Kaders – auch jeder Führungsspieler – bereit war, für den Mannschaftserfolg eigene Interessen zurück zu stellen.

DFB.de: Der Trainer, der der Mannschaft seinen Willen aufzwingt. Der Kapitän und zwei, drei andere Führungsspieler, die alle durch Rumbrüllen mitreißen. Das sind ja so beliebte Vorstellungen. Ist dieser Führungsstil durch den vierten Stern in Brasilien passé?

Hermann: Passé ist er nicht. Außerdem kann genau dieser Stil situativ durchaus zielführend sein. Um aber langfristig mit einer Mannschaft erfolgreich zu sein, braucht es andere Führungsinstrumente und Vorgehensweisen. Durch den Erfolg des deutschen Teams fand der in erster Linie inspirierende und wertschätzende Führungsstil – wie ihn Joachim Löw verkörpert – viel Anerkennung. Nicht nur im Sport, sondern auch bei Führungskräften in der Wirtschaft.

DFB.de: In ihrem neuesten Buch "Make them Go" beschreiben Sie Ihr Prinzip der transformationalen Führung. Was verstehen Sie darunter?

Hermann: Der Begriff der transformationalen Führung geht auf J.M. Burns zurück und ist mittlerweile fast 40 Jahre alt. Aber erst in den letzten Jahren findet er verstärkte Beachtung auch für die Praxis in Unternehmen und Organisationen. Transformationales Führen geht über das Führen durch Ziele hinaus, da Führungskräfte durch Vermittlung von Sinn, Inspiration und Wertschätzung eine erhöhte Leistungsbereitschaft bei ihren Mitarbeitern erzeugen.

DFB.de: Viel wurde über die besondere Stimmung im Teamquartier der deutschen Mannschaft geschrieben. Wie hat Ihnen das Campo Bahia gefallen?

Hermann: Das Campo war perfekt. Es war aufgrund seiner Anlage und Struktur genau das, was die Mannschaft als Rückzugs- und Vorbereitungsort gebraucht hat.

DFB.de: Wie findet und bildet sich ein Team?

Hermann: Oh, da gibt es viele theoretische Abhandlungen darüber, mit denen ich Sie hier nicht langweilen möchte. In jedem Fall ist es ein längerer Prozess, bis sich ein stabiles Team findet. Bis dahin sind nicht selten Schwierigkeiten und Konflikte zu überwinden. In manchen Mannschaften hat man das Gefühl, dass dieser Prozess nie abgeschlossen wurde, weil Positionen nicht akzeptiert und immer wieder neu verhandelt werden. Es braucht Zeit und von allen akzeptierte Regeln, bis das notwendige Vertrauen entsteht – Vertrauen untereinander wie auch in die Leistungsfähigkeit der Gruppe. Sportpsychologische Teambuildingmaßnahmen setzen hier an und können den Prozess beschleunigen und den Teamzusammenhalt stärken.

DFB.de: Und wie war das im vergangenen Sommer?

Hermann: Von der Teamentwicklung her?

DFB.de: Genau.

Hermann: Unproblematisch! Die Sportliche Leitung hat das Team über Jahre geformt, die Rollen innerhalb des Teams waren untereinander akzeptiert.

DFB.de: Wie wichtig war Per Mertesackers Eistonnen-Interview nach dem Achtelfinale für das letzte Zusammenschweißen?

Hermann: Die Jungs waren zu diesem Zeitpunkt schon eine echte Gemeinschaft mit klarer Zielorientierung. Aber Per hat allen aus dem Herzen gesprochen und mit den Äußerungen auch im Mannschaftskreis später für große Heiterkeit gesorgt.

DFB.de: Gab es für Sie einen Moment als Sie dachten: "Ja, den Titel kann uns keiner mehr nehmen"?

Hermann: Obwohl man sich natürlich nie ganz sicher sein kann, war ich unmittelbar nach dem Viertelfinalspiel gegen Frankreich noch in der Kabine überzeugt: Diese Mannschaft gewinnt die WM. Und mein Eindruck war, dass der Großteil der Spieler spätestens jetzt das Gleiche dachte.

DFB.de: Sie schreiben über die Wirkung stellvertretender Erfahrung, der Praxis in sensu. Wieviel kann ein Spitzensportler vor dem Bildschirm lernen?

Hermann: Stellvertretende Erfahrung "in sensu" – übersetzt: in Gedanken – muss nicht unbedingt bedeuten, dass dabei ein Bildschirm oder andere technische Unterstützung zum Einsatz kommt. Das geht auch allein mit Hilfe unseres Vorstellungsvermögens. Unser Gehirn unterscheidet beim Lernen zunächst nicht zwischen realen Erfahrungen und Erfahrungen, die nur in unserer Vorstellung stattfinden. Das merken Sie etwa, wenn Sie nachts nach einem unangenehmen Traum aufwachen und einen kurzen Moment brauchen, um sich darüber klar zu werden, dass das Geträumte gerade nicht wirklich passiert ist. Diesen Effekt kann man nutzen, um reale Situationen in der Vorstellung zu trainieren. Der Vorteil dabei ist insbesondere die hohe Wiederholungszahl und die Abwesenheit von Störeinflüssen. Das Gehirn macht dabei Bewegungserfahrung, ohne dass der Körper tatsächlich aktiv ist. Grundsätzlich ist das auf alle Abläufe anwendbar, die im Fußball eine Rolle spielen. Selbstverständlich ist es nur eine Ergänzung und kein Ersatz für das Training auf dem Platz.

DFB.de: Über Eintracht Frankfurts Alex Meier wird berichtet, er schaue sich am Tag nach dem Spiel nochmal jeden Torabschluss an. Ist das sinnvoll?

Hermann: Ja, definitiv! Und zwar nicht nur aus motivationalen Gründen. Wie eben schon erwähnt: Wenn er seine Videos dazu nutzt, um seine Abläufe nochmal durchzugehen und zu vertiefen, ist das absolut sinnvoll – dafür gibt es auch entsprechende wissenschaftliche Belege. Das kann sowohl im Rahmen eines Vorstellungstrainings passieren, aber auch um Verbesserungspotenziale zu erkennen und die erforderlichen Maßnahmen entsprechend ins Training zu integrieren. Der Zeitpunkt ist übrigens auch sehr gut geeignet. Am Tag nach dem Spiel sind die größten Emotionen weg, aber die Erinnerungen noch sehr frisch und präsent.

DFB.de: In "Make them go" beschreiben Sie auch die Technik des gesteuerten Selbstgesprächs. Worauf kommt es dabei an?

Hermann: Der Begriff "Selbstgespräch" irritiert manche. Er steht für das innere Gespräch mit uns selbst, das wir eigentlich immer führen, wenn wir wach sind. Das muss nicht bedeuten, dass andere davon etwas mitbekommen. Die Technik zielt also auf die unterstützende Steuerung der eigenen Gedanken. Am Anfang steht dabei vor allem die Frage, "Welche Gedanken helfen mir in einer bestimmten Situation?" etwa kurz vor dem Spielbeginn. Für viele sind das motivierende oder handlungssteuernde Gedanken oder die Konzentration auf die eigenen Stärken. Wenn ich mir erarbeitet habe, welche Gedanken für mich hilfreich sind, kann ich dann durch regelmäßiges und gezieltes Training dafür sorgen, dass diese Gedanken mein Bewusstsein beim Anpfiff in die richtige Richtung steuern.

DFB.de: Warum motiviert uns die Hoffnung auf Erfolg stärker als die Furcht vor dem Misserfolg? Oder ist das abhängig vom jeweiligen Typ?

Hermann: Der Unterschied zwischen Hoffnung auf Erfolg und Furcht vor Misserfolg liegt weniger in der Motivationsstärke als in der Motivationsrichtung. Man könnte grob sagen, Furcht vor Misserfolg motiviert zum Bremsen und Hoffnung auf Erfolg motiviert zum Gas geben. Wenn ich Furcht vor Misserfolg habe, liegt der gedankliche Fokus auf den Risiken, die ich eingehe und möglichen negativen Konsequenzen. Deshalb versuche ich vor allem Fehler zu vermeiden, Niederlagen aus dem Weg zu gehen. Das kann ich auch dadurch erreichen, in dem ich schwierigen Situationen einfach generell aus dem Weg gehe. Dieser Fokus kann sehr lähmend sein. Bei der Hoffnung auf Erfolg sehe ich vor allem die Chancen in einer Situation. Ich konzentriere mich in erster Linie auf die Ausführung der Handlung. Dieser Fokus in Verbindung mit einem positiven Ziel hilft dabei, vorhandene Potenziale auszuschöpfen.

DFB.de: Jürgen Klopp hat mal beschrieben, dass er in der Nacht nach der ersten Dortmunder Meisterschaft mit seinem durchfallerkrankten Hund im Garten gestanden habe. Bei strömendem Regen. Eine gute Erfahrung, oder?

Hermann: Für den armen Hund sicher nicht. (lacht) Auf alle Fälle ist es eine Erfahrung, die dafür sorgt, dass man auch im größten Erfolg die Bodenhaftung nicht verliert, weil man schnell in die Alltagsrealität zurückgeholt wird.

DFB.de: Das Abheben oder das Gefühl der Leere – was sind die Gefahren nach einem ganz großen Erfolg? Und wie kann der Trainer seine Mannschaft davor bewahren?

Hermann: Wenn man von "Gefahr" sprechen möchte, gilt das eher fürs Abheben. Es gehört zu den ganz besonderen Herausforderungen für einen Trainerstab, nach einem großen Erfolg den Fokus des Teams auf eine neue Aufgabe zu lenken. Auch hier bieten sich Ansätze der transformationalen Führung an: Man muss nicht nur ein neues, attraktives Ziel finden, sondern gerade nach großen Erfolgen die Bedeutung und Sinnhaftigkeit der nächsten Schritte vermitteln und als Trainer buchstäblich vorbildlich vorangehen. Wenn das allein nichts nützt, sollten andere Spieler eine Chance bekommen.

DFB.de: Sie arbeiten seit Jahrzehnten erfolgreich im Spitzensport - sei es für den Deutschen Sport-Bund, in der Bundesliga und seit zehn Jahren nun für die Fußball-Nationalmannschaft. Es ist sicher schwer, das zu verallgemeinern, aber worauf sollte ein Fußballtrainer in der Kreisklasse besonders bei seinem Führungsstil achten?

Hermann: Die Prinzipien und Mechanismen, die im Profisport gelten, gelten weitgehend auch im Amateurbereich. Da sich die Spielerinnen und Spieler unterschiedlich stark auf Fußball konzentrieren können und/oder wollen, ist es für Trainerinnen und Trainer vielleicht sogar noch wichtiger, ein Ziel zu definieren und mit der Mannschaft gemeinsam zu finden, mit dem sich alle identifizieren können. Aber unabhängig von den Details eines bestimmten Führungsstils ist auch in der Kreisklasse vor allem eines wichtig: authentisch bleiben!

DFB.de: Bei allen Methoden und Maßnahmen sprechen Sie auch von der 10.000 Stunden-Formel. Ist es nicht beruhigend, dass man vor allem etwas wirklich Können muss, bevor man es im Wettbewerb erfolgreich umsetzt?

Hermann: Diese Faustregel hat sich inner- und außerhalb des Sports schon vielfach bestätigt. Sie besagt, dass man rund 10.000 Stunden trainieren muss, um auf einem bestimmten Gebiet ein Experte auf Topniveau werden zu können. Aber ob sie wirklich einer wissenschaftlichen Überprüfung in allen Gebieten standhalten kann, wage ich zu bezweifeln – das muss ich ehrlicherweise sagen. Auf alle Fälle vermittelt sie das gute Gefühl, dass man den eigenen Erfolg durch Fleiß, Disziplin und Zielstrebigkeit langfristig stark beeinflussen kann und nicht vom Zufall abhängig ist.