Bert Trautmann: Der Held, der keiner sein wollte

Die Hall of Fame des deutschen Fußballs im Fußballmuseum in Dortmund wird um sechs Prominente reicher. Sie gehören zu den Größten, die je in unserem Sport aktiv waren. Heute im Porträt: Bert Trautmann.

Manchmal hat sich Bert Trautmann gewünscht, dass er nicht so ahnungslos gewesen wäre, und auch nicht so mutig. Dass er den Platz verlassen hätte und dass das spektakulärste Kapitel seiner spektakulären Biografie nicht geschrieben worden wäre. Aber er hat den Platz nicht verlassen. Trautmann ignorierte die Schmerzen und spielte weiter. Und so kann die Fußballwelt heute noch darüber staunen, was am 5. Mai 1956 in London geschah.

Wembley-Stadion, FA-Cup, Finale. Manchester City spielt gegen Birmingham City. 100.000 Zuschauer sind im Stadion. Nach Toren von Joe Hayes, Robert Johnstone und Jack Dyson sowie dem Gegentreffer durch Noel Kinsey führt City mit 3:1. Birmingham erhöht den Druck, es rollt Angriff auf Angriff auf das Tor von Manchester City, in dem ein junger Deutscher zwischen den Pfosten steht. In der 73. Minute macht Trautmann, was ihn schon immer besonders ausgezeichnet hat: Er wirft sich furchtlos und kopfüber Ball und Gegner entgegen. Unzählige Male ist nichts passiert, diesmal jedoch etwas Schlimmes. Der Deutsche kracht mit Peter Murphy zusammen und taucht in einen Nebel. Trautmann windet sich vor Schmerzen, immer wieder greift er sich an den Nacken, rappelt sich auf, sinkt zu Boden. Sein Genick ist gebrochen, fünf Halswirbel sind ausgerenkt. Wer die Bilder des Spiels heute sieht, kann kaum begreifen, wie Trautmann sich nach dem Zusammenstoß mit Murphy weiter kopfüber in Bälle und Gegner hineinwirft und den Sieg für City festhält. Später wird Trautmann sagen, dass er die letzten 17 Minuten nicht bewusst erlebt, dass er Mitspieler und Gegner als konturlose Gestalten wahrgenommen hat.

Fluch und Segen

Trautmann ist oft nach diesen 17 Minuten im Wembley-Stadion gefragt worden, im Scherz hat er gesagt, dass er mitgezählt hat, wie oft: 1636 Mal. Häufig wachsen Geschichten mit jeder Wiederholung, bei der von Bert Trautmann war das nicht so: Größer als die Realität konnte seine Geschichte nicht werden. "Dieses Spiel war Fluch und Segen zugleich", sagte er. Segen, weil der deutsche Torhüter mit City den FA-Cup gewann, Fluch wegen der Verletzung, Fluch auch, weil das Leben von Trautmann häufig auf die 17 Minuten von Wembley reduziert wird.

Dabei war er nicht stolz auf das, was er am 5. Mai 1956 getan hat. Und nannte zwei Gründe, warum er damals trotz der lebensgefährlichen Verletzung nicht vom Platz gegangen ist. Zunächst, weil Auswechslungen nicht erlaubt waren. Und noch wichtiger: Weil Trautmann zwar Schmerzen hatte, er aber weder wusste noch ahnte, dass sein Genick gebrochen war und er nicht nur Fußball, sondern auch mit seinem Leben spielte. "Ich hätte sofort aufgehört", sagte Trautmann. "Ich bin doch nicht verrückt." Wer den Krieg überlebt hat, riskiert sein Leben nicht wegen eines Fußballspiels.

Trautmann hat nie gewollt, dass seine Taten glorifiziert werden. Aber eben auch nicht, dass sein Leben nur aus 17 Minuten besteht. Seine wahre Größe ergibt sich nicht daraus, wie er in diesem Finale gehalten hat, sondern dass er dort gespielt hat. Dass er in England als Fußballer Karriere gemacht hat, dass er von den Fans geliebt wurde. Nicht vom ersten Tag an, aber später, und auch schon vor den 17 Minuten im Wembley-Stadion. Er, ein Deutscher, ein Fritz, ein Kraut, einer, der für Nazi-Deutschland in den Krieg gezogen war, ein ehemaliger Gefangener.

Geschichte von Menschlichkeit

Die Geschichte von Bert Trautmann ist eine Erzählung von Vergebung, von Menschlichkeit, auch von menschlicher Größe einer Nation. Eine Geschichte von Versöhnung, von Gräben, die zugeschüttet, von Brücken, die gebaut wurden, vom Händereichen zwischen England und Deutschland. Sie ist die Geschichte eines Menschen, der vom Hitlerjungen zum Lieblingsdeutschen der Engländer wurde. Sie beginnt in Bremen mit seiner Geburt am 22. Oktober 1923 und ist für viele Jahre eine typisch deutsche Biografie des vorigen Jahrhunderts. Und sie ist nicht ehrlich erzählt, wenn sie ausklammert, dass Trautmann kein Widerstandskämpfer war.

Als Bert Trautmann noch der kleine Bernhard war, war er prädestiniert dafür, von den Nazis gemocht zu werden, und viel zu jung, um deren Wahn zu hinterfragen. Seine sportlichen Talente ließen ihn aus der Masse herausragen, kaum einer konnte so schnell laufen wie er, kaum einer so hoch springen und kaum einer so weit werfen. Dazu war er blond und sehr blauäugig. Trautmann genoss die Anerkennung, die ihm als Hitlerjunge widerfuhr, und er hat nie geleugnet, dass er sich im Alter von 17 Jahren über die Tränen seiner Mutter hinwegsetzte, als er sich freiwillig meldete und mit Begeisterung als Fallschirmjäger der Luftwaffe in den Krieg zog.

Zu seiner Biografie gehört auch, dass ihm die Augen geöffnet wurden, als er diese eigentlich schließen wollte. Zufällig wurde er im Krieg in Russland Zeuge einer Hinrichtung. "Es hat mich berührt, getroffen, es hat alles geändert", sagte er. Seine Überzeugung, seine Einstellung, sein Leben. Gegen Ende des Krieges gelangte er erst in russische und später in britische Kriegsgefangenschaft in ein Lager in der Nähe von Manchester. Entnazifiziert werden musste der damals 21-jährige frühere Fallschirmjäger der Luftwaffe nicht mehr. Die Gräueltaten und dagegen die Behandlung durch die Engländer hatten ihm gezeigt, wie falsch die Ideologie war, die lange Zeit sein Leben bestimmt hatte. "Meine menschliche Bildung habe ich erst in England bekommen", sagte er später.

Fußball im Lager

Den Umgang mit den Kriegsgefangenen hat Trautmann als human und großzügig empfunden, vom ersten Tag an. "Als wir nach der Ankunft in England auf den Lkw-Ladeflächen durch die Städte gefahren wurden, habe ich darauf geachtet, wie uns die Menschen begegnen", erzählte Trautmann. "Die meisten haben uns angeschaut und hatten Mitleid in den Augen. Meistens waren es Frauen, deren Blicke gesagt haben: 'Ihr armen Teufel. Ihr habt eine Mutter zu Hause, die euch vermisst, eine Frau, Kinder. Ihr tut uns leid.'"

"In England wurden die Deutschen als Menschen behandelt", sagte Trautmann. Er bekam genug zu essen, er musste hart, aber nicht überhart arbeiten, und: Er durfte sogar Fußball spielen. Ein schottischer Major hatte dies veranlasst. "In der englischen Zone außerhalb des Lagers gab es einen Platz, auf dem Soldaten, Offiziere und Arbeiter Fußball spielen konnten", erzählte Trautmann. "Wir haben das gesehen und einfach gefragt, ob wir mitspielen dürfen. Der Major fand das gut, er hat es in die Hand genommen und alles organisiert. Zwei, drei Monate später haben wir dann schon regelmäßig gegen englische Amateurmannschaften aus der Region gespielt."

An dieser Stelle beginnt seine Biografie untypisch zu werden. Es ist der Beginn einer Karriere, die mit 17 Minuten im Wembley-Stadion viel zu kurz erzählt ist. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft blieb Trautmann in Manchester, er spielte zunächst für den Vorortverein St. Helens Town, sein Talent sprach sich herum, die großen Vereine wurden aufmerksam. Und doch war es ein Politikum, als Manchester City im Oktober 1949 die Verpflichtung des Deutschen bekannt gab. Zehntausende gingen in Manchester auf die Straße, der Aufschrei war groß. Trautmann erfuhr von den Protesten erst später, ein Glücksfall für ihn, aber auch für Manchester City: Das Ausmaß der Abneigung hätte ihn wohl abgehalten. "Ich war schüchtern, scheu, kein Draufgänger", sagte er.

"Kein Krieg in der Kabine"

Umso wichtiger war für ihn der Empfang durch seine Mitspieler bei Manchester City. Als der Deutsche an seinem ersten Tag in Manchester seinen neuen Teamkollegen vorgestellt wurde, sagte City-Kapitän Eric Westwood stellvertretend für seine Kollegen: "Bert, es gibt keinen Krieg in dieser Kabine." Außerhalb bald auch nicht mehr, die Proteste wurden stiller, schließlich verstummten sie ganz. Weil Trautmann mit seinen Leistungen Spiele und mit seinem Auftreten Menschen gewann, aber auch weil sich einflussreiche Personen für ihn einsetzten. Der Rabbiner von Manchester, Alexander Altmann, bat die Bürger der Stadt in einem offenen Brief, unvoreingenommen mit Trautmann umzugehen. "Wenn dieser Fußballer ein anständiger Kerl ist, dann kann ich keinerlei Nachteil erkennen", schrieb Altmann. "Jeder muss nach seinem persönlichen Wert beurteilt werden."

Schon ein paar Jahre später waren wieder viele Menschen in Manchester auf der Straße, wieder wegen Trautmann. Diesmal waren es Kinder und Jugendliche. Sie eiferten ihrem Idol nach. "Ich weiß noch, dass wir uns immer gestritten haben, wer Bert sein durfte", erinnerte sich der spätere City-Profi Fred Eyre an die 50er-Jahre, an seine Kindheit und an seine Anfänge als Straßenfußballer in Manchester.

Wie gut Trautmann war, lässt sich heute schwer beschreiben. Bei allen, die ihn spielen sahen, hat er Spuren hinterlassen. Für Englands Torhüterlegende Gordon Banks war der Deutsche schlichtweg ein Idol: "Ich habe alles zu kopieren versucht, was er gemacht hat." Lew Jaschin hat auf die Frage nach dem größten Torhüter der Geschichte geantwortet: "Es gab nur zwei Weltklassetorhüter, der eine war Lew Jaschin, der andere dieser deutsche Kerl, der in Manchester gespielt hat."

"Fußballer des Jahres" in England

Trautmann hat in seiner Karriere 508 Spiele für Manchester City gemacht. Dabei hat er einige fast unglaubliche Rekorde aufgestellt, etwa den, dass er mehr als 60 Prozent aller Elfmeter gehalten hat. Mehrfach war er Manchesters "Fußballer des Jahres", 1956 war er Englands "Fußballer des Jahres". Ein Deutscher!

Als Trautmann seine Karriere im Jahr 1964 beendete, stürmten die Fans nach seinem letzten Spiel den Platz und rissen die Pfosten aus dem Rasen. Kein anderer Spieler sollte jemals wieder in diesem Tor stehen. Sein Wirken für die Versöhnung zwischen Engländern und Deutschen war mit dem Ende seiner Zeit als Fußballer nicht vorbei. Mit der "Bert Trautmann Foundation" setzte er sich weiter für die Beziehungen von Deutschen und Engländern ein, später war er als Entwicklungshelfer des Fußballs in Burma, Liberia, Pakistan, Jemen und Tansania aktiv. Mit seiner Bescheidenheit, seiner Offenheit, seinem Einsatz und seiner Einstellung war er ein Vorbild. In England, in Deutschland, in der ganzen Welt. 1966 und 1996 gehörte er der DFB-Delegation bei der WM beziehungsweise der EM in England an. Von der Queen wurde Trautmann zum "Order of the British Empire" ernannt, in Deutschland wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen, vom DFB bekam er das Ehrenzeichen in Gold mit Brillant.

Die letzten Jahre seines Lebens hat er in Spanien verbracht, des Klimas wegen, nicht weil er England den Rücken kehren wollte. In seinem letzten großen Interview mit DFB.de sagte er: "Mit meinem Schicksal habe ich meinen Frieden gemacht. Ich habe viele kritische Situationen überstanden und kann sagen, dass ich glücklich bin. Es gibt einige Erfahrungen, die ich machen musste und auf die ich gut verzichten könnte. Aber ich bin dankbar, dass mir sehr viele nette und interessante Menschen begegnet sind, die es alle gut mit mir gemeint haben. Ich bin deswegen immer ein zufriedener Mensch gewesen."

Zu viel für einen Film

In Manchester war Trautmann eine lebende Legende. Am 19. Juli 2013 starb er im Alter von 89 Jahren. Das Leben ist gegangen, die Legende geblieben. Und sie wird gepflegt. Vor dem ersten Heimspiel nach Trautmanns Tod trugen alle Spieler Manchesters Torwarttrikots mit der Rückennummer 1 und dem Namen Trautmann. Die Torhüter aller Altersklassen aus der City-Academy standen auf dem Rasen. 2019 kam ein nach ihm benannter Spielfilm in die Kinos. Der deutsche Torwart wird dabei vom bekannten Schauspieler David Kross ("Der Vorleser", "Krabat") verkörpert. Nicht alles darin ist historisch genau, aber alles ist sehr emotional und eindringlich. Die Geschichte des Kriegsgefangenen, der zum Helden im Land des früheren Gegners wird, wird in dem Film erzählt, die Geschichte der Liebe zu seiner ersten Frau Margaret, auch die tragische Geschichte vom Tod seines kleinen Sohnes John nur wenige Wochen nach dem Genickbruch-Spiel. Es ist fast zu viel für einen einzigen Film, für ein einziges Leben.

Einer, der Bert Trautmann nie persönlich begegnet ist, über ihn aber sprechen kann wie kaum ein anderer Deutscher, ist Ilkay Gündoğan, der heutige Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Zwischen 2016 und 2023 spielte er für Manchester City. Er sagt: "Für mich steht Bert Trautmann dafür, dass Wege manchmal geebnet und Türen geöffnet werden müssen. Ich glaube, das gilt generell: Vorurteile werden am schnellsten im direkten Kontakt abgebaut. Im Fall von Deutschland und England hat Trautmann daran großen Anteil. Insofern können wir alle ihm dankbar sein, seinen Nachfolgern hat er das Leben leichter gemacht."

Auch in Deutschland erinnert man sich an den großen Torhüter, der in England sein Glück fand. An seinem ehemaligen Wohnhaus in Bremen-Gröpelingen wurde eine Gedenktafel angebracht. Das Bundesfinanzministerium gab erst im vergangenen Jahr zu seinen Ehren eine Sonderbriefmarke heraus. Aber nicht an ihm vorbei kommt man nur in Manchester. Im Stadion seines Vereins ist eine Statue von Bert Trautmann zu sehen, auch eine Straße im Stadtteil Rusholme trägt seinen Namen. Seine Geschichte wird in der Stadt ewig präsent sein. Und er selbst auch. Nach seinem Tod hat Trautmanns Familie im Memorial Garden von Manchester City einen Kranz niedergelegt und Teile der Asche Trautmanns verstreut. Bert ist zurückgekehrt, nach England, nach Manchester, dorthin, wo er sich immer am wohlsten gefühlt hat. Und wo er für immer ein Held bleiben wird.

[sl]

Die Hall of Fame des deutschen Fußballs im Fußballmuseum in Dortmund wird um sechs Prominente reicher. Sie gehören zu den Größten, die je in unserem Sport aktiv waren. Heute im Porträt: Bert Trautmann.

Manchmal hat sich Bert Trautmann gewünscht, dass er nicht so ahnungslos gewesen wäre, und auch nicht so mutig. Dass er den Platz verlassen hätte und dass das spektakulärste Kapitel seiner spektakulären Biografie nicht geschrieben worden wäre. Aber er hat den Platz nicht verlassen. Trautmann ignorierte die Schmerzen und spielte weiter. Und so kann die Fußballwelt heute noch darüber staunen, was am 5. Mai 1956 in London geschah.

Wembley-Stadion, FA-Cup, Finale. Manchester City spielt gegen Birmingham City. 100.000 Zuschauer sind im Stadion. Nach Toren von Joe Hayes, Robert Johnstone und Jack Dyson sowie dem Gegentreffer durch Noel Kinsey führt City mit 3:1. Birmingham erhöht den Druck, es rollt Angriff auf Angriff auf das Tor von Manchester City, in dem ein junger Deutscher zwischen den Pfosten steht. In der 73. Minute macht Trautmann, was ihn schon immer besonders ausgezeichnet hat: Er wirft sich furchtlos und kopfüber Ball und Gegner entgegen. Unzählige Male ist nichts passiert, diesmal jedoch etwas Schlimmes. Der Deutsche kracht mit Peter Murphy zusammen und taucht in einen Nebel. Trautmann windet sich vor Schmerzen, immer wieder greift er sich an den Nacken, rappelt sich auf, sinkt zu Boden. Sein Genick ist gebrochen, fünf Halswirbel sind ausgerenkt. Wer die Bilder des Spiels heute sieht, kann kaum begreifen, wie Trautmann sich nach dem Zusammenstoß mit Murphy weiter kopfüber in Bälle und Gegner hineinwirft und den Sieg für City festhält. Später wird Trautmann sagen, dass er die letzten 17 Minuten nicht bewusst erlebt, dass er Mitspieler und Gegner als konturlose Gestalten wahrgenommen hat.

Fluch und Segen

Trautmann ist oft nach diesen 17 Minuten im Wembley-Stadion gefragt worden, im Scherz hat er gesagt, dass er mitgezählt hat, wie oft: 1636 Mal. Häufig wachsen Geschichten mit jeder Wiederholung, bei der von Bert Trautmann war das nicht so: Größer als die Realität konnte seine Geschichte nicht werden. "Dieses Spiel war Fluch und Segen zugleich", sagte er. Segen, weil der deutsche Torhüter mit City den FA-Cup gewann, Fluch wegen der Verletzung, Fluch auch, weil das Leben von Trautmann häufig auf die 17 Minuten von Wembley reduziert wird.

Dabei war er nicht stolz auf das, was er am 5. Mai 1956 getan hat. Und nannte zwei Gründe, warum er damals trotz der lebensgefährlichen Verletzung nicht vom Platz gegangen ist. Zunächst, weil Auswechslungen nicht erlaubt waren. Und noch wichtiger: Weil Trautmann zwar Schmerzen hatte, er aber weder wusste noch ahnte, dass sein Genick gebrochen war und er nicht nur Fußball, sondern auch mit seinem Leben spielte. "Ich hätte sofort aufgehört", sagte Trautmann. "Ich bin doch nicht verrückt." Wer den Krieg überlebt hat, riskiert sein Leben nicht wegen eines Fußballspiels.

Trautmann hat nie gewollt, dass seine Taten glorifiziert werden. Aber eben auch nicht, dass sein Leben nur aus 17 Minuten besteht. Seine wahre Größe ergibt sich nicht daraus, wie er in diesem Finale gehalten hat, sondern dass er dort gespielt hat. Dass er in England als Fußballer Karriere gemacht hat, dass er von den Fans geliebt wurde. Nicht vom ersten Tag an, aber später, und auch schon vor den 17 Minuten im Wembley-Stadion. Er, ein Deutscher, ein Fritz, ein Kraut, einer, der für Nazi-Deutschland in den Krieg gezogen war, ein ehemaliger Gefangener.

Geschichte von Menschlichkeit

Die Geschichte von Bert Trautmann ist eine Erzählung von Vergebung, von Menschlichkeit, auch von menschlicher Größe einer Nation. Eine Geschichte von Versöhnung, von Gräben, die zugeschüttet, von Brücken, die gebaut wurden, vom Händereichen zwischen England und Deutschland. Sie ist die Geschichte eines Menschen, der vom Hitlerjungen zum Lieblingsdeutschen der Engländer wurde. Sie beginnt in Bremen mit seiner Geburt am 22. Oktober 1923 und ist für viele Jahre eine typisch deutsche Biografie des vorigen Jahrhunderts. Und sie ist nicht ehrlich erzählt, wenn sie ausklammert, dass Trautmann kein Widerstandskämpfer war.

Als Bert Trautmann noch der kleine Bernhard war, war er prädestiniert dafür, von den Nazis gemocht zu werden, und viel zu jung, um deren Wahn zu hinterfragen. Seine sportlichen Talente ließen ihn aus der Masse herausragen, kaum einer konnte so schnell laufen wie er, kaum einer so hoch springen und kaum einer so weit werfen. Dazu war er blond und sehr blauäugig. Trautmann genoss die Anerkennung, die ihm als Hitlerjunge widerfuhr, und er hat nie geleugnet, dass er sich im Alter von 17 Jahren über die Tränen seiner Mutter hinwegsetzte, als er sich freiwillig meldete und mit Begeisterung als Fallschirmjäger der Luftwaffe in den Krieg zog.

Zu seiner Biografie gehört auch, dass ihm die Augen geöffnet wurden, als er diese eigentlich schließen wollte. Zufällig wurde er im Krieg in Russland Zeuge einer Hinrichtung. "Es hat mich berührt, getroffen, es hat alles geändert", sagte er. Seine Überzeugung, seine Einstellung, sein Leben. Gegen Ende des Krieges gelangte er erst in russische und später in britische Kriegsgefangenschaft in ein Lager in der Nähe von Manchester. Entnazifiziert werden musste der damals 21-jährige frühere Fallschirmjäger der Luftwaffe nicht mehr. Die Gräueltaten und dagegen die Behandlung durch die Engländer hatten ihm gezeigt, wie falsch die Ideologie war, die lange Zeit sein Leben bestimmt hatte. "Meine menschliche Bildung habe ich erst in England bekommen", sagte er später.

Fußball im Lager

Den Umgang mit den Kriegsgefangenen hat Trautmann als human und großzügig empfunden, vom ersten Tag an. "Als wir nach der Ankunft in England auf den Lkw-Ladeflächen durch die Städte gefahren wurden, habe ich darauf geachtet, wie uns die Menschen begegnen", erzählte Trautmann. "Die meisten haben uns angeschaut und hatten Mitleid in den Augen. Meistens waren es Frauen, deren Blicke gesagt haben: 'Ihr armen Teufel. Ihr habt eine Mutter zu Hause, die euch vermisst, eine Frau, Kinder. Ihr tut uns leid.'"

"In England wurden die Deutschen als Menschen behandelt", sagte Trautmann. Er bekam genug zu essen, er musste hart, aber nicht überhart arbeiten, und: Er durfte sogar Fußball spielen. Ein schottischer Major hatte dies veranlasst. "In der englischen Zone außerhalb des Lagers gab es einen Platz, auf dem Soldaten, Offiziere und Arbeiter Fußball spielen konnten", erzählte Trautmann. "Wir haben das gesehen und einfach gefragt, ob wir mitspielen dürfen. Der Major fand das gut, er hat es in die Hand genommen und alles organisiert. Zwei, drei Monate später haben wir dann schon regelmäßig gegen englische Amateurmannschaften aus der Region gespielt."

An dieser Stelle beginnt seine Biografie untypisch zu werden. Es ist der Beginn einer Karriere, die mit 17 Minuten im Wembley-Stadion viel zu kurz erzählt ist. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft blieb Trautmann in Manchester, er spielte zunächst für den Vorortverein St. Helens Town, sein Talent sprach sich herum, die großen Vereine wurden aufmerksam. Und doch war es ein Politikum, als Manchester City im Oktober 1949 die Verpflichtung des Deutschen bekannt gab. Zehntausende gingen in Manchester auf die Straße, der Aufschrei war groß. Trautmann erfuhr von den Protesten erst später, ein Glücksfall für ihn, aber auch für Manchester City: Das Ausmaß der Abneigung hätte ihn wohl abgehalten. "Ich war schüchtern, scheu, kein Draufgänger", sagte er.

"Kein Krieg in der Kabine"

Umso wichtiger war für ihn der Empfang durch seine Mitspieler bei Manchester City. Als der Deutsche an seinem ersten Tag in Manchester seinen neuen Teamkollegen vorgestellt wurde, sagte City-Kapitän Eric Westwood stellvertretend für seine Kollegen: "Bert, es gibt keinen Krieg in dieser Kabine." Außerhalb bald auch nicht mehr, die Proteste wurden stiller, schließlich verstummten sie ganz. Weil Trautmann mit seinen Leistungen Spiele und mit seinem Auftreten Menschen gewann, aber auch weil sich einflussreiche Personen für ihn einsetzten. Der Rabbiner von Manchester, Alexander Altmann, bat die Bürger der Stadt in einem offenen Brief, unvoreingenommen mit Trautmann umzugehen. "Wenn dieser Fußballer ein anständiger Kerl ist, dann kann ich keinerlei Nachteil erkennen", schrieb Altmann. "Jeder muss nach seinem persönlichen Wert beurteilt werden."

Schon ein paar Jahre später waren wieder viele Menschen in Manchester auf der Straße, wieder wegen Trautmann. Diesmal waren es Kinder und Jugendliche. Sie eiferten ihrem Idol nach. "Ich weiß noch, dass wir uns immer gestritten haben, wer Bert sein durfte", erinnerte sich der spätere City-Profi Fred Eyre an die 50er-Jahre, an seine Kindheit und an seine Anfänge als Straßenfußballer in Manchester.

Wie gut Trautmann war, lässt sich heute schwer beschreiben. Bei allen, die ihn spielen sahen, hat er Spuren hinterlassen. Für Englands Torhüterlegende Gordon Banks war der Deutsche schlichtweg ein Idol: "Ich habe alles zu kopieren versucht, was er gemacht hat." Lew Jaschin hat auf die Frage nach dem größten Torhüter der Geschichte geantwortet: "Es gab nur zwei Weltklassetorhüter, der eine war Lew Jaschin, der andere dieser deutsche Kerl, der in Manchester gespielt hat."

"Fußballer des Jahres" in England

Trautmann hat in seiner Karriere 508 Spiele für Manchester City gemacht. Dabei hat er einige fast unglaubliche Rekorde aufgestellt, etwa den, dass er mehr als 60 Prozent aller Elfmeter gehalten hat. Mehrfach war er Manchesters "Fußballer des Jahres", 1956 war er Englands "Fußballer des Jahres". Ein Deutscher!

Als Trautmann seine Karriere im Jahr 1964 beendete, stürmten die Fans nach seinem letzten Spiel den Platz und rissen die Pfosten aus dem Rasen. Kein anderer Spieler sollte jemals wieder in diesem Tor stehen. Sein Wirken für die Versöhnung zwischen Engländern und Deutschen war mit dem Ende seiner Zeit als Fußballer nicht vorbei. Mit der "Bert Trautmann Foundation" setzte er sich weiter für die Beziehungen von Deutschen und Engländern ein, später war er als Entwicklungshelfer des Fußballs in Burma, Liberia, Pakistan, Jemen und Tansania aktiv. Mit seiner Bescheidenheit, seiner Offenheit, seinem Einsatz und seiner Einstellung war er ein Vorbild. In England, in Deutschland, in der ganzen Welt. 1966 und 1996 gehörte er der DFB-Delegation bei der WM beziehungsweise der EM in England an. Von der Queen wurde Trautmann zum "Order of the British Empire" ernannt, in Deutschland wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen, vom DFB bekam er das Ehrenzeichen in Gold mit Brillant.

Die letzten Jahre seines Lebens hat er in Spanien verbracht, des Klimas wegen, nicht weil er England den Rücken kehren wollte. In seinem letzten großen Interview mit DFB.de sagte er: "Mit meinem Schicksal habe ich meinen Frieden gemacht. Ich habe viele kritische Situationen überstanden und kann sagen, dass ich glücklich bin. Es gibt einige Erfahrungen, die ich machen musste und auf die ich gut verzichten könnte. Aber ich bin dankbar, dass mir sehr viele nette und interessante Menschen begegnet sind, die es alle gut mit mir gemeint haben. Ich bin deswegen immer ein zufriedener Mensch gewesen."

Zu viel für einen Film

In Manchester war Trautmann eine lebende Legende. Am 19. Juli 2013 starb er im Alter von 89 Jahren. Das Leben ist gegangen, die Legende geblieben. Und sie wird gepflegt. Vor dem ersten Heimspiel nach Trautmanns Tod trugen alle Spieler Manchesters Torwarttrikots mit der Rückennummer 1 und dem Namen Trautmann. Die Torhüter aller Altersklassen aus der City-Academy standen auf dem Rasen. 2019 kam ein nach ihm benannter Spielfilm in die Kinos. Der deutsche Torwart wird dabei vom bekannten Schauspieler David Kross ("Der Vorleser", "Krabat") verkörpert. Nicht alles darin ist historisch genau, aber alles ist sehr emotional und eindringlich. Die Geschichte des Kriegsgefangenen, der zum Helden im Land des früheren Gegners wird, wird in dem Film erzählt, die Geschichte der Liebe zu seiner ersten Frau Margaret, auch die tragische Geschichte vom Tod seines kleinen Sohnes John nur wenige Wochen nach dem Genickbruch-Spiel. Es ist fast zu viel für einen einzigen Film, für ein einziges Leben.

Einer, der Bert Trautmann nie persönlich begegnet ist, über ihn aber sprechen kann wie kaum ein anderer Deutscher, ist Ilkay Gündoğan, der heutige Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Zwischen 2016 und 2023 spielte er für Manchester City. Er sagt: "Für mich steht Bert Trautmann dafür, dass Wege manchmal geebnet und Türen geöffnet werden müssen. Ich glaube, das gilt generell: Vorurteile werden am schnellsten im direkten Kontakt abgebaut. Im Fall von Deutschland und England hat Trautmann daran großen Anteil. Insofern können wir alle ihm dankbar sein, seinen Nachfolgern hat er das Leben leichter gemacht."

Auch in Deutschland erinnert man sich an den großen Torhüter, der in England sein Glück fand. An seinem ehemaligen Wohnhaus in Bremen-Gröpelingen wurde eine Gedenktafel angebracht. Das Bundesfinanzministerium gab erst im vergangenen Jahr zu seinen Ehren eine Sonderbriefmarke heraus. Aber nicht an ihm vorbei kommt man nur in Manchester. Im Stadion seines Vereins ist eine Statue von Bert Trautmann zu sehen, auch eine Straße im Stadtteil Rusholme trägt seinen Namen. Seine Geschichte wird in der Stadt ewig präsent sein. Und er selbst auch. Nach seinem Tod hat Trautmanns Familie im Memorial Garden von Manchester City einen Kranz niedergelegt und Teile der Asche Trautmanns verstreut. Bert ist zurückgekehrt, nach England, nach Manchester, dorthin, wo er sich immer am wohlsten gefühlt hat. Und wo er für immer ein Held bleiben wird.

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