"Das Thema Menschenrechte beschäftigt die Mannschaft stark"

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) richtet heute den Kongress "Sport und Menschenrechte: Maßnahmen vor, während und nach der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Katar 2022" im DFB-Campus aus. Rund 90 Teilnehmer*innen aus den Bereichen Sport, Politik, Medien und Wirtschaft gehen in einen intensiven Dialog zur Situation im Ausrichterland Katar und dem Umgang rund um die WM. DFB.de hat die Stimmen zum Kongress gesammelt.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf: "Es gibt zwei konkrete Forderungen, die ich schon mal erhoben habe und zu denen ich ohne Wenn und Aber stehe: die Einrichtung der Migration Working Centers seitens der katarischen Regierung sowie eines Fonds für Menschen und deren Hinterbliebene, die beim Bau der Stadien und der Infrastruktur ums Leben gekommen sind oder verletzt wurden. Die letzte Forderung zum Fonds richtet sich auch an die FIFA. Die FIFA muss ihre eigenen Grundsätze und ihre Human Rights Policy ernstnehmen. Wir erhoffen uns, dass wir hier beim Kongress neue Impulse bekommen, um auf bestimmte Dinge aufmerksam zu machen. Durch viele Gespräche schärft sich der Blick. Ich werde im Oktober mit der Innenministerin nach Katar reisen. Man darf sagen, dass es in der Gesetzgebung in Katar nach 2017 Gesetzesänderungen gab, die man lobend erwähnen kann. Das betrifft den Mindestlohn, die Arbeitszeiten, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer*innen. Bei der Umsetzung der rechtlichen Umsetzung hakt es noch. Die katarische Seite hat eingeräumt, dass man hier noch nicht so weit ist, wie man gerne wäre. Die Vergabe hat den Sport bereits verändert und wird ihn weiter verändern. Sie hat dafür gesorgt, dass man mehr darüber nachdenkt, welche Kriterien es bei einer solchen Vergabe benötigt."

Oliver Bierhoff, Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie: "Wir müssen darauf achten, den Spagat zu finden zwischen der Verantwortung und Pflicht als Menschen - und auf der anderen Seite unser Land bei einer WM sportlich möglichst gut zu vertreten. Es darf nicht dazu führen, dass wir keine Lust auf das Turnier haben. Das Thema Menschenrechte beschäftigt die Mannschaft stark. Im März saßen wir mit Amnesty International und Human Rights Watch zusammen. Das Thema werden wir in dieser Länderspielphase und kurz vor dem Turnier noch mal aufnehmen. Wir sind eine Gruppe junger Menschen, da sind nicht alle politisch denkend. Es sind sich aber alle der Thematik bewusst."

Nationalspieler Joshua Kimmich: "Wir hatten einige Infoveranstaltungen zu dem Thema. Wir wollen als deutsche Nationalmannschaft für gewissen Werte einstehen. Daher haben wir auch die Human-Rights-Aktion gemacht. Wir Sportler stecken in einem Zwiespalt: Auf der einen Seite wollen und können wir uns mit unserer Reichweite für unsere Werte einsetzen, auf der anderen Seite wird am Ende das sportliche Abschneiden bewertet. Ein Boykott war innerhalb der Mannschaft kein Thema. Aus Sportlersicht finde ich die Forderungen nach einem Boykott unfair. Eine WM ist schließlich nur alle vier Jahre. Die Probleme in Katar gab es schon vor der Vergabe der WM."

Celia Sasic, DFB-Vizepräsidentin für Gleichstellung und Diversität: "Der Fußball hat eine große Aufmerksamkeit und daher auch eine große Verantwortung. Ich stelle die Vergabe der WM infrage. Als Sportler ist man dazu verpflichtet, auf dem Platz sein Bestes zu geben. In Interviews erwarte ich aber von unseren Spielern eine ganz klar Haltung zu unseren Werten. In zwei Jahren haben wir die Europameisterschaft in Deutschland, bei der wir alles zeigen können, was wir aktuell einfordern."

Luise Amtsberg, MdB und Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe: "Ein 'Weiter so' ist schwierig. Wir müssen über die Vergabepolitik oder die Rolle der Sponsoren sprechen. Wir müssen uns auch die Frage stellen, welche Zukunft solche Großveranstaltungen haben. Es steht nicht nur die Glaubwürdigkeit oder die Menschenrechtsbilanz einzelner Länder auf dem Spiel, sondern auch die Glaubwürdigkeit und der Spaß am Fußball selbst. Das ist bedauerlich, denn die ursprüngliche Idee von Sportgroßveranstaltungen ist die Völkerverständigung, das Austauschen und Zusammenwachsen über den Sport. Wenn das in Gefahr ist, ist das dramatisch für den Sport an sich und alle Menschen, die ihn konsumieren. Im besten Fall kann der Sport reale Begebenheiten in Ländern ändern und einen positiven Einfluss haben. Die zaghaften Versuche der FIFA sind ausbaufähig. Katar hat im Zuge der WM weitreichende Maßnahmen getroffen, die ihresgleichen in der Region suchen. Wir beobachten noch mit Sorge, dass viele der Änderungen, gerade in Bezug der Arbeitnehmer*innen, nur auf dem Papier existieren und nicht in der praktischen Umsetzung angekommen sind."

Lise Klaveness, Präsidentin Norwegischer Fußball-Verband NFF: "Wir müssen uns eingestehen, dass wir Sportverbände bisher zu wenig für die Menschenrechte getan haben. Es ist keine Katar-Frage, sondern eine für die FIFA, UEFA und die nationalen Fußballverbände. Wir müssen uns jetzt reinhängen. Wir finden als Sportverbände gerade noch heraus, wie wir mit diesen Herausforderungen umgehen müssen. Es ist ein Balanceakt, den wir aktuell beschreiten. Wir können nicht aufhören, Fußball zu spielen. Wir haben aktuell eine steile Lernkurve. Das Wichtigste ist, dass wir verstehen, dass uns dieses Thema nicht mehr loslassen wird."

Scheich Abdulla Bin Mohammed bin Saud Al-Thani, Botschafter des Staates Katar in Deutschland: "Wir versuchen in Katar unser Maximum. Das Ganze ist aber eine lange Reise, auf der wir die ersten Schritte unternommen haben. Diese Reise wird mit Gewissheit nicht nach dem Turnier enden."

Markus N. Beeko, Generalsekretär Amnesty International Deutschland: "Sport und Menschenrechte haben lange kein Traumpaar gebildet und wurden selten gemeinsam gedacht. Zu lange wurden Sportgroßveranstaltungen für politische Zwecke instrumentalisiert. Es wird Zeit, dieses Verhältnis zu ändern."

Andreas Graf, Leiter der FIFA-Abteilung für Menschenrechte und Diskriminierungsbekämpfung: "Seit 2017 sind Menschenrechte innerhalb der FIFA ein entscheidendes Vergabekriterium. So müssen potenzielle Ausrichter von Beginn an Menschrechte in ihre Bewerbung einbeziehen, und es muss sichergestellt sein, dass Menschrechtsrisiken bei der Vergabe transparent sind. Außerdem müssen die Bewerber Menschrechte in deren Verträgen verankern."

[tb]

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) richtet heute den Kongress "Sport und Menschenrechte: Maßnahmen vor, während und nach der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Katar 2022" im DFB-Campus aus. Rund 90 Teilnehmer*innen aus den Bereichen Sport, Politik, Medien und Wirtschaft gehen in einen intensiven Dialog zur Situation im Ausrichterland Katar und dem Umgang rund um die WM. DFB.de hat die Stimmen zum Kongress gesammelt.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf: "Es gibt zwei konkrete Forderungen, die ich schon mal erhoben habe und zu denen ich ohne Wenn und Aber stehe: die Einrichtung der Migration Working Centers seitens der katarischen Regierung sowie eines Fonds für Menschen und deren Hinterbliebene, die beim Bau der Stadien und der Infrastruktur ums Leben gekommen sind oder verletzt wurden. Die letzte Forderung zum Fonds richtet sich auch an die FIFA. Die FIFA muss ihre eigenen Grundsätze und ihre Human Rights Policy ernstnehmen. Wir erhoffen uns, dass wir hier beim Kongress neue Impulse bekommen, um auf bestimmte Dinge aufmerksam zu machen. Durch viele Gespräche schärft sich der Blick. Ich werde im Oktober mit der Innenministerin nach Katar reisen. Man darf sagen, dass es in der Gesetzgebung in Katar nach 2017 Gesetzesänderungen gab, die man lobend erwähnen kann. Das betrifft den Mindestlohn, die Arbeitszeiten, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer*innen. Bei der Umsetzung der rechtlichen Umsetzung hakt es noch. Die katarische Seite hat eingeräumt, dass man hier noch nicht so weit ist, wie man gerne wäre. Die Vergabe hat den Sport bereits verändert und wird ihn weiter verändern. Sie hat dafür gesorgt, dass man mehr darüber nachdenkt, welche Kriterien es bei einer solchen Vergabe benötigt."

Oliver Bierhoff, Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie: "Wir müssen darauf achten, den Spagat zu finden zwischen der Verantwortung und Pflicht als Menschen - und auf der anderen Seite unser Land bei einer WM sportlich möglichst gut zu vertreten. Es darf nicht dazu führen, dass wir keine Lust auf das Turnier haben. Das Thema Menschenrechte beschäftigt die Mannschaft stark. Im März saßen wir mit Amnesty International und Human Rights Watch zusammen. Das Thema werden wir in dieser Länderspielphase und kurz vor dem Turnier noch mal aufnehmen. Wir sind eine Gruppe junger Menschen, da sind nicht alle politisch denkend. Es sind sich aber alle der Thematik bewusst."

Nationalspieler Joshua Kimmich: "Wir hatten einige Infoveranstaltungen zu dem Thema. Wir wollen als deutsche Nationalmannschaft für gewissen Werte einstehen. Daher haben wir auch die Human-Rights-Aktion gemacht. Wir Sportler stecken in einem Zwiespalt: Auf der einen Seite wollen und können wir uns mit unserer Reichweite für unsere Werte einsetzen, auf der anderen Seite wird am Ende das sportliche Abschneiden bewertet. Ein Boykott war innerhalb der Mannschaft kein Thema. Aus Sportlersicht finde ich die Forderungen nach einem Boykott unfair. Eine WM ist schließlich nur alle vier Jahre. Die Probleme in Katar gab es schon vor der Vergabe der WM."

Celia Sasic, DFB-Vizepräsidentin für Gleichstellung und Diversität: "Der Fußball hat eine große Aufmerksamkeit und daher auch eine große Verantwortung. Ich stelle die Vergabe der WM infrage. Als Sportler ist man dazu verpflichtet, auf dem Platz sein Bestes zu geben. In Interviews erwarte ich aber von unseren Spielern eine ganz klar Haltung zu unseren Werten. In zwei Jahren haben wir die Europameisterschaft in Deutschland, bei der wir alles zeigen können, was wir aktuell einfordern."

Luise Amtsberg, MdB und Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe: "Ein 'Weiter so' ist schwierig. Wir müssen über die Vergabepolitik oder die Rolle der Sponsoren sprechen. Wir müssen uns auch die Frage stellen, welche Zukunft solche Großveranstaltungen haben. Es steht nicht nur die Glaubwürdigkeit oder die Menschenrechtsbilanz einzelner Länder auf dem Spiel, sondern auch die Glaubwürdigkeit und der Spaß am Fußball selbst. Das ist bedauerlich, denn die ursprüngliche Idee von Sportgroßveranstaltungen ist die Völkerverständigung, das Austauschen und Zusammenwachsen über den Sport. Wenn das in Gefahr ist, ist das dramatisch für den Sport an sich und alle Menschen, die ihn konsumieren. Im besten Fall kann der Sport reale Begebenheiten in Ländern ändern und einen positiven Einfluss haben. Die zaghaften Versuche der FIFA sind ausbaufähig. Katar hat im Zuge der WM weitreichende Maßnahmen getroffen, die ihresgleichen in der Region suchen. Wir beobachten noch mit Sorge, dass viele der Änderungen, gerade in Bezug der Arbeitnehmer*innen, nur auf dem Papier existieren und nicht in der praktischen Umsetzung angekommen sind."

Lise Klaveness, Präsidentin Norwegischer Fußball-Verband NFF: "Wir müssen uns eingestehen, dass wir Sportverbände bisher zu wenig für die Menschenrechte getan haben. Es ist keine Katar-Frage, sondern eine für die FIFA, UEFA und die nationalen Fußballverbände. Wir müssen uns jetzt reinhängen. Wir finden als Sportverbände gerade noch heraus, wie wir mit diesen Herausforderungen umgehen müssen. Es ist ein Balanceakt, den wir aktuell beschreiten. Wir können nicht aufhören, Fußball zu spielen. Wir haben aktuell eine steile Lernkurve. Das Wichtigste ist, dass wir verstehen, dass uns dieses Thema nicht mehr loslassen wird."

Scheich Abdulla Bin Mohammed bin Saud Al-Thani, Botschafter des Staates Katar in Deutschland: "Wir versuchen in Katar unser Maximum. Das Ganze ist aber eine lange Reise, auf der wir die ersten Schritte unternommen haben. Diese Reise wird mit Gewissheit nicht nach dem Turnier enden."

Markus N. Beeko, Generalsekretär Amnesty International Deutschland: "Sport und Menschenrechte haben lange kein Traumpaar gebildet und wurden selten gemeinsam gedacht. Zu lange wurden Sportgroßveranstaltungen für politische Zwecke instrumentalisiert. Es wird Zeit, dieses Verhältnis zu ändern."

Andreas Graf, Leiter der FIFA-Abteilung für Menschenrechte und Diskriminierungsbekämpfung: "Seit 2017 sind Menschenrechte innerhalb der FIFA ein entscheidendes Vergabekriterium. So müssen potenzielle Ausrichter von Beginn an Menschrechte in ihre Bewerbung einbeziehen, und es muss sichergestellt sein, dass Menschrechtsrisiken bei der Vergabe transparent sind. Außerdem müssen die Bewerber Menschrechte in deren Verträgen verankern."

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