"Das neurozentrierte Training zur Gewohnheit machen"

Wie lassen sich durch das Stimulieren bestimmter Hirnareale Bewegungsabläufe optimieren? Jan-Ingwer Callsen-Bracker beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Thematik des neurozentrierten Trainings und bringt sein Wissen seit 2019 in der DFB-Akademie ein. Im Rahmen der Performance Days konnten nun auch die U 19- und U 20-Teams der Frauen von seiner Expertise profitieren. Im DFB.de-Interview spricht er über die Vorzüge des neurozentrierten Trainings und gewährt einen Einblick in die Trainingsinhalte der vergangenen Tage.

DFB.de: Vier Tage haben Sie nun die Frauen-Nachwuchsteams des DFB bei Ihrem Lehrgang begleitet. Beschreiben Sie uns einmal, an welchen Inhalte Sie während der Performance Days gearbeitet haben.

Jan-Ingwer Callsen-Bracker: Im Grunde genommen ging es darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wir durch gezieltes Training unsere Bewegungsqualität und -effizienz verbessern. Und darum, zu schauen, welchen Einfluss Verletzungen auf diese Funktionsweise haben können. Ein anderes Thema waren Kompetenzen, die Spielerinnen auf dem Weg in den Profifußball helfen. Wir haben darüber gesprochen, was die mitentscheidenden Faktoren sind, dass sie ihre Leistung bringen können.

DFB.de: Wie sieht so ein gezieltes Training dann aus?

Callsen-Bracker: Wir haben zum einen Übungen für die Sensorik gemacht, sprich versucht unseren Körper zu spüren. Zum anderen haben wir den Spielerinnen koordinative Aufgaben für die Körperseite gegeben, die sie schlechter kontrollieren können. Anschließend haben wir getestet, wie gut ihre Augenmotorik und -koordination jeweils ausgeprägt sind. Im zweiten Block stand das Gleichgewicht, speziell das Gleichgewichtsorgan und die verschiedenen Rezeptoren des Gleichgewichts im Innenohr, im Fokus unseres Trainings. Wir haben Kraft- oder Beweglichkeitstests durchgeführt, eine neuronale Intervention gefahren, sprich eine Augen-Gleichgewichtsübung durchgeführt und im Anschluss einen Re-Test gemacht. Dabei haben wir überprüft, ob das einen Einfluss auf die Bewegungsqualität und -effizienz hat. Und je nach Ergebnis haben wir den Spielerinnen Übungen empfohlen, die sie besser machen. Diese können sie anwenden, um mit einem möglichst guten Bewegungsmuster und der richtigen Voraktivierung ins Training oder Spiel zu gehen.

DFB.de: Beim neurozentrierten Training sind Arbeit und Ertrag sehr individuell, wie ist es Ihnen also gelungen, zwei Mannschaften gleichzeitig gerecht zu werden?

Callsen-Bracker: Wir haben zehn Übungen angeboten, bei denen jede Spielerin ihre eigene Trainerin war und für sich getestet hat, wie sie darauf reagiert. Sie haben sich ihre Eindrücke notiert und können diese Übungen für sich anwenden, wann immer sie es brauchen. Das Besondere daran war, dass wir sowohl vorher als auch nachher einen Test gemacht haben. Da sind bei mehreren Spielerinnen Besonderheiten aufgefallen, die dann nochmal in Absprache mit dem Ärzte-, Physio- und Trainerteam und der Spielerin selbst in Einzeltrainingseinheiten gesondert analysiert wurden. Es gab meistens eine konkrete Problemstellung, für die es dann galt, gezielte Übungen anzubieten.

DFB.de: Also geben Sie den Spielerinnen das nötige Werkzeug an die Hand, um Ihren Körper und dessen vermeintliche Schwachpunkte besser einschätzen zu können?

Callsen-Bracker: Genau. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Das Ganze ist ein Prozess, der jetzt angestoßen wurde. Ich glaube die Aufmerksamkeit und die Fragestellung, wie die Spielerinnen mit ihrem Körper umgehen und ihn wahrnehmen, ist ein wichtiger Punkt in der Entwicklung eines jeden Sportlers und einer jeden Sportlerin, um in seinem oder ihrem Training möglichst effektiv zu werden und gesund zu bleiben.

DFB.de: Haben Sie den Spielerinnen Aufgaben mit auf den Weg gegeben, wie Sie diesen Prozess in den kommenden Wochen und Monaten fortführen können?

Callsen-Bracker: In der Kürze der Zeit ist nicht mehr möglich als ihnen diesen Anstoß zu geben. Ich glaube zugleich, dass viele Spielerinnen das, was ihnen guttut, auch aus Eigenmotivation weiter machen werden. Sie haben mir zurückgemeldet, dass sie mehr dazu erfahren wollen. Da können wir beim nächsten Mal weitere Schritte gehen. Wir haben in der zweiten Einheit das Thema Regeneration in den Vordergrund gestellt und viel mit der Atmung gearbeitet und den ganzen Körper durchbewegt.

DFB.de: Wie sehen diese nächsten Schritte aus?

Callsen-Bracker: Das Ziel ist, die Möglichkeiten unserer neuronalen Diagnostik in den kommenden Jahren weiter auszubauen. Das finde ich hochgradig spannend. Gerade auch in Zusammenarbeit mit den Mediziner*innen, Physiotherapeut*innen und Trainer*innen, weil diese Bereiche sehr viele Schnittmengen haben. Das Gehirn ist das zentrale Steuerorgan, das in alle Bereiche mit integriert ist und damit kann jeder Trainer das, was er täglich mit den Spielerinnen macht optimieren.

DFB.de: Wenn Sie auf die Arbeit der vergangenen Tage zurückblicken, wie zufrieden sind Sie?

Callsen-Bracker: Ich fand es richtig gut. Ich glaube es hat bei sehr vielen Spielerinnen "Klick" gemacht, und es waren einige "Aha-Erlebnisse" dabei. Auch der Austausch, einmal mit den Spielerinnen, aber auch mit dem Team hinter dem Team war sehr wertvoll. Ich glaube es ist ein großes Interesse geweckt, sich auch über die Performance Days hinaus damit zu beschäftigen. Zudem hatten einzelne Spielerinnen eine konkrete Fragestellung, bei der wir weiterhelfen konnten. Zwar ist bei der U 19 und U 20 der Frauen aktuell noch kein Neurotrainer dabei, aber es ist absolut sinnvoll, dass die Spielerinnen das Thema schon kennen, wenn sie dann in die A-Nationalmannschaft der Frauen kommen. Denn dort haben sie dann jemanden, der sie in der Sache regelmäßig betreuen kann.

DFB.de: Wie schnell zeigen sich Erfolge des Trainings?

Callsen-Bracker: Man kann sehr schnell eine Veränderung zum Positiven sehen. Das Nervensystem adaptiert sofort. Zwischen Test und Re-Test zeigt sich eine unmittelbare Verbesserung. Die Kunst besteht darin, das Training zur Gewohnheit zu machen und herauszufinden, was einem persönlich einen positiven Effekt bringt. Dafür sind Wissen und Qualität im Training wichtig, das erfordert Ressourcen und qualifiziertes Personal.

DFB.de: Also können die Spielerinnen davon unmittelbar, auch mit Blick auf die anstehende Qualifikationsrunde zur U 19-EM in Tschechien, beziehungsweise für die im August stattfindende U 20-WM profitieren?

Callsen-Bracker: Es war allgemein sehr wertvoll, die Motivation zu erhöhen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Nach meinem Eindruck ist bei allen Beteiligten eine große Offenheit dafür da, dass dieser Bereich stärker in den Fokus rückt. Die von uns gezeigten Übungen können in die regulären Trainingseinheiten eingebunden werden, was die Fitnesstrainer*innen teilweise schon vorher gemacht haben. Die ein oder andere wird sich jetzt mit Sicherheit intensiver mit dem Thema beschäftigen und schauen, wie sie sich auch zuhause dahingehend besser aufstellen kann, weil sie gemerkt hat, welche positiven Effekte das auf ihre Bewegungen hat. Wenn wir es schaffen, dass jede Einzelne merkt: "Hey, ich kann meine Leistung selbst beeinflussen und etwas dafür tun", fördert das die Grundmotivation. Dann sind wir einen gehörigen Schritt weiter.

[kp]

Wie lassen sich durch das Stimulieren bestimmter Hirnareale Bewegungsabläufe optimieren? Jan-Ingwer Callsen-Bracker beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Thematik des neurozentrierten Trainings und bringt sein Wissen seit 2019 in der DFB-Akademie ein. Im Rahmen der Performance Days konnten nun auch die U 19- und U 20-Teams der Frauen von seiner Expertise profitieren. Im DFB.de-Interview spricht er über die Vorzüge des neurozentrierten Trainings und gewährt einen Einblick in die Trainingsinhalte der vergangenen Tage.

DFB.de: Vier Tage haben Sie nun die Frauen-Nachwuchsteams des DFB bei Ihrem Lehrgang begleitet. Beschreiben Sie uns einmal, an welchen Inhalte Sie während der Performance Days gearbeitet haben.

Jan-Ingwer Callsen-Bracker: Im Grunde genommen ging es darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wir durch gezieltes Training unsere Bewegungsqualität und -effizienz verbessern. Und darum, zu schauen, welchen Einfluss Verletzungen auf diese Funktionsweise haben können. Ein anderes Thema waren Kompetenzen, die Spielerinnen auf dem Weg in den Profifußball helfen. Wir haben darüber gesprochen, was die mitentscheidenden Faktoren sind, dass sie ihre Leistung bringen können.

DFB.de: Wie sieht so ein gezieltes Training dann aus?

Callsen-Bracker: Wir haben zum einen Übungen für die Sensorik gemacht, sprich versucht unseren Körper zu spüren. Zum anderen haben wir den Spielerinnen koordinative Aufgaben für die Körperseite gegeben, die sie schlechter kontrollieren können. Anschließend haben wir getestet, wie gut ihre Augenmotorik und -koordination jeweils ausgeprägt sind. Im zweiten Block stand das Gleichgewicht, speziell das Gleichgewichtsorgan und die verschiedenen Rezeptoren des Gleichgewichts im Innenohr, im Fokus unseres Trainings. Wir haben Kraft- oder Beweglichkeitstests durchgeführt, eine neuronale Intervention gefahren, sprich eine Augen-Gleichgewichtsübung durchgeführt und im Anschluss einen Re-Test gemacht. Dabei haben wir überprüft, ob das einen Einfluss auf die Bewegungsqualität und -effizienz hat. Und je nach Ergebnis haben wir den Spielerinnen Übungen empfohlen, die sie besser machen. Diese können sie anwenden, um mit einem möglichst guten Bewegungsmuster und der richtigen Voraktivierung ins Training oder Spiel zu gehen.

DFB.de: Beim neurozentrierten Training sind Arbeit und Ertrag sehr individuell, wie ist es Ihnen also gelungen, zwei Mannschaften gleichzeitig gerecht zu werden?

Callsen-Bracker: Wir haben zehn Übungen angeboten, bei denen jede Spielerin ihre eigene Trainerin war und für sich getestet hat, wie sie darauf reagiert. Sie haben sich ihre Eindrücke notiert und können diese Übungen für sich anwenden, wann immer sie es brauchen. Das Besondere daran war, dass wir sowohl vorher als auch nachher einen Test gemacht haben. Da sind bei mehreren Spielerinnen Besonderheiten aufgefallen, die dann nochmal in Absprache mit dem Ärzte-, Physio- und Trainerteam und der Spielerin selbst in Einzeltrainingseinheiten gesondert analysiert wurden. Es gab meistens eine konkrete Problemstellung, für die es dann galt, gezielte Übungen anzubieten.

DFB.de: Also geben Sie den Spielerinnen das nötige Werkzeug an die Hand, um Ihren Körper und dessen vermeintliche Schwachpunkte besser einschätzen zu können?

Callsen-Bracker: Genau. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Das Ganze ist ein Prozess, der jetzt angestoßen wurde. Ich glaube die Aufmerksamkeit und die Fragestellung, wie die Spielerinnen mit ihrem Körper umgehen und ihn wahrnehmen, ist ein wichtiger Punkt in der Entwicklung eines jeden Sportlers und einer jeden Sportlerin, um in seinem oder ihrem Training möglichst effektiv zu werden und gesund zu bleiben.

DFB.de: Haben Sie den Spielerinnen Aufgaben mit auf den Weg gegeben, wie Sie diesen Prozess in den kommenden Wochen und Monaten fortführen können?

Callsen-Bracker: In der Kürze der Zeit ist nicht mehr möglich als ihnen diesen Anstoß zu geben. Ich glaube zugleich, dass viele Spielerinnen das, was ihnen guttut, auch aus Eigenmotivation weiter machen werden. Sie haben mir zurückgemeldet, dass sie mehr dazu erfahren wollen. Da können wir beim nächsten Mal weitere Schritte gehen. Wir haben in der zweiten Einheit das Thema Regeneration in den Vordergrund gestellt und viel mit der Atmung gearbeitet und den ganzen Körper durchbewegt.

DFB.de: Wie sehen diese nächsten Schritte aus?

Callsen-Bracker: Das Ziel ist, die Möglichkeiten unserer neuronalen Diagnostik in den kommenden Jahren weiter auszubauen. Das finde ich hochgradig spannend. Gerade auch in Zusammenarbeit mit den Mediziner*innen, Physiotherapeut*innen und Trainer*innen, weil diese Bereiche sehr viele Schnittmengen haben. Das Gehirn ist das zentrale Steuerorgan, das in alle Bereiche mit integriert ist und damit kann jeder Trainer das, was er täglich mit den Spielerinnen macht optimieren.

DFB.de: Wenn Sie auf die Arbeit der vergangenen Tage zurückblicken, wie zufrieden sind Sie?

Callsen-Bracker: Ich fand es richtig gut. Ich glaube es hat bei sehr vielen Spielerinnen "Klick" gemacht, und es waren einige "Aha-Erlebnisse" dabei. Auch der Austausch, einmal mit den Spielerinnen, aber auch mit dem Team hinter dem Team war sehr wertvoll. Ich glaube es ist ein großes Interesse geweckt, sich auch über die Performance Days hinaus damit zu beschäftigen. Zudem hatten einzelne Spielerinnen eine konkrete Fragestellung, bei der wir weiterhelfen konnten. Zwar ist bei der U 19 und U 20 der Frauen aktuell noch kein Neurotrainer dabei, aber es ist absolut sinnvoll, dass die Spielerinnen das Thema schon kennen, wenn sie dann in die A-Nationalmannschaft der Frauen kommen. Denn dort haben sie dann jemanden, der sie in der Sache regelmäßig betreuen kann.

DFB.de: Wie schnell zeigen sich Erfolge des Trainings?

Callsen-Bracker: Man kann sehr schnell eine Veränderung zum Positiven sehen. Das Nervensystem adaptiert sofort. Zwischen Test und Re-Test zeigt sich eine unmittelbare Verbesserung. Die Kunst besteht darin, das Training zur Gewohnheit zu machen und herauszufinden, was einem persönlich einen positiven Effekt bringt. Dafür sind Wissen und Qualität im Training wichtig, das erfordert Ressourcen und qualifiziertes Personal.

DFB.de: Also können die Spielerinnen davon unmittelbar, auch mit Blick auf die anstehende Qualifikationsrunde zur U 19-EM in Tschechien, beziehungsweise für die im August stattfindende U 20-WM profitieren?

Callsen-Bracker: Es war allgemein sehr wertvoll, die Motivation zu erhöhen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Nach meinem Eindruck ist bei allen Beteiligten eine große Offenheit dafür da, dass dieser Bereich stärker in den Fokus rückt. Die von uns gezeigten Übungen können in die regulären Trainingseinheiten eingebunden werden, was die Fitnesstrainer*innen teilweise schon vorher gemacht haben. Die ein oder andere wird sich jetzt mit Sicherheit intensiver mit dem Thema beschäftigen und schauen, wie sie sich auch zuhause dahingehend besser aufstellen kann, weil sie gemerkt hat, welche positiven Effekte das auf ihre Bewegungen hat. Wenn wir es schaffen, dass jede Einzelne merkt: "Hey, ich kann meine Leistung selbst beeinflussen und etwas dafür tun", fördert das die Grundmotivation. Dann sind wir einen gehörigen Schritt weiter.

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