Joti Chatzialexiou: "Diese Leidenschaft begeistert mich"

Joti Chatzialexiou blickt auf ein prall gefülltes Turnierjahr 2022 zurück. Der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften spricht im Interview mit DFB.de über seine Highlights und erklärt, wie er die Entwicklungen im Nachwuchsfußball, bei Juniorinnen und Junioren, beobachtet.

DFB.de: Herr Chatzialexiou, das Turnierjahr 2022 mit sieben Turnieren bei Frauen, Männern und im U-Bereich liegt hinter uns. Was war Ihr Highlight?

Joti Chatzialexiou: Ganz klar die Europameisterschaft in England! Wir haben dort das Sommermärchen 2.0 erlebt. Was die Frauen auf dem Weg ins Wembley-Stadion und zur Vize-Europameisterschaft geleistet haben, wie sie auf der Erfolgswelle gesurft sind, war phänomenal. Die Mannschaft mit Trainerin Martina Voss-Tecklenburg an der Spitze hat begeistert und Emotionen geschürt.

DFB.de: Wie haben sie das geschafft und woran machen Sie das fest?

Chatzialexiou: Begeistert hat das Team auf zwei Ebenen: Zuerst auf der fußballerischen – das war vorbildhaft, wie die Mannschaft zusammengespielt und füreinander gearbeitet hat. Dass der Fußball von Alex Popp und Co. nicht nur mich, sondern viele Millionen Fans in ganz Deutschland mitgerissen hat, zeigen die Reaktionen in den Stadien, beim Empfang auf dem Römer und auch in den Medien. Und zweitens sind das alles tolle Spielerinnen mit Geschichten, die den Frauen-Fußball populärer gemacht haben. Dazu hat auch die Dokumentation "Born for this" wesentlich beigetragen.

DFB.de: Das Team hat einen echten Hype ausgelöst …

Chatzialexiou: … den wir gemeinsam mit allen Beteiligten auch auf die Frauen-Bundesliga übertragen haben. Die Zuschauerzahlen bzw. -rekorde dort sprechen für sich. Die Wahrnehmung des Frauen-Fußballs hat sich geändert: Es ist ein nie gekanntes Interesse in der Bevölkerung da und wir spüren die Unterstützung in den Vereinen.

DFB.de: Im Sommer 2023 wartet mit der Weltmeisterschaft gleich das nächste Highlight und die Chance, auch den allerletzten Schritt zum Titel zu gehen.

Chatzialexiou: Ja, auch wenn es keine Selbstverständlichkeit ist, diesen tollen Erfolg, diese EM-Reise mit all ihren Hindernissen, zu wiederholen. Wir sind nicht satt. Ich spüre, dass alle den Anspruch haben, am 20. August in Sydney wieder beim Finale dabei zu sein – und dann den Pokal in die Höhe zu recken.

DFB.de: Was tun Sie, um das Team dabei bestmöglich zu unterstützen?

Chatzialexiou: Wichtig ist, die Erfolgswelle nun weiterzureiten. Hierfür ist es notwendig, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Diese werden die Basis für eine erfolgreiche WM bilden. Hier werde ich mich einbringen. Außerdem wollen wir wichtige, gute Entscheidungen für den Nachwuchs treffen und dort Bereiche weiterentwickeln, um unsere Position zu sichern und wieder vorneweg zu marschieren. Denn ich sehe sowohl in der Entwicklung aller Spielerinnen als auch der Trainer*innen im Mädchenfußball noch viele Potenziale.

DFB.de. Ein gutes Stichwort, Potenziale. Die haben auch die Juniorinnen bei vier Turnieren in 2022 gezeigt. Wie fällt Ihr Fazit zu den U 17- und U 19-Welt- und Europameisterschaften aus?

Chatzialexiou: Was die Ergebnisse der Endrunden betrifft, gab es viel Licht, aber auch Schatten. Die U 19- und U 20-Nationalmannschaft sind bei ihrem Turnier jeweils in der Vorrunde ausgeschieden. Wir sollten beide Turniere unabhängig voneinander sehen und den unterschiedlichen Verlauf bewerten. Was sie eint: Die suboptimale Vorbereitung. Hier wurden unsere strukturellen Defizite knallhart aufgezeigt. Im Übergangsbereich besteht Handlungsbedarf. Wir wollen die Spielerinnen zukünftig besonders in dieser erfolgskritischen Phase für ihre Karriere optimal begleiten.

DFB.de: Im Entwicklungsbereich lief es besser. Die weibliche U 17 holte den EM-Titel.

Chatzialexiou: Das war klasse, die Mannschaft von Trainerin Fritzy Kromp hat uns viel Freude bereitet. Schon in der Quali hat sie mit enormem Willen überzeugt und auch bei der WM vielen Widrigkeiten getrotzt. Das hat, trotz der Niederlage nach Elfmeterschießen, gerade das Spiel um Platz drei gezeigt. Insgesamt gibt es im Entwicklungsbereich einige spannende Mädels, auch in den U 15- und U 16-Jahrgängen. Was mich begeistert ist die Leidenschaft, mit der die Spielerinnen ihren Träumen nacheifern. Es waren deutliche Entwicklungen zu sehen. Unsere Aufgabe ist es, die Spielerinnen weiterhin zu begleiten und sie für Martinas Team zu entwickeln.

DFB.de: Wie blicken Sie auf das Jahr im männlichen U-Bereich?

Chatzialexiou: Erst einmal bin ich glücklich, dass wir in 2022 alle Maßnahmen durchführen konnten und die Entwicklung unserer Jungs nicht unter corona-bedingten Absagen leiden musste. Weiterhin bin ich mit der Qualität und dem Engagement unserer Trainer-Teams unheimlich zufrieden. Sie haben es gemeinsam mit den Vereinen auch im vergangenen Jahr geschafft, unsere Spieler weiterzuentwickeln.

DFB.de: Wie fällt ihr Fazit mit Blick auf das Turnierabschneiden aus?

Chatzialexiou: Wie bei den Juniorinnen mit Licht und Schatten: Die U 19 hatte Probleme, konnte sich nicht für die EM qualifizieren. Sie war auch Opfer des brutalen Qualifikationsmodus‘. Die U 17 von Marc Meister wiederum hat tolle Auftritte hingelegt. Im Viertelfinale sind die Jungs unglücklich im Elfmeterschießen gegen den späteren Europameister Frankreich ausgeschieden. Sie haben zu spüren bekommen, dass es auch andere Länder mit einem sehr starken 2005er-Jahrgang gibt. Als sportliche Leitung haben wir auch hier den Auftrag, die spannenden Spieler, die wir besser kennengelernt haben, weiter zu begleiten. Wir wollen gegenüber anderen Nationen, die einen größeren Pool an herausragenden Einzelspielern haben, aufholen.

DFB.de: Lassen Sie uns über die WM in Katar sprechen, zu der Sie ein Analyseteam, bestehend aus U-Trainern, entsandt haben. Was wurde Ihnen berichtet und was haben Sie selbst vor Ort beobachtet?

Chatzialexiou: Argentinien hat sich den Titel nach einem klasse Endspiel verdient. Mit Lionel Messi hat einer der besten Spieler der Historie den letzten ihm noch fehlenden Pokal geholt – für seine frenetischen Landsleute, diese fantastischen Fans, war das der krönende Abschluss. Alles in allem habe ich viele gute Spiele gesehen, auch unsere haben mir größtenteils gut gefallen. Das mag kurios klingen, aber wenn man unsere Spiele rational bewertet, dann war da viel Gutes dabei.

DFB.de: Dass Sie das Ausscheiden dennoch schmerzt, verbergen Sie Ihrem Gesichtsausdruck nach nicht.

Chatzialexiou: Natürlich sind wir unglaublich enttäuscht. Wir hatten mehr verdient, haben uns eine Vielzahl an klaren Chancen herausgespielt und einen Expected-Goals-Wert aufgestellt, der höher als bei allen anderen Teams war. Das zeigt die vielen guten Lösungen, die wir in der Offensive präsentiert haben. Dennoch hat uns die Konsequenz vor dem Tor gefehlt. Also etwas, das den deutschen Fußball lange ausgezeichnet hat. Genau wie die unbedingte Defensivlust, die in der Vergangenheit Teil unserer DNA war. Wir müssen wieder dahin kommen, dass wir dem Gegner auch mal wehtun und über 90 Minuten konstant verteidigen. Schlussendlich haben uns kurze, weniger gute Phasen das Weiterkommen gekostet.

DFB.de: Was ergibt sich aus dieser Analyse für die Nachwuchsarbeit, welche Ansatzpunkte sehen Sie?

Chatzialexiou: Die Nationalmannschaft hatte nicht das Problem, zu wenig Qualität für mehr zu haben. Die aktuellen Diskussionen für notwendige Maßnahmen allein mit dem Abschneiden bei der WM zu begründen, verstehe ich nicht. Denn die Probleme, die von uns benannt werden, sind heute noch gar nicht mal so präsent. Sie betreffen weniger die aktuelle Mannschaft – wenn wir nicht endlich Veränderungen anstreben, werden wir viel mehr erst in den kommenden Jahren ein wirkliches Qualitätsproblem erleben.

DFB.de: Können Sie das präzisieren?

Chatzialexiou: Das Projekt Zukunft steht für den Prozess einer langfristigen und ganzheitlichen Veränderung im deutschen Fußball. Seit Anfang 2018, noch vor der damaligen WM, haben wir uns den Status Quo im deutschen Nachwuchsfußball angeschaut und notwendige Verbesserungsvorschläge definiert. Das waren Konzepte für eine verbesserte Nachwuchsförderung: Wir haben bereits den Kinderfußball reformiert, die Trainer*innen-Entwicklung und die Digitalisierung im Fußball vorangetrieben. Bei weiteren Maßnahmen zu großen existierenden Herausforderungen sind wir noch nicht so weit.  

DFB.de: Was haben Sie noch vor?

Chatzialexiou: Die Anpassung der Wettbewerbe ist höchst relevant, aber noch nicht abschließend umgesetzt. Das ist ein langwieriger und teils herausfordernder Prozess. Mittlerweile sind wir aber auch hier auf einem besseren Weg! Auch im Übergangsbereich müssen wir Entwicklungen vorantreiben, dieses Thema wollen wir 2023 angehen. Denn allen Beteiligten muss bewusst sein, dass uns ein verschlepptes Umsetzen Teile unserer Zukunft kostet – wir müssen jetzt handeln. Mit Blick auf die EURO 2024 entwickeln wir zudem individualisierte Programme.

DFB.de: Damit spielen Sie auf die positionsspezifischen Trainingseinheiten an?

Chatzialexiou: Genau, unter anderem. Wir wollen den zukünftigen Neuner wieder aufleben lassen und arbeiten dafür schon seit einiger Zeit positionsspezifisch mit unseren U-Teams. Die Gier, Tore zu erzielen, diese absolute Überzeugung – das sind Stellschrauben, die wir drehen müssen und die wir in unseren Trainingsformen bei den Nationalmannschaften einbauen. Wir wollen unsere Spieler individualisiert entwickeln, sie auf die Anforderungen auf höchstem Niveau vorbereiten. Dabei fokussieren wir nicht nur heutige "Problem-Positionen", sondern alle.

DFB.de: Um auf einzelne Spieler tiefergehend einzugehen, braucht es Personal auf der Trainerseite. Wie arbeiten die U-Nationaltrainer*innen?

Chatzialexiou: Sie sind nicht nur aktiv, wenn die Mannschaften zusammen sind: Allein im vergangenen Jahr haben sie rund 1100 Spiele gesichtet, 130 Vereinsbesuche absolviert und bei mehr als 200 Vorträgen den Kontakt zu unseren Klubs und Landesverbänden gepflegt und Wissen mit ihnen geteilt. Ich bin sehr stolz auf die Zusammenstellung unseres Trainer*innenteams. Die Trainer*innen bringen viele verschiedene Kompetenzen ein. Wir haben viele ehemalige Bundesliga- und Nationalspieler*innen und genauso im Nachwuchsbereich erfahrene Kräfte. Zusammen mit den Expert*innen der DFB-Akademie arbeiten die Trainer*innen an allen Potenzialen unserer Talente. Hand in Hand mit den Vereinen wollen wir sie optimal begleiten. Erfolg hat man nur gemeinsam und diesen sollten wir sehr schnell wieder nach Deutschland holen!

[jf]

Joti Chatzialexiou blickt auf ein prall gefülltes Turnierjahr 2022 zurück. Der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften spricht im Interview mit DFB.de über seine Highlights und erklärt, wie er die Entwicklungen im Nachwuchsfußball, bei Juniorinnen und Junioren, beobachtet.

DFB.de: Herr Chatzialexiou, das Turnierjahr 2022 mit sieben Turnieren bei Frauen, Männern und im U-Bereich liegt hinter uns. Was war Ihr Highlight?

Joti Chatzialexiou: Ganz klar die Europameisterschaft in England! Wir haben dort das Sommermärchen 2.0 erlebt. Was die Frauen auf dem Weg ins Wembley-Stadion und zur Vize-Europameisterschaft geleistet haben, wie sie auf der Erfolgswelle gesurft sind, war phänomenal. Die Mannschaft mit Trainerin Martina Voss-Tecklenburg an der Spitze hat begeistert und Emotionen geschürt.

DFB.de: Wie haben sie das geschafft und woran machen Sie das fest?

Chatzialexiou: Begeistert hat das Team auf zwei Ebenen: Zuerst auf der fußballerischen – das war vorbildhaft, wie die Mannschaft zusammengespielt und füreinander gearbeitet hat. Dass der Fußball von Alex Popp und Co. nicht nur mich, sondern viele Millionen Fans in ganz Deutschland mitgerissen hat, zeigen die Reaktionen in den Stadien, beim Empfang auf dem Römer und auch in den Medien. Und zweitens sind das alles tolle Spielerinnen mit Geschichten, die den Frauen-Fußball populärer gemacht haben. Dazu hat auch die Dokumentation "Born for this" wesentlich beigetragen.

DFB.de: Das Team hat einen echten Hype ausgelöst …

Chatzialexiou: … den wir gemeinsam mit allen Beteiligten auch auf die Frauen-Bundesliga übertragen haben. Die Zuschauerzahlen bzw. -rekorde dort sprechen für sich. Die Wahrnehmung des Frauen-Fußballs hat sich geändert: Es ist ein nie gekanntes Interesse in der Bevölkerung da und wir spüren die Unterstützung in den Vereinen.

DFB.de: Im Sommer 2023 wartet mit der Weltmeisterschaft gleich das nächste Highlight und die Chance, auch den allerletzten Schritt zum Titel zu gehen.

Chatzialexiou: Ja, auch wenn es keine Selbstverständlichkeit ist, diesen tollen Erfolg, diese EM-Reise mit all ihren Hindernissen, zu wiederholen. Wir sind nicht satt. Ich spüre, dass alle den Anspruch haben, am 20. August in Sydney wieder beim Finale dabei zu sein – und dann den Pokal in die Höhe zu recken.

DFB.de: Was tun Sie, um das Team dabei bestmöglich zu unterstützen?

Chatzialexiou: Wichtig ist, die Erfolgswelle nun weiterzureiten. Hierfür ist es notwendig, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Diese werden die Basis für eine erfolgreiche WM bilden. Hier werde ich mich einbringen. Außerdem wollen wir wichtige, gute Entscheidungen für den Nachwuchs treffen und dort Bereiche weiterentwickeln, um unsere Position zu sichern und wieder vorneweg zu marschieren. Denn ich sehe sowohl in der Entwicklung aller Spielerinnen als auch der Trainer*innen im Mädchenfußball noch viele Potenziale.

DFB.de. Ein gutes Stichwort, Potenziale. Die haben auch die Juniorinnen bei vier Turnieren in 2022 gezeigt. Wie fällt Ihr Fazit zu den U 17- und U 19-Welt- und Europameisterschaften aus?

Chatzialexiou: Was die Ergebnisse der Endrunden betrifft, gab es viel Licht, aber auch Schatten. Die U 19- und U 20-Nationalmannschaft sind bei ihrem Turnier jeweils in der Vorrunde ausgeschieden. Wir sollten beide Turniere unabhängig voneinander sehen und den unterschiedlichen Verlauf bewerten. Was sie eint: Die suboptimale Vorbereitung. Hier wurden unsere strukturellen Defizite knallhart aufgezeigt. Im Übergangsbereich besteht Handlungsbedarf. Wir wollen die Spielerinnen zukünftig besonders in dieser erfolgskritischen Phase für ihre Karriere optimal begleiten.

DFB.de: Im Entwicklungsbereich lief es besser. Die weibliche U 17 holte den EM-Titel.

Chatzialexiou: Das war klasse, die Mannschaft von Trainerin Fritzy Kromp hat uns viel Freude bereitet. Schon in der Quali hat sie mit enormem Willen überzeugt und auch bei der WM vielen Widrigkeiten getrotzt. Das hat, trotz der Niederlage nach Elfmeterschießen, gerade das Spiel um Platz drei gezeigt. Insgesamt gibt es im Entwicklungsbereich einige spannende Mädels, auch in den U 15- und U 16-Jahrgängen. Was mich begeistert ist die Leidenschaft, mit der die Spielerinnen ihren Träumen nacheifern. Es waren deutliche Entwicklungen zu sehen. Unsere Aufgabe ist es, die Spielerinnen weiterhin zu begleiten und sie für Martinas Team zu entwickeln.

DFB.de: Wie blicken Sie auf das Jahr im männlichen U-Bereich?

Chatzialexiou: Erst einmal bin ich glücklich, dass wir in 2022 alle Maßnahmen durchführen konnten und die Entwicklung unserer Jungs nicht unter corona-bedingten Absagen leiden musste. Weiterhin bin ich mit der Qualität und dem Engagement unserer Trainer-Teams unheimlich zufrieden. Sie haben es gemeinsam mit den Vereinen auch im vergangenen Jahr geschafft, unsere Spieler weiterzuentwickeln.

DFB.de: Wie fällt ihr Fazit mit Blick auf das Turnierabschneiden aus?

Chatzialexiou: Wie bei den Juniorinnen mit Licht und Schatten: Die U 19 hatte Probleme, konnte sich nicht für die EM qualifizieren. Sie war auch Opfer des brutalen Qualifikationsmodus‘. Die U 17 von Marc Meister wiederum hat tolle Auftritte hingelegt. Im Viertelfinale sind die Jungs unglücklich im Elfmeterschießen gegen den späteren Europameister Frankreich ausgeschieden. Sie haben zu spüren bekommen, dass es auch andere Länder mit einem sehr starken 2005er-Jahrgang gibt. Als sportliche Leitung haben wir auch hier den Auftrag, die spannenden Spieler, die wir besser kennengelernt haben, weiter zu begleiten. Wir wollen gegenüber anderen Nationen, die einen größeren Pool an herausragenden Einzelspielern haben, aufholen.

DFB.de: Lassen Sie uns über die WM in Katar sprechen, zu der Sie ein Analyseteam, bestehend aus U-Trainern, entsandt haben. Was wurde Ihnen berichtet und was haben Sie selbst vor Ort beobachtet?

Chatzialexiou: Argentinien hat sich den Titel nach einem klasse Endspiel verdient. Mit Lionel Messi hat einer der besten Spieler der Historie den letzten ihm noch fehlenden Pokal geholt – für seine frenetischen Landsleute, diese fantastischen Fans, war das der krönende Abschluss. Alles in allem habe ich viele gute Spiele gesehen, auch unsere haben mir größtenteils gut gefallen. Das mag kurios klingen, aber wenn man unsere Spiele rational bewertet, dann war da viel Gutes dabei.

DFB.de: Dass Sie das Ausscheiden dennoch schmerzt, verbergen Sie Ihrem Gesichtsausdruck nach nicht.

Chatzialexiou: Natürlich sind wir unglaublich enttäuscht. Wir hatten mehr verdient, haben uns eine Vielzahl an klaren Chancen herausgespielt und einen Expected-Goals-Wert aufgestellt, der höher als bei allen anderen Teams war. Das zeigt die vielen guten Lösungen, die wir in der Offensive präsentiert haben. Dennoch hat uns die Konsequenz vor dem Tor gefehlt. Also etwas, das den deutschen Fußball lange ausgezeichnet hat. Genau wie die unbedingte Defensivlust, die in der Vergangenheit Teil unserer DNA war. Wir müssen wieder dahin kommen, dass wir dem Gegner auch mal wehtun und über 90 Minuten konstant verteidigen. Schlussendlich haben uns kurze, weniger gute Phasen das Weiterkommen gekostet.

DFB.de: Was ergibt sich aus dieser Analyse für die Nachwuchsarbeit, welche Ansatzpunkte sehen Sie?

Chatzialexiou: Die Nationalmannschaft hatte nicht das Problem, zu wenig Qualität für mehr zu haben. Die aktuellen Diskussionen für notwendige Maßnahmen allein mit dem Abschneiden bei der WM zu begründen, verstehe ich nicht. Denn die Probleme, die von uns benannt werden, sind heute noch gar nicht mal so präsent. Sie betreffen weniger die aktuelle Mannschaft – wenn wir nicht endlich Veränderungen anstreben, werden wir viel mehr erst in den kommenden Jahren ein wirkliches Qualitätsproblem erleben.

DFB.de: Können Sie das präzisieren?

Chatzialexiou: Das Projekt Zukunft steht für den Prozess einer langfristigen und ganzheitlichen Veränderung im deutschen Fußball. Seit Anfang 2018, noch vor der damaligen WM, haben wir uns den Status Quo im deutschen Nachwuchsfußball angeschaut und notwendige Verbesserungsvorschläge definiert. Das waren Konzepte für eine verbesserte Nachwuchsförderung: Wir haben bereits den Kinderfußball reformiert, die Trainer*innen-Entwicklung und die Digitalisierung im Fußball vorangetrieben. Bei weiteren Maßnahmen zu großen existierenden Herausforderungen sind wir noch nicht so weit.  

DFB.de: Was haben Sie noch vor?

Chatzialexiou: Die Anpassung der Wettbewerbe ist höchst relevant, aber noch nicht abschließend umgesetzt. Das ist ein langwieriger und teils herausfordernder Prozess. Mittlerweile sind wir aber auch hier auf einem besseren Weg! Auch im Übergangsbereich müssen wir Entwicklungen vorantreiben, dieses Thema wollen wir 2023 angehen. Denn allen Beteiligten muss bewusst sein, dass uns ein verschlepptes Umsetzen Teile unserer Zukunft kostet – wir müssen jetzt handeln. Mit Blick auf die EURO 2024 entwickeln wir zudem individualisierte Programme.

DFB.de: Damit spielen Sie auf die positionsspezifischen Trainingseinheiten an?

Chatzialexiou: Genau, unter anderem. Wir wollen den zukünftigen Neuner wieder aufleben lassen und arbeiten dafür schon seit einiger Zeit positionsspezifisch mit unseren U-Teams. Die Gier, Tore zu erzielen, diese absolute Überzeugung – das sind Stellschrauben, die wir drehen müssen und die wir in unseren Trainingsformen bei den Nationalmannschaften einbauen. Wir wollen unsere Spieler individualisiert entwickeln, sie auf die Anforderungen auf höchstem Niveau vorbereiten. Dabei fokussieren wir nicht nur heutige "Problem-Positionen", sondern alle.

DFB.de: Um auf einzelne Spieler tiefergehend einzugehen, braucht es Personal auf der Trainerseite. Wie arbeiten die U-Nationaltrainer*innen?

Chatzialexiou: Sie sind nicht nur aktiv, wenn die Mannschaften zusammen sind: Allein im vergangenen Jahr haben sie rund 1100 Spiele gesichtet, 130 Vereinsbesuche absolviert und bei mehr als 200 Vorträgen den Kontakt zu unseren Klubs und Landesverbänden gepflegt und Wissen mit ihnen geteilt. Ich bin sehr stolz auf die Zusammenstellung unseres Trainer*innenteams. Die Trainer*innen bringen viele verschiedene Kompetenzen ein. Wir haben viele ehemalige Bundesliga- und Nationalspieler*innen und genauso im Nachwuchsbereich erfahrene Kräfte. Zusammen mit den Expert*innen der DFB-Akademie arbeiten die Trainer*innen an allen Potenzialen unserer Talente. Hand in Hand mit den Vereinen wollen wir sie optimal begleiten. Erfolg hat man nur gemeinsam und diesen sollten wir sehr schnell wieder nach Deutschland holen!

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