Cacau: Mann der Mitte

Früher sollte er oft die Führung erzielen, heute ist er für den Ausgleich zuständig. Ex-Nationalspieler Cacau ist der neue Integrationsbeauftragte des DFB. Der gebürtige Brasilianer bringt Authentizität und Persönlichkeit mit in seine Aufgabe. Und jede Menge Energie.

Erhöhter Einsatz, größere Verantwortung, ein Mehr an Kraft und Zeit. Alles trifft zu. Cacau will sich nach seinen Jahren als Botschafter beim DFB künftig noch stärker einbringen und hat eine Kernaufgabe mit immenser Bedeutung übernommen. Der 23-malige Nationalspieler ist der neue DFB-Integrationsbeauftragte. "Ich will nicht nur das Gesicht sein, ich möchte in das Thema eintauchen", sagte Claudemir Jeronimo Barreto, den alle Welt einfach nur "Cacau" nennt, beim ersten Medientermin in Frankfurt am Main.

Seit 2006 hat der organisierte Fußball die gezielte Förderung des Miteinanders durch den Fußball intensiviert, etwa mittels der jährlichen Vergabe des DFB- und Mercedes-Benz-Integrationspreises, der Produktion eines von Sönke Wortmann gedrehten Integrationsspots oder der ebenfalls reichweitenstarken Kampagne "Mach einen Strich durch Vorurteile". Zuletzt startete die DFB-Stiftung Egidius Braun gemeinsam mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration die Kampagne "1:0 für ein Willkommen". Binnen zwei Jahren wurden rund 3000 Vereine ausgezeichnet, die zuvor Flüchtlinge zum Fußballspielen eingeladen hatten. 1,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund sind DFB-Mitglied, womit der Fußball deutlich vielfältiger ist als viele andere Sportarten.

Cacau betritt kein Neuland

Cacau betritt also kein Neuland und muss auch keine Pionierarbeit leisten. Doch ist Integration für alle ein großes Thema und für manche ein Reizwort. Der Zulauf bei Pegida oder erschreckende Studienergebnisse über eine angeblich "enthemmte" Mitte der Gesellschaft lassen erahnen, wie viel Gespür und gleichzeitig Haltung Cacau in seiner neuen Rolle beweisen muss.

Auf seiner neuen Position hat der 35-Jährige losgelegt, wie man es von ihm kennt. Cacau gelang ein Blitzstart. Beim WM-Gruppenspiel gegen Australien 2010 hatte ihn Bundestrainer Joachim Löw für Miroslav Klose eingewechselt, und der Sekundenzeiger war gerade 110-mal vorangeruckt, schon klingelte es: bis heute das zweitschnellste WM-Tor nach einer Einwechslung. Zug zum Tor, Klarheit im Abschluss – genauso wie jetzt. Am Dienstag stellte er sich den Medien vor, am Donnerstag und Freitag diskutierte er buchstäblich bis in die Nacht auf einer DFB-Konferenz in Kaiserau, am Sonntagabend war er Studiogast beim SWR-"Flutlicht", und am Montag sprach er wieder über Integration, diesmal als Interviewgast bei der Übertragung des Zweitligaspiels Stuttgart gegen Nürnberg.

"Ich freue mich auf diese Aufgabe"

Und erntete überall Zustimmung. "Man kann keinen Profi zwingen, sich zu gesellschaftlichen Themen zu äußern. Aber natürlich haben wir Fußballer eine Verantwortung und eine Vorbildfunktion", sagte er in der Sportschule Kamen-Kaiserau den Konferenzteilnehmern aus Sport, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. "Ich freue mich auf diese Aufgabe. Es ist nicht die eine tolle Idee, die alles löst. Aber wenn man versteht, dass Integration bei einem selbst anfängt, ist schon viel gewonnen", sagte er beim Pressetermin in Frankfurt. Mit Juniorenmannschaften aus dem Elitefußball will er bald Sozialprojekte besuchen: "Es ist keine vertane Zeit, wenn gerade junge Spieler erleben, dass die Fußballwelt nicht alles ist."

Mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt er in der Gemeinde Korb bei Stuttgart. Dass er 2008 die Einbürgerung beantragte, hatte nichts mit seinen sportlichen Ambitionen und alles mit seiner Liebe für Deutschland zu tun. Bei einer Bürgermeisterwahl erhielt er sechs Stimmen – obwohl er gar nicht kandidiert hatte. Im Oktober 2016 setzte er dann den Schlusspunkt unter eine erfolgreiche, bedenkt man seine Ausgangslage wahrhaft märchenhafte Fußballerkarriere. Seitdem hat er ein Sportmanagement-Studium an der ESM-Academy in Nürnberg begonnen. Irgendwann will er als Sportdirektor in den bezahlten Fußball zurückkehren.

"Übergriffe schaden Ansehen Deutschlands in der Welt"

In seiner Heimat Brasilien war der Teenager auf dem Weg in den Profifußball gescheitert. Nun wollte er es in Deutschland versuchen – und landete 1999 beim bayerischen Landesligisten Türk Gücü München. Wenn Cacau davon berichtet, wie der Trainer die Kabinenansprache auf Türkisch hielt, ein Mitspieler die Rede ins Deutsche übersetzte und er kein Wort verstand, dass sein erstes Deutsch-Buch "Moment mal" hieß und wie sehr er in seinem ersten deutschen Winter fror, ist das alles nicht Agenda oder Strategie, sondern unmittelbare Erfahrung. Er sagt: "Viele Menschen haben mir damals uneigennützig und sehr herzlich weitergeholfen. Ich glaube, ich kann Einwanderern glaubwürdig vermitteln, welche Chancen einem offenstehen. Und wie viel man dafür leisten muss."

Er pokert nicht, ist auch bei ersten Begegnungen offen und herzlich. Mit Sorge verfolge er die Nachrichten über die steigende Anzahl rechtsextremer Straftaten: "Das ist nicht das Deutschland, das ich kenne. Aber man darf sich auch nicht zu sehr ängstigen lassen. Das ist nicht die Mehrheit, es sind radikale Einzeltäter oder radikale Gruppen, von denen die Gefahr ausgeht. Solche Übergriffe schaden auch dem Ansehen Deutschlands in der Welt." Er weiß, dass er in den kommenden Monaten einige Flüchtlingsunterkünfte besuchen wird und sagt: "Gerade bei Flüchtlingen ist es wichtig, dass wir einheimischen Deutschen auf die Menschen zugehen, denn wer neu irgendwo ankommt, hat meist Hemmungen." Und er sagt auch: "Dieses Land gibt einem eine riesige Chance. Es ist dann okay, dankbar zu sein und diese Dankbarkeit auch zu vermitteln."

Ob in 263 Pflichtspielen für den VfB Stuttgart oder im Nationalteam, im Grunde war er immer ein Mittelstürmer. Die Rolle als Mann in der Mitte soll er in den kommenden Jahren noch mal für den DFB spielen. Nur ist nun nicht mehr der Treffer zur Führung sein Job. Vielleicht ist die Aufgabe sogar schwerer geworden. Es geht um den Ausgleich.

[th]

Früher sollte er oft die Führung erzielen, heute ist er für den Ausgleich zuständig. Ex-Nationalspieler Cacau ist der neue Integrationsbeauftragte des DFB. Der gebürtige Brasilianer bringt Authentizität und Persönlichkeit mit in seine Aufgabe. Und jede Menge Energie.

Erhöhter Einsatz, größere Verantwortung, ein Mehr an Kraft und Zeit. Alles trifft zu. Cacau will sich nach seinen Jahren als Botschafter beim DFB künftig noch stärker einbringen und hat eine Kernaufgabe mit immenser Bedeutung übernommen. Der 23-malige Nationalspieler ist der neue DFB-Integrationsbeauftragte. "Ich will nicht nur das Gesicht sein, ich möchte in das Thema eintauchen", sagte Claudemir Jeronimo Barreto, den alle Welt einfach nur "Cacau" nennt, beim ersten Medientermin in Frankfurt am Main.

Seit 2006 hat der organisierte Fußball die gezielte Förderung des Miteinanders durch den Fußball intensiviert, etwa mittels der jährlichen Vergabe des DFB- und Mercedes-Benz-Integrationspreises, der Produktion eines von Sönke Wortmann gedrehten Integrationsspots oder der ebenfalls reichweitenstarken Kampagne "Mach einen Strich durch Vorurteile". Zuletzt startete die DFB-Stiftung Egidius Braun gemeinsam mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration die Kampagne "1:0 für ein Willkommen". Binnen zwei Jahren wurden rund 3000 Vereine ausgezeichnet, die zuvor Flüchtlinge zum Fußballspielen eingeladen hatten. 1,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund sind DFB-Mitglied, womit der Fußball deutlich vielfältiger ist als viele andere Sportarten.

Cacau betritt kein Neuland

Cacau betritt also kein Neuland und muss auch keine Pionierarbeit leisten. Doch ist Integration für alle ein großes Thema und für manche ein Reizwort. Der Zulauf bei Pegida oder erschreckende Studienergebnisse über eine angeblich "enthemmte" Mitte der Gesellschaft lassen erahnen, wie viel Gespür und gleichzeitig Haltung Cacau in seiner neuen Rolle beweisen muss.

Auf seiner neuen Position hat der 35-Jährige losgelegt, wie man es von ihm kennt. Cacau gelang ein Blitzstart. Beim WM-Gruppenspiel gegen Australien 2010 hatte ihn Bundestrainer Joachim Löw für Miroslav Klose eingewechselt, und der Sekundenzeiger war gerade 110-mal vorangeruckt, schon klingelte es: bis heute das zweitschnellste WM-Tor nach einer Einwechslung. Zug zum Tor, Klarheit im Abschluss – genauso wie jetzt. Am Dienstag stellte er sich den Medien vor, am Donnerstag und Freitag diskutierte er buchstäblich bis in die Nacht auf einer DFB-Konferenz in Kaiserau, am Sonntagabend war er Studiogast beim SWR-"Flutlicht", und am Montag sprach er wieder über Integration, diesmal als Interviewgast bei der Übertragung des Zweitligaspiels Stuttgart gegen Nürnberg.

"Ich freue mich auf diese Aufgabe"

Und erntete überall Zustimmung. "Man kann keinen Profi zwingen, sich zu gesellschaftlichen Themen zu äußern. Aber natürlich haben wir Fußballer eine Verantwortung und eine Vorbildfunktion", sagte er in der Sportschule Kamen-Kaiserau den Konferenzteilnehmern aus Sport, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. "Ich freue mich auf diese Aufgabe. Es ist nicht die eine tolle Idee, die alles löst. Aber wenn man versteht, dass Integration bei einem selbst anfängt, ist schon viel gewonnen", sagte er beim Pressetermin in Frankfurt. Mit Juniorenmannschaften aus dem Elitefußball will er bald Sozialprojekte besuchen: "Es ist keine vertane Zeit, wenn gerade junge Spieler erleben, dass die Fußballwelt nicht alles ist."

Mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt er in der Gemeinde Korb bei Stuttgart. Dass er 2008 die Einbürgerung beantragte, hatte nichts mit seinen sportlichen Ambitionen und alles mit seiner Liebe für Deutschland zu tun. Bei einer Bürgermeisterwahl erhielt er sechs Stimmen – obwohl er gar nicht kandidiert hatte. Im Oktober 2016 setzte er dann den Schlusspunkt unter eine erfolgreiche, bedenkt man seine Ausgangslage wahrhaft märchenhafte Fußballerkarriere. Seitdem hat er ein Sportmanagement-Studium an der ESM-Academy in Nürnberg begonnen. Irgendwann will er als Sportdirektor in den bezahlten Fußball zurückkehren.

"Übergriffe schaden Ansehen Deutschlands in der Welt"

In seiner Heimat Brasilien war der Teenager auf dem Weg in den Profifußball gescheitert. Nun wollte er es in Deutschland versuchen – und landete 1999 beim bayerischen Landesligisten Türk Gücü München. Wenn Cacau davon berichtet, wie der Trainer die Kabinenansprache auf Türkisch hielt, ein Mitspieler die Rede ins Deutsche übersetzte und er kein Wort verstand, dass sein erstes Deutsch-Buch "Moment mal" hieß und wie sehr er in seinem ersten deutschen Winter fror, ist das alles nicht Agenda oder Strategie, sondern unmittelbare Erfahrung. Er sagt: "Viele Menschen haben mir damals uneigennützig und sehr herzlich weitergeholfen. Ich glaube, ich kann Einwanderern glaubwürdig vermitteln, welche Chancen einem offenstehen. Und wie viel man dafür leisten muss."

Er pokert nicht, ist auch bei ersten Begegnungen offen und herzlich. Mit Sorge verfolge er die Nachrichten über die steigende Anzahl rechtsextremer Straftaten: "Das ist nicht das Deutschland, das ich kenne. Aber man darf sich auch nicht zu sehr ängstigen lassen. Das ist nicht die Mehrheit, es sind radikale Einzeltäter oder radikale Gruppen, von denen die Gefahr ausgeht. Solche Übergriffe schaden auch dem Ansehen Deutschlands in der Welt." Er weiß, dass er in den kommenden Monaten einige Flüchtlingsunterkünfte besuchen wird und sagt: "Gerade bei Flüchtlingen ist es wichtig, dass wir einheimischen Deutschen auf die Menschen zugehen, denn wer neu irgendwo ankommt, hat meist Hemmungen." Und er sagt auch: "Dieses Land gibt einem eine riesige Chance. Es ist dann okay, dankbar zu sein und diese Dankbarkeit auch zu vermitteln."

Ob in 263 Pflichtspielen für den VfB Stuttgart oder im Nationalteam, im Grunde war er immer ein Mittelstürmer. Die Rolle als Mann in der Mitte soll er in den kommenden Jahren noch mal für den DFB spielen. Nur ist nun nicht mehr der Treffer zur Führung sein Job. Vielleicht ist die Aufgabe sogar schwerer geworden. Es geht um den Ausgleich.

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