BVB 1966: Erster deutscher Europacupsieger

Wenn eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages der Ball auch im Europapokal wieder rollt und der Kalender den 5. Mai zeigt, dann stehen die Vorzeichen gut für eine deutsche Mannschaft. Historiker Udo Muras erinnert auf DFB.de an zwei glorreiche Premieren.

1960: Zweimal sechs macht zwölf Tore

5. Mai 1960: Glasgow Rangers - Eintracht Frankfurt 3:6

Heute vor 60 Jahren zog mit dem Meister von 1959 erstmals eine deutsche Mannschaft in ein Europapokalendspiel ein. Eine Überraschung war es eigentlich nicht mehr, die hatte es schon im Hinspiel des Landesmeisterwettbewerbs 1959/1960 gegeben - und danach war im Grunde alles klar. Das 6:1 im Waldstadion am 13. April 1960 über den ruhmreichen schottischen Rekordmeister (damals bereits 31 Titel) Glasgow Rangers gilt noch immer als bestes Spiel der Eintracht-Historie. Der "Fußball-Sensation in Frankfurt" (Neue Presse) folgte zwei Wochen später an einem Donnerstag die Pflichtaufgabe im Ibrox-Park. Der größte Feind der von Paul Oßwald trainierten Hessen war der Leichtsinn.

Geschafft war es eben doch noch nicht. Es hatte noch keine deutsche Vereinsmannschaft je auf der britischen Insel ein Pflichtspiel gewonnen. Außerdem hatten die Rangers-Fans ihr auf Wiedergutmachung bestrebtes Team, das gerade erst Pokalsieger geworden war, noch nicht aufgegeben. 68.578 Menschen füllten die Ränge des Ibrox-Park zu drei Vierteln. Die Eintracht hatte keinen Grund, sich zu verstecken. Oßwald kündigte an: "Wir werden unser Spiel machen. Nur darin liegt unsere Chance. Im Übrigen hoffe ich, dass meine Elf mit demselben Ehrgeiz und Eifer, mit der gleichen Spielfreude wie im Vorspiel bei der Sache ist. Dann kann kaum etwas schief gehen."

Glasgow gleicht aus, Pfaff antwortet

Seine Hoffnungen erfüllten sich. Wenn noch irgendwo ein Hoffnungsfunke glühte im Ibrox-Park, so erlosch er bereits nach acht Minuten, als Dieter Lindner sein 30-Meter-Solo mit einem strammen Schuss aus 25 Metern in den Winkel abschloss. McMilian glich zwar vier Minuten später aus, aber das warf die Eintracht nicht mehr um. Der überragende Alfred Pfaff legte schnell nach (20.) und verdiente sich ein Sonderlob des Sport-Magazins: "Besser als Alfred Pfaff kann selbst Alfredo di Stefano den Ball nicht beherrschen."

Zum Vergleich mit dem Ballkünstler von Real Madrid würde es zwei Wochen später (18. Mai) im Finale kommen. Übrigens an gleicher Stelle. Weshalb die Eintracht kurioserweise nach Glasgow fuhr, um nach Glasgow zu kommen. Sie testete zwei Wochen zuvor schon mal in entspannter Stimmung die Rahmenbedingungen. Zur Pause führten sie nach Richard Kreß' Treffer (27.) in summa mit 9:2. Einige der mitgereisten Fans drehten in der Halbzeit bereits eine Ehrenrunde und ernteten trotz freundlicher Worte auf ihrem Transparent - "Frankfurt grüßt Glasgow" - böse Pfiffe.

Auf die Eintracht konnte ein objektiver Beobachter indes nicht böse sein und als sie nach dem Anschlusstreffer durch McMilian (53.) ihren Torreigen fortsetzte, verdiente sie sich den Beifall der Massen. Ein Doppelschlag von Erich Meier (67., 69.) stellte die Anzeige auf 2:5, auf Wilsons Treffer (72.) hatte Pfaff immer noch eine Antwort (80.), 3:6. Wieder war das halbe Dutzend voll - einfach sensationell. Zwölf Tore eines Halbfinalisten hatte es bis dahin nicht gegeben und sind bis heute einmalig im Landesmeister-Cup und der ihm folgenden Champions League.

Spalier des Verlierers für den Sieger

Ebenso einmalig wie das Szenario nach Abpfiff: Nicht nur die Zuschauer applaudierten dem Sieger, auch die Rangers-Spieler. Sie bildeten ein Spalier für ihre Gäste auf dem Weg in die Kabinen und Willi Stevenson prophezeite: "Ich glaube, dass die Mannschaft gegen Real gewinnt, denn die Kampfweise der Eintracht liegt den Spaniern nicht."

Immerhin war der Boden für einen gefühlten Heimvorteil bereitet. Selten wurde ein Gast im Ibrox-Park so gefeiert, selbst noch bei der Abfahrt des Mannschaftsbusses gab es Ovationen schottischer Fans. Die britische Presse fand derweil deutliche Worte für die Schotten: "Das war die Ibrox-Katastrophe 1960", schrieb der Daily Record und die Daily Mail sekundierte: "Rangers zerfetzt und in Streifen gerissen."

Finalgegner Real Madrid war natürlich mit Beobachtern vor Ort, Manager Emil Östreicher zeigte sich tief beindruckt: "Das wird ein sehr schwerer Gegner für Real im Endspiel sein." Davon mehr am 18. Mai…

1966: Sensation im Hampden-Park

5. Mai 1966: Borussia Dortmund - FC Liverpool 2:1 n.V.

Auch diese Geschichte spielt in Glasgow, wenn auch in einem anderen Stadion, und diesmal steht am Ende ein Pokalgewinn für eine deutsche Mannschaft. Der erste in elf Jahren Europacup, die Premiere ereignet sich im Pokalsiegerwettbewerb. Endlich trägt die Gründung der Bundesliga 1963 Früchte, schaut Deutschland nicht mehr zu, wenn die anderen feiern.

Schon im Halbfinale schrieb der BVB Geschichte und gewann als erste deutsche Mannschaft in England (2:1 bei West Ham United) durch zwei späte Treffer von Lothar Emmerich (86., 87.).

Im Finale wartete eine weitere englische Mannschaft: der FC Liverpool, der fünf Tage zuvor Meister geworden war und entsprechend selbstbewusst war. "Wir sind unschlagbar. Wir holen den Cup!", tönte Team-Manager Bill Shankley, der sein Team zum "besten Team der Welt" erklärte und die Reserve zum zweitbesten. 20.000 Fans teilten den Optimismus und reisten wieder nach Glasgow, wo Liverpool im Halbfinale Celtic eliminiert hatte. Wieder vergab eine Glasgower Elf die Chance auf ein "final at home".

"Einmal gewinnen wir - und das ist heute"

In der Nacht vor dem Spiel schlichen sich Fans der "Reds" ins Stadion und strichen die Torpfosten rot an. Der BVB wurde von 4000 Anhängern begleitet. Auch Borussia glaubte an die Magie guter Vorzeichen und bezog ein Hotel 20 Kilometer südlich von Glasgow an der Irischen See. Wer im "Marine-Hotel" von Troon wohnte, so ging die Mär, hatte noch kein Spiel in Glasgow verloren. BVB-Trainer Willi Multhaup, den alle "Fischken" nannten, weil er der Sohn eines Fischhändlers war, machte seinem Team auf ganz spezielle Weise Mut: "Von zehn Spielen gegen uns wird Liverpool neun gewinnen. Einmal gewinnen wir - und das ist heute, merkt euch das."

Drei Tage verbrachten die Borussen in Troon mit Training, Kartenspielen, Golf und Strandspaziergängen. Dann, nach dem auf 14.30 Uhr verlegten Mittagessen mit Steak, wurde es allmählich ernst. Nur 42.000 Zuschauer füllten den Hampden-Park, das damals größte Stadion Europas, nicht einmal zu einem Drittel. Vielleicht auch, weil es regnete. Die Dortmunder Spielerfrauen waren vor Ort, der BVB hatte sie einfliegen lassen. "Zur Beruhigung des notorisch eifersüchtigen Libuda", wie die Vereinschronik "Ein Jahrhundert Borussia Dortmund" süffisant vermerkt. Vor dem Anpfiff rief "Aki" Schmidt den zum Leichtsinn neigenden Rudi Assauer noch mal zur Ordnung: "Assi, wenn Du auch nur einen Fehlpass spielst, trete ich Dir in den Arsch." Fußballer-Jargon.

Es entwickelte sich ein zähes Spiel auf zunehmend matschigem Untergrund. Kurz nach Anpfiff mussten die BVB-Anhänger gleich mal den Atem anhalten, als Theo Redder für seinen etwas nervös beginnenden Torwart Hans Tilkowski auf der Linie retten mussten. Ansonsten wirkte die Abwehr sattelfest und die Westfälische Rundschau lobte Ausputzer Wolfgang Paul blumig: "Er stand wie eine Eiche in der Hintermannschaft." Aber es mangelte an Entlastung. Die Shooting-Stars der Saison, Mittelstürmer Siggi Held und Linksaußen Lothar Emmerich, kamen kaum zur Geltung, auch Reinhard "Stan" Libuda hatte auf rechts seine liebe Mühe und Not mit der harten englischen Gangart.

"Lothar flankt von links und ich verwandele"

Nach 32 Minuten wäre Redder fast ein Kopfball-Eigentor unterlaufen, in der 38. hatte Held die Dortmunder Führung auf dem Fuß, aber Keeper Lawrence parierte. In der Halbzeit tauschte Borussia trotz widrigen Wetters die durchnässten langärmeligen gegen kurzärmelige Trikots. Ob Absicht oder nicht - es war ein Zeichen von Entschlossenheit, sich den rauen Umständen dieses Ermüdungskampfes zu stellen. Liverpool verstärkte zwar den Druck und war in puncto Ballbesitz und Laufleistung, hätte man es schon damals gemessen, gewiss überlegen.

Aber das erste Tor schoss der BVB. Siggi Held verwertete eine Vorlage von Emmerich, die "schrecklichen Zwillinge", wie sie in der englischen Presse genannt wurden, taten etwas für ihren Ruf. Held erinnerte sich 50 Jahre danach: "Lothar flankt von links und ich verwandele."

Fußball kann so einfach sein. Sieben Minuten währte die Führung, dann fiel der irreguläre Ausgleich. Vor der Flanke auf den kommenden Weltmeister Hunt hatte der Ball schon die Seitenauslinie überschritten, der französische Schiedsrichter Schwinte ließ sich von den Protesten aber nicht beeindrucken. Hunderte Liverpool-Fans auch nicht, sie rannten spontan auf den Platz, das Tor zu feiern. Es blieb ihre einzige Feier.

"Ich dachte mir: jetzt oder nie!"

Das Spiel schleppte sich in die Verlängerung und es war auch beim kommenden Sieger nicht alles Gold, was glänzte. Wobei ohnehin wenig Glanz zu sehen war im Schlamm des Hampden Park. Das Sport Magazin schrieb über den BVB: "Leider beschränkte man sich bei Dortmund allzu sehr auf das Wegschlagen des Balles. Man sah keinen vernünftigen Angriff, schlechtes Abspiel und einen ständig im Angriff liegenden Gegner." Bill Shankley, der schlechte Verlierer, attestierte Borussia grimmig, sie könne in der englischen Liga nicht bestehen.

Hinterher war es egal, denn die Schwarz-Gelben nahmen den Pokal mit. Und das kam so: Es lief die 106. Minute, als Held nach einem langen Pass vom überragenden Schmidt aufs Liverpooler Tor zueilte und sich ihm Keeper Lawrence entgegen warf. Der Ball prallte zu Reinhard Libuda, den alle nur Stan nannten - weil er dribbeln konnte wie der legendäre Stanley Matthews. Das Tor war leer, doch der Weg weit. Nicht weit genug für Libuda, der "ohne einen gezielten Blick" (FAZ) den Ball gefühlvoll über dreißig Meter ins linke obere Eck schlenzte.

Mit Hilfe des Pfostens und des herbeieilenden Verteidigers Yeats prallte das Leder ins Netz. "Libudas Ball senkt sich ins Tor. Ins Tor, ins Tor. Es ist unglaublich", rief ARD-Reporter Ernst Huberty in sein Mikrofon. Libuda schilderte das Tor seines Lebens auf seine Weise: "Ich sah wie der Ball abprallte und sah ihn kommen. Mit dem linken Auge bemerkte ich das leere Tor, da hab ich abgezogen. Ich dachte mir: 'jetzt oder nie!' Als der Ball in der Luft war, spürte ich: der geht rein."

Platzsturm und Prügel

Das war sein Glück, die Mitspieler verstehen bis heute nicht, wieso der 1996 verstorbene Dribbelkünstler nicht noch ein paar Meter gelaufen ist. "Du, ich hätte Dich umgebracht, wenn der nicht reingegangen wäre", vertraute der Fußball-Arbeiter Schmidt dem Fußballkünstler Libuda an. Aber es ging ja alles gut.

Nach Abpfiff um 21.50 Uhr spielten sich turbulente Szenen ab. Fans beider Lager wollten den Spielern an die Wäsche. Die Dortmunder wollten Souvenirs, die Liverpooler Aggressionen abbauen. Die Westfälische Rundschau registrierte Belagerungsszenen vor den Kabinen und vermerkte: "Schlachtenbummler und Spieler bedrohten und schlugen die Borussen. Wosab wurde regelrecht k.o. geschlagen, Aki Schmidt erhielt einen Tritt gegen das Schienbein und Torhüter Tilkowski einen Boxhieb in die Magengrube."

Sekt, Brötchen und der Pokal im Meer

Schmidt hatte schon im Spiel einen Kinnhaken bekommen, so dass "ich am Abend nur Sekt einträufeln konnte." Spätestens jetzt wussten sie, dass sie etwas Großes geschafft hatten. Auch wenn die Nacht unspektakulär ausklang. Im Hotel wartete kein Bankett auf die Sieger, der Vorstand hatte nicht damit gerechnet. Der Zeugwart hatte immerhin eine Kiste Sekt aufgetrieben, die die Helden in einsamer Nacht am Strand von Troon leerten.

Zu essen gab es belegte Brötchen, wie sich Hans Tilkowski erinnerte. Spät in der Nacht fiel dann sogar der Pokal in die Irische See, wie das eben so ist, wenn glückliche junge Männer albern. Sie fanden ihn wieder, zum Glück. Denn in der Heimat waren am nächsten Tag über 300.000 Menschen gekommen, um den Pokal zu sehen und die erste deutsche Mannschaft, die ihn gewann.

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Wenn eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages der Ball auch im Europapokal wieder rollt und der Kalender den 5. Mai zeigt, dann stehen die Vorzeichen gut für eine deutsche Mannschaft. Historiker Udo Muras erinnert auf DFB.de an zwei glorreiche Premieren.

1960: Zweimal sechs macht zwölf Tore

5. Mai 1960: Glasgow Rangers - Eintracht Frankfurt 3:6

Heute vor 60 Jahren zog mit dem Meister von 1959 erstmals eine deutsche Mannschaft in ein Europapokalendspiel ein. Eine Überraschung war es eigentlich nicht mehr, die hatte es schon im Hinspiel des Landesmeisterwettbewerbs 1959/1960 gegeben - und danach war im Grunde alles klar. Das 6:1 im Waldstadion am 13. April 1960 über den ruhmreichen schottischen Rekordmeister (damals bereits 31 Titel) Glasgow Rangers gilt noch immer als bestes Spiel der Eintracht-Historie. Der "Fußball-Sensation in Frankfurt" (Neue Presse) folgte zwei Wochen später an einem Donnerstag die Pflichtaufgabe im Ibrox-Park. Der größte Feind der von Paul Oßwald trainierten Hessen war der Leichtsinn.

Geschafft war es eben doch noch nicht. Es hatte noch keine deutsche Vereinsmannschaft je auf der britischen Insel ein Pflichtspiel gewonnen. Außerdem hatten die Rangers-Fans ihr auf Wiedergutmachung bestrebtes Team, das gerade erst Pokalsieger geworden war, noch nicht aufgegeben. 68.578 Menschen füllten die Ränge des Ibrox-Park zu drei Vierteln. Die Eintracht hatte keinen Grund, sich zu verstecken. Oßwald kündigte an: "Wir werden unser Spiel machen. Nur darin liegt unsere Chance. Im Übrigen hoffe ich, dass meine Elf mit demselben Ehrgeiz und Eifer, mit der gleichen Spielfreude wie im Vorspiel bei der Sache ist. Dann kann kaum etwas schief gehen."

Glasgow gleicht aus, Pfaff antwortet

Seine Hoffnungen erfüllten sich. Wenn noch irgendwo ein Hoffnungsfunke glühte im Ibrox-Park, so erlosch er bereits nach acht Minuten, als Dieter Lindner sein 30-Meter-Solo mit einem strammen Schuss aus 25 Metern in den Winkel abschloss. McMilian glich zwar vier Minuten später aus, aber das warf die Eintracht nicht mehr um. Der überragende Alfred Pfaff legte schnell nach (20.) und verdiente sich ein Sonderlob des Sport-Magazins: "Besser als Alfred Pfaff kann selbst Alfredo di Stefano den Ball nicht beherrschen."

Zum Vergleich mit dem Ballkünstler von Real Madrid würde es zwei Wochen später (18. Mai) im Finale kommen. Übrigens an gleicher Stelle. Weshalb die Eintracht kurioserweise nach Glasgow fuhr, um nach Glasgow zu kommen. Sie testete zwei Wochen zuvor schon mal in entspannter Stimmung die Rahmenbedingungen. Zur Pause führten sie nach Richard Kreß' Treffer (27.) in summa mit 9:2. Einige der mitgereisten Fans drehten in der Halbzeit bereits eine Ehrenrunde und ernteten trotz freundlicher Worte auf ihrem Transparent - "Frankfurt grüßt Glasgow" - böse Pfiffe.

Auf die Eintracht konnte ein objektiver Beobachter indes nicht böse sein und als sie nach dem Anschlusstreffer durch McMilian (53.) ihren Torreigen fortsetzte, verdiente sie sich den Beifall der Massen. Ein Doppelschlag von Erich Meier (67., 69.) stellte die Anzeige auf 2:5, auf Wilsons Treffer (72.) hatte Pfaff immer noch eine Antwort (80.), 3:6. Wieder war das halbe Dutzend voll - einfach sensationell. Zwölf Tore eines Halbfinalisten hatte es bis dahin nicht gegeben und sind bis heute einmalig im Landesmeister-Cup und der ihm folgenden Champions League.

Spalier des Verlierers für den Sieger

Ebenso einmalig wie das Szenario nach Abpfiff: Nicht nur die Zuschauer applaudierten dem Sieger, auch die Rangers-Spieler. Sie bildeten ein Spalier für ihre Gäste auf dem Weg in die Kabinen und Willi Stevenson prophezeite: "Ich glaube, dass die Mannschaft gegen Real gewinnt, denn die Kampfweise der Eintracht liegt den Spaniern nicht."

Immerhin war der Boden für einen gefühlten Heimvorteil bereitet. Selten wurde ein Gast im Ibrox-Park so gefeiert, selbst noch bei der Abfahrt des Mannschaftsbusses gab es Ovationen schottischer Fans. Die britische Presse fand derweil deutliche Worte für die Schotten: "Das war die Ibrox-Katastrophe 1960", schrieb der Daily Record und die Daily Mail sekundierte: "Rangers zerfetzt und in Streifen gerissen."

Finalgegner Real Madrid war natürlich mit Beobachtern vor Ort, Manager Emil Östreicher zeigte sich tief beindruckt: "Das wird ein sehr schwerer Gegner für Real im Endspiel sein." Davon mehr am 18. Mai…

1966: Sensation im Hampden-Park

5. Mai 1966: Borussia Dortmund - FC Liverpool 2:1 n.V.

Auch diese Geschichte spielt in Glasgow, wenn auch in einem anderen Stadion, und diesmal steht am Ende ein Pokalgewinn für eine deutsche Mannschaft. Der erste in elf Jahren Europacup, die Premiere ereignet sich im Pokalsiegerwettbewerb. Endlich trägt die Gründung der Bundesliga 1963 Früchte, schaut Deutschland nicht mehr zu, wenn die anderen feiern.

Schon im Halbfinale schrieb der BVB Geschichte und gewann als erste deutsche Mannschaft in England (2:1 bei West Ham United) durch zwei späte Treffer von Lothar Emmerich (86., 87.).

Im Finale wartete eine weitere englische Mannschaft: der FC Liverpool, der fünf Tage zuvor Meister geworden war und entsprechend selbstbewusst war. "Wir sind unschlagbar. Wir holen den Cup!", tönte Team-Manager Bill Shankley, der sein Team zum "besten Team der Welt" erklärte und die Reserve zum zweitbesten. 20.000 Fans teilten den Optimismus und reisten wieder nach Glasgow, wo Liverpool im Halbfinale Celtic eliminiert hatte. Wieder vergab eine Glasgower Elf die Chance auf ein "final at home".

"Einmal gewinnen wir - und das ist heute"

In der Nacht vor dem Spiel schlichen sich Fans der "Reds" ins Stadion und strichen die Torpfosten rot an. Der BVB wurde von 4000 Anhängern begleitet. Auch Borussia glaubte an die Magie guter Vorzeichen und bezog ein Hotel 20 Kilometer südlich von Glasgow an der Irischen See. Wer im "Marine-Hotel" von Troon wohnte, so ging die Mär, hatte noch kein Spiel in Glasgow verloren. BVB-Trainer Willi Multhaup, den alle "Fischken" nannten, weil er der Sohn eines Fischhändlers war, machte seinem Team auf ganz spezielle Weise Mut: "Von zehn Spielen gegen uns wird Liverpool neun gewinnen. Einmal gewinnen wir - und das ist heute, merkt euch das."

Drei Tage verbrachten die Borussen in Troon mit Training, Kartenspielen, Golf und Strandspaziergängen. Dann, nach dem auf 14.30 Uhr verlegten Mittagessen mit Steak, wurde es allmählich ernst. Nur 42.000 Zuschauer füllten den Hampden-Park, das damals größte Stadion Europas, nicht einmal zu einem Drittel. Vielleicht auch, weil es regnete. Die Dortmunder Spielerfrauen waren vor Ort, der BVB hatte sie einfliegen lassen. "Zur Beruhigung des notorisch eifersüchtigen Libuda", wie die Vereinschronik "Ein Jahrhundert Borussia Dortmund" süffisant vermerkt. Vor dem Anpfiff rief "Aki" Schmidt den zum Leichtsinn neigenden Rudi Assauer noch mal zur Ordnung: "Assi, wenn Du auch nur einen Fehlpass spielst, trete ich Dir in den Arsch." Fußballer-Jargon.

Es entwickelte sich ein zähes Spiel auf zunehmend matschigem Untergrund. Kurz nach Anpfiff mussten die BVB-Anhänger gleich mal den Atem anhalten, als Theo Redder für seinen etwas nervös beginnenden Torwart Hans Tilkowski auf der Linie retten mussten. Ansonsten wirkte die Abwehr sattelfest und die Westfälische Rundschau lobte Ausputzer Wolfgang Paul blumig: "Er stand wie eine Eiche in der Hintermannschaft." Aber es mangelte an Entlastung. Die Shooting-Stars der Saison, Mittelstürmer Siggi Held und Linksaußen Lothar Emmerich, kamen kaum zur Geltung, auch Reinhard "Stan" Libuda hatte auf rechts seine liebe Mühe und Not mit der harten englischen Gangart.

"Lothar flankt von links und ich verwandele"

Nach 32 Minuten wäre Redder fast ein Kopfball-Eigentor unterlaufen, in der 38. hatte Held die Dortmunder Führung auf dem Fuß, aber Keeper Lawrence parierte. In der Halbzeit tauschte Borussia trotz widrigen Wetters die durchnässten langärmeligen gegen kurzärmelige Trikots. Ob Absicht oder nicht - es war ein Zeichen von Entschlossenheit, sich den rauen Umständen dieses Ermüdungskampfes zu stellen. Liverpool verstärkte zwar den Druck und war in puncto Ballbesitz und Laufleistung, hätte man es schon damals gemessen, gewiss überlegen.

Aber das erste Tor schoss der BVB. Siggi Held verwertete eine Vorlage von Emmerich, die "schrecklichen Zwillinge", wie sie in der englischen Presse genannt wurden, taten etwas für ihren Ruf. Held erinnerte sich 50 Jahre danach: "Lothar flankt von links und ich verwandele."

Fußball kann so einfach sein. Sieben Minuten währte die Führung, dann fiel der irreguläre Ausgleich. Vor der Flanke auf den kommenden Weltmeister Hunt hatte der Ball schon die Seitenauslinie überschritten, der französische Schiedsrichter Schwinte ließ sich von den Protesten aber nicht beeindrucken. Hunderte Liverpool-Fans auch nicht, sie rannten spontan auf den Platz, das Tor zu feiern. Es blieb ihre einzige Feier.

"Ich dachte mir: jetzt oder nie!"

Das Spiel schleppte sich in die Verlängerung und es war auch beim kommenden Sieger nicht alles Gold, was glänzte. Wobei ohnehin wenig Glanz zu sehen war im Schlamm des Hampden Park. Das Sport Magazin schrieb über den BVB: "Leider beschränkte man sich bei Dortmund allzu sehr auf das Wegschlagen des Balles. Man sah keinen vernünftigen Angriff, schlechtes Abspiel und einen ständig im Angriff liegenden Gegner." Bill Shankley, der schlechte Verlierer, attestierte Borussia grimmig, sie könne in der englischen Liga nicht bestehen.

Hinterher war es egal, denn die Schwarz-Gelben nahmen den Pokal mit. Und das kam so: Es lief die 106. Minute, als Held nach einem langen Pass vom überragenden Schmidt aufs Liverpooler Tor zueilte und sich ihm Keeper Lawrence entgegen warf. Der Ball prallte zu Reinhard Libuda, den alle nur Stan nannten - weil er dribbeln konnte wie der legendäre Stanley Matthews. Das Tor war leer, doch der Weg weit. Nicht weit genug für Libuda, der "ohne einen gezielten Blick" (FAZ) den Ball gefühlvoll über dreißig Meter ins linke obere Eck schlenzte.

Mit Hilfe des Pfostens und des herbeieilenden Verteidigers Yeats prallte das Leder ins Netz. "Libudas Ball senkt sich ins Tor. Ins Tor, ins Tor. Es ist unglaublich", rief ARD-Reporter Ernst Huberty in sein Mikrofon. Libuda schilderte das Tor seines Lebens auf seine Weise: "Ich sah wie der Ball abprallte und sah ihn kommen. Mit dem linken Auge bemerkte ich das leere Tor, da hab ich abgezogen. Ich dachte mir: 'jetzt oder nie!' Als der Ball in der Luft war, spürte ich: der geht rein."

Platzsturm und Prügel

Das war sein Glück, die Mitspieler verstehen bis heute nicht, wieso der 1996 verstorbene Dribbelkünstler nicht noch ein paar Meter gelaufen ist. "Du, ich hätte Dich umgebracht, wenn der nicht reingegangen wäre", vertraute der Fußball-Arbeiter Schmidt dem Fußballkünstler Libuda an. Aber es ging ja alles gut.

Nach Abpfiff um 21.50 Uhr spielten sich turbulente Szenen ab. Fans beider Lager wollten den Spielern an die Wäsche. Die Dortmunder wollten Souvenirs, die Liverpooler Aggressionen abbauen. Die Westfälische Rundschau registrierte Belagerungsszenen vor den Kabinen und vermerkte: "Schlachtenbummler und Spieler bedrohten und schlugen die Borussen. Wosab wurde regelrecht k.o. geschlagen, Aki Schmidt erhielt einen Tritt gegen das Schienbein und Torhüter Tilkowski einen Boxhieb in die Magengrube."

Sekt, Brötchen und der Pokal im Meer

Schmidt hatte schon im Spiel einen Kinnhaken bekommen, so dass "ich am Abend nur Sekt einträufeln konnte." Spätestens jetzt wussten sie, dass sie etwas Großes geschafft hatten. Auch wenn die Nacht unspektakulär ausklang. Im Hotel wartete kein Bankett auf die Sieger, der Vorstand hatte nicht damit gerechnet. Der Zeugwart hatte immerhin eine Kiste Sekt aufgetrieben, die die Helden in einsamer Nacht am Strand von Troon leerten.

Zu essen gab es belegte Brötchen, wie sich Hans Tilkowski erinnerte. Spät in der Nacht fiel dann sogar der Pokal in die Irische See, wie das eben so ist, wenn glückliche junge Männer albern. Sie fanden ihn wieder, zum Glück. Denn in der Heimat waren am nächsten Tag über 300.000 Menschen gekommen, um den Pokal zu sehen und die erste deutsche Mannschaft, die ihn gewann.

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