Der 28. Juli 1962 war ein Samstag. Ein Samstag, an dem
kein Fußball gespielt wurde, und doch war es einer der
bedeutendsten Tage in der Geschichte dieses Sports auf
deutschem Boden. Im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle
wurde heute vor genau 50 Jahren im Rahmen des 14. DFB-Bundestags die
Gründung der Bundesliga beschlossen.
Deutschland im Sommer 1962. Noch immer
regiert Konrad Adenauer die Republik, die endlich
nicht mehr vom Krieg spricht, weil gerade
ihr Wirtschaftswunder grassiert. Aber die Folgen des
Kriegs sind allgegenwärtig, und wer am 28. Juli die
Zeitungen aufschlägt, erfährt, dass Brasiliens Regierung
an diesem Tag verbietet, die dritte Auflage von
Hitlers „Mein Kampf“ zu drucken. Und er liest von fünf
verhafteten Mauerattentätern in West-Berlin. Die jungen
Männer wollten die Mauer, die die Stadt in Ost und
West trennt, sprengen, denn „wir sind gegen die Mauer“.
Nicht ungewöhnlich, nur ungewöhnlich mutig. Die Zeichen
stehen auf Veränderung.
Auch im deutschen Fußball. An jenem Samstag in
Dortmund wollen sie auch Mauern einreißen. Die Delegierten
sind guter Dinge. Das Wochenende hat angenehm
begonnen für die Männer, die an diesem Tag eine
epochale Entscheidung treffen wollen. Am Abend vor
dem 14. DFB-Bundestag haben sich die meisten bereits
im Dortmunder Kongresszentrum Westfalenhallen am
Rheinlanddamm direkt an der B 1 versammelt und im
sogenannten Goldsaal ein unterhaltsames Vorprogramm
genossen. Das „Sport Magazin“ schrieb: „24 Stunden
zuvor hatten noch an gleicher Stelle die Bundesliga-
Kämpfer beider Fronten einen frohen Kameradschaftsabend
verlebt, mit viel Varieté, Musik und Klein Ernas
‚lustigen Zwiegesprächen’. Tags darauf gab es auf demselben
Podium dann doch die ‚heftigen Zwiegespräche’.“
Worum streiten die 127 Delegierten, die rund zwei
Millionen Mitglieder und 15.000 Vereine vertreten, an
diesem bedeutsamen Tag? Punkt 7 der Tagesordnung,
der lapidar „Anträge“ heißt, sorgt für eine selten erlebte
Spannung auf einem DFB-Bundestag. Dessen besondere
Bedeutung unterstreicht die Anwesenheit hoher
Politiker wie dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-
Westfalen, Dr. Hans Meyers, dem Staatssekretär des
Innenministeriums und dem Dortmunder Oberbürgermeister.
Auch Willi Daume, Präsident des Deutschen
Sportbundes, verfolgt die Debatte, Bundestrainer Sepp
Herberger stimmt als Delegierter des Südwestdeutschen
Verbandes sogar mit ab.
10.15 Uhr: Beginn des Bundestags
Der um Punkt 10.15 Uhr beginnende Bundestag erhält
durch die Neuwahl des Präsidenten eine zusätzliche Bedeutung,
auch wenn im Vorfeld schon alles geklärt worden
ist. Der Kölner Peco Bauwens tritt nach 13-jähriger Amtszeit
ab, darf eine letzte launige Rede halten, erhält viel
dankbaren Beifall und wird alsdann zum DFB-Ehrenpräsidenten
ernannt. Dann wird sein Nachfolger inthronisiert:
Einstimmig geht die Wahl an den Osnabrücker Juristen
Dr. Hermann Gösmann. Mit Kassenbericht, Entlastung des
Vorstands, Neuwahlen diverser Ausschüsse und Totenehrung
wird der Vormittag verbracht. Das Wichtigste,
worauf alle warten und weshalb sich rund 50 Journalisten
akkreditiert haben, soll erst nach der 75-minütigen
Mittagspause kommen.
14.45 Uhr: Auftakt der Diskussion
Um 14.45 Uhr haben sich alle so weit gestärkt, um
die Gründung der Bundesliga in Angriff zu nehmen. Der
DFB-Vorstand macht keinen Hehl daraus, welches Ergebnis
er sich wünscht. Schließlich hat er selbst den Antrag
auf Bundesliga-Gründung gestellt. Noch unter der Führung
von Peco Bauwens war bereits 1960 beschlossen
worden, die Anzahl der Vertragsfußball-Klubs (126 Oberligisten)
wesentlich zu reduzieren und 1961, dass auf dem
nächsten Bundestag über eine Bundesliga-Gründung
abgestimmt werden solle. Bauwens sagt schon am Vormittag
voller Pathos: „Wir stehen an einem Wendepunkt,
und es gilt, einen Schritt vorwärts zu tun, der schon
lange hätte getan werden müssen … Die Zeit ist reif für
eine Neuordnung im deutschen Spitzenfußball. Es mag
dem einen oder anderen im Kreis der Delegierten schwerfallen,
sich zu dieser Überzeugung durchzuringen; aber
ich glaube, dass wir eine klare und deutliche Entscheidung
treffen müssen, wenn wir vor unserem eigenen
Gewissen bestehen wollen.“
[bild1]
Der 28. Juli 1962 war ein Samstag. Ein Samstag, an dem
kein Fußball gespielt wurde, und doch war es einer der
bedeutendsten Tage in der Geschichte dieses Sports auf
deutschem Boden. Im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle
wurde heute vor genau 50 Jahren im Rahmen des 14. DFB-Bundestags die
Gründung der Bundesliga beschlossen.
Deutschland im Sommer 1962. Noch immer
regiert Konrad Adenauer die Republik, die endlich
nicht mehr vom Krieg spricht, weil gerade
ihr Wirtschaftswunder grassiert. Aber die Folgen des
Kriegs sind allgegenwärtig, und wer am 28. Juli die
Zeitungen aufschlägt, erfährt, dass Brasiliens Regierung
an diesem Tag verbietet, die dritte Auflage von
Hitlers „Mein Kampf“ zu drucken. Und er liest von fünf
verhafteten Mauerattentätern in West-Berlin. Die jungen
Männer wollten die Mauer, die die Stadt in Ost und
West trennt, sprengen, denn „wir sind gegen die Mauer“.
Nicht ungewöhnlich, nur ungewöhnlich mutig. Die Zeichen
stehen auf Veränderung.
Auch im deutschen Fußball. An jenem Samstag in
Dortmund wollen sie auch Mauern einreißen. Die Delegierten
sind guter Dinge. Das Wochenende hat angenehm
begonnen für die Männer, die an diesem Tag eine
epochale Entscheidung treffen wollen. Am Abend vor
dem 14. DFB-Bundestag haben sich die meisten bereits
im Dortmunder Kongresszentrum Westfalenhallen am
Rheinlanddamm direkt an der B 1 versammelt und im
sogenannten Goldsaal ein unterhaltsames Vorprogramm
genossen. Das „Sport Magazin“ schrieb: „24 Stunden
zuvor hatten noch an gleicher Stelle die Bundesliga-
Kämpfer beider Fronten einen frohen Kameradschaftsabend
verlebt, mit viel Varieté, Musik und Klein Ernas
‚lustigen Zwiegesprächen’. Tags darauf gab es auf demselben
Podium dann doch die ‚heftigen Zwiegespräche’.“
Worum streiten die 127 Delegierten, die rund zwei
Millionen Mitglieder und 15.000 Vereine vertreten, an
diesem bedeutsamen Tag? Punkt 7 der Tagesordnung,
der lapidar „Anträge“ heißt, sorgt für eine selten erlebte
Spannung auf einem DFB-Bundestag. Dessen besondere
Bedeutung unterstreicht die Anwesenheit hoher
Politiker wie dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-
Westfalen, Dr. Hans Meyers, dem Staatssekretär des
Innenministeriums und dem Dortmunder Oberbürgermeister.
Auch Willi Daume, Präsident des Deutschen
Sportbundes, verfolgt die Debatte, Bundestrainer Sepp
Herberger stimmt als Delegierter des Südwestdeutschen
Verbandes sogar mit ab.
10.15 Uhr: Beginn des Bundestags
Der um Punkt 10.15 Uhr beginnende Bundestag erhält
durch die Neuwahl des Präsidenten eine zusätzliche Bedeutung,
auch wenn im Vorfeld schon alles geklärt worden
ist. Der Kölner Peco Bauwens tritt nach 13-jähriger Amtszeit
ab, darf eine letzte launige Rede halten, erhält viel
dankbaren Beifall und wird alsdann zum DFB-Ehrenpräsidenten
ernannt. Dann wird sein Nachfolger inthronisiert:
Einstimmig geht die Wahl an den Osnabrücker Juristen
Dr. Hermann Gösmann. Mit Kassenbericht, Entlastung des
Vorstands, Neuwahlen diverser Ausschüsse und Totenehrung
wird der Vormittag verbracht. Das Wichtigste,
worauf alle warten und weshalb sich rund 50 Journalisten
akkreditiert haben, soll erst nach der 75-minütigen
Mittagspause kommen.
14.45 Uhr: Auftakt der Diskussion
Um 14.45 Uhr haben sich alle so weit gestärkt, um
die Gründung der Bundesliga in Angriff zu nehmen. Der
DFB-Vorstand macht keinen Hehl daraus, welches Ergebnis
er sich wünscht. Schließlich hat er selbst den Antrag
auf Bundesliga-Gründung gestellt. Noch unter der Führung
von Peco Bauwens war bereits 1960 beschlossen
worden, die Anzahl der Vertragsfußball-Klubs (126 Oberligisten)
wesentlich zu reduzieren und 1961, dass auf dem
nächsten Bundestag über eine Bundesliga-Gründung
abgestimmt werden solle. Bauwens sagt schon am Vormittag
voller Pathos: „Wir stehen an einem Wendepunkt,
und es gilt, einen Schritt vorwärts zu tun, der schon
lange hätte getan werden müssen … Die Zeit ist reif für
eine Neuordnung im deutschen Spitzenfußball. Es mag
dem einen oder anderen im Kreis der Delegierten schwerfallen,
sich zu dieser Überzeugung durchzuringen; aber
ich glaube, dass wir eine klare und deutliche Entscheidung
treffen müssen, wenn wir vor unserem eigenen
Gewissen bestehen wollen.“
Bundesliga ja oder nein, mit oder ohne Profis – daran
entzündet sich nun eine Debatte, an der sich zehn Redner beteiligen. Der süddeutsche Vertreter Paul Flierl aus Fürth
erklärt, sein Verband (SFV) habe beschlossen, für das
Vollprofitum zu stimmen und fragt den Vorstand: „Ja,
glauben Sie denn, dass die Spieler mit diesen Beträgen
zufrieden sind? Die Vereine werden erneut unter Druck
gesetzt, und sie müssen dann eben wiederum mehr geben,
als gesetzlich zulässig ist.“ Sie seien zur Erhöhung der
Eintrittspreise gezwungen, und ob der Fan das mitmache,
stünde auf einem anderen Blatt. Es sei auch „nicht unbedingt
sicher, dass mit Einführung der Bundesliga auch eine
Hebung der Spielstärke verbunden ist.“ Auch sei zu
befürchten, dass künftig nur Bundesligaspiele auf dem
Totoschein stünden und die kleineren Vereine keine Gelder
mehr vom Toto bekämen. Flierl: „Wir können uns unter
diesen Umständen nicht bereit erklären, dieser Regelung
auf Lizenzspielerbasis zuzustimmen.“
Damit scheinen schon 41 Stimmen verloren zu sein,
auch wenn sich nur 20 Hände zum Beifall regen. Dr. Gösmann
erwidert, wie er anmerkt, „außerordentlich ungern“:
„Wir sind uns alle im Vorstand darüber klar, dass die Einführung
des Lizenzspielers die Einführung des Profitums
ist; allerdings mit dem Unterschied, Kamerad Flierl, dass
uns die Finanzämter erlaubt haben, den Profi auf der Basis
einer Beschränkung einzuführen. Nur um gegenüber der
Öffentlichkeit gedeckt zu sein, hat man den Ausdruck
Lizenzspieler gewählt; es wird jedoch keiner da sein, der
behaupten wollte, dass das nicht der Profi ist.“
Karl Daubach vom Südwestdeutschen Verband spricht
sich zunächst für die Liga-Gründung aus, weil sonst die
Gefahr bestünde, dass sich die großen Klubs in einer
„Staatsliga“ zusammentäten „und damit nicht mehr unter
der Regie des DFB“ stünden. Er wendet jedoch ein, dass
man nicht über eine Einführung abstimmen könne, ohne
die Modalitäten (Zulassungskriterien, Anzahl der Klubs,
Auf- und Abstieg) zu kennen: „Das wäre doch die Katze
im Sack!“ Er beantragt, „für das kommende Jahr ein wirklich
brauchbares Statut als Grundlage“ zu schaffen und
sagt: „Heute aber können die Stimmen meines Regionalverbandes
nicht positiv in die Waagschale fallen.“
Weitere 20 Stimmen scheinen verloren, die notwendige
Zwei-Drittel-Mehrheit für den Antrag „Bundesliga
mit Lizenzspielern zum 1. August 1963“ ist in höchster
Gefahr. Nun tritt Hermann Neuberger, Vertreter des Saarlands
und späterer DFB-Präsident, ans Mikrofon und rettet
die Gründung der Bundesliga. „Der hat mit einer flammenden Rede das Blatt gewendet“,
erinnert sich Hermann Ost,
damals für die „Westfälische Rundschau“
im Goldsaal, noch 2003. Auch
das „Sport Magazin“ schreibt zwei
Tage später: „Die kluge Rede von
Hermann Neuberger zündete“. Neuberger
erinnert die Gegner der Bundesliga
zunächst daran, dass der
Beschluss, heute über die Einführung
abzustimmen, „keine Kampfabstimmung“
und auch „Kamerad Flierl“ für die Reduzierung
der Vertragsligaklubs gewesen sei.
Neuberger trifft die Delegierten ins Herz, als er sagt:
„Wir wollen, dass unsere Vereinsvorstände endlich einmal
wieder ruhig schlafen können. Und wir wollen ihnen
die Chance geben, wieder ehrlich zu werden. Das ist der
tiefste Grund, meine Herren!“ Außerdem sagt er, der
Vertragsfußball habe seit Jahren in einem „Zustand der
Anarchie“ fortexistiert: „Seit zwei Jahren ist auch das
Sportgericht ohne jegliche Betätigung. Und warum? Weil
eben der Kontrollausschuss eingesehen hat, dass es
zwecklos ist, dem verfahrenen Karren nachzulaufen, weil
man weiß, dass er nicht mehr aus dem Dreck zu ziehen
ist.“ Das Protokoll verzeichnet „lebhaften Beifall“, als er
mit der Mahnung schließt: „Ich bin der Meinung, dass
der deutsche Fußballsport es sich einfach nicht leisten
kann, aus diesem Goldsaal herauszugehen, ohne ein klares
Ja oder Nein gesagt zu haben.“
17.11 Uhr: Ende der Debatte
[bild2]
Um nun voranzukommen und angesichts von noch
acht Namen auf der Rednerliste beantragt der neue
Vizepräsident Ludwig Franz, den Antrag zu trennen und
erst über die Bundesliga-Gründung an sich und dann
über die Einführung des Lizenzspielers und/oder das
Vollprofitum abzustimmen. Nur darüber solle man sich
nun äußern. Das versteht nicht jeder, und mancher Redner
muss noch zur Ordnung gerufen werden, weil er mit
seinen Ausführungen den Betrieb aufhält. Aber nachdem
Kölns Präsident Franz Kremer, glühender Verfechter
der Bundesliga, noch ein paar deutliche Worte gefunden
hat („Ich bin mir stundenlang vorgekommen, als
wäre ich auf dem falschen Bundestag“) und der Sprecher
des Norddeutschen Verbands pro Bundesliga votiert,
heißt es um 17.11 Uhr „Schluss der Debatte“.
Dr. Gösmann weist noch mal darauf hin, dass eine
Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig sei, weil die Satzung
nicht eindeutig regele, ob die einfache Mehrheit ausreiche
und das Ergebnis beim Registergericht dann angefochten
werden könne. Es wird eine geheime Wahl beantragt,
und Vizepräsident Franz fordert die Delegierten
auf: „Nehmen wir also den Stimmzettel Nr. 6 und schreiben
Sie mit ja oder nein Ihre Einstellung zum Antrag:
‚Der Bundestag möge beschließen, vom 1. August 1963
ab eine zentrale Spielklasse unter der Leitung des DFB
einzuführen.’“ Das geschieht um 17.33 Uhr.
17.44 Uhr: Der Gründungsbeschluss
Während die Stimmen ausgezählt werden, zweifelt
Bundestrainer Sepp Herberger noch an der Gründung
der Bundesliga. Doch es kommt anders. Um 17.44 Uhr
wird das Ergebnis bekannt gegeben. Mit 103:26 Stimmen
ist die Bundesliga aus der Taufe gehoben. Antrag zwei
auf Einführung des Vollprofitums ist weniger Erfolg
beschieden, er wird mit 49:80-Stimmen abgeschmettert.
Die Einführung des Lizenzspielers erhält dagegen die
notwenige Zwei-Drittel-Mehrheit, wenn auch knapp. 86
Stimmen sind nötig, 91 werden es – bei 37 Gegenstimmen.
Eine ist ungültig. In die nun weitgehend gelöste
Stimmung platzt die schlimme Nachricht vom Tode
Richard Hermanns, einem Spieler aus dem Weltmeister-
Kader von 1954. Dr. Gösmann bittet die Delegierten, sich
ihm zu Ehren zu erheben und schließt die Versammlung,
die Geschichte schreibt, zeitgemäß „mit einem dreifachen
Hipp-hipp-hurra!“
Als Sepp Herberger den Goldsaal verlässt, strahlt
er übers ganze Gesicht: „Diese Entscheidung macht
mich froh. Endlich haben wir sie.“ Er hatte schon 1939
um die Bundesliga, damals hätte man sie „Reichsliga“
genannt, gekämpft. Was lange währte, wurde nun endlich
gut. Und ist es noch, wenn auch in mancherlei Hinsicht
anders, als es die Gründerväter erwarten konnten.