Braun: Vereine sind eine Schule der Demokratie

Prof. Dr. Sebastian Braun lehrt und forscht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort leitet er die Abteilung Sportsoziologie am Institut für Sportwissenschaft und die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Forschungszentrum für Bürgerschaftliches Engagement. Mit seinen Studien zum Thema „Ehrenamt“ hat er sich deutschlandweit einen Namen gemacht.

Im TWO-Interview zum Themenschwerpunkt „Ehrenamt“ spricht er über rückläufiges Ehrenamt im Fußball, wie individuelle Ehrungen aussehen können und warum sich im Mikrokosmos Verein die große Politik wieder spiegelt.  

TWO: Herr Braun, das Zitat: „Würdigung, Anerkennung und Wertschätzung des Ehrenamtes waren in den letzten 40 Jahren nie höher als heutzutage“ stammt von Ihnen. Da fragt man sich: Warum gibt es Probleme, genug Ehrenamtliche für Fußballvereine zu finden?

Professor Dr. Sebastian Braun: Das bürgerschaftliche Engagement geht nicht auf der Bevölkerungsebene zurück, sondern speziell im Sportbereich. Es findet eine tendenzielle Verlagerung statt in Richtung sozialpolitischer Themen wie Bildung, Gesundheit und Soziales. Der Sport- und Freizeitbereich leidet in den letzten Jahren unter Abwanderungstendenzen von Engagierten. 

TWO: Deshalb hat Sie der DFB auch mit einer Studie zum Thema “Ehrenamt” betreut. Erklären Sie bitte, worum es geht?

Braun: Aufgrund des rückläufigen Engagements im Ehrenamt stellen wir uns die Frage: Ist das derzeitige System der individuellen Auszeichnungen als einer wichtigen Form der verbandlichen Anerkennung noch zeitgemäß, oder gibt es alternative, ergänzende Formen, um es zu würdigen?

TWO: Was treibt, laut ihrer Ergebnisse, Menschen an, sich ehrenamtlich zu engagieren?

Braun: Ehrenamtliches und freiwilliges Engagement ist eine Form des Arbeitens in modernen Gesellschaften - neben zum Beispiel der Erwerbsarbeit oder der Familienarbeit. Engagement lebt ganz stark davon, dass die Motivation immer wieder aus der positiven Resonanz der Gemeinschaft gezogen wird, für deren Ziele man sich engagiert. Auf den Fußballverein bezogen bedeutet das: Engagement kann man nicht nur über materielle Anreize mobilisieren wie zum Beispiel über steuerliche Vorteile, Honorare, Aufwandsentschädigungen oder geldwerte Vorteile., Die intrinsische Motivation zum Engagement wird vor allem gestützt und gestärkt durch Sympathien für den Verein, die Identifikation mit seinen Zielen und die gemeinschaftliche Arbeit, die von der Gemeinschaft wechselseitig als wertvoll und wichtig erachtet wird.  

TWO: Wie gehen Sie bei Ihrer Studie „Individuelle Auszeichnungen für ehrenamtliches und freiwilliges Engagement im vereins- und verbandsorganisierten Fußball“ vor?

Braun: Wir untersuchen die entsprechenden Aktionen und Aktivitäten beziehungsweise Auszeichnungen im Hinblick auf ehrenamtliches und freiwilliges Engagement. Dazu interviewen wir die Landes-Ehrenamtsbeauftragten der Fußball-Landesverbände und analysieren alle Materialien, die hierbei eine Rolle spielen.

TWO: Wo genau taucht der DFB direkt in Ihrer Studie auf?

Braun: Der DFB ist einerseits Auftraggeber der Studie und verfolgt dabei die Idee, eine „Strategie 2020“ zur Würdigung des Ehrenamtes weiterzuentwickeln. Außerdem ist er natürlich auch  Gegenstand der Untersuchung, weil die Aktionen der Landesverbände im Bereich Ehrenamt maßgeblich vom DFB geprägt und gefördert werden.

TWO: Sie unterscheiden bei individuellen Auszeichnungsmöglichkeiten für Ehrenamtliche zwischen ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapital. Können Sie uns dafür Beispiele nennen?

Braun: Wir bedienen uns dabei den Begrifflichkeiten der Gesellschaftstheorie Pierre Bourdieus, um eine Vielfalt von Tauschverhältnissen von Ressourcen in den Blick zu bekommen. Im Vordergrund der vielfältigen Maßnahmen im vereins- und verbandsorganisierten Fußball stehen eindeutig materielle und finanzielle Auszeichnungsformate zugunsten der Engagierten. So werden Ehrenamtliche mit Sach- und Geldpreisen belohnt, oder es werden geldwerte Vorteile gewährt, indem beispielsweise Freikarten für Fußballspiele bereitgestellt oder andere Wochenendfreizeiten finanziert werden. Ökonomisches Kapital als Anerkennungsform für das ehrenamtliche Engagement steht eindeutig im Zentrum der verbandlichen Aktivitäten. Darüber hinaus werden individuelle Belobigungen vielfach in der lokalen Gemeinschaft sichtbar gemacht, indem Ehrungsveranstaltungen öffentlichkeitswirksam dargestellt und gewürdigte Ehrenamtliche zum Beispiel im Verbandsmagazin oder auf der Verbandshomepage persönlich vorgestellt werden. Dieses System der öffentlichen Sichtbarmachung von Engagierten scheint allerdings eher der Bekanntmachung des Auszeichnungssystems und – darüber vermittelt – der symbolischen Hervorhebung der Ausgezeichneten zu dienen. Andere Kapitalformen zur individuellen Auszeichnung ehrenamtlichen Engagements spielen im vereins- und verbandsorganisierten Fußball bislang eher eine untergeordnete Rolle.

TWO: Was meinen Sie damit?

Braun: Der Zugang zu kulturellem Kapital wird bisher eher selten als Medium der persönlichen Wertschätzung individuellen Engagements genutzt, obwohl der vereins- und verbandsorganisierte Fußball in Deutschland über ein breit etabliertes Aus- und Weiterbildungssystem verfügt. Letzteres scheint eher aus einer organisationsbezogenen Perspektive der Vereine und Verbände als ein funktional notwendiges Element der professionellen Besetzung von Funktionsrollen im organisierten Fußball betrachtet zu werden und weniger als ein Instrument der individuellen Würdigung von Engagierten. Zwar finden sich vereinzelt Hinweise darauf, dass kulturelles Kapital in den Landesverbänden durchaus als eine Form der individuellen Wertschätzung von Engagierten betrachtet wird, wenn etwa Kompetenznachweise für ehrenamtliches Engagement von einigen Fachverbänden in Kooperation mit Landesverwaltungen vergeben werden. Eine systematische Berücksichtigung der In- und Outputs wie auch Outcomes von bildungsspezifischen Angeboten für Engagierte im Fußballsystem ist allerdings noch nicht zu erkennen.

TWO: Und die dritte Kapitalsorte, das soziale Kapital?

Braun: Andererseits scheint auch die „traditionelle“ Ressource des Sozialkapitals im vereins- und verbandsorganisierten Fußball nur begrenzt zur individuellen Wertschätzung ehrenamtlichen Engagements gefördert zu werden. Die besondere Relevanz dieses Kapitals des wechselseitigen Kennens und Anerkennens ist darin zu sehen, dass seine Nutzung nicht zum Verbrauch des Kapitals, sondern zu dessen Vermehrung beiträgt. Es handelt sich dabei um die – Fußball-Gemeinschaften immanente – Ressource, die aus wechselseitiger Anerkennung und Wertschätzung für die gemeinsam geleistete Arbeit hervorgeht und den Einzelnen in seinem Engagement stützt und stärkt. So führen etwa die Hälfte der Fachverbände regelmäßige „Veteranentreffen“ mit Trägerinnen und Trägern der goldenen Verbandsnadel oder allgemein mit ehemaligen Verbandsfunktionären durch. Darüber hinaus prüfen einige wenige Verbände das Format eines regelmäßigen Ehemaligen- oder Vereinsstammtisches, um einen regelmäßigen Austausch mit der Basis zu etablieren. In den vorliegenden Daten lassen sich aber insgesamt nur begrenzte Hinweise darauf finden, dass individuelle Auszeichnungen von Engagierten verknüpft werden mit der Verbesserung gemeinschaftsbildender Engagement-Infrastruktur vor Ort genutzt werden. Darüber hinaus werden aber auch übergreifende und gemeinschaftsstiftende Veranstaltungen mit Ehrenamtlichen eher seltener durchgeführt und finden hauptsächlich in Form der Festveranstaltungen im Rahmen des DFB-Ehrenamtspreises oder in Form des DFB-Dankeschön-Wochenendes statt, die weitgehend mit sportprominenter Begleitung durchgeführt werden.

TWO: Wie kann eine individuelle Auszeichnung noch aussehen?

Braun: Es können ganz einfache Sachen sein, um Ehrenamtliche individuell auszuzeichnen und gleichzeitig der Gemeinschaft, in der sie sich engagieren, bessere Rahmenbedingungen zu verschaffen, um sich im Engagement wechselseitig zu bestärken und zu unterstützen, zum Beispiel eine Finanzierung, um das Vereinsheim zu renovieren, eine Vereinsberatung zu erhalten oder einen Referenten einzuladen. Wichtig ist, dass die individuelle Auszeichnung auch der Gemeinschaft dient und nicht nur dem Einzelnen, der durch das Einwerben dieser Unterstützung gleichzeitig wieder in der Gemeinschaft besondere Anerkennung erhält.

TWO: Welche Möglichkeiten gibt es neben dem materiellen Kapital?

Braun: Das kulturelle Kapital, beispielsweise. Darunter verstehen wir vor allem Qualifizierungsmaßnahmen. Die Ehrenamtlichen von heute wollen sich Fähigkeiten aneignen, die ihnen auch im Berufs- oder Privatleben weiterhelfen. Dies kann man durch ein individuelles Qualifizierungssystem erreichen. Außerdem gibt es symbolisches Kapital. Dabei wird jemand gesellschaftlich hervorgehoben, beispielsweise beim Club 100 des DFB. Das ist für den Einzelnen eine extreme Wertschätzung und ein tolles Erlebnis. Seine wichtigste Anerkennung bezieht er aber durch die Menschen vor Ort, in seinem Verein oder der Gemeinde. Wenn der Bäcker, der Metzger oder der Nachbar um das Engagement wissen und ihm dafür auf die Schulter klopfen, wird er in seinem Engagement bestätigt.

TWO: Mit der Amateurfußball-Kampagne und der DFB-Online-Vereinsberatung hat der DFB dort aber schon erste Korrekturen vorgenommen.

Braun: Das ist richtig. Der DFB sorgt mit seiner Kampagne dafür, dass die Menschen – auch außerhalb der Vereinskultur – deutschlandweit dafür sensibilisiert werden, dass gerade die Sport- und Fußballvereine vor Ort maßgeblich von der Ressource Engagement getragen werden. Mit der Online-Vereinsberatung wird ein schneller und unkomplizierter Transfer von Wissen und Praxistipps ermöglicht, der bei den wichtigsten Vereinsthemen weiterhilft. Damit werden gute Bedingungen für die Ehrenamtlichen geschaffen, sich individuell hilfreiches Wissen für die Praxis anzueignen.

TWO: Welche praktischen Tipps können sie den Fußballverbänden bereits mit auf den Weg geben?

Braun: Es ist schön, den Einzelnen heraus zu heben und für seine Arbeit zu belohnen. Es kann aber auch ein Weg sein, den Einzelnen so zu würdigen, dass er seiner Gemeinschaft etwas zur Verfügung stellen kann. Zum Beispiel, ganz lapidar eine neue Kaffeemaschine. Das ist nicht spektakulär, aber das sind vielfach die Probleme der Engagierten vor Ort, das kleine Verbesserungen Stück für Stück und medial relativ unspektakulär umgesetzt werden sollen. Die Ehrenamtlichen sind engagiert, weil sie sie die Arbeit und die Ziele vor Ort als wertvoll erachten, an denen sie kontinuierlich weiterarbeiten.

TWO: Sie haben beim Amateurfußballkongress 2012 in Kassel gesagt: „Die Vereine befinden sich im Spannungsfeld zwischen Mitglieder- und Einflusslogik.“ Was meinen Sie damit?

Braun: Die Unterscheidung von Mitglieder- und Einflusslogik hat Wolfgang Streek in einem vielbeachteten Beitrag vor einigen Jahrzehnten in die Diskussion gebracht. Vereine sind mitgliederbasierte Graswurzel-Organisationen. Der Verein wächst gleichsam basisdemokratisch von unten nach oben. Die Mitglieder entscheiden im Idealfall mit ihrer Stimme darüber, was im Verein geschehen soll. Dafür gibt es Mitgliederversammlungen, die Vereinsführungen für eine begrenzte Zeit wählen. Auf die Ziele und Interessen der Mitglieder haben die Vereinsführungen zu achten, deren primäres Ziel es ist, die Mitgliederinteressen in die Praxis umzusetzen. Das ist die Mitgliederlogik. Von den verschiedenen Mitgliedergruppen gibt es Widerspruch, wenn sich die Vereinsziele zunehmend entkoppeln von dem, was sich die Mitglieder wünschen. Zum Beispiel, wenn die Mitglieder das vorhandene Geld in die Jugend investieren wollen und die Vereinsführung in die erste Mannschaft. Entweder wählen dann die unzufriedenen Mitglieder bei den nächsten Wahlen einen neuen Vorstand und erwarten, dass dieser Vorstand ihre Ziele stärker verfolgt, oder aber sie verlassen irgendwann den Verein, weil sie sich nicht mehr mit den Zielen identifizieren können.

TWO: Und was verstehen Sie unter Einflusslogik?

Braun: Die Einflusslogik beschreibt externe Kräfte, die von außen auf den Verein wirken. Medien, Politik, die Gemeinde, Sponsoren haben ebenfalls Erwartungen, die der Verein ihrer Meinung nach erfüllen sollte, beispielsweise Integrations- oder Gesundheitsarbeit. Daran haben einzelne Mitgliedergruppen aber möglicherweise kein Interesse. Sich in diesem Spannungsverhältnis zurechtfinden, ist ein permanenter Balanceakt und für ehrenamtliche Vereinsvorstände aufwendig und anstrengend, da sie permanente Aushandlungsprozesse einer mehr oder minder disparaten Umwelt und einer mehr oder minder heterogenen Mitgliederschaft aushalten und zu konstruktiven Ergebnissen führen müssen

TWO: Hört sich an wie große Politik im Mikrokosmos Verein.

Braun: Genau, zumal die Ansprüche der unterschiedlichen Anspruchsgruppe sich im Zeitverlauf selbst wieder verändern oder neue Anspruchsgruppen dazu kommen. Dieser Balanceakt ist ein Paradebeispiel für demokratische Aushandlungsprozesse. In dieser Hinsicht kann der Verein für Ehrenamtliche durchaus eine Schule der Demokratie sein, weil er zumindest von ihnen zahlreiche Bürgerkompetenzen verlangt, um erfolgreich den Verein durch permanente gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu steuern. Ein Sponsor kann etwas ganz anderes wollen als die jeweilige Abteilung. Der Vorstand muss nun einen Konsens zwischen den beiden Parteien finden und zwar so, dass ihm die Mitglieder nicht abhanden kommen, aber auch der Sponsor nicht. Das verlangt vom Vorstand vielfältige kognitive und prozedurale Kompetenzen.

TWO: Wie kann in diesem komplexen System die individuelle Auszeichnung von Ehrenamtlichen helfen?

Braun: Es ist ein Baustein in einem komplexen System der verbandlichen Anerkennungskultur, um das ehrenamtliche Engagement zu untersuchen und Empfehlungen zur Förderung des Engagements in den Fußballvereinen zu geben.

TWO: Welche Bausteine sind noch entscheidend, um das Ehrenamt weiter zu fördern?

Braun: Wir stellen uns ganz viele unterschiedliche Fragen. Zum Beispiel: Wie sollte Personalentwicklung im Verein im Sinne einer systematischen „Engagemententwicklung“ aussehen? Wie könnte der Einstieg ins Ehrenamt erleichtert werden? Wie entwickele ich eine systematische Einarbeitung in die unterschiedlichen Positionen? Wie verabschiede ich Engagierte würdig? Wie kann ein sauberer Ausstieg aus einen Amt aussehen, auch schon nach ein bis zwei Jahren, wenn eine selbst gesetzte Aufgabe erfüllt wurde? Wie baue ich Nachwuchs für Leitungsfunktionen auf? Die Liste ließe sich problemlos verlängern.

TWO: Jede Menge Faktoren, die Ausschlag für ein ehrenamtliches Engagement geben können. Bis wann können wir mit den ersten Ergebnissen ihrer Studie zum Thema „Individuelle Auszeichnungen“ rechnen?

Braun: Ende November stellen wir die Ergebnisse auf einer Sitzung mit den Landes-Ehrenamtsbeauftragten vor.

[PS]

[bild1]Prof. Dr. Sebastian Braun lehrt und forscht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort leitet er die Abteilung Sportsoziologie am Institut für Sportwissenschaft und die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Forschungszentrum für Bürgerschaftliches Engagement. Mit seinen Studien zum Thema „Ehrenamt“ hat er sich deutschlandweit einen Namen gemacht.

Im TWO-Interview zum Themenschwerpunkt „Ehrenamt“ spricht er über rückläufiges Ehrenamt im Fußball, wie individuelle Ehrungen aussehen können und warum sich im Mikrokosmos Verein die große Politik wieder spiegelt.  

TWO: Herr Braun, das Zitat: „Würdigung, Anerkennung und Wertschätzung des Ehrenamtes waren in den letzten 40 Jahren nie höher als heutzutage“ stammt von Ihnen. Da fragt man sich: Warum gibt es Probleme, genug Ehrenamtliche für Fußballvereine zu finden?

Professor Dr. Sebastian Braun: Das bürgerschaftliche Engagement geht nicht auf der Bevölkerungsebene zurück, sondern speziell im Sportbereich. Es findet eine tendenzielle Verlagerung statt in Richtung sozialpolitischer Themen wie Bildung, Gesundheit und Soziales. Der Sport- und Freizeitbereich leidet in den letzten Jahren unter Abwanderungstendenzen von Engagierten. 

TWO: Deshalb hat Sie der DFB auch mit einer Studie zum Thema “Ehrenamt” betreut. Erklären Sie bitte, worum es geht?

Braun: Aufgrund des rückläufigen Engagements im Ehrenamt stellen wir uns die Frage: Ist das derzeitige System der individuellen Auszeichnungen als einer wichtigen Form der verbandlichen Anerkennung noch zeitgemäß, oder gibt es alternative, ergänzende Formen, um es zu würdigen?

TWO: Was treibt, laut ihrer Ergebnisse, Menschen an, sich ehrenamtlich zu engagieren?

Braun: Ehrenamtliches und freiwilliges Engagement ist eine Form des Arbeitens in modernen Gesellschaften - neben zum Beispiel der Erwerbsarbeit oder der Familienarbeit. Engagement lebt ganz stark davon, dass die Motivation immer wieder aus der positiven Resonanz der Gemeinschaft gezogen wird, für deren Ziele man sich engagiert. Auf den Fußballverein bezogen bedeutet das: Engagement kann man nicht nur über materielle Anreize mobilisieren wie zum Beispiel über steuerliche Vorteile, Honorare, Aufwandsentschädigungen oder geldwerte Vorteile., Die intrinsische Motivation zum Engagement wird vor allem gestützt und gestärkt durch Sympathien für den Verein, die Identifikation mit seinen Zielen und die gemeinschaftliche Arbeit, die von der Gemeinschaft wechselseitig als wertvoll und wichtig erachtet wird.  

TWO: Wie gehen Sie bei Ihrer Studie „Individuelle Auszeichnungen für ehrenamtliches und freiwilliges Engagement im vereins- und verbandsorganisierten Fußball“ vor?

Braun: Wir untersuchen die entsprechenden Aktionen und Aktivitäten beziehungsweise Auszeichnungen im Hinblick auf ehrenamtliches und freiwilliges Engagement. Dazu interviewen wir die Landes-Ehrenamtsbeauftragten der Fußball-Landesverbände und analysieren alle Materialien, die hierbei eine Rolle spielen.

TWO: Wo genau taucht der DFB direkt in Ihrer Studie auf?

Braun: Der DFB ist einerseits Auftraggeber der Studie und verfolgt dabei die Idee, eine „Strategie 2020“ zur Würdigung des Ehrenamtes weiterzuentwickeln. Außerdem ist er natürlich auch  Gegenstand der Untersuchung, weil die Aktionen der Landesverbände im Bereich Ehrenamt maßgeblich vom DFB geprägt und gefördert werden.

TWO: Sie unterscheiden bei individuellen Auszeichnungsmöglichkeiten für Ehrenamtliche zwischen ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapital. Können Sie uns dafür Beispiele nennen?

Braun: Wir bedienen uns dabei den Begrifflichkeiten der Gesellschaftstheorie Pierre Bourdieus, um eine Vielfalt von Tauschverhältnissen von Ressourcen in den Blick zu bekommen. Im Vordergrund der vielfältigen Maßnahmen im vereins- und verbandsorganisierten Fußball stehen eindeutig materielle und finanzielle Auszeichnungsformate zugunsten der Engagierten. So werden Ehrenamtliche mit Sach- und Geldpreisen belohnt, oder es werden geldwerte Vorteile gewährt, indem beispielsweise Freikarten für Fußballspiele bereitgestellt oder andere Wochenendfreizeiten finanziert werden. Ökonomisches Kapital als Anerkennungsform für das ehrenamtliche Engagement steht eindeutig im Zentrum der verbandlichen Aktivitäten. Darüber hinaus werden individuelle Belobigungen vielfach in der lokalen Gemeinschaft sichtbar gemacht, indem Ehrungsveranstaltungen öffentlichkeitswirksam dargestellt und gewürdigte Ehrenamtliche zum Beispiel im Verbandsmagazin oder auf der Verbandshomepage persönlich vorgestellt werden. Dieses System der öffentlichen Sichtbarmachung von Engagierten scheint allerdings eher der Bekanntmachung des Auszeichnungssystems und – darüber vermittelt – der symbolischen Hervorhebung der Ausgezeichneten zu dienen. Andere Kapitalformen zur individuellen Auszeichnung ehrenamtlichen Engagements spielen im vereins- und verbandsorganisierten Fußball bislang eher eine untergeordnete Rolle.

TWO: Was meinen Sie damit?

Braun: Der Zugang zu kulturellem Kapital wird bisher eher selten als Medium der persönlichen Wertschätzung individuellen Engagements genutzt, obwohl der vereins- und verbandsorganisierte Fußball in Deutschland über ein breit etabliertes Aus- und Weiterbildungssystem verfügt. Letzteres scheint eher aus einer organisationsbezogenen Perspektive der Vereine und Verbände als ein funktional notwendiges Element der professionellen Besetzung von Funktionsrollen im organisierten Fußball betrachtet zu werden und weniger als ein Instrument der individuellen Würdigung von Engagierten. Zwar finden sich vereinzelt Hinweise darauf, dass kulturelles Kapital in den Landesverbänden durchaus als eine Form der individuellen Wertschätzung von Engagierten betrachtet wird, wenn etwa Kompetenznachweise für ehrenamtliches Engagement von einigen Fachverbänden in Kooperation mit Landesverwaltungen vergeben werden. Eine systematische Berücksichtigung der In- und Outputs wie auch Outcomes von bildungsspezifischen Angeboten für Engagierte im Fußballsystem ist allerdings noch nicht zu erkennen.

TWO: Und die dritte Kapitalsorte, das soziale Kapital?

Braun: Andererseits scheint auch die „traditionelle“ Ressource des Sozialkapitals im vereins- und verbandsorganisierten Fußball nur begrenzt zur individuellen Wertschätzung ehrenamtlichen Engagements gefördert zu werden. Die besondere Relevanz dieses Kapitals des wechselseitigen Kennens und Anerkennens ist darin zu sehen, dass seine Nutzung nicht zum Verbrauch des Kapitals, sondern zu dessen Vermehrung beiträgt. Es handelt sich dabei um die – Fußball-Gemeinschaften immanente – Ressource, die aus wechselseitiger Anerkennung und Wertschätzung für die gemeinsam geleistete Arbeit hervorgeht und den Einzelnen in seinem Engagement stützt und stärkt. So führen etwa die Hälfte der Fachverbände regelmäßige „Veteranentreffen“ mit Trägerinnen und Trägern der goldenen Verbandsnadel oder allgemein mit ehemaligen Verbandsfunktionären durch. Darüber hinaus prüfen einige wenige Verbände das Format eines regelmäßigen Ehemaligen- oder Vereinsstammtisches, um einen regelmäßigen Austausch mit der Basis zu etablieren. In den vorliegenden Daten lassen sich aber insgesamt nur begrenzte Hinweise darauf finden, dass individuelle Auszeichnungen von Engagierten verknüpft werden mit der Verbesserung gemeinschaftsbildender Engagement-Infrastruktur vor Ort genutzt werden. Darüber hinaus werden aber auch übergreifende und gemeinschaftsstiftende Veranstaltungen mit Ehrenamtlichen eher seltener durchgeführt und finden hauptsächlich in Form der Festveranstaltungen im Rahmen des DFB-Ehrenamtspreises oder in Form des DFB-Dankeschön-Wochenendes statt, die weitgehend mit sportprominenter Begleitung durchgeführt werden.

TWO: Wie kann eine individuelle Auszeichnung noch aussehen?

Braun: Es können ganz einfache Sachen sein, um Ehrenamtliche individuell auszuzeichnen und gleichzeitig der Gemeinschaft, in der sie sich engagieren, bessere Rahmenbedingungen zu verschaffen, um sich im Engagement wechselseitig zu bestärken und zu unterstützen, zum Beispiel eine Finanzierung, um das Vereinsheim zu renovieren, eine Vereinsberatung zu erhalten oder einen Referenten einzuladen. Wichtig ist, dass die individuelle Auszeichnung auch der Gemeinschaft dient und nicht nur dem Einzelnen, der durch das Einwerben dieser Unterstützung gleichzeitig wieder in der Gemeinschaft besondere Anerkennung erhält.

TWO: Welche Möglichkeiten gibt es neben dem materiellen Kapital?

[bild2]Braun: Das kulturelle Kapital, beispielsweise. Darunter verstehen wir vor allem Qualifizierungsmaßnahmen. Die Ehrenamtlichen von heute wollen sich Fähigkeiten aneignen, die ihnen auch im Berufs- oder Privatleben weiterhelfen. Dies kann man durch ein individuelles Qualifizierungssystem erreichen. Außerdem gibt es symbolisches Kapital. Dabei wird jemand gesellschaftlich hervorgehoben, beispielsweise beim Club 100 des DFB. Das ist für den Einzelnen eine extreme Wertschätzung und ein tolles Erlebnis. Seine wichtigste Anerkennung bezieht er aber durch die Menschen vor Ort, in seinem Verein oder der Gemeinde. Wenn der Bäcker, der Metzger oder der Nachbar um das Engagement wissen und ihm dafür auf die Schulter klopfen, wird er in seinem Engagement bestätigt.

TWO: Mit der Amateurfußball-Kampagne und der DFB-Online-Vereinsberatung hat der DFB dort aber schon erste Korrekturen vorgenommen.

Braun: Das ist richtig. Der DFB sorgt mit seiner Kampagne dafür, dass die Menschen – auch außerhalb der Vereinskultur – deutschlandweit dafür sensibilisiert werden, dass gerade die Sport- und Fußballvereine vor Ort maßgeblich von der Ressource Engagement getragen werden. Mit der Online-Vereinsberatung wird ein schneller und unkomplizierter Transfer von Wissen und Praxistipps ermöglicht, der bei den wichtigsten Vereinsthemen weiterhilft. Damit werden gute Bedingungen für die Ehrenamtlichen geschaffen, sich individuell hilfreiches Wissen für die Praxis anzueignen.

TWO: Welche praktischen Tipps können sie den Fußballverbänden bereits mit auf den Weg geben?

Braun: Es ist schön, den Einzelnen heraus zu heben und für seine Arbeit zu belohnen. Es kann aber auch ein Weg sein, den Einzelnen so zu würdigen, dass er seiner Gemeinschaft etwas zur Verfügung stellen kann. Zum Beispiel, ganz lapidar eine neue Kaffeemaschine. Das ist nicht spektakulär, aber das sind vielfach die Probleme der Engagierten vor Ort, das kleine Verbesserungen Stück für Stück und medial relativ unspektakulär umgesetzt werden sollen. Die Ehrenamtlichen sind engagiert, weil sie sie die Arbeit und die Ziele vor Ort als wertvoll erachten, an denen sie kontinuierlich weiterarbeiten.

TWO: Sie haben beim Amateurfußballkongress 2012 in Kassel gesagt: „Die Vereine befinden sich im Spannungsfeld zwischen Mitglieder- und Einflusslogik.“ Was meinen Sie damit?

Braun: Die Unterscheidung von Mitglieder- und Einflusslogik hat Wolfgang Streek in einem vielbeachteten Beitrag vor einigen Jahrzehnten in die Diskussion gebracht. Vereine sind mitgliederbasierte Graswurzel-Organisationen. Der Verein wächst gleichsam basisdemokratisch von unten nach oben. Die Mitglieder entscheiden im Idealfall mit ihrer Stimme darüber, was im Verein geschehen soll. Dafür gibt es Mitgliederversammlungen, die Vereinsführungen für eine begrenzte Zeit wählen. Auf die Ziele und Interessen der Mitglieder haben die Vereinsführungen zu achten, deren primäres Ziel es ist, die Mitgliederinteressen in die Praxis umzusetzen. Das ist die Mitgliederlogik. Von den verschiedenen Mitgliedergruppen gibt es Widerspruch, wenn sich die Vereinsziele zunehmend entkoppeln von dem, was sich die Mitglieder wünschen. Zum Beispiel, wenn die Mitglieder das vorhandene Geld in die Jugend investieren wollen und die Vereinsführung in die erste Mannschaft. Entweder wählen dann die unzufriedenen Mitglieder bei den nächsten Wahlen einen neuen Vorstand und erwarten, dass dieser Vorstand ihre Ziele stärker verfolgt, oder aber sie verlassen irgendwann den Verein, weil sie sich nicht mehr mit den Zielen identifizieren können.

TWO: Und was verstehen Sie unter Einflusslogik?

Braun: Die Einflusslogik beschreibt externe Kräfte, die von außen auf den Verein wirken. Medien, Politik, die Gemeinde, Sponsoren haben ebenfalls Erwartungen, die der Verein ihrer Meinung nach erfüllen sollte, beispielsweise Integrations- oder Gesundheitsarbeit. Daran haben einzelne Mitgliedergruppen aber möglicherweise kein Interesse. Sich in diesem Spannungsverhältnis zurechtfinden, ist ein permanenter Balanceakt und für ehrenamtliche Vereinsvorstände aufwendig und anstrengend, da sie permanente Aushandlungsprozesse einer mehr oder minder disparaten Umwelt und einer mehr oder minder heterogenen Mitgliederschaft aushalten und zu konstruktiven Ergebnissen führen müssen

TWO: Hört sich an wie große Politik im Mikrokosmos Verein.

Braun: Genau, zumal die Ansprüche der unterschiedlichen Anspruchsgruppe sich im Zeitverlauf selbst wieder verändern oder neue Anspruchsgruppen dazu kommen. Dieser Balanceakt ist ein Paradebeispiel für demokratische Aushandlungsprozesse. In dieser Hinsicht kann der Verein für Ehrenamtliche durchaus eine Schule der Demokratie sein, weil er zumindest von ihnen zahlreiche Bürgerkompetenzen verlangt, um erfolgreich den Verein durch permanente gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu steuern. Ein Sponsor kann etwas ganz anderes wollen als die jeweilige Abteilung. Der Vorstand muss nun einen Konsens zwischen den beiden Parteien finden und zwar so, dass ihm die Mitglieder nicht abhanden kommen, aber auch der Sponsor nicht. Das verlangt vom Vorstand vielfältige kognitive und prozedurale Kompetenzen.

TWO: Wie kann in diesem komplexen System die individuelle Auszeichnung von Ehrenamtlichen helfen?

Braun: Es ist ein Baustein in einem komplexen System der verbandlichen Anerkennungskultur, um das ehrenamtliche Engagement zu untersuchen und Empfehlungen zur Förderung des Engagements in den Fußballvereinen zu geben.

TWO: Welche Bausteine sind noch entscheidend, um das Ehrenamt weiter zu fördern?

Braun: Wir stellen uns ganz viele unterschiedliche Fragen. Zum Beispiel: Wie sollte Personalentwicklung im Verein im Sinne einer systematischen „Engagemententwicklung“ aussehen? Wie könnte der Einstieg ins Ehrenamt erleichtert werden? Wie entwickele ich eine systematische Einarbeitung in die unterschiedlichen Positionen? Wie verabschiede ich Engagierte würdig? Wie kann ein sauberer Ausstieg aus einen Amt aussehen, auch schon nach ein bis zwei Jahren, wenn eine selbst gesetzte Aufgabe erfüllt wurde? Wie baue ich Nachwuchs für Leitungsfunktionen auf? Die Liste ließe sich problemlos verlängern.

TWO: Jede Menge Faktoren, die Ausschlag für ein ehrenamtliches Engagement geben können. Bis wann können wir mit den ersten Ergebnissen ihrer Studie zum Thema „Individuelle Auszeichnungen“ rechnen?

Braun: Ende November stellen wir die Ergebnisse auf einer Sitzung mit den Landes-Ehrenamtsbeauftragten vor.