Bosz: "Was ist noch Profifußball und ab wann wird es unfair?"

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zeichnet den niederländischen Fußballtrainer Peter Bosz mit der Fair Play-Medaille aus. Der 57 Jahre alte Bosz erhält die Medaille in der Kategorie "Profifußball" für eine Aktion am 5. Spieltag der vergangenen Saison beim Bundesligaspiel Bayer Leverkusen gegen den FC Augsburg. Aktuell bereitet Bosz die Mannschaft des siebenmaligen französischen Meisters Olympique Lyon auf die am 8. August beginnende Saison der Ligue 1 vor.

DFB.de: Herr Bosz, mit welcher Zielsetzung starten Sie mit Olympique in die neue Saison?

Peter Bosz: Der Verein und die Fans wollen natürlich den Titel gewinnen, aber ich muss jetzt erstmal die Mannschaft und auch die französische Liga besser kennenlernen. Im Vorjahr war Olympique Vierter und verpasste dadurch knapp die Champions League. Was ich nach ein paar Tagen Trainingslager hier in Murcia schon sagen kann: Wir wollen auch in diesem Jahr ganz oben mitspielen.

DFB.de: Hätten Sie Memphis Depay gerne in Lyon gehalten?

Bosz: Ich schaue nur nach vorne und fokussiere mich total auf die Spieler, die da sind. Meine Aufgabe ist es, aus denen, die wir unter Vertrag haben, eine gute Mannschaft zu formen.

DFB.de: Sie vergeben nach einem Spiel Punkte an jeden ihrer Spieler, die Skala reicht von eins bis zehn. Haben Sie denn einen potenziellen 10-Punkte-Mann im Kader?

Bosz: Nein, nicht unbedingt. (lacht) Das ist aber auch schwer. Ich habe in allen meinen Jahren als Trainer nicht ein einziges Mal zehn Punkte vergeben. Aber wir haben gute Spieler und sind auf dem richtigen Weg.

DFB.de: Die Situation, für die Sie ausgezeichnet werden, ereignete sich in einem Bundesliga-Spiel zwischen ihrem letzten Klub, Bayer 04 Leverkusen, und dem FC Augsburg. Nach einer falschen Freistoßentscheidung des Schiedsrichters in der 34. Minute traten Sie freiwillig den Ballbesitz ab. Sie sagten danach: "Nicht der Rede wert". Andererseits war es Ihnen wichtig genug, dass Sie in dem Moment Exequiel Palacios anwiesen, den Ball zu den Augsburgern zu spielen. Was ging Ihnen in der Situation durch den Kopf?

Bosz: Man muss das nicht so hochhängen. Ich bin definitiv ein Trainer, der gewinnen will. Ich revidiere sicher nicht jeden falschen Pfiff. In der Bundesliga leiten viele sehr gute Schiedsrichter, und dennoch kommt es zu vielen falschen Entscheidungen. Die Situation geschah an der Mittellinie. Es ist schon länger her, aber ich meine, wir führten 1:0. Die Bank von Augsburg war sehr überzeugt, dass wir das Handspiel begangen hatten und nicht ihr Spieler. Die Umstände machten es mir also durchaus leichter, den Ball zurückzuspielen. Das muss ich ehrlich sagen.

DFB.de: Was bedeutet ihnen Fair Play denn unabhängig von dieser Situation?

Bosz: Fair Play ist mir als Trainer wichtig, weil ich gewinnen will, aber auf eine faire Weise. Der Grat ist schmal. Jeder Trainer und jeder Spieler in unserem Geschäft muss entscheiden, was noch Profifußball ist und ab wann es unfair wird. Zum Gewinnen gehört manchmal auch eine Schlitzohrigkeit.

DFB.de: Ein Stürmer, der nicht am Trikot des Verteidigers zieht, und zwar so, dass es der Schiedsrichter nicht sieht, beherrscht sein Handwerk nicht? Meinen Sie es so?

Bosz: Na ja, das passiert meistens, wenn die Spieler müde sind. Trikotziehen ist für mich nicht das Schlimme. Wenn ein Spieler ankommt, mit offener Sohle und gestrecktem Bein, das ist schlimm und geht für mich klar gegen den Gedanken des Fair Play. Hier liegt die Grenze.

DFB.de: Coachen Sie auch so?

Bosz: Ich bin immer der Schiedsrichter im Training und ich pfeife fast nie. Aber wenn so etwas passiert, unterbreche ich sofort das Training und mache sehr deutlich, dass wir so nicht Fußball spielen wollen. Fußball ist eine Kontaktsportart. Wir müssen fair und männlich spielen. Ich will nicht, dass meine Spieler bei jeder Aktion den Arm heben. Das mag ich nicht.

DFB.de: Über sich als Spieler sagen Sie, Sie waren ein "destroyer".

Bosz: Und trotzdem fair. Es gab auch Gegenspieler, die sich im Zweikampf mit mir verletzt haben, aber da lag nie Absicht vor. Gleichzeitig hatte ich wirklich nie Angst, in ein Duell zu gehen. Ich war also hart aber fair.

DFB.de: Lassen Sie uns zum Schluss über das fußballerische Großereignis des Sommers und einen Ihrer Ehemaligen sprechen. Wie hat Ihnen denn Kai Havertz gefallen?

Bosz: Kai hat mir vor allem bei Chelsea gefallen. Ich kenne ihn natürlich gut. Er ist ein unglaublich guter Spieler. Mir als Liebhaber des Fußballs hat er unheimlich viel Freude bereitet. Vom Typ her ist er ruhig und zurückhaltend. Für mich wirkt es so, als ob er bei der Nationalmannschaft noch nicht so seine Rolle gefunden hat, jedenfalls noch nicht so, wie früher unter mir in Leverkusen und zuletzt in Chelsea. Auch wer jetzt nicht so viel über Fußball weiß, sieht doch, dass Kai ein sehr, sehr guter Fußballer ist. Wenn man so groß ist, Linksfuß, sehr elegant, übrigens auch immer sehr fair, dann ist das schon ein überragendes Paket. Ich bin mir sicher, dass die deutschen Fans noch nicht den richtigen Kai Havertz in der Nationalmannschaft gesehen haben. Das wird aber kommen.

Die Gewinner*innen der Fair Play-Gesten der Saison der 21 Landesverbände werden in diesem Jahr im Rahmen der Spiele der 1. DFB-Pokalrunde (6. bis 9. August) ausgezeichnet.

[th]

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zeichnet den niederländischen Fußballtrainer Peter Bosz mit der Fair Play-Medaille aus. Der 57 Jahre alte Bosz erhält die Medaille in der Kategorie "Profifußball" für eine Aktion am 5. Spieltag der vergangenen Saison beim Bundesligaspiel Bayer Leverkusen gegen den FC Augsburg. Aktuell bereitet Bosz die Mannschaft des siebenmaligen französischen Meisters Olympique Lyon auf die am 8. August beginnende Saison der Ligue 1 vor.

DFB.de: Herr Bosz, mit welcher Zielsetzung starten Sie mit Olympique in die neue Saison?

Peter Bosz: Der Verein und die Fans wollen natürlich den Titel gewinnen, aber ich muss jetzt erstmal die Mannschaft und auch die französische Liga besser kennenlernen. Im Vorjahr war Olympique Vierter und verpasste dadurch knapp die Champions League. Was ich nach ein paar Tagen Trainingslager hier in Murcia schon sagen kann: Wir wollen auch in diesem Jahr ganz oben mitspielen.

DFB.de: Hätten Sie Memphis Depay gerne in Lyon gehalten?

Bosz: Ich schaue nur nach vorne und fokussiere mich total auf die Spieler, die da sind. Meine Aufgabe ist es, aus denen, die wir unter Vertrag haben, eine gute Mannschaft zu formen.

DFB.de: Sie vergeben nach einem Spiel Punkte an jeden ihrer Spieler, die Skala reicht von eins bis zehn. Haben Sie denn einen potenziellen 10-Punkte-Mann im Kader?

Bosz: Nein, nicht unbedingt. (lacht) Das ist aber auch schwer. Ich habe in allen meinen Jahren als Trainer nicht ein einziges Mal zehn Punkte vergeben. Aber wir haben gute Spieler und sind auf dem richtigen Weg.

DFB.de: Die Situation, für die Sie ausgezeichnet werden, ereignete sich in einem Bundesliga-Spiel zwischen ihrem letzten Klub, Bayer 04 Leverkusen, und dem FC Augsburg. Nach einer falschen Freistoßentscheidung des Schiedsrichters in der 34. Minute traten Sie freiwillig den Ballbesitz ab. Sie sagten danach: "Nicht der Rede wert". Andererseits war es Ihnen wichtig genug, dass Sie in dem Moment Exequiel Palacios anwiesen, den Ball zu den Augsburgern zu spielen. Was ging Ihnen in der Situation durch den Kopf?

Bosz: Man muss das nicht so hochhängen. Ich bin definitiv ein Trainer, der gewinnen will. Ich revidiere sicher nicht jeden falschen Pfiff. In der Bundesliga leiten viele sehr gute Schiedsrichter, und dennoch kommt es zu vielen falschen Entscheidungen. Die Situation geschah an der Mittellinie. Es ist schon länger her, aber ich meine, wir führten 1:0. Die Bank von Augsburg war sehr überzeugt, dass wir das Handspiel begangen hatten und nicht ihr Spieler. Die Umstände machten es mir also durchaus leichter, den Ball zurückzuspielen. Das muss ich ehrlich sagen.

DFB.de: Was bedeutet ihnen Fair Play denn unabhängig von dieser Situation?

Bosz: Fair Play ist mir als Trainer wichtig, weil ich gewinnen will, aber auf eine faire Weise. Der Grat ist schmal. Jeder Trainer und jeder Spieler in unserem Geschäft muss entscheiden, was noch Profifußball ist und ab wann es unfair wird. Zum Gewinnen gehört manchmal auch eine Schlitzohrigkeit.

DFB.de: Ein Stürmer, der nicht am Trikot des Verteidigers zieht, und zwar so, dass es der Schiedsrichter nicht sieht, beherrscht sein Handwerk nicht? Meinen Sie es so?

Bosz: Na ja, das passiert meistens, wenn die Spieler müde sind. Trikotziehen ist für mich nicht das Schlimme. Wenn ein Spieler ankommt, mit offener Sohle und gestrecktem Bein, das ist schlimm und geht für mich klar gegen den Gedanken des Fair Play. Hier liegt die Grenze.

DFB.de: Coachen Sie auch so?

Bosz: Ich bin immer der Schiedsrichter im Training und ich pfeife fast nie. Aber wenn so etwas passiert, unterbreche ich sofort das Training und mache sehr deutlich, dass wir so nicht Fußball spielen wollen. Fußball ist eine Kontaktsportart. Wir müssen fair und männlich spielen. Ich will nicht, dass meine Spieler bei jeder Aktion den Arm heben. Das mag ich nicht.

DFB.de: Über sich als Spieler sagen Sie, Sie waren ein "destroyer".

Bosz: Und trotzdem fair. Es gab auch Gegenspieler, die sich im Zweikampf mit mir verletzt haben, aber da lag nie Absicht vor. Gleichzeitig hatte ich wirklich nie Angst, in ein Duell zu gehen. Ich war also hart aber fair.

DFB.de: Lassen Sie uns zum Schluss über das fußballerische Großereignis des Sommers und einen Ihrer Ehemaligen sprechen. Wie hat Ihnen denn Kai Havertz gefallen?

Bosz: Kai hat mir vor allem bei Chelsea gefallen. Ich kenne ihn natürlich gut. Er ist ein unglaublich guter Spieler. Mir als Liebhaber des Fußballs hat er unheimlich viel Freude bereitet. Vom Typ her ist er ruhig und zurückhaltend. Für mich wirkt es so, als ob er bei der Nationalmannschaft noch nicht so seine Rolle gefunden hat, jedenfalls noch nicht so, wie früher unter mir in Leverkusen und zuletzt in Chelsea. Auch wer jetzt nicht so viel über Fußball weiß, sieht doch, dass Kai ein sehr, sehr guter Fußballer ist. Wenn man so groß ist, Linksfuß, sehr elegant, übrigens auch immer sehr fair, dann ist das schon ein überragendes Paket. Ich bin mir sicher, dass die deutschen Fans noch nicht den richtigen Kai Havertz in der Nationalmannschaft gesehen haben. Das wird aber kommen.

Die Gewinner*innen der Fair Play-Gesten der Saison der 21 Landesverbände werden in diesem Jahr im Rahmen der Spiele der 1. DFB-Pokalrunde (6. bis 9. August) ausgezeichnet.

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