Bibiana Steinhaus: "Das Umfeld war bereit"

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute: Bibiana Steinhaus, erste Schiedsrichterin in der Bundesliga.

DFB.de: Wann und warum sind Sie Schiedsrichterin geworden?

Bibiana Steinhaus: Das ist wirklich lange her. Ich habe mit meinen Freundinnen aus meiner Schulklasse beim SV Bad Lauterberg Fußball gespielt und wurde irgendwann dort angesprochen, ob ich nicht den Schiedsrichterschein machen möchte. Ich war 16 als ich die Prüfung absolviert habe und stand zwei Wochen später schon ganz allein auf dem Feld. Das war eine total neue Erfahrung und Herausforderung für mich, die mir gleich unfassbar viel Spaß gemacht hat. Denn in der Theorie war alles einfach und leicht überschaubar, doch in der Praxis dann so vielschichtig. Ich bekam sofort Feedback von Trainern, Spielern und Betreuern auf die getroffenen Entscheidungen und musste lernen, mit der Kritik von außen umzugehen. Diese Komplexität hat mich total fasziniert und fasziniert mich heute noch. 

DFB.de: Können Sie sich an Ihr erstes Spiel erinnern? Wie war das für Sie als Neuling?

Steinhaus: Das war ein Frauenspiel in der Harz-Region. Ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor war für mich damals, dass mich unser Vereins-Schiedsrichter-Obmann Wolfgang Illhardt bei den ersten Gehversuchen begleitete. Er hat nicht nur Feedback zu meiner Leistung gegeben, sondern mich auch an die ganzen organisatorischen und administrativen Dinge herangeführt, wie zum Beispiel das Ausfüllen des Spielberichts. Heute gibt es das Patensystem, was ich als echten Zugewinn für die Schiedsrichterfamilie betrachte. Somit werden junge Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter nicht mehr direkt ins kalte Wasser geworfen, sondern durch einen Paten oder Coach an die strukturellen und persönlichen Anforderungen herangeführt. Das stärkt auch das Teamgefühl und die Zugehörigkeit zur Schiedsrichterfamilie. 

DFB.de: Wie war im Gegensatz dazu Ihr erstes Spiel in der Bundesliga? 

Steinhaus: Dazwischen lagen 22 Jahre, in denen ich viel erlebt habe und jede Menge Erfahrungen sammeln konnte. Der Nervositätsfaktor war wahrscheinlich identisch, nur die Rahmenbedingungen waren eben völlig andere. (lacht)

DFB.de: Wann haben Sie sich dazu entschlossen, diesen Sport leistungsmäßig zu betreiben? Gab es eventuell ein bestimmtes Ereignis?

Steinhaus: Am Anfang habe ich mehr den Moment genossen und einfach nur wahnsinnig viel Spaß am Pfeifen gehabt. Mit jedem Aufstieg stiegen auch die Anforderungen. Ich bin sehr ehrgeizig und mein Antrieb war immer, mich weiterzuentwickeln, besser zu werden und den nächsten Schritt zu gehen. Fußball ist seit jeher ein massiver Teil meines Lebens. 

DFB.de: Sie haben zehn Jahre 2. Bundesliga gepfiffen, bevor Sie 2017 als erste Frau in der Bundesliga aufgestiegen sind. Warum hat das solange gedauert?

Steinhaus: Es war ein langer Weg. Aber rückblickend betrachtet, war wahrscheinlich erst 2017 die Zeit wirklich reif dafür. Heute weiß ich, dass es nicht reicht, nur sich selbst bereit zu fühlen, solch einen Schritt gehen zu wollen. Das war ein langer Prozess für alle Beteiligten, der bereits viele Jahre zuvor eingesetzt hat. Und irgendwann waren alle Beteiligten und auch das Umfeld bereit: Klubs, Spieler, Trainer, Verband, Zuschauer, Fans, Medien. Die Schiedsrichterführung hatte eine hohe Verantwortung auch bei diesem Projekt, denn es soll ja möglichst dauerhaft zum Erfolg führen und da braucht es viele Unterstützer. Es geht nicht nur um diese eine Person zum aktuellen Zeitpunkt, sondern es geht auch um das Gesamtkonstrukt. Denn die Entwicklung soll ja weitergehen. Und so bekommen nach mir hoffentlich noch viele Schiedsrichterinnen die Möglichkeit, den gleichen Weg gehen zu können. 

DFB.de: Was haben Sie anders gemacht als andere? 

Steinhaus: Das werde ich tatsächlich häufig gefragt. Ich bin recht ehrgeizig und habe es am Ende des Tages wahrscheinlich einfach ein bisschen mehr gewollt, war bereit mehr zu geben. Ich habe großes Durchhaltevermögen und eine hohe Frustrationstoleranz bewiesen. Auf und neben dem Platz bin ich immer wieder mit Dingen konfrontiert worden, die mich aufs Schärfste herausgefordert haben. "Erwarte das Unerwartbare" lautet ein Schiedsrichter-Leitspruch, und in ihm steckt so viel Wahrheit. Mein Anspruch ist es, immer bestmöglich auf ein Spiel vorbereitet zu sein, um mental freie Kapazitäten zu generieren, auf das Unerwartete angemessen reagieren zu können.

DFB.de: Sie sind 1999 in die Frauen-Bundesliga aufgestiegen und demnach über 20 Jahre im Spitzenbereich dabei. Wie haben Sie die Entwicklung im deutschen Frauenfußball miterlebt? Was sind aus Ihrer Sicht die gravierendsten Unterschiede zwischen 1999 und 2020?

Steinhaus: Der größte Unterschied zwischen damals und heute ist ähnlich wie bei den Männern ganz klar die Geschwindigkeit und Dynamik des Spiels, die Intensität der Zweikämpfe. Aber auch die professionellen Rahmenbedingungen haben sich stark verändert. Damals galt es eher noch als Hobby, Fußball in der höchsten Frauen-Spielklasse zu spielen, mittlerweile gibt es viele Profis unter den Spielerinnen, die ihren Sport als Fulltimejob ausüben können. Und diese Entwicklung sind auch die Schiedsrichterinnen mitgegangen. Wurde vor 20 Jahren noch rein die Ausdauerleistung überprüft – mit einem Coopertest als Zwölf-Minuten-Lauf – stehen heute High-Intensity-Tests und Sprintfähigkeit explizit im Mittelpunkt.

DFB.de: Was waren Ihre größten sportlichen Erfolge? Welcher bedeutet Ihnen am meisten und warum?

Steinhaus: Das ist gar nicht so einfach auf den Punkt zu bringen, weil man wahrscheinlich jetzt davon ausgeht, dass ich bei sportlichen Erfolgen alle Finalspiele und mindestens den Bundesliga-Aufstieg aufzähle. Natürlich waren das wunderschöne Momente in meinem Leben: Heim-WM-Finale 2011 in Frankfurt unter dem Applaus der Zuschauer, das Olympia-Finale auf dem heiligen Wembley-Rasen 2012, 2017 Bundesliga-Debüt im Berliner Olympiastadion, in dem Wissen Geschichte zu schreiben. Die Herausforderung dieser exklusiven Momente war immer, sich als Team zu finden und sich auf die gemeinsamen Stärken zu besinnen, nicht den Druck der Öffentlichkeit und die Bedeutung des Spiels an sich ranzulassen, sondern den Druck der hohen Verantwortung in positive Energie umzuwandeln, um schließlich einen guten Job zu machen. Mir haben aber auch die vielen stillen Momente immer sehr viel bedeutet, die Erfolgserlebnisse im Liga-Alltag oder Momente mit meinen Kollegen, die mich getragen und glücklich gemacht haben. Die Spielleitungen dauern "nur" 90 Minuten, aber die vielen Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen, die Zeit, die wir im Team verbringen, die vielen akribischen Arbeitsstunden mit den Coaches auf dem Weg dahin, der ganze Schweiß in all den Trainingseinheiten, die Unterstützung durch unsere Schiri-Führung, die Rückendeckung von Kollegen, Freunden und Familie... All das ist so viel mehr.

DFB.de: Wie halten Sie sich körperlich fit, um in diesem Hochgeschwindigkeitsfußball mithalten zu können?

Steinhaus: Tägliches Training ist eine Grundvoraussetzung. Im Elitebereich arbeiten wir Schiris mit verschiedenen Trainern zusammen, die uns bei der Trainingssteuerung, Trainingsumfang, Inhalte, Regeneration, Verletzungsprophylaxe uns so weiter unterstützen. Da wird nichts dem Zufall überlassen. Aber wir bereiten uns natürlich auch psychisch auf unsere Spiele vor. So beschäftigen wir uns auch intensiv mit den Mannschaften, Taktiken und einzelnen Spielern. Somit gelingt es uns besser, Spielzüge frühzeitig zu antizipieren, uns optimal in Stellung zu bringen, um aus der bestmöglichen Position die bestmögliche Entscheidung zu treffen.

DFB.de: Wie verhält sich das mit Ihrem Job? Gehen Sie noch arbeiten und wie gestaltet sich das in Kombination mit dem Fußball?

Steinhaus: Ich bin Polizeibeamtin im Land Niedersachsen und gehe selbstverständlich arbeiten. Glücklicherweise gestattet mir mein Arbeitgeber phasenweise in Teilzeit arbeiten zu können, um die Tätigkeiten rund um den Fußball mit meinem Job in Einklang bringen. 

DFB.de: Was würden Sie Schiedsrichterkolleginnen raten, die es auch bei den Männern bis ganz nach oben schaffen wollen?

Steinhaus: Grundsätzlich würde ich ambitionierten Schiedsrichterinnen raten, Mut zu haben und sich zu trauen, Herausforderungen anzunehmen. Bildlich gesprochen: Das Trikot ruhig mal eine Nummer größer wählen, denn man wird schon reinwachsen. Jede anstehende Partie, als willkommene Übungssituation für das erste Bundesligaspiel zu betrachten. Üben, üben und performen. Jedes Spiel als Schritt zum eigenen Meisterstück betrachten. Vorbilder haben und sich daran orientieren. Mentoren suchen, die einen aktiv in der Entwicklung unterstützen können. Das können sehr unterschiedliche Menschen aus den verschiedensten Lebensbereichen sein. Ganz wichtig ist jedoch, dafür Sorge zu tragen, dass das Bestehen der Regel- und Leistungstests keine Hürde darstellt, sondern diese eher als maximal anspruchsvolle Trainingseinheiten betrachtet werden können. Dies hat jeder selbst in der Hand. Und nie vergessen, dass wir vermeintlichen Einzelkämpfer auch Teamsportler sind. Gemeinsam funktioniert vieles besser. 

DFB.de: Sie haben ja quasi schon fast alles erreicht, was man als Frau erreichen kann. Welche Ziele und Wünsche haben Sie noch als Schiedsrichterin? Vielleicht ein besonderes Wunschspiel?

Steinhaus: Auch wenn das jetzt vielleicht platt klingt, aber ich möchte jedes anstehende Spiel gut leiten. Denn jedes Spiel hat den bestmöglichen Spielleiter verdient. Mein Antrieb ist, sich immer noch weiterentwickeln zu können und die Möglichkeit wird mir in jedem Spiel geboten.

DFB.de: Was wünschen Sie sich für den Frauenfußball? Was ist Ihre Zukunftsvision?

Steinhaus: Ich wünsche mir, dass wir uns national und international weiterhin professionalisieren. Dass Frauen, die sich dafür entscheiden, ihr Hobby Fußball zum Beruf machen zu wollen, diese Möglichkeit auch uneingeschränkt erhalten. Ich wünsche mir, dass sich die Anzahl an fußballspielenden Frauen, Präsidentinnen, Schiedsrichterinnen, Trainerinnen maßgeblich erhöht, auch um uns Frauen in den Führungsgremien von Sportorganisationen Stimme und Gehör zu verschaffen. Vor allem wünsche ich mir, dass sich jede Frau weltweit für einen Weg im Fußball frei entscheiden kann. Für das deutsche Schiedsrichterinnenwesen wünsche ich mir, dass wir langfristig auch weiterhin zur Weltspitze gehören. Wir haben nicht nur wahnsinnig viele Talente in Deutschland, sondern auch die Rahmenbedingungen, internationale Entwicklungen nicht nur mitzugehen, sondern sie vor allem aktiv mitzugestalten. Und dann wird es nach Dr. Riem Hussein, Katrin Rafalski und mir auch weitere Frauen geben, denen der Schritt in die Bundesliga gelingt. Nicht weil sie Frauen sind, sondern weil sie ganz einfach zu den besten Schiedsrichterinnen im Land gehören.

[ak]

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute: Bibiana Steinhaus, erste Schiedsrichterin in der Bundesliga.

DFB.de: Wann und warum sind Sie Schiedsrichterin geworden?

Bibiana Steinhaus: Das ist wirklich lange her. Ich habe mit meinen Freundinnen aus meiner Schulklasse beim SV Bad Lauterberg Fußball gespielt und wurde irgendwann dort angesprochen, ob ich nicht den Schiedsrichterschein machen möchte. Ich war 16 als ich die Prüfung absolviert habe und stand zwei Wochen später schon ganz allein auf dem Feld. Das war eine total neue Erfahrung und Herausforderung für mich, die mir gleich unfassbar viel Spaß gemacht hat. Denn in der Theorie war alles einfach und leicht überschaubar, doch in der Praxis dann so vielschichtig. Ich bekam sofort Feedback von Trainern, Spielern und Betreuern auf die getroffenen Entscheidungen und musste lernen, mit der Kritik von außen umzugehen. Diese Komplexität hat mich total fasziniert und fasziniert mich heute noch. 

DFB.de: Können Sie sich an Ihr erstes Spiel erinnern? Wie war das für Sie als Neuling?

Steinhaus: Das war ein Frauenspiel in der Harz-Region. Ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor war für mich damals, dass mich unser Vereins-Schiedsrichter-Obmann Wolfgang Illhardt bei den ersten Gehversuchen begleitete. Er hat nicht nur Feedback zu meiner Leistung gegeben, sondern mich auch an die ganzen organisatorischen und administrativen Dinge herangeführt, wie zum Beispiel das Ausfüllen des Spielberichts. Heute gibt es das Patensystem, was ich als echten Zugewinn für die Schiedsrichterfamilie betrachte. Somit werden junge Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter nicht mehr direkt ins kalte Wasser geworfen, sondern durch einen Paten oder Coach an die strukturellen und persönlichen Anforderungen herangeführt. Das stärkt auch das Teamgefühl und die Zugehörigkeit zur Schiedsrichterfamilie. 

DFB.de: Wie war im Gegensatz dazu Ihr erstes Spiel in der Bundesliga? 

Steinhaus: Dazwischen lagen 22 Jahre, in denen ich viel erlebt habe und jede Menge Erfahrungen sammeln konnte. Der Nervositätsfaktor war wahrscheinlich identisch, nur die Rahmenbedingungen waren eben völlig andere. (lacht)

DFB.de: Wann haben Sie sich dazu entschlossen, diesen Sport leistungsmäßig zu betreiben? Gab es eventuell ein bestimmtes Ereignis?

Steinhaus: Am Anfang habe ich mehr den Moment genossen und einfach nur wahnsinnig viel Spaß am Pfeifen gehabt. Mit jedem Aufstieg stiegen auch die Anforderungen. Ich bin sehr ehrgeizig und mein Antrieb war immer, mich weiterzuentwickeln, besser zu werden und den nächsten Schritt zu gehen. Fußball ist seit jeher ein massiver Teil meines Lebens. 

DFB.de: Sie haben zehn Jahre 2. Bundesliga gepfiffen, bevor Sie 2017 als erste Frau in der Bundesliga aufgestiegen sind. Warum hat das solange gedauert?

Steinhaus: Es war ein langer Weg. Aber rückblickend betrachtet, war wahrscheinlich erst 2017 die Zeit wirklich reif dafür. Heute weiß ich, dass es nicht reicht, nur sich selbst bereit zu fühlen, solch einen Schritt gehen zu wollen. Das war ein langer Prozess für alle Beteiligten, der bereits viele Jahre zuvor eingesetzt hat. Und irgendwann waren alle Beteiligten und auch das Umfeld bereit: Klubs, Spieler, Trainer, Verband, Zuschauer, Fans, Medien. Die Schiedsrichterführung hatte eine hohe Verantwortung auch bei diesem Projekt, denn es soll ja möglichst dauerhaft zum Erfolg führen und da braucht es viele Unterstützer. Es geht nicht nur um diese eine Person zum aktuellen Zeitpunkt, sondern es geht auch um das Gesamtkonstrukt. Denn die Entwicklung soll ja weitergehen. Und so bekommen nach mir hoffentlich noch viele Schiedsrichterinnen die Möglichkeit, den gleichen Weg gehen zu können. 

DFB.de: Was haben Sie anders gemacht als andere? 

Steinhaus: Das werde ich tatsächlich häufig gefragt. Ich bin recht ehrgeizig und habe es am Ende des Tages wahrscheinlich einfach ein bisschen mehr gewollt, war bereit mehr zu geben. Ich habe großes Durchhaltevermögen und eine hohe Frustrationstoleranz bewiesen. Auf und neben dem Platz bin ich immer wieder mit Dingen konfrontiert worden, die mich aufs Schärfste herausgefordert haben. "Erwarte das Unerwartbare" lautet ein Schiedsrichter-Leitspruch, und in ihm steckt so viel Wahrheit. Mein Anspruch ist es, immer bestmöglich auf ein Spiel vorbereitet zu sein, um mental freie Kapazitäten zu generieren, auf das Unerwartete angemessen reagieren zu können.

DFB.de: Sie sind 1999 in die Frauen-Bundesliga aufgestiegen und demnach über 20 Jahre im Spitzenbereich dabei. Wie haben Sie die Entwicklung im deutschen Frauenfußball miterlebt? Was sind aus Ihrer Sicht die gravierendsten Unterschiede zwischen 1999 und 2020?

Steinhaus: Der größte Unterschied zwischen damals und heute ist ähnlich wie bei den Männern ganz klar die Geschwindigkeit und Dynamik des Spiels, die Intensität der Zweikämpfe. Aber auch die professionellen Rahmenbedingungen haben sich stark verändert. Damals galt es eher noch als Hobby, Fußball in der höchsten Frauen-Spielklasse zu spielen, mittlerweile gibt es viele Profis unter den Spielerinnen, die ihren Sport als Fulltimejob ausüben können. Und diese Entwicklung sind auch die Schiedsrichterinnen mitgegangen. Wurde vor 20 Jahren noch rein die Ausdauerleistung überprüft – mit einem Coopertest als Zwölf-Minuten-Lauf – stehen heute High-Intensity-Tests und Sprintfähigkeit explizit im Mittelpunkt.

DFB.de: Was waren Ihre größten sportlichen Erfolge? Welcher bedeutet Ihnen am meisten und warum?

Steinhaus: Das ist gar nicht so einfach auf den Punkt zu bringen, weil man wahrscheinlich jetzt davon ausgeht, dass ich bei sportlichen Erfolgen alle Finalspiele und mindestens den Bundesliga-Aufstieg aufzähle. Natürlich waren das wunderschöne Momente in meinem Leben: Heim-WM-Finale 2011 in Frankfurt unter dem Applaus der Zuschauer, das Olympia-Finale auf dem heiligen Wembley-Rasen 2012, 2017 Bundesliga-Debüt im Berliner Olympiastadion, in dem Wissen Geschichte zu schreiben. Die Herausforderung dieser exklusiven Momente war immer, sich als Team zu finden und sich auf die gemeinsamen Stärken zu besinnen, nicht den Druck der Öffentlichkeit und die Bedeutung des Spiels an sich ranzulassen, sondern den Druck der hohen Verantwortung in positive Energie umzuwandeln, um schließlich einen guten Job zu machen. Mir haben aber auch die vielen stillen Momente immer sehr viel bedeutet, die Erfolgserlebnisse im Liga-Alltag oder Momente mit meinen Kollegen, die mich getragen und glücklich gemacht haben. Die Spielleitungen dauern "nur" 90 Minuten, aber die vielen Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen, die Zeit, die wir im Team verbringen, die vielen akribischen Arbeitsstunden mit den Coaches auf dem Weg dahin, der ganze Schweiß in all den Trainingseinheiten, die Unterstützung durch unsere Schiri-Führung, die Rückendeckung von Kollegen, Freunden und Familie... All das ist so viel mehr.

DFB.de: Wie halten Sie sich körperlich fit, um in diesem Hochgeschwindigkeitsfußball mithalten zu können?

Steinhaus: Tägliches Training ist eine Grundvoraussetzung. Im Elitebereich arbeiten wir Schiris mit verschiedenen Trainern zusammen, die uns bei der Trainingssteuerung, Trainingsumfang, Inhalte, Regeneration, Verletzungsprophylaxe uns so weiter unterstützen. Da wird nichts dem Zufall überlassen. Aber wir bereiten uns natürlich auch psychisch auf unsere Spiele vor. So beschäftigen wir uns auch intensiv mit den Mannschaften, Taktiken und einzelnen Spielern. Somit gelingt es uns besser, Spielzüge frühzeitig zu antizipieren, uns optimal in Stellung zu bringen, um aus der bestmöglichen Position die bestmögliche Entscheidung zu treffen.

DFB.de: Wie verhält sich das mit Ihrem Job? Gehen Sie noch arbeiten und wie gestaltet sich das in Kombination mit dem Fußball?

Steinhaus: Ich bin Polizeibeamtin im Land Niedersachsen und gehe selbstverständlich arbeiten. Glücklicherweise gestattet mir mein Arbeitgeber phasenweise in Teilzeit arbeiten zu können, um die Tätigkeiten rund um den Fußball mit meinem Job in Einklang bringen. 

DFB.de: Was würden Sie Schiedsrichterkolleginnen raten, die es auch bei den Männern bis ganz nach oben schaffen wollen?

Steinhaus: Grundsätzlich würde ich ambitionierten Schiedsrichterinnen raten, Mut zu haben und sich zu trauen, Herausforderungen anzunehmen. Bildlich gesprochen: Das Trikot ruhig mal eine Nummer größer wählen, denn man wird schon reinwachsen. Jede anstehende Partie, als willkommene Übungssituation für das erste Bundesligaspiel zu betrachten. Üben, üben und performen. Jedes Spiel als Schritt zum eigenen Meisterstück betrachten. Vorbilder haben und sich daran orientieren. Mentoren suchen, die einen aktiv in der Entwicklung unterstützen können. Das können sehr unterschiedliche Menschen aus den verschiedensten Lebensbereichen sein. Ganz wichtig ist jedoch, dafür Sorge zu tragen, dass das Bestehen der Regel- und Leistungstests keine Hürde darstellt, sondern diese eher als maximal anspruchsvolle Trainingseinheiten betrachtet werden können. Dies hat jeder selbst in der Hand. Und nie vergessen, dass wir vermeintlichen Einzelkämpfer auch Teamsportler sind. Gemeinsam funktioniert vieles besser. 

DFB.de: Sie haben ja quasi schon fast alles erreicht, was man als Frau erreichen kann. Welche Ziele und Wünsche haben Sie noch als Schiedsrichterin? Vielleicht ein besonderes Wunschspiel?

Steinhaus: Auch wenn das jetzt vielleicht platt klingt, aber ich möchte jedes anstehende Spiel gut leiten. Denn jedes Spiel hat den bestmöglichen Spielleiter verdient. Mein Antrieb ist, sich immer noch weiterentwickeln zu können und die Möglichkeit wird mir in jedem Spiel geboten.

DFB.de: Was wünschen Sie sich für den Frauenfußball? Was ist Ihre Zukunftsvision?

Steinhaus: Ich wünsche mir, dass wir uns national und international weiterhin professionalisieren. Dass Frauen, die sich dafür entscheiden, ihr Hobby Fußball zum Beruf machen zu wollen, diese Möglichkeit auch uneingeschränkt erhalten. Ich wünsche mir, dass sich die Anzahl an fußballspielenden Frauen, Präsidentinnen, Schiedsrichterinnen, Trainerinnen maßgeblich erhöht, auch um uns Frauen in den Führungsgremien von Sportorganisationen Stimme und Gehör zu verschaffen. Vor allem wünsche ich mir, dass sich jede Frau weltweit für einen Weg im Fußball frei entscheiden kann. Für das deutsche Schiedsrichterinnenwesen wünsche ich mir, dass wir langfristig auch weiterhin zur Weltspitze gehören. Wir haben nicht nur wahnsinnig viele Talente in Deutschland, sondern auch die Rahmenbedingungen, internationale Entwicklungen nicht nur mitzugehen, sondern sie vor allem aktiv mitzugestalten. Und dann wird es nach Dr. Riem Hussein, Katrin Rafalski und mir auch weitere Frauen geben, denen der Schritt in die Bundesliga gelingt. Nicht weil sie Frauen sind, sondern weil sie ganz einfach zu den besten Schiedsrichterinnen im Land gehören.

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