Bayern und BVB: Endspieldramen und Sternstunden

Borussia Dortmund gegen Bayern München, das erste rein deutsche Endspiel im wichtigsten Klubwettbewerb Europas, am Samstag (ab 20.45 Uhr, live im ZDF und bei Sky) im Londoner Wembleystadion. Vor dem geschichtsträchtigen deutschen Duell in der Champions League schaut DFB.de zurück in die Fußballgeschichte. Heute: die Finalteilnahmen der beiden Protagonisten.

Seit 21 Jahren gibt es mittlerweile die Champions League, der begehrteste internationale Klubwettbewerbs des Kontinents. Für die Bayern steht am Samstag schon das fünfte, für Borussia Dortmund das zweite Finale in der Königsklasse an. Der Autor und Historiker Udo Muras erinnert auf DFB.de an die Sternstunden und Dramen.

BVB: Ein Endspiel, ein Sieg

Der Meister von 1996, Borussia Dortmund, war der erste deutsche Finalist in der Champions League. Im Vorjahr im Viertelfinale noch an Ajax Amsterdam (0:2/0:1) gescheitert, glückte nun der ganz große Triumph ausgerechnet im Münchner Olympiastadion, dem Wohnzimmer des größten nationalen Rivalens. 30.000 BVB-Fans begleiteten ihre Mannschaft zum Spiel gegen Juventus Turin, 59.000 Karten durften nur verkauft werden.

Chef der Borussen-Elf war übrigens Bayerns heutiger Sportdirektor Matthias Sammer, der dieser Tage immer wieder an den 28. Mai 1997 erinnert. Man habe damals nur gewonnen, weil Juventus Turin die kurz zuvor errungene Meisterschaft zu heftig gefeiert habe. Das führte er seinen Bayern als warnendes Beispiel ab 6. April, als sie selbst Meister waren, vor Augen. Vier Tore fielen im Mai 1997, drei sind längst vergessen, eines lebt ewig: der 25-Meter-Lupfer des damals 20-jährigen Lars Ricken, der für die Entscheidung sorgte.

Ricken: Traumtor des Superjokers

In 14 Sekunden zur Unsterblichkeit - Lars Ricken wurde zum Inbegriff des Jokers, der sticht. "Unglaublich, dass man in dem Alter schon so abgezockt sein kann", staunte sein Trainer Ottmar Hitzfeld und mit ihm die ganze Fußballwelt. Es war ein Tor mit Auge und mit Vorgeschichte. Ricken: "Ich habe von der Bank aus beobachtet, dass der Peruzzi immer zu weit vor seinem Kasten stand. Aber ich konnte ja nichts machen. Endlich durfte ich rein. Dass ich dann tatsächlich so ein Tor mache, davon konnte ich einfach nur träumen."

Er träumte nicht alleine. "Jetzt kommt gleich Lars Ricken, der Mann für die entscheidenden Tore. Und der macht dann das 3:1, wir hoffen es jedenfalls", bewies Radio-Sprecher Manfred Breuckmann (WDR) seine geradezu prophetische Begabung. Und Marcel Reif seine poetische, als er ins RTL-Mikrofon rief: "Die Brüder Grimm drehen sich im Grabe um. Das sind Märchen, die gibt’s nicht."

Nur selten stand ein Mann mit zwei Final-Toren so im Schatten eines anderen wie Karl-Heinz Riedle, der die ersten beiden Treffer erzielte. Der Weltmeister nutzte die ersten BVB-Chancen des Spiels, dafür brauchte er nur fünf Minuten (29., 34.). Juve-Trainer Marcello Lippi sah sich auf seiner Luxus-Bank um und warf Alessandro del Piero zur zweiten Halbzeit in die Schlacht und der Joker stach; nach Doppelpass mit Zidane glückte ihm per Hacke das 2:1 (64.). Aber was half es, wenn auch der BVB einen solchen Joker im Ärmel hat. Kaum zu glauben: Rickens Lupfer war erst der dritte Torschuss der Borussen – das nennt man Effizienz.

Hitzfeld tritt auf dem Höhepunkt ab

Eher selten passiert es auch, dass sich ein Kapitän ziert, den Henkel-Pott in Empfang zu nehmen. Doch weil Michael Zorc erst in der 89. Minute ins Spiel gekommen war, wollte er Stellvertreter Matthias Sammer den Vortritt lassen. Der ließ nicht mit sich reden: "Mach voran und geh endlich nach oben."

Die internationale Presse war voll des Lobes für den BVB. ABC (Spanien) etwa erklärte: "Borussia, ein weiteres deutsches Qualitätsprodukt." Und die L’Equipe (Frankreich) sah in Dortmund "einen prachtvollen Sieger, er gibt einen schönen Europa-Champion ab." Dessen Trainer Ottmar Hitzfeld trat auf dem Höhepunkt ab, nach einem nicht immer harmonischen Jahr zog er sich als Sportdirektor an den Schreibtisch zurück. Aber da blieb er nicht lange: die beiden nächsten deutschen Finals erlebte er schon wieder an der Seitenlinie – mit den Bayern.

Die Siegermannschaft 1997: Klos – Kohler, Sammer, Kree, Reuter – Lambert, Sousa, Heinrich, Möller (89. Zorc) – Riedle (67. Herrlich), Chapuisat (70. Ricken).

Die "Mutter aller Niederlagen"

Seitdem kam der BVB nie mehr so weit, fortan gab es, abgesehen von Leverkusens Auftritt 2002 gegen Real Madrid (1:2), nur noch Bayern-Finals. 1999 wurde dabei Fußball-Geschichte geschrieben. Was die Münchner Bayern am 26. Mai 1999 erlebten, stellt bis dato alles in den Schatten. Es war eine Tragödie, die im Fußball ihresgleichen sucht. An diesem schwül-warmen Tag schrieben sie in Barcelona eine Geschichte, die sie niemals lesen wollten. Es ist die Geschichte einer Mannschaft, die in 102 Sekunden ihren größten Traum wegwarf – den Gewinn der Champions League, der wahr geworden wäre, wenn nur Sepp Herbergers Worte noch Gesetz gewesen wären. Aber dieses Spiel dauerte eben nicht 90 Minuten.

Das Protokoll des Untergangs: Als der große Abend herangerückt ist, liegt knisternde Spannung über dem Stadion Camp Nou. 90.000 Menschen haben Karten erworben, Rekord für ein Champions League-Finale. Es wird in 200 Länder live übertragen. Einen Favoriten gibt es nicht. Beide Klubs sind kurz zuvor Meister geworden. Aber die Bayern haben bereits 18 Tage vorher auf dem Marienplatz mit 35.000 Fans gefeiert und sich seitdem auf Barcelona konzentriert. Trainer Ottmar Hitzfeld kann in seinem ersten Jahr gleich drei Titel holen, denn man steht auch im DFB-Pokalfinale.

Bayern ohne Lizarazu und Elber

ManUnited hat in England erst am Wochenende das Double gewonnen, nun will Coach Alex Ferguson das Triple. Den Bayern fehlen Weltmeister Bixente Lizarazu und Giovane Elber, Manchester Kapitän Roy Keane und Paul Scholes. Im Stadion sind sie natürlich alle. Es ist ein idealer Tag für einen Vereinsausflug. Beckenbauer hat die ganze Geschäftsstelle eingeladen zum größten Spiel seit 23 Jahren, als er selbst noch als Kapitän den Europapokal der Meister (1974 bis 1976) gewonnen hat. Die Engländer zahlen umgerechnet 460.000 Mark pro Kopf, Bayern nur knapp ein Drittel.

Wer an Omen glaubt, muss sich um die Bayern sorgen, schon am Vortag feierten die Briten einen ersten Sieg. Eine Münze entscheidet: Manchester spielt in Rot, dabei wollten die Münchner doch ihre neuen Trikots präsentieren. So bleibt ihnen nur das silberblaue Trikot mit den weinroten Ärmeln. Aber sie spielen wie immer in dieser Saison: kontrolliert und effizient. Kein Fußball zum Verlieben, noch antiquiert mit Libero. Der heißt Lothar Matthäus und ist 38 Jahre. Der Chef aber heißt Stefan Effenberg. Kapitän ist er zwar nicht, aber er sagt jedem, wo es lang geht.

Basler mit der frühen Führung

Als Schiedsrichter Collina nach fünf Minuten einen Freistoß gibt, schnappt sich Mario Basler den Ball. Effenberg beobachtet Torwart Peter Schmeichel und gibt Basler eine Regieanweisung: "Torwartecke! Ich glaube, der macht einen Schritt in die Mitte!" Schmeichel macht einen Schritt in die Mitte, Basler schießt in die Torwartecke – und der eher harmlose Flachschuss rauscht ins Netz. 1:0! Ein frühes Tor ersehnen sich alle Teams, die nicht so recht von sich überzeugt sind. Einige Bayern-Spieler hatten vor Nervosität ihr Frühstück nicht heruntergebracht, doch nun verfliegt sie endlich.

Dem Spiel insgesamt tut das Tor jedoch entgegen aller Fußball-Weisheiten nicht gut. Man wird hinterher von einem enttäuschenden Finale sprechen, vom Epilog einmal abgesehen. Den Engländern fällt nicht viel ein, auch der blonde Wunderknabe mit der Nummer sieben, David Beckham, findet keinen Königsweg. Torwart Oliver Kahn wird es in seinem 50. Europapokalspiel schon beinahe langweilig. Mit 1:0 geht es in die Kabinen.

Alle 22 Spieler kommen wieder heraus und erst als sich die Besetzung auf dem Rasen ändert, wird es ein Drama. Es ist die 67. Minute. Kurz zuvor hat Basler voller Übermut aus 35 Metern geschossen und Schmeichel in Verlegenheit gebracht. Manchester droht nicht nur geschlagen, sondern auch noch verhöhnt zu werden. Ferguson reagiert, er bringt Teddy Sheringham, der gerade das FA-Cup-Finale gegen Newcastle entschieden hat. Er ist 33 Jahre, aber Ferguson weiß: Alter schützt vor Toren nicht. Vor Müdigkeit aber auch nicht.

Matthäus' Auswechslung - der Anfang vom Ende

Die Kameras zeigen immer wieder das verzerrte Gesicht von Lothar Matthäus. Er kann und will nicht mehr. Lässt die Schultern hängen als Signal für den Wunsch nach Auswechslung, "weil ich fast nur im Mittelfeld gespielt hatte und weil es verdammt heiß war in Barcelona". Hitzfeld schickt in der 80. Minute für den einstigen Weltfußballer des Jahres den unglamourösen Spieler Thorsten Fink aufs Feld, in dessen Vita Klubs wie Wattenscheid 09 und Karlsruher SC stehen. Ein Arbeiter. Heute trainiert er den HSV. Später wird man diesen Wechsel als fatales Signal bewerten. Hitzfeld gibt später zu: "Die Auswechslung von Lothar hat uns nicht unbedingt sicherer gemacht."

Dennoch bespricht Mediendirektor Markus Hörwick schon mit den Field-Reportern, welche Spieler gleich vor den Mikrofonen ihre Siegesfreude herauslassen sollen. Betreuer schleppen Getränke herbei, auch Champagner ist darunter, und eine Kiste voller Mützen mit der Aufschrift: "Champions League-Sieger 1999 – FC Bayern München." Mario Basler ist der erste, der eine trägt. Er wird in der 89. Minute ausgewechselt, damit der Kämpfer Hasan Salihamidzic noch teilhaben kann am Erfolg.

Fergusons goldene Wechsel

Ferguson hat ebenfalls noch mal gewechselt und mit Ole Gunnar Solskjaer seinen zweiten Joker gebracht. Es wirkt: Er und Sheringham haben in zehn Minuten mehr Chancen zusammen als die Kollegen in 90. Aber die größeren haben die Bayern, Mehmet Scholl trifft den Pfosten und Carsten Jancker per Fallrückzieher die Latte.

Das Unheil kündet sich an, soll es doch nicht sein? Die Bayern-Abwehr ohne Matthäus schwimmt immer mehr – und Collina lässt sie ersaufen. Er erteilt drei Minuten Zugabe. Hitzfeld denkt: "Verdammt, das ist lang." Ein ungenauer Rückpass von Markus Babbel zwingt Thomas Linke dazu, den Ball ins Aus zu schlagen und nach dem Einwurf verursacht Stefan Effenberg einen Eckball. Die Spieluhr zeigt an: 90:16 Minuten. Das Drama beginnt.

Verrückte 102 Sekunden Nachspielzeit

Die englischen Fans springen auf wie nach einem Treffer. Ecken von Beckham sind Torchancen, das wissen sie. Auf der Bayern-Bank wird gezittert. Co-Trainer Michael Henke wird später zugeben: "Wir haben uns nie super-sicher gefühlt, weil es bei den Standards von ManU immer gebrannt hat." Der Ball rauscht durch den Torraum, ausgerechnet Matthäus-Ersatz Fink befördert den Ball mit einem Querschläger in die Gefahrenzone zurück – und Sheringham verlängert den Schuss von Ryan Giggs zum 1:1. Vergeblich reklamieren die Bayern auf Abseits. Es war nicht mehr als ein Versuch, von eigenen Fehlern abzulenken. Matthäus steht wie versteinert am Spielfeldrand.

Das Schlimmste aber kommt noch. Die Bayern brechen innerlich zusammen und verlieren den Ball postwendend. Sammy Kuffour klärt gegen Solskjaer – erneut auf Kosten einer Ecke. Die Uhr zeigt an: 92:14 Minuten. Wieder tritt Beckham von links mit rechts, Sheringham gewinnt den Kopfball gegen Linke und verlängert auf Solskjaer, der drischt unter die Latte. 1:2! Die Bayern-Spieler fallen zu Boden, einige beginnen zu weinen. Es sind "die zwei unglaublichsten Minuten des Fußballs", wird die englische Zeitung Sun titeln.

Collina hat Mühe, das Spiel fortzusetzen und packt die Bayern mit einem bisschen Schul-Englisch bei der Ehre: "Stand up, when you are men", ruft er ihnen zu. Sie stehen auf und sind doch am Boden zerstört. Zwei Tore in 102 Sekunden Nachspielzeit machen Sieger zu Verlierern. Wer soll das verkraften? In den Fan-Blöcken brechen sich die Emotionen Bahn. Wunderkerzen hier, Tränen da.

Trauer und Fassungslosigkeit

Auch die Kinder von Michael Henke, acht und zehn Jahre alt, fangen zu weinen an, weil plötzlich die anderen jubeln. Auf der Pressetribüne bricht Hektik aus. Reporter telefonieren mit ihren Redaktionen, die bereits gesendeten Texte sind nicht mehr druckreif. Den ganzen Irrwitz dieses dramatischen Epilogs von Barcelona verdeutlicht jedoch eine Episode in den Katakomben des Nou Camp. Um 22.30 Uhr besteigen drei VIPs den Aufzug, der von der Ehrentribüne ins Erdgeschoss führt. Lennart Johansson, der UEFA-Präsident, Franz Beckenbauer und Boris Becker müssen und wollen zur Siegerehrung. Das Spiel läuft noch.

Becker erzählt das Jahre später noch immer fassungslos: "Als wir in den Aufzug stiegen, stand es 1:0 für Bayern. In der Aufzugkabine hörten wir Jubel. Wir dachten: Okay, der Abpfiff. Als wir kurze Zeit später durch die Katakomben in Richtung Rasen gingen, sahen wir die ManU-Spieler jubeln, die Bayern lagen am Boden. 'Mist, doch der Ausgleich', dachte ich noch. Kurz darauf blinkt es an der Anzeigetafel: 1:2! Wir haben uns angeguckt und konnten es nicht glauben."

Auf dem Bankett ergreift Franz Beckenbauer das Wort: "Wir haben keinen Kampf verloren, keine Schlacht. Wir haben auch nicht das Leben verloren, wir haben ein Spiel verloren. Ich betone: Es ist ein Spiel, es war ein Spiel und es wird immer ein Spiel bleiben." Es waren weise Worte des deutschen Fußball-Kaisers zu später Stunde auf dem Bankett der Verlierer, die vielleicht gesagt werden mussten in den Tagen, als in Europa ein Krieg tobte. Als Bilder von brennenden Häusern und langen Flüchtlingsströmen im Kosovo Mitleid und Beklemmung erregten und auch in Deutschland Erinnerungen weckten an Tage, als das tägliche Überleben wichtiger war als alles andere. Wichtiger als irgendein Fußballspiel.

Frustfeiern im Hotel

Irgendwann verklingen sie, die Emotionen müssen raus: Frustfeiern im Hotel mit rund 1000 geladenen Gästen. Nachts um drei tanzen die Bayern-Spieler mit ihren Frauen auf den Tischen, und als der Morgen graut, nimmt sich Stefan Effenberg etwas vor: "Diesen Pokal hol ich mir noch!" Zwei Jahre muss er noch warten.

Die Finalisten 1999: Kahn – Matthäus (81. Fink) – Kuffour, Linke – Babbel, Jeremies, Effenberg, Tarnat – Basler (89. Salihamidzic), Jancker, Zickler (71. Scholl).

Elfmeter-Krimi in Mailand

Die Wartezeit hatten die Bayern auf denkbar erfolgreiche Weise überbrückt. Auch 2000 und 2001 wurden sie Meister, es war schon der dritte Hattrick ihrer Historie in der Bundesliga. Für Hitzfeld war es der erste. Von Jahr zu Jahr wurde es schwerer. In der Mannschaft hatte es seit 1999 einige Änderungen gegeben: die Säulen hießen noch immer Kahn und Effenberg, aber Matthäus, Babbel, Basler und Helmer waren nicht mehr dabei.

Mit Bixente Lizarazu und Willy Sagnol war nun ein französisches Element im Kader, was zu dieser Zeit nicht das Schlechteste war: Frankreich war Welt- und Europameister. In der Innenverteidigung standen solide Männer wie der Schwede Patrick Andersson und der Ex-Schalker Thomas Linke, der es zum Nationalspieler gebracht hatte. Hinter ihnen stand Weltklassetorwart Oliver Kahn, er war der Rückhalt, der diese Elf zu Champions machte.

Niederlage in Lyon als Wachmacher

Zu diesem Finale gegen Valencia gehört untrennbar die Nacht von Lyon, wo der FC Bayern am 6. März 2001 die wichtigste Niederlage seiner jüngeren Geschichte kassierte. Nach 20 Minuten hieß es schon 0:2, am Ende 0:3. Die Leistung war erbärmlich. Noch schlimmer als die Vorführung war für die Spieler aber die Standpauke, die ihnen Präsident Franz Beckenbauer auf dem Bankett hielt. Sie ging als "Wutrede von Lyon" in die Geschichte ein und wurde in allen Zeitungen abgedruckt. Ein Auszug: "Es war eine Blamage, kein Fußball, eher eine andere Sportart. Das war Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft, Altherren-Fußball (…) So hat man vor 30 Jahren gespielt. Ihr müsst wieder das Einmaleins des Fußballs beherzigen, Ihr müsst die Zweikämpfe gewinnen (…) Wir können uns alle einen anderen Beruf suchen, wenn das so weitergeht (…) So, das war’s. Bis auf das Spiel war es ja eigentlich ein schöner Ausflug."

Jeder Satz eine Ohrfeige für die Meister-Spieler. Sie rafften sich auf, beglichen im Viertelfinale die alte Rechnung mit Manchester United und warfen auch Real Madrid raus. Es folgte die verrückteste Woche der Bayern-Historie. Am 19. Mai 2001 wurde die Mannschaft durch ein Tor in der Nachspielzeit in Hamburg noch Deutscher Meister, nachdem Konkurrent Schalke schon gefeiert hatte. Die Bayern jubelten nur kurz, feiern durften sie nicht. "Nur eine ganz, ganz kleine Feier mit wenig Alkohol" erlaubte Vize Karl-Heinz Rummenigge und am Sonntagmorgen um zehn war schon Auslaufen angesetzt.

Nichts sollte den Erfolg gefährden, den sie am 23. Mai in Mailand einfahren wollten. Am Montag um 17 Uhr ging der Flieger in die Modemetropole Italiens, und der Gegner kam erneut aus Spanien: FC Valencia, eine ebenfalls nicht sehr offensivfreudige Mannschaft ohne Superstars. Das Team von Trainer Hector Cuper baute auf Torwart Canizares, den blonden Spielmacher Mendieta und den norwegischen Stürmer John Carew. In der Meisterschaft war Valencia auf den fünften Platz abgerutscht und nur auf mäßige 55 Tore gekommen. Aber in der Champions League hatte das Team neunmal kein Tor zugelassen.

"Ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben"

Experten rechneten mit einer zähen Angelegenheit, die Fans freuten sich trotzdem auf ein großes Spiel. Eine Choreographie im Bayern-Block blieb jedenfalls noch lange in Erinnerung. "Heute ist ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben!!!" stand da zu lesen.

Und sie schrieben Geschichte, diesmal eine, die sie immer wieder lesen möchten. Dabei fing es schlecht an. Schon nach drei Minuten führte Valencia durch einen Handelfmeter Mendietas, den Abwehrchef Patrick Andersson verursacht hatte. Die Ausgleichschance bot sich alsbald, auch Bayern erhielt einen Elfmeter, aber Scholl scheiterte an Canizares (7. Minute). Mit 0:1 ging es in die Pause, dann pfiff Herr Jol aus Holland den dritten Elfmeter: Pellegrini spielte Hand, und Effenberg traute sich – 1:1.

Außer Elfmetern gab es in zwei Stunden Finale inklusive Verlängerung nichts zu bejubeln – die Experten bekamen Recht. Ein schlechtes Spiel war es dennoch nicht, aber Valencia wollte nur wenig zum Gelingen des Abends beitragen. Hitzfeld wechselte Jancker als Unterstützung für Elber ein, später auch noch Scholl. Ein großes Risiko ging er nicht, das Mittelfeld arbeitete defensiv stark, und der blutjunge Engländer Owen Hargreaves ließ Jens Jeremies beinahe vergessen. Es kam zum Elfmeterschießen, aus dem Spiel heraus waren beide Mannschaften nicht mehr zu Toren fähig an diesem 23. Mai.

Kahn wird zum Endspielhelden

Wie die Partie begann auch dieses Nachspiel mit einem Schreckschuss für die Bayern, denn Paulo Sergio schoss über das Tor. Mendieta, Salihamidzic, Carew und Zickler trafen. Dann hielt Kahn den Schuss von Zahovic. Canizares hielt prompt gegen Andersson und Kahn erneut, nun gegen Carboni. Drei Fehlschüsse in Serie – das sieht man selten. Effenberg brachte Bayern erstmals in Führung, aber Baraja glich aus. Lizarazu und Kily Gonzales schraubten das Resultat auf 5:5, dann schnappte sich Verteidiger Thomas Linke den Ball: "Ich dachte: Das Tor wird aber ganz schön klein." Es war groß genug, um Canizares zu verladen und das 6:5 zu erzielen. Nun musste sein Stopper-Pendant Mauricio Pellegrini zur Exekution antreten. Er erlag dem übermenschlichen Druck, treffen zu müssen und schoss nicht sonderlich platziert. Oliver Kahn hielt seinen dritten Elfmeter, das war die Entscheidung!

Wie er das gemacht habe, wo er doch nicht als Elfmeterkiller bekannt sei, wurde er gefragt: "Ich war wie in Trance, auf einer Konzentrationsebene wie noch nie. Ich kann mich an nichts erinnern, außer an die Schüsse. Die Zuschauer habe ich gar nicht wahrgenommen, es war wie ein Rausch." Einer, der nicht enden wollte. Im Konfetti-Regen stemmte Stefan Effenberg präzise um 23.44 Uhr den so lange entbehrten, 70 Zentimeter hohen Silber-Pokal, und der ganze Verein schwebte auf Wolke sieben. Uli Hoeneß rühmte seine Bayern "als die im Moment beste Mannschaft der Welt", und Karl-Heinz Rummenigge hob buchstäblich ab: "Ich fühle mich wie im Himmel, wie im Himmel."

Die Sieger 2001: Kahn – Kuffour, Andersson, Linke – Sagnol (46. Jancker), Hargreaves, Effenberg, Lizarazu – Scholl (108. Sergio), Elber (100. Zickler), Salihamidzic.

Der Tag von Madrid

Neun Jahre später, in denen sie nie über das Viertelfinale hinausgekommen waren, fanden die Bayern endlich wieder den Weg ins Finale. Unter Trainer Louis van Gaal spielte das Team in der Rückserie 2009/2010 Traumfußball. Es gewann das Double und schickte sich am 22. Mai 2010 in Madrid an, erstmals in der Klub-Historie das Triple zu gewinnen. Die Bayern spielen mit Handicap gegen Inter Mailand: Franck Ribery, der geniale Dribbler, fehlt wegen einer allgemein als übertrieben hart empfundenen Rot-Sperre, die er sich beim 3:0 in Lyon eingehandelt hat. Die UEFA lehnt Bayerns Gnadengesuch ab.

Bei Inter Mailand sind alle Stars an Bord, aber der Star ist ohnehin der Trainer: Jose Mourinho schickt sich an, nach 2004 mit Porto zum zweiten Mal den Pott zu gewinnen. Auch Antipode van Gaal (1995 mit Ajax) hatte die Silber-Trophäe schon in den Händen gehabt.

Die Bayern-Spieler schreiben am Vortag des Finales einen offenen Brief an ihre Anhänger, deren Zahl bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich stark anwächst. Der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) etwa lässt sich so zitieren: "Heute bin ich Bayern-Fan, aber nur ausnahmsweise, weil ich sonst für Hannover 96 fiebere." Die Bayern also schreiben: "Wir fühlen, dass uns Millionen von Fußballfans zuhause in Deutschland begleiten. Die Bayern-Fans, aber auch viele Fußballfreunde, die uns sonst vielleicht eher neutral sehen. Samstagabend sollten alle 'Bayern' sein, das wünschen wir uns. Wir werden im Bernabeu-Stadion alles geben, für uns, den FC Bayern und letztlich auch für Deutschland."

Milito schießt Inter zum Triumph

Die attraktive Spielweise der Mannschaft mit ihren Weltklasse-Außen Ribery und Robben verschafft ihr in jenen Tagen Sympathien, die eigentlich keine offenen Briefe mehr erfordert. Aber was zählt, ist immer noch auf dem Platz.

Auch an diesem Samstagabend unter spanischer Sonne. Inter geht als leichter Favorit der Buchmacher ins Rennen, auch wenn die Bild-Zeitung nach einem Kader-Vergleich zu dem Ergebnis kommt: Bayern ist besser, mit 9:7. Damit tut sie Inters Star-Ensemble, das komplett ohne Italiener auskommt – dafür mit Eto’o aus Kamerun, dem Niederländer Snejder oder den Argentiniern Cambiasso und Milito – Unrecht. Und der brasilianische Abwehrchef Lucio, im Vorjahr von van Gaal nicht sonderlich taktvoll abgeschoben, hat eine Zusatzmotivation. "Das hat sehr weh getan, das war sehr traurig", resümiert er sein jähes Ende nach fünf Münchner Jahren.

Er wird seine persönliche Genugtuung bekommen an diesem Abend, denn Inter ist die bessere Mannschaft und wird mit dem Pokal belohnt. Der Argentinier Diego Milito schießt beide Tore zum 2:0-Sieg, eins vor und eins nach der Pause. Bayern zeigt Nerven, der junge Himmelsstürmer Thomas Müller vergibt in seiner ersten Profi-Saison eine Riesenchance zum Ausgleich. Uli Hoeneß verzeiht es ihm: "Was soll man einem Mann wie Thomas Müller sagen? Er hat eine unglaubliche Saison gespielt, er hat fast alles erreicht. Er soll sich nicht grämen."

"Man muss mal eine Niederlage akzeptieren können"

Im ersten Moment fällt das nicht so leicht. "Wenn du ein Finale gewinnen willst, musst Du top sein. Das waren wir nicht", mäkelt Kapitän Mark van Bommel. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge findet auf dem Bankett besonnene und faire Worte: "Man muss auch mal eine Niederlage akzeptieren können, wenn der Gegner besser ist."

Die Verlierer werden nach der Supersaison trotzdem wie Champions empfangen. Ein Sponsor hat 15.000 Liter Freibier spendiert und so wird München am Sonntag zur Party-Meile. Präsident Uli Hoeneß blickte nicht lange zurück, sondern schon wieder voraus: "Diese Mannschaft hat eine große Zukunft vor sich, weil wir viele junge Spieler haben. Dieses Finale ist Ansporn für die nächsten Jahre. Nächstes Jahr ist das Finale in Wembley, 2012 in München. Sie sehen also, es gibt noch schöne Visionen und Ziele für unsere Spieler."

Die Finalisten 2010: Butt – Lahm, van Buyten, Demichelis, Badstuber – van Bommel, Schweinsteiger – Robben, Müller, Altintop (63. Klose) – Olic (74. Gomez).

Dramatische Niederlage im "Finale dahoam"

Das Finale von München ist noch in frischer Erinnerung. Es wetteifert mit der Nacht von Barcelona um den Titel "Bayerns größte Europacup-Tragödie". Alles hatten die Bayern in der Saison 2011/12 dem "Finale dahoam" untergeordnet. Die Niederlagen in Meisterschaft und Pokal gegen Dortmund waren bis zu jenem 19. Mai noch ohne Belang, hätte die Mannschaft sich den großen Traum erfüllt und Chelsea London in der Allianz Arena besiegt.

Es hat in der Fußball-Geschichte selten einseitigere Endspiele gegeben, und noch seltener kam es vor, dass die objektiv schwächere, passivere Mannschaft gewann. Aber drei Matchbälle abzuwehren, ist auch eine Qualität, drei zu vergeben ein Makel. Die Bayern schossen an diesem Mai-Samstag während der ersten 90 Minuten 27-mal aufs Tor, Chelsea siebenmal, sie traten 20 Ecken, Chelsea eine – aber als der Portugiese Pedro Proenca abpfiff, herrschte Gleichstand. 1:1! Weil nach Thomas Müllers Kopfballtor in der 83. Minute der erste Matchball vergeben wurde. Didier Drogba, der alternde Weltklassestürmer von der Elfenbeinküste, köpfte den einzigen Eckball der Gäste zum Ausgleich unter die Latte. Zwei Minuten vor Schluss.

Elfmeterkrimi in zwei Akten

Dann kam die 95. Minute. Ein Elfmeter von Arjen Robben konnte die Vorentscheidung bringen, doch wie beim Bundesliga-Gipfeltreffen in Dortmund scheiterte er – nun an Petr Cech. "Deutsche verschießen keine Elfmeter – aber es war der Holländer Robben, der sich den Ball nahm", schrieb der Daily Mirror. Ein Satz, der seine Gültigkeit verlor, als es nach 120 Nerven zerfetzenden Minuten zum Elfmeterschießen kam.

Philipp Lahm traf, und Manuel Neuer hielt den Elfmeter von Mata. Auch in diesem Spielabschnitt führten die Bayern, erst 2:0, dann 3:1, das Neuer selbst erzielte. Sie mussten nur noch den Vorsprung halten, es war der dritte Matchball. Aber Joker Ivica Olic scheiterte an Cech, der bei jedem Elfmeter in die richtige Ecke hechtete. Nun hatte er den Ball, erstmals.

Als Cole ausglich, lag alle Last auf den Schultern von Bastian Schweinsteiger. Er kannte das schon, in Madrid hatte er die Bayern ins Finale geschossen. Schweinsteiger war und ist ein sicherer Schütze. Und doch, Cech berührte den Ball mit den Fingerspitzen, am TV war es kaum wahrzunehmen. Er – oder doch der Fußball-Gott? – lenkte den Ball an den Pfosten. Entsetzen im weiten Rund, in der Stadt, im ganzen Land. Nun hatte Chelsea einen Matchball, den ersten. Mehr brauchten sie nicht: Drogba traf zum 3:4. Aus der Traum.

Tränen statt Triumph

Tränen flossen bei Spielern und Fans, das Bild vom erschütterten Uli Hoeneß, den seine Frau in den Arm nimmt, ging um die Welt. "Das ist einer dieser Abende, an dem man sich fragt: Wie kommt dieses Ergebnis zustande?" sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auf dem Bankett, das ein rauschendes Siegesfest hätte werden sollen.

Die Finalisten 2012: Neuer – Lahm, Timoschtschuk, Boateng, Contento – Schweinsteiger, Kroos – Robben, Müller (87. van Buyten), Ribery (97. Olic) - Gomez

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Borussia Dortmund gegen Bayern München, das erste rein deutsche Endspiel im wichtigsten Klubwettbewerb Europas, am Samstag (ab 20.45 Uhr, live im ZDF und bei Sky) im Londoner Wembleystadion. Vor dem geschichtsträchtigen deutschen Duell in der Champions League schaut DFB.de zurück in die Fußballgeschichte. Heute: die Finalteilnahmen der beiden Protagonisten.

Seit 21 Jahren gibt es mittlerweile die Champions League, der begehrteste internationale Klubwettbewerbs des Kontinents. Für die Bayern steht am Samstag schon das fünfte, für Borussia Dortmund das zweite Finale in der Königsklasse an. Der Autor und Historiker Udo Muras erinnert auf DFB.de an die Sternstunden und Dramen.

BVB: Ein Endspiel, ein Sieg

Der Meister von 1996, Borussia Dortmund, war der erste deutsche Finalist in der Champions League. Im Vorjahr im Viertelfinale noch an Ajax Amsterdam (0:2/0:1) gescheitert, glückte nun der ganz große Triumph ausgerechnet im Münchner Olympiastadion, dem Wohnzimmer des größten nationalen Rivalens. 30.000 BVB-Fans begleiteten ihre Mannschaft zum Spiel gegen Juventus Turin, 59.000 Karten durften nur verkauft werden.

Chef der Borussen-Elf war übrigens Bayerns heutiger Sportdirektor Matthias Sammer, der dieser Tage immer wieder an den 28. Mai 1997 erinnert. Man habe damals nur gewonnen, weil Juventus Turin die kurz zuvor errungene Meisterschaft zu heftig gefeiert habe. Das führte er seinen Bayern als warnendes Beispiel ab 6. April, als sie selbst Meister waren, vor Augen. Vier Tore fielen im Mai 1997, drei sind längst vergessen, eines lebt ewig: der 25-Meter-Lupfer des damals 20-jährigen Lars Ricken, der für die Entscheidung sorgte.

Ricken: Traumtor des Superjokers

In 14 Sekunden zur Unsterblichkeit - Lars Ricken wurde zum Inbegriff des Jokers, der sticht. "Unglaublich, dass man in dem Alter schon so abgezockt sein kann", staunte sein Trainer Ottmar Hitzfeld und mit ihm die ganze Fußballwelt. Es war ein Tor mit Auge und mit Vorgeschichte. Ricken: "Ich habe von der Bank aus beobachtet, dass der Peruzzi immer zu weit vor seinem Kasten stand. Aber ich konnte ja nichts machen. Endlich durfte ich rein. Dass ich dann tatsächlich so ein Tor mache, davon konnte ich einfach nur träumen."

Er träumte nicht alleine. "Jetzt kommt gleich Lars Ricken, der Mann für die entscheidenden Tore. Und der macht dann das 3:1, wir hoffen es jedenfalls", bewies Radio-Sprecher Manfred Breuckmann (WDR) seine geradezu prophetische Begabung. Und Marcel Reif seine poetische, als er ins RTL-Mikrofon rief: "Die Brüder Grimm drehen sich im Grabe um. Das sind Märchen, die gibt’s nicht."

Nur selten stand ein Mann mit zwei Final-Toren so im Schatten eines anderen wie Karl-Heinz Riedle, der die ersten beiden Treffer erzielte. Der Weltmeister nutzte die ersten BVB-Chancen des Spiels, dafür brauchte er nur fünf Minuten (29., 34.). Juve-Trainer Marcello Lippi sah sich auf seiner Luxus-Bank um und warf Alessandro del Piero zur zweiten Halbzeit in die Schlacht und der Joker stach; nach Doppelpass mit Zidane glückte ihm per Hacke das 2:1 (64.). Aber was half es, wenn auch der BVB einen solchen Joker im Ärmel hat. Kaum zu glauben: Rickens Lupfer war erst der dritte Torschuss der Borussen – das nennt man Effizienz.

Hitzfeld tritt auf dem Höhepunkt ab

Eher selten passiert es auch, dass sich ein Kapitän ziert, den Henkel-Pott in Empfang zu nehmen. Doch weil Michael Zorc erst in der 89. Minute ins Spiel gekommen war, wollte er Stellvertreter Matthias Sammer den Vortritt lassen. Der ließ nicht mit sich reden: "Mach voran und geh endlich nach oben."

Die internationale Presse war voll des Lobes für den BVB. ABC (Spanien) etwa erklärte: "Borussia, ein weiteres deutsches Qualitätsprodukt." Und die L’Equipe (Frankreich) sah in Dortmund "einen prachtvollen Sieger, er gibt einen schönen Europa-Champion ab." Dessen Trainer Ottmar Hitzfeld trat auf dem Höhepunkt ab, nach einem nicht immer harmonischen Jahr zog er sich als Sportdirektor an den Schreibtisch zurück. Aber da blieb er nicht lange: die beiden nächsten deutschen Finals erlebte er schon wieder an der Seitenlinie – mit den Bayern.

Die Siegermannschaft 1997: Klos – Kohler, Sammer, Kree, Reuter – Lambert, Sousa, Heinrich, Möller (89. Zorc) – Riedle (67. Herrlich), Chapuisat (70. Ricken).

Die "Mutter aller Niederlagen"

Seitdem kam der BVB nie mehr so weit, fortan gab es, abgesehen von Leverkusens Auftritt 2002 gegen Real Madrid (1:2), nur noch Bayern-Finals. 1999 wurde dabei Fußball-Geschichte geschrieben. Was die Münchner Bayern am 26. Mai 1999 erlebten, stellt bis dato alles in den Schatten. Es war eine Tragödie, die im Fußball ihresgleichen sucht. An diesem schwül-warmen Tag schrieben sie in Barcelona eine Geschichte, die sie niemals lesen wollten. Es ist die Geschichte einer Mannschaft, die in 102 Sekunden ihren größten Traum wegwarf – den Gewinn der Champions League, der wahr geworden wäre, wenn nur Sepp Herbergers Worte noch Gesetz gewesen wären. Aber dieses Spiel dauerte eben nicht 90 Minuten.

Das Protokoll des Untergangs: Als der große Abend herangerückt ist, liegt knisternde Spannung über dem Stadion Camp Nou. 90.000 Menschen haben Karten erworben, Rekord für ein Champions League-Finale. Es wird in 200 Länder live übertragen. Einen Favoriten gibt es nicht. Beide Klubs sind kurz zuvor Meister geworden. Aber die Bayern haben bereits 18 Tage vorher auf dem Marienplatz mit 35.000 Fans gefeiert und sich seitdem auf Barcelona konzentriert. Trainer Ottmar Hitzfeld kann in seinem ersten Jahr gleich drei Titel holen, denn man steht auch im DFB-Pokalfinale.

Bayern ohne Lizarazu und Elber

ManUnited hat in England erst am Wochenende das Double gewonnen, nun will Coach Alex Ferguson das Triple. Den Bayern fehlen Weltmeister Bixente Lizarazu und Giovane Elber, Manchester Kapitän Roy Keane und Paul Scholes. Im Stadion sind sie natürlich alle. Es ist ein idealer Tag für einen Vereinsausflug. Beckenbauer hat die ganze Geschäftsstelle eingeladen zum größten Spiel seit 23 Jahren, als er selbst noch als Kapitän den Europapokal der Meister (1974 bis 1976) gewonnen hat. Die Engländer zahlen umgerechnet 460.000 Mark pro Kopf, Bayern nur knapp ein Drittel.

Wer an Omen glaubt, muss sich um die Bayern sorgen, schon am Vortag feierten die Briten einen ersten Sieg. Eine Münze entscheidet: Manchester spielt in Rot, dabei wollten die Münchner doch ihre neuen Trikots präsentieren. So bleibt ihnen nur das silberblaue Trikot mit den weinroten Ärmeln. Aber sie spielen wie immer in dieser Saison: kontrolliert und effizient. Kein Fußball zum Verlieben, noch antiquiert mit Libero. Der heißt Lothar Matthäus und ist 38 Jahre. Der Chef aber heißt Stefan Effenberg. Kapitän ist er zwar nicht, aber er sagt jedem, wo es lang geht.

Basler mit der frühen Führung

Als Schiedsrichter Collina nach fünf Minuten einen Freistoß gibt, schnappt sich Mario Basler den Ball. Effenberg beobachtet Torwart Peter Schmeichel und gibt Basler eine Regieanweisung: "Torwartecke! Ich glaube, der macht einen Schritt in die Mitte!" Schmeichel macht einen Schritt in die Mitte, Basler schießt in die Torwartecke – und der eher harmlose Flachschuss rauscht ins Netz. 1:0! Ein frühes Tor ersehnen sich alle Teams, die nicht so recht von sich überzeugt sind. Einige Bayern-Spieler hatten vor Nervosität ihr Frühstück nicht heruntergebracht, doch nun verfliegt sie endlich.

Dem Spiel insgesamt tut das Tor jedoch entgegen aller Fußball-Weisheiten nicht gut. Man wird hinterher von einem enttäuschenden Finale sprechen, vom Epilog einmal abgesehen. Den Engländern fällt nicht viel ein, auch der blonde Wunderknabe mit der Nummer sieben, David Beckham, findet keinen Königsweg. Torwart Oliver Kahn wird es in seinem 50. Europapokalspiel schon beinahe langweilig. Mit 1:0 geht es in die Kabinen.

Alle 22 Spieler kommen wieder heraus und erst als sich die Besetzung auf dem Rasen ändert, wird es ein Drama. Es ist die 67. Minute. Kurz zuvor hat Basler voller Übermut aus 35 Metern geschossen und Schmeichel in Verlegenheit gebracht. Manchester droht nicht nur geschlagen, sondern auch noch verhöhnt zu werden. Ferguson reagiert, er bringt Teddy Sheringham, der gerade das FA-Cup-Finale gegen Newcastle entschieden hat. Er ist 33 Jahre, aber Ferguson weiß: Alter schützt vor Toren nicht. Vor Müdigkeit aber auch nicht.

Matthäus' Auswechslung - der Anfang vom Ende

Die Kameras zeigen immer wieder das verzerrte Gesicht von Lothar Matthäus. Er kann und will nicht mehr. Lässt die Schultern hängen als Signal für den Wunsch nach Auswechslung, "weil ich fast nur im Mittelfeld gespielt hatte und weil es verdammt heiß war in Barcelona". Hitzfeld schickt in der 80. Minute für den einstigen Weltfußballer des Jahres den unglamourösen Spieler Thorsten Fink aufs Feld, in dessen Vita Klubs wie Wattenscheid 09 und Karlsruher SC stehen. Ein Arbeiter. Heute trainiert er den HSV. Später wird man diesen Wechsel als fatales Signal bewerten. Hitzfeld gibt später zu: "Die Auswechslung von Lothar hat uns nicht unbedingt sicherer gemacht."

Dennoch bespricht Mediendirektor Markus Hörwick schon mit den Field-Reportern, welche Spieler gleich vor den Mikrofonen ihre Siegesfreude herauslassen sollen. Betreuer schleppen Getränke herbei, auch Champagner ist darunter, und eine Kiste voller Mützen mit der Aufschrift: "Champions League-Sieger 1999 – FC Bayern München." Mario Basler ist der erste, der eine trägt. Er wird in der 89. Minute ausgewechselt, damit der Kämpfer Hasan Salihamidzic noch teilhaben kann am Erfolg.

Fergusons goldene Wechsel

Ferguson hat ebenfalls noch mal gewechselt und mit Ole Gunnar Solskjaer seinen zweiten Joker gebracht. Es wirkt: Er und Sheringham haben in zehn Minuten mehr Chancen zusammen als die Kollegen in 90. Aber die größeren haben die Bayern, Mehmet Scholl trifft den Pfosten und Carsten Jancker per Fallrückzieher die Latte.

Das Unheil kündet sich an, soll es doch nicht sein? Die Bayern-Abwehr ohne Matthäus schwimmt immer mehr – und Collina lässt sie ersaufen. Er erteilt drei Minuten Zugabe. Hitzfeld denkt: "Verdammt, das ist lang." Ein ungenauer Rückpass von Markus Babbel zwingt Thomas Linke dazu, den Ball ins Aus zu schlagen und nach dem Einwurf verursacht Stefan Effenberg einen Eckball. Die Spieluhr zeigt an: 90:16 Minuten. Das Drama beginnt.

Verrückte 102 Sekunden Nachspielzeit

Die englischen Fans springen auf wie nach einem Treffer. Ecken von Beckham sind Torchancen, das wissen sie. Auf der Bayern-Bank wird gezittert. Co-Trainer Michael Henke wird später zugeben: "Wir haben uns nie super-sicher gefühlt, weil es bei den Standards von ManU immer gebrannt hat." Der Ball rauscht durch den Torraum, ausgerechnet Matthäus-Ersatz Fink befördert den Ball mit einem Querschläger in die Gefahrenzone zurück – und Sheringham verlängert den Schuss von Ryan Giggs zum 1:1. Vergeblich reklamieren die Bayern auf Abseits. Es war nicht mehr als ein Versuch, von eigenen Fehlern abzulenken. Matthäus steht wie versteinert am Spielfeldrand.

Das Schlimmste aber kommt noch. Die Bayern brechen innerlich zusammen und verlieren den Ball postwendend. Sammy Kuffour klärt gegen Solskjaer – erneut auf Kosten einer Ecke. Die Uhr zeigt an: 92:14 Minuten. Wieder tritt Beckham von links mit rechts, Sheringham gewinnt den Kopfball gegen Linke und verlängert auf Solskjaer, der drischt unter die Latte. 1:2! Die Bayern-Spieler fallen zu Boden, einige beginnen zu weinen. Es sind "die zwei unglaublichsten Minuten des Fußballs", wird die englische Zeitung Sun titeln.

Collina hat Mühe, das Spiel fortzusetzen und packt die Bayern mit einem bisschen Schul-Englisch bei der Ehre: "Stand up, when you are men", ruft er ihnen zu. Sie stehen auf und sind doch am Boden zerstört. Zwei Tore in 102 Sekunden Nachspielzeit machen Sieger zu Verlierern. Wer soll das verkraften? In den Fan-Blöcken brechen sich die Emotionen Bahn. Wunderkerzen hier, Tränen da.

Trauer und Fassungslosigkeit

Auch die Kinder von Michael Henke, acht und zehn Jahre alt, fangen zu weinen an, weil plötzlich die anderen jubeln. Auf der Pressetribüne bricht Hektik aus. Reporter telefonieren mit ihren Redaktionen, die bereits gesendeten Texte sind nicht mehr druckreif. Den ganzen Irrwitz dieses dramatischen Epilogs von Barcelona verdeutlicht jedoch eine Episode in den Katakomben des Nou Camp. Um 22.30 Uhr besteigen drei VIPs den Aufzug, der von der Ehrentribüne ins Erdgeschoss führt. Lennart Johansson, der UEFA-Präsident, Franz Beckenbauer und Boris Becker müssen und wollen zur Siegerehrung. Das Spiel läuft noch.

Becker erzählt das Jahre später noch immer fassungslos: "Als wir in den Aufzug stiegen, stand es 1:0 für Bayern. In der Aufzugkabine hörten wir Jubel. Wir dachten: Okay, der Abpfiff. Als wir kurze Zeit später durch die Katakomben in Richtung Rasen gingen, sahen wir die ManU-Spieler jubeln, die Bayern lagen am Boden. 'Mist, doch der Ausgleich', dachte ich noch. Kurz darauf blinkt es an der Anzeigetafel: 1:2! Wir haben uns angeguckt und konnten es nicht glauben."

Auf dem Bankett ergreift Franz Beckenbauer das Wort: "Wir haben keinen Kampf verloren, keine Schlacht. Wir haben auch nicht das Leben verloren, wir haben ein Spiel verloren. Ich betone: Es ist ein Spiel, es war ein Spiel und es wird immer ein Spiel bleiben." Es waren weise Worte des deutschen Fußball-Kaisers zu später Stunde auf dem Bankett der Verlierer, die vielleicht gesagt werden mussten in den Tagen, als in Europa ein Krieg tobte. Als Bilder von brennenden Häusern und langen Flüchtlingsströmen im Kosovo Mitleid und Beklemmung erregten und auch in Deutschland Erinnerungen weckten an Tage, als das tägliche Überleben wichtiger war als alles andere. Wichtiger als irgendein Fußballspiel.

Frustfeiern im Hotel

Irgendwann verklingen sie, die Emotionen müssen raus: Frustfeiern im Hotel mit rund 1000 geladenen Gästen. Nachts um drei tanzen die Bayern-Spieler mit ihren Frauen auf den Tischen, und als der Morgen graut, nimmt sich Stefan Effenberg etwas vor: "Diesen Pokal hol ich mir noch!" Zwei Jahre muss er noch warten.

Die Finalisten 1999: Kahn – Matthäus (81. Fink) – Kuffour, Linke – Babbel, Jeremies, Effenberg, Tarnat – Basler (89. Salihamidzic), Jancker, Zickler (71. Scholl).

Elfmeter-Krimi in Mailand

Die Wartezeit hatten die Bayern auf denkbar erfolgreiche Weise überbrückt. Auch 2000 und 2001 wurden sie Meister, es war schon der dritte Hattrick ihrer Historie in der Bundesliga. Für Hitzfeld war es der erste. Von Jahr zu Jahr wurde es schwerer. In der Mannschaft hatte es seit 1999 einige Änderungen gegeben: die Säulen hießen noch immer Kahn und Effenberg, aber Matthäus, Babbel, Basler und Helmer waren nicht mehr dabei.

Mit Bixente Lizarazu und Willy Sagnol war nun ein französisches Element im Kader, was zu dieser Zeit nicht das Schlechteste war: Frankreich war Welt- und Europameister. In der Innenverteidigung standen solide Männer wie der Schwede Patrick Andersson und der Ex-Schalker Thomas Linke, der es zum Nationalspieler gebracht hatte. Hinter ihnen stand Weltklassetorwart Oliver Kahn, er war der Rückhalt, der diese Elf zu Champions machte.

Niederlage in Lyon als Wachmacher

Zu diesem Finale gegen Valencia gehört untrennbar die Nacht von Lyon, wo der FC Bayern am 6. März 2001 die wichtigste Niederlage seiner jüngeren Geschichte kassierte. Nach 20 Minuten hieß es schon 0:2, am Ende 0:3. Die Leistung war erbärmlich. Noch schlimmer als die Vorführung war für die Spieler aber die Standpauke, die ihnen Präsident Franz Beckenbauer auf dem Bankett hielt. Sie ging als "Wutrede von Lyon" in die Geschichte ein und wurde in allen Zeitungen abgedruckt. Ein Auszug: "Es war eine Blamage, kein Fußball, eher eine andere Sportart. Das war Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft, Altherren-Fußball (…) So hat man vor 30 Jahren gespielt. Ihr müsst wieder das Einmaleins des Fußballs beherzigen, Ihr müsst die Zweikämpfe gewinnen (…) Wir können uns alle einen anderen Beruf suchen, wenn das so weitergeht (…) So, das war’s. Bis auf das Spiel war es ja eigentlich ein schöner Ausflug."

Jeder Satz eine Ohrfeige für die Meister-Spieler. Sie rafften sich auf, beglichen im Viertelfinale die alte Rechnung mit Manchester United und warfen auch Real Madrid raus. Es folgte die verrückteste Woche der Bayern-Historie. Am 19. Mai 2001 wurde die Mannschaft durch ein Tor in der Nachspielzeit in Hamburg noch Deutscher Meister, nachdem Konkurrent Schalke schon gefeiert hatte. Die Bayern jubelten nur kurz, feiern durften sie nicht. "Nur eine ganz, ganz kleine Feier mit wenig Alkohol" erlaubte Vize Karl-Heinz Rummenigge und am Sonntagmorgen um zehn war schon Auslaufen angesetzt.

Nichts sollte den Erfolg gefährden, den sie am 23. Mai in Mailand einfahren wollten. Am Montag um 17 Uhr ging der Flieger in die Modemetropole Italiens, und der Gegner kam erneut aus Spanien: FC Valencia, eine ebenfalls nicht sehr offensivfreudige Mannschaft ohne Superstars. Das Team von Trainer Hector Cuper baute auf Torwart Canizares, den blonden Spielmacher Mendieta und den norwegischen Stürmer John Carew. In der Meisterschaft war Valencia auf den fünften Platz abgerutscht und nur auf mäßige 55 Tore gekommen. Aber in der Champions League hatte das Team neunmal kein Tor zugelassen.

"Ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben"

Experten rechneten mit einer zähen Angelegenheit, die Fans freuten sich trotzdem auf ein großes Spiel. Eine Choreographie im Bayern-Block blieb jedenfalls noch lange in Erinnerung. "Heute ist ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben!!!" stand da zu lesen.

Und sie schrieben Geschichte, diesmal eine, die sie immer wieder lesen möchten. Dabei fing es schlecht an. Schon nach drei Minuten führte Valencia durch einen Handelfmeter Mendietas, den Abwehrchef Patrick Andersson verursacht hatte. Die Ausgleichschance bot sich alsbald, auch Bayern erhielt einen Elfmeter, aber Scholl scheiterte an Canizares (7. Minute). Mit 0:1 ging es in die Pause, dann pfiff Herr Jol aus Holland den dritten Elfmeter: Pellegrini spielte Hand, und Effenberg traute sich – 1:1.

Außer Elfmetern gab es in zwei Stunden Finale inklusive Verlängerung nichts zu bejubeln – die Experten bekamen Recht. Ein schlechtes Spiel war es dennoch nicht, aber Valencia wollte nur wenig zum Gelingen des Abends beitragen. Hitzfeld wechselte Jancker als Unterstützung für Elber ein, später auch noch Scholl. Ein großes Risiko ging er nicht, das Mittelfeld arbeitete defensiv stark, und der blutjunge Engländer Owen Hargreaves ließ Jens Jeremies beinahe vergessen. Es kam zum Elfmeterschießen, aus dem Spiel heraus waren beide Mannschaften nicht mehr zu Toren fähig an diesem 23. Mai.

Kahn wird zum Endspielhelden

Wie die Partie begann auch dieses Nachspiel mit einem Schreckschuss für die Bayern, denn Paulo Sergio schoss über das Tor. Mendieta, Salihamidzic, Carew und Zickler trafen. Dann hielt Kahn den Schuss von Zahovic. Canizares hielt prompt gegen Andersson und Kahn erneut, nun gegen Carboni. Drei Fehlschüsse in Serie – das sieht man selten. Effenberg brachte Bayern erstmals in Führung, aber Baraja glich aus. Lizarazu und Kily Gonzales schraubten das Resultat auf 5:5, dann schnappte sich Verteidiger Thomas Linke den Ball: "Ich dachte: Das Tor wird aber ganz schön klein." Es war groß genug, um Canizares zu verladen und das 6:5 zu erzielen. Nun musste sein Stopper-Pendant Mauricio Pellegrini zur Exekution antreten. Er erlag dem übermenschlichen Druck, treffen zu müssen und schoss nicht sonderlich platziert. Oliver Kahn hielt seinen dritten Elfmeter, das war die Entscheidung!

Wie er das gemacht habe, wo er doch nicht als Elfmeterkiller bekannt sei, wurde er gefragt: "Ich war wie in Trance, auf einer Konzentrationsebene wie noch nie. Ich kann mich an nichts erinnern, außer an die Schüsse. Die Zuschauer habe ich gar nicht wahrgenommen, es war wie ein Rausch." Einer, der nicht enden wollte. Im Konfetti-Regen stemmte Stefan Effenberg präzise um 23.44 Uhr den so lange entbehrten, 70 Zentimeter hohen Silber-Pokal, und der ganze Verein schwebte auf Wolke sieben. Uli Hoeneß rühmte seine Bayern "als die im Moment beste Mannschaft der Welt", und Karl-Heinz Rummenigge hob buchstäblich ab: "Ich fühle mich wie im Himmel, wie im Himmel."

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Die Sieger 2001: Kahn – Kuffour, Andersson, Linke – Sagnol (46. Jancker), Hargreaves, Effenberg, Lizarazu – Scholl (108. Sergio), Elber (100. Zickler), Salihamidzic.

Der Tag von Madrid

Neun Jahre später, in denen sie nie über das Viertelfinale hinausgekommen waren, fanden die Bayern endlich wieder den Weg ins Finale. Unter Trainer Louis van Gaal spielte das Team in der Rückserie 2009/2010 Traumfußball. Es gewann das Double und schickte sich am 22. Mai 2010 in Madrid an, erstmals in der Klub-Historie das Triple zu gewinnen. Die Bayern spielen mit Handicap gegen Inter Mailand: Franck Ribery, der geniale Dribbler, fehlt wegen einer allgemein als übertrieben hart empfundenen Rot-Sperre, die er sich beim 3:0 in Lyon eingehandelt hat. Die UEFA lehnt Bayerns Gnadengesuch ab.

Bei Inter Mailand sind alle Stars an Bord, aber der Star ist ohnehin der Trainer: Jose Mourinho schickt sich an, nach 2004 mit Porto zum zweiten Mal den Pott zu gewinnen. Auch Antipode van Gaal (1995 mit Ajax) hatte die Silber-Trophäe schon in den Händen gehabt.

Die Bayern-Spieler schreiben am Vortag des Finales einen offenen Brief an ihre Anhänger, deren Zahl bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich stark anwächst. Der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) etwa lässt sich so zitieren: "Heute bin ich Bayern-Fan, aber nur ausnahmsweise, weil ich sonst für Hannover 96 fiebere." Die Bayern also schreiben: "Wir fühlen, dass uns Millionen von Fußballfans zuhause in Deutschland begleiten. Die Bayern-Fans, aber auch viele Fußballfreunde, die uns sonst vielleicht eher neutral sehen. Samstagabend sollten alle 'Bayern' sein, das wünschen wir uns. Wir werden im Bernabeu-Stadion alles geben, für uns, den FC Bayern und letztlich auch für Deutschland."

Milito schießt Inter zum Triumph

Die attraktive Spielweise der Mannschaft mit ihren Weltklasse-Außen Ribery und Robben verschafft ihr in jenen Tagen Sympathien, die eigentlich keine offenen Briefe mehr erfordert. Aber was zählt, ist immer noch auf dem Platz.

Auch an diesem Samstagabend unter spanischer Sonne. Inter geht als leichter Favorit der Buchmacher ins Rennen, auch wenn die Bild-Zeitung nach einem Kader-Vergleich zu dem Ergebnis kommt: Bayern ist besser, mit 9:7. Damit tut sie Inters Star-Ensemble, das komplett ohne Italiener auskommt – dafür mit Eto’o aus Kamerun, dem Niederländer Snejder oder den Argentiniern Cambiasso und Milito – Unrecht. Und der brasilianische Abwehrchef Lucio, im Vorjahr von van Gaal nicht sonderlich taktvoll abgeschoben, hat eine Zusatzmotivation. "Das hat sehr weh getan, das war sehr traurig", resümiert er sein jähes Ende nach fünf Münchner Jahren.

Er wird seine persönliche Genugtuung bekommen an diesem Abend, denn Inter ist die bessere Mannschaft und wird mit dem Pokal belohnt. Der Argentinier Diego Milito schießt beide Tore zum 2:0-Sieg, eins vor und eins nach der Pause. Bayern zeigt Nerven, der junge Himmelsstürmer Thomas Müller vergibt in seiner ersten Profi-Saison eine Riesenchance zum Ausgleich. Uli Hoeneß verzeiht es ihm: "Was soll man einem Mann wie Thomas Müller sagen? Er hat eine unglaubliche Saison gespielt, er hat fast alles erreicht. Er soll sich nicht grämen."

"Man muss mal eine Niederlage akzeptieren können"

Im ersten Moment fällt das nicht so leicht. "Wenn du ein Finale gewinnen willst, musst Du top sein. Das waren wir nicht", mäkelt Kapitän Mark van Bommel. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge findet auf dem Bankett besonnene und faire Worte: "Man muss auch mal eine Niederlage akzeptieren können, wenn der Gegner besser ist."

Die Verlierer werden nach der Supersaison trotzdem wie Champions empfangen. Ein Sponsor hat 15.000 Liter Freibier spendiert und so wird München am Sonntag zur Party-Meile. Präsident Uli Hoeneß blickte nicht lange zurück, sondern schon wieder voraus: "Diese Mannschaft hat eine große Zukunft vor sich, weil wir viele junge Spieler haben. Dieses Finale ist Ansporn für die nächsten Jahre. Nächstes Jahr ist das Finale in Wembley, 2012 in München. Sie sehen also, es gibt noch schöne Visionen und Ziele für unsere Spieler."

Die Finalisten 2010: Butt – Lahm, van Buyten, Demichelis, Badstuber – van Bommel, Schweinsteiger – Robben, Müller, Altintop (63. Klose) – Olic (74. Gomez).

Dramatische Niederlage im "Finale dahoam"

Das Finale von München ist noch in frischer Erinnerung. Es wetteifert mit der Nacht von Barcelona um den Titel "Bayerns größte Europacup-Tragödie". Alles hatten die Bayern in der Saison 2011/12 dem "Finale dahoam" untergeordnet. Die Niederlagen in Meisterschaft und Pokal gegen Dortmund waren bis zu jenem 19. Mai noch ohne Belang, hätte die Mannschaft sich den großen Traum erfüllt und Chelsea London in der Allianz Arena besiegt.

Es hat in der Fußball-Geschichte selten einseitigere Endspiele gegeben, und noch seltener kam es vor, dass die objektiv schwächere, passivere Mannschaft gewann. Aber drei Matchbälle abzuwehren, ist auch eine Qualität, drei zu vergeben ein Makel. Die Bayern schossen an diesem Mai-Samstag während der ersten 90 Minuten 27-mal aufs Tor, Chelsea siebenmal, sie traten 20 Ecken, Chelsea eine – aber als der Portugiese Pedro Proenca abpfiff, herrschte Gleichstand. 1:1! Weil nach Thomas Müllers Kopfballtor in der 83. Minute der erste Matchball vergeben wurde. Didier Drogba, der alternde Weltklassestürmer von der Elfenbeinküste, köpfte den einzigen Eckball der Gäste zum Ausgleich unter die Latte. Zwei Minuten vor Schluss.

Elfmeterkrimi in zwei Akten

Dann kam die 95. Minute. Ein Elfmeter von Arjen Robben konnte die Vorentscheidung bringen, doch wie beim Bundesliga-Gipfeltreffen in Dortmund scheiterte er – nun an Petr Cech. "Deutsche verschießen keine Elfmeter – aber es war der Holländer Robben, der sich den Ball nahm", schrieb der Daily Mirror. Ein Satz, der seine Gültigkeit verlor, als es nach 120 Nerven zerfetzenden Minuten zum Elfmeterschießen kam.

Philipp Lahm traf, und Manuel Neuer hielt den Elfmeter von Mata. Auch in diesem Spielabschnitt führten die Bayern, erst 2:0, dann 3:1, das Neuer selbst erzielte. Sie mussten nur noch den Vorsprung halten, es war der dritte Matchball. Aber Joker Ivica Olic scheiterte an Cech, der bei jedem Elfmeter in die richtige Ecke hechtete. Nun hatte er den Ball, erstmals.

Als Cole ausglich, lag alle Last auf den Schultern von Bastian Schweinsteiger. Er kannte das schon, in Madrid hatte er die Bayern ins Finale geschossen. Schweinsteiger war und ist ein sicherer Schütze. Und doch, Cech berührte den Ball mit den Fingerspitzen, am TV war es kaum wahrzunehmen. Er – oder doch der Fußball-Gott? – lenkte den Ball an den Pfosten. Entsetzen im weiten Rund, in der Stadt, im ganzen Land. Nun hatte Chelsea einen Matchball, den ersten. Mehr brauchten sie nicht: Drogba traf zum 3:4. Aus der Traum.

Tränen statt Triumph

Tränen flossen bei Spielern und Fans, das Bild vom erschütterten Uli Hoeneß, den seine Frau in den Arm nimmt, ging um die Welt. "Das ist einer dieser Abende, an dem man sich fragt: Wie kommt dieses Ergebnis zustande?" sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auf dem Bankett, das ein rauschendes Siegesfest hätte werden sollen.

Die Finalisten 2012: Neuer – Lahm, Timoschtschuk, Boateng, Contento – Schweinsteiger, Kroos – Robben, Müller (87. van Buyten), Ribery (97. Olic) - Gomez