Bayern siegt 1974: Erster Landesmeisterpokal für deutsches Team

Heute vor 46 Jahren gewann mit dem FC Bayern München erstmals eine deutsche Mannschaft den Europapokal der Landesmeister, der Vorläufer der 1993 eingeführten Champions League. Der Wettbewerb trug nicht nur einen anderen Namen, er hatte auch andere Regeln. Und so kam es, dass der bajuwarische Triumph zu einem Drama in zwei Akten wurde. Erstmals musste nämlich ein Landesmeisterfinale wiederholt werden, Elfmeterschießen gab es noch nicht und per Los wollte man keinen Sieger küren. DFB.de erinnert an die aufregenden Tage von Brüssel im Mai 1974.

Es war die große Zeit der Maier-Beckenbauer-Müller-Ära, in der die Bayern stets als Favorit in eine Saison gingen. National wohlgemerkt. Vier Tage vor dem Finale hatten sie den Meisterhattrick geschafft, den ersten der Bundesligahistorie. Das nahm ihnen einige Last von den Schultern, ansonsten hätten sie am letzten Spieltag bei Verfolger Borussia Mönchengladbach ein Endspiel um die Schale gehabt. Das fiel nun zum Leidwesen vieler Fans aus. Die Bayern aber waren froh, eine verlorene Saison konnte es schon mal nicht mehr werden.

Der Gegner von Brüssel, der am 15. Mai 1974 auf sie wartete, war damals ungeschlagen durch den Wettbewerb gekommen. Torwart Miguel Reina hatte es sogar geschafft, in seinen sieben Einsätzen kein Tor zu kassieren, nur beim 2:2 gegen Dinamo Bukarest gab es für Atletico Gegentore - aber da fehlte Reina. Dennoch war Bayern der große Favorit, in Deutschland hatte Atletico keinen großen Klang, wie zu allen Zeiten dominierten Real und Barcelona die spanische Liga. Franz Beckenbauer gab damals ein Stadionheft heraus und beklagte sich im "Bayernecho" darüber: "Mir ist unverständlich, dass man in unserem Lande erwartet, dass wir den Europacup sozusagen im Vorbeigehen gewinnen. Neben ihrer Abwehrstärke muss man bei den Madrilenen beachten, dass sie bei ihren Gegnern nicht zimperlich sind." Was sie im Halbfinale bei Celtic Glasgow bewiesen. Im skandalösen Rückspiel (0:0) flogen gleich drei Spanier vom Platz, die nun alle gesperrt waren (Ayala, Diaz und Quique).

"Zum Glück habe ich nicht nachgedacht"

Was die Bayern mit sechs aktuellen Europameistern erst recht zum Favoriten stempelte. Jeweils rund 10.000 Fans aus beiden Lagern begleiteten die Finalisten zum Finale nach Brüssel, das an einem Mittwoch ausgetragen wurde. Es war noch die Zeit der Transparentgedichte, und so stand auf einem Banner zu lesen: "Der FC Bayern haut in Brüssel Atletico mit sieben bis acht auf den Rüssel". So glatt sollte es nicht gehen, und schon die Bayern-Anreise begann mit einem Hindernis. Eine Bombendrohung am Flughafen sorgte für einen verspäteten Abflug, im Flieger wurden die Helden auch noch gehörig durchgeschüttelt.

Doch wer Geschichte schreiben und nebenbei 30.000 Mark verdienen will, muss Opfer bringen. Auch die 58.000 Zuschauer im Heysel-Stadion brachten Opfer. Zwei Stunden durchaus unterhaltsamen, packenden Fußball sahen sie und doch keinen Sieger. Nach torlosen 90 Minuten ging Atletico in der Verlängerung durch einen vom Dänen Johnny Hansen verursachten Freistoß von Luis in der 113. Minute in Führung und feierte schon innerlich. Auf der Pressetribüne gaben die spanischen Reporter bereits ihre Laudatio auf den Sieger per Telefon durch, da wurde plötzlich einer zum Helden, der zu allem anderen geboren war - nur dazu nicht. Hans Georg Schwarzenbeck, den alle nur "Katsche" riefen, der Vorstopper! Ein Mann ohne Glamour und Starallüren. Die Bescheidenheit in Person und dienstbarer Geist für Weltklasse-Libero Franz Beckenbauer - im Klub und in der Nationalmannschaft.

Der knorrige Katsche also marschierte in allerletzter Minute über die Mittellinie, bekam den Ball und wusste nicht wohin damit. Da schoss er ihn aus mehr als 25 Metern ins Tor. "Warum ich geschossen habe, kann ich nicht erklären, auch im Nachhinein nicht", sagte Schwarzenbeck Jahre später. "Das muss mit Instinkt zu tun gehabt haben, denn Überlegung war es nicht. Zum Glück habe ich nicht nachgedacht." Am Tag seines wichtigsten Tores wollte er am liebsten gar nichts sagen und seufzte angesichts der Reportermeute: "Mensch, warum hat denn net der Gerd das Tor geschossen? Warum denn ausgerechnet ich?" Der Koch im Hotel der Bayern stellte sich derweil eine andere Frage: Wozu habe ich mir so viel Mühe gegeben? Das erlesene Siegesbufett - Melone mit Schinken, Krabben-Cocktail, Kalbsbraten mit Bohnen, Spargel und Eisbomben - blieb unberührt.

Wiederholungsspiel: Grandiose Bayern, weniger Zuschauer

Die vielen Fans hatten noch größere Sorgen. Das Finale wurde zwei Tage danach an selber Stelle wiederholt, aber die wenigsten hatten Urlaub bis Freitag genommen. Und in handylosen Zeiten war der auch nicht ohne weiteres zu organisieren. Eine aber kam extra zu diesem zweiten Spiel. Susi Hoeneß, die Ehefrau von Uli, der als einer der wenigen Münchner stark in der Kritik stand. Er musste offenkundig aufgebaut werden. Sie schilderte ihre Eindrücke später in der Biografie ihres Mannes von Peter Bizer so: "Ich spürte sofort, dass er total deprimiert war. Wir sagten nur 'Grüß Gott' zueinander und setzten uns dann auf eine Wiese. Es war ein herrlicher Sonnentag. Ich glaube, wir saßen drei Stunden wortlos da und guckten nur in die Gegend. Irgendwie hat ihm das ganz gut getan."

Konzentriertes, gemeinsames Schweigen, jedenfalls mit dem richtigen Menschen, kann offenbar Wunder bewirken. Denn am Freitag, den 17. Mai 1974, machte Uli Hoeneß das Spiel seines Lebens. Vor nicht mehr ganz so vollen Rängen, nur noch 40.000 Menschen waren Zeuge der Münchner Sternstunde im Schatten des Atomiums. Diesmal war es kein Zitterspiel, diesmal lief der Bayern-Motor wie geschmiert. Sie waren in derselben Besetzung aufgelaufen, die Spanier hatten zwei Wechsel vorgenommen. Zur Pause führte der FCB durch Uli Hoeneß mit 1:0 (28.), und Trainer Udo Lattek brüllte seine Spieler in der Kabine an: "Nicht locker lassen, geht raus und sucht die Entscheidung!"

Sie suchten und fanden sie. 4:0 hieß es nach 90 grandiosen Minuten im wohl besten Münchner Europapokalspiel überhaupt. So sah es jedenfalls die Münchner Abendzeitung noch im April 2013, als sie nach dem 4:0 der Bayern über Barcelona ein Ranking aufstellte. Nichts ging über diesen Frühsommerabend 1974 in Brüssel.

Zweimal Hoeneß, zweimal Müller - und dann viel zu trinken

Den Torsegen spendeten der überragende Uli Hoeneß (83.) nach herrlichem Solo und Gerd Müller (57., 70.) mit prachtvollen Kunstschüssen zu gleichen Teilen. "Die Spanier waren der Stier und die Deutschen der Matador", schrieb eine spanische Zeitung anerkennend. Der Kicker titelte: "Die Elf, die alle Ketten sprengt." Und die englische Times fragte: "Wie ist das möglich? Am Mittwoch war der FC Bayern ein klappender Rasenmäher, und 48 Stunden später demolierte er mit einer perfekten Maschinerie elf bemitleidenswerte Spanier."

Am nächsten Tag waren die Bayern wieder zahm wie Lämmer, als sie am Gladbacher Bökelberg nach durchfeierter Nacht noch ein Bundesligaspiel austragen mussten. Rein logistisch war eine Verschiebung nicht mehr möglich. So kam es zum Novum, dass eine deutsche Profimannschaft in zwei Tagen zwei Pflichtspiele bestreiten musste - aber die Meisterschale hatten die Bayern ja schon sicher. Da schmerzte das 0:5 in der "Alkohol-Verdunstungsstunde" (Zitat Lattek) im wohl irregulärsten Bundesligaspiel aller Zeiten gegen den alten Rivalen keinen Münchner mehr.

Die Europacupsieger 1974: Maier – Hansen, Beckenbauer, Schwarzenbeck, Breitner – Zobel, Kapellmann, Roth – Torstensson (Dürnberger), Müller, Hoeneß.

[um]

Heute vor 46 Jahren gewann mit dem FC Bayern München erstmals eine deutsche Mannschaft den Europapokal der Landesmeister, der Vorläufer der 1993 eingeführten Champions League. Der Wettbewerb trug nicht nur einen anderen Namen, er hatte auch andere Regeln. Und so kam es, dass der bajuwarische Triumph zu einem Drama in zwei Akten wurde. Erstmals musste nämlich ein Landesmeisterfinale wiederholt werden, Elfmeterschießen gab es noch nicht und per Los wollte man keinen Sieger küren. DFB.de erinnert an die aufregenden Tage von Brüssel im Mai 1974.

Es war die große Zeit der Maier-Beckenbauer-Müller-Ära, in der die Bayern stets als Favorit in eine Saison gingen. National wohlgemerkt. Vier Tage vor dem Finale hatten sie den Meisterhattrick geschafft, den ersten der Bundesligahistorie. Das nahm ihnen einige Last von den Schultern, ansonsten hätten sie am letzten Spieltag bei Verfolger Borussia Mönchengladbach ein Endspiel um die Schale gehabt. Das fiel nun zum Leidwesen vieler Fans aus. Die Bayern aber waren froh, eine verlorene Saison konnte es schon mal nicht mehr werden.

Der Gegner von Brüssel, der am 15. Mai 1974 auf sie wartete, war damals ungeschlagen durch den Wettbewerb gekommen. Torwart Miguel Reina hatte es sogar geschafft, in seinen sieben Einsätzen kein Tor zu kassieren, nur beim 2:2 gegen Dinamo Bukarest gab es für Atletico Gegentore - aber da fehlte Reina. Dennoch war Bayern der große Favorit, in Deutschland hatte Atletico keinen großen Klang, wie zu allen Zeiten dominierten Real und Barcelona die spanische Liga. Franz Beckenbauer gab damals ein Stadionheft heraus und beklagte sich im "Bayernecho" darüber: "Mir ist unverständlich, dass man in unserem Lande erwartet, dass wir den Europacup sozusagen im Vorbeigehen gewinnen. Neben ihrer Abwehrstärke muss man bei den Madrilenen beachten, dass sie bei ihren Gegnern nicht zimperlich sind." Was sie im Halbfinale bei Celtic Glasgow bewiesen. Im skandalösen Rückspiel (0:0) flogen gleich drei Spanier vom Platz, die nun alle gesperrt waren (Ayala, Diaz und Quique).

"Zum Glück habe ich nicht nachgedacht"

Was die Bayern mit sechs aktuellen Europameistern erst recht zum Favoriten stempelte. Jeweils rund 10.000 Fans aus beiden Lagern begleiteten die Finalisten zum Finale nach Brüssel, das an einem Mittwoch ausgetragen wurde. Es war noch die Zeit der Transparentgedichte, und so stand auf einem Banner zu lesen: "Der FC Bayern haut in Brüssel Atletico mit sieben bis acht auf den Rüssel". So glatt sollte es nicht gehen, und schon die Bayern-Anreise begann mit einem Hindernis. Eine Bombendrohung am Flughafen sorgte für einen verspäteten Abflug, im Flieger wurden die Helden auch noch gehörig durchgeschüttelt.

Doch wer Geschichte schreiben und nebenbei 30.000 Mark verdienen will, muss Opfer bringen. Auch die 58.000 Zuschauer im Heysel-Stadion brachten Opfer. Zwei Stunden durchaus unterhaltsamen, packenden Fußball sahen sie und doch keinen Sieger. Nach torlosen 90 Minuten ging Atletico in der Verlängerung durch einen vom Dänen Johnny Hansen verursachten Freistoß von Luis in der 113. Minute in Führung und feierte schon innerlich. Auf der Pressetribüne gaben die spanischen Reporter bereits ihre Laudatio auf den Sieger per Telefon durch, da wurde plötzlich einer zum Helden, der zu allem anderen geboren war - nur dazu nicht. Hans Georg Schwarzenbeck, den alle nur "Katsche" riefen, der Vorstopper! Ein Mann ohne Glamour und Starallüren. Die Bescheidenheit in Person und dienstbarer Geist für Weltklasse-Libero Franz Beckenbauer - im Klub und in der Nationalmannschaft.

Der knorrige Katsche also marschierte in allerletzter Minute über die Mittellinie, bekam den Ball und wusste nicht wohin damit. Da schoss er ihn aus mehr als 25 Metern ins Tor. "Warum ich geschossen habe, kann ich nicht erklären, auch im Nachhinein nicht", sagte Schwarzenbeck Jahre später. "Das muss mit Instinkt zu tun gehabt haben, denn Überlegung war es nicht. Zum Glück habe ich nicht nachgedacht." Am Tag seines wichtigsten Tores wollte er am liebsten gar nichts sagen und seufzte angesichts der Reportermeute: "Mensch, warum hat denn net der Gerd das Tor geschossen? Warum denn ausgerechnet ich?" Der Koch im Hotel der Bayern stellte sich derweil eine andere Frage: Wozu habe ich mir so viel Mühe gegeben? Das erlesene Siegesbufett - Melone mit Schinken, Krabben-Cocktail, Kalbsbraten mit Bohnen, Spargel und Eisbomben - blieb unberührt.

Wiederholungsspiel: Grandiose Bayern, weniger Zuschauer

Die vielen Fans hatten noch größere Sorgen. Das Finale wurde zwei Tage danach an selber Stelle wiederholt, aber die wenigsten hatten Urlaub bis Freitag genommen. Und in handylosen Zeiten war der auch nicht ohne weiteres zu organisieren. Eine aber kam extra zu diesem zweiten Spiel. Susi Hoeneß, die Ehefrau von Uli, der als einer der wenigen Münchner stark in der Kritik stand. Er musste offenkundig aufgebaut werden. Sie schilderte ihre Eindrücke später in der Biografie ihres Mannes von Peter Bizer so: "Ich spürte sofort, dass er total deprimiert war. Wir sagten nur 'Grüß Gott' zueinander und setzten uns dann auf eine Wiese. Es war ein herrlicher Sonnentag. Ich glaube, wir saßen drei Stunden wortlos da und guckten nur in die Gegend. Irgendwie hat ihm das ganz gut getan."

Konzentriertes, gemeinsames Schweigen, jedenfalls mit dem richtigen Menschen, kann offenbar Wunder bewirken. Denn am Freitag, den 17. Mai 1974, machte Uli Hoeneß das Spiel seines Lebens. Vor nicht mehr ganz so vollen Rängen, nur noch 40.000 Menschen waren Zeuge der Münchner Sternstunde im Schatten des Atomiums. Diesmal war es kein Zitterspiel, diesmal lief der Bayern-Motor wie geschmiert. Sie waren in derselben Besetzung aufgelaufen, die Spanier hatten zwei Wechsel vorgenommen. Zur Pause führte der FCB durch Uli Hoeneß mit 1:0 (28.), und Trainer Udo Lattek brüllte seine Spieler in der Kabine an: "Nicht locker lassen, geht raus und sucht die Entscheidung!"

Sie suchten und fanden sie. 4:0 hieß es nach 90 grandiosen Minuten im wohl besten Münchner Europapokalspiel überhaupt. So sah es jedenfalls die Münchner Abendzeitung noch im April 2013, als sie nach dem 4:0 der Bayern über Barcelona ein Ranking aufstellte. Nichts ging über diesen Frühsommerabend 1974 in Brüssel.

Zweimal Hoeneß, zweimal Müller - und dann viel zu trinken

Den Torsegen spendeten der überragende Uli Hoeneß (83.) nach herrlichem Solo und Gerd Müller (57., 70.) mit prachtvollen Kunstschüssen zu gleichen Teilen. "Die Spanier waren der Stier und die Deutschen der Matador", schrieb eine spanische Zeitung anerkennend. Der Kicker titelte: "Die Elf, die alle Ketten sprengt." Und die englische Times fragte: "Wie ist das möglich? Am Mittwoch war der FC Bayern ein klappender Rasenmäher, und 48 Stunden später demolierte er mit einer perfekten Maschinerie elf bemitleidenswerte Spanier."

Am nächsten Tag waren die Bayern wieder zahm wie Lämmer, als sie am Gladbacher Bökelberg nach durchfeierter Nacht noch ein Bundesligaspiel austragen mussten. Rein logistisch war eine Verschiebung nicht mehr möglich. So kam es zum Novum, dass eine deutsche Profimannschaft in zwei Tagen zwei Pflichtspiele bestreiten musste - aber die Meisterschale hatten die Bayern ja schon sicher. Da schmerzte das 0:5 in der "Alkohol-Verdunstungsstunde" (Zitat Lattek) im wohl irregulärsten Bundesligaspiel aller Zeiten gegen den alten Rivalen keinen Münchner mehr.

Die Europacupsieger 1974: Maier – Hansen, Beckenbauer, Schwarzenbeck, Breitner – Zobel, Kapellmann, Roth – Torstensson (Dürnberger), Müller, Hoeneß.

###more###