Bastian Schweinsteiger: Die Nummer 7 der Herzen

Die Hall of Fame des deutschen Fußballs im Fußballmuseum in Dortmund wird um sechs Prominente reicher. Sie gehören zu den Größten, die je in unserem Sport hierzulande aktiv waren. Heute im Porträt: Bastian Schweinsteiger.

Dieses letzte Luftduell musste ihn als den einen der zwei Kontrahenten sehen. Als das 2014er-WM-Finale in Rio de Janeiro schon in der vierten Nachspielminute der Verlängerung dahintickte, wuchtete Bastian Schweinsteiger Mitte der eigenen Hälfte einen Flugball mit seinem kurzgeschorenen Blondkopf aus der Gefahrenzone, ehe ihn in diesem Moment ein argentinischer Körper zu Boden rammte. Doch der Pfiff des Schiedsrichters beendete wenige Augenblicke später alle Leiden, die deutsche Nationalmannschaft wurde an diesem 13. Juli 2014 zum vierten Mal Weltmeister. Mario Götze hatte mit einem formvollendeten Kunstschuss das entscheidende Tor erzielt, 1:0, doch trotz dieses wunderbaren Treffers lieferte ein anderer deutscher Spieler das Bild dieses Triumphes: Bastian Schweinsteiger, der Mann mit der Nummer 7.

Im zweiten Abschnitt der Verlängerung war er mit Sergio Agüero im Kopfballduell zusammengekracht. Aus einer Risswunde unter dem rechten Auge troff sofort Blut, das bis zum Kieferknochen nach unten rann. Auf Teamarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Physio Klaus Eder gestützt, schleppte sich Schweinsteiger vom Maracanã-Rasen an den Spielfeldrand, wo der Cut schnell abgedichtet und Schweinsteiger sofort wieder zurück auf dem Feld war, wo ihm – irgendwie logisch und bezeichnend – bald die letzte Grätsche dieses Zwei-Stunden-Fights gehörte: Als Lionel Messi noch einmal zu einem letzten Solo startete, rutschte ihm Schweinsteiger seitlich von links in den Slalomlauf und grapschte dem Superstar den Ball vom Dribbelfuß, eigentlich regelkonform, doch es gab Freistoß, den Messi hoch über das Tor schlenzte. Die letzte Ausgleichschance der Argentinier war vertan, der globale Goldpokal den deutschen Spielern nicht mehr zu entreißen und der vierte Stern gesichert.

Das Bild des Endspiels

Es sind oft Momente oder kurze Sequenzen, die die lange und stets beschwerliche Tour zu einem solchen Erfolg sinnbildhaft zusammenfassen. 1954 mag es der Linksschuss zum 3:2-Siegtreffer gewesen sein, den uns Schwarzweißbilder und die sich überschlagende Stimme des Kommentators Herbert Zimmermann so lebendig erhalten haben: "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt, Tor! Tor! Tor!" 1974 war es dieses Siegtor im Endspiel gegen die Niederlande, das nur ein Fußballspieler so erzielen konnte: Ballannahme, kurze Drehung, Kullerflachschuss, 2:1 durch Gerd Müller. Die Erinnerung an 1990 trägt Franz Beckenbauer, als er, in Gedanken versunken, durch das abgedunkelte Stadion in Rom spazierte, während seine Spieler bei der Ehrenrunde das 1:0 über Argentinien bejubelten.

Und für 2014 steht – ohne den Anteil dieses großartigen Kollektivs im Ansatz schmälern zu wollen – das Bild des nie aufgebenden Bastian Schweinsteiger. Dieses WM-Finale war sein Spiel. Das Spiel seines Lebens. Seine Pässe, seine Zweikämpfe in der Luft und auf dem Boden, seine auf über 15 Kilometer addierte Laufleistung, sein selbstloser, aufopferungsvoller Dienst für die Mannschaft und den großen Coup verdichteten sich in dieser blutenden Wunde im Gesicht. Wie oft Schweinsteiger in diesen zwei Stunden von Rio de Janeiro auch fiel, wie oft er auch getreten, gefällt und gefoult wurde – er rappelte sich immer wieder hoch.

Rote und blaue Pfosten

"Es wird ein Turnier der Willenskraft, wir müssen uns überwinden", hatte er vor jener Südamerika-Reise gesagt. Es waren Worte, die wie ein Appell an die gesamte Delegation klangen. "Du musst es so annehmen, wie es kommt, und alles andere ausblenden", betonte er. "Da ist das Wort Willenskraft wirklich entscheidend." Schweinsteiger hatte diese charakterliche Qualität schon bei seinem mühevollen WM-Vorlauf vorgelebt. Nach zwei Operationen am Sprunggelenk reagierte plötzlich die Patellasehne im Knie gereizt, Schweinsteiger wurde erst im zweiten WM-Spiel gegen Ghana eingewechselt und etablierte sich in den folgenden fünf Begegnungen in der Startelf. Seine zähe Entschlossenheit, seine Stärke im Kopf hatte sich behauptet.

Schweinsteiger kennt es nicht anders. "Ich hatte schon als Kind einen sehr großen Willen", sagt er. Als Skifahrer, der er damals mit großer Befähigung war, "musste ich oft gegen Ältere ran", erzählt er. "Wenn ich nicht unbedingt hätte besser werden wollen, hätte ich keine Chance gehabt." Also hüpfte Klein-Basti in aller Herrgottsfrühe um fünf Uhr aus dem Bett, um sich aufzumachen auf Berges Höhen, von denen der kernige Naturbursche bis in den späten Abend durch den Schnee talwärts fuhr. Gegen seinen zwei Jahre älteren Bruder Tobias musste er sich ebenso durchsetzen, beim Eins-gegen-Eins im heimischen Wohnzimmer, oder gegen die Kumpels, mit denen er auf der Straße kickte, unter einer zuvor an einem Skilift befindlichen Flutlichtanlage, die Schweinsteigers eigens errichtet hatten. Bald wurde noch eine Wiese angemietet, das Gras geschnitten und zwei Tore aufgestellt, eines mit roten Holzpfosten und eines mit blauen, für Bayern und 1860 München.

Rekordsieger im DFB-Pokal

Im Alter zwischen 14 und 16 Jahren riss fünfmal pro Woche um sechs Uhr der unbarmherzige Wecker den Buben Bastian aus dem Schlaf, nach einem zehnminütigen Fußmarsch ging es vom heimischen Oberaudorf zur Schule nach Brannenburg, um 13 Uhr weiter mit dem Bus nach München zum Training mit dem Nachwuchs des FC Bayern, ehe er nach der Rückkehr gegen 22.30 Uhr todmüde ins Bett fiel. "Die ganzen Mühen haben sich gelohnt, das ist schön", sagte Schweinsteiger in der Juli-Nacht von Rio, nachdem er eine gute Stunde zuvor den World Cup entgegengenommen und innig geküsst hatte.

Er sagte diesen Satz mit Bezug auf die WM, durfte dieses Fazit jedoch genauso unter seine gesamte Karriere setzen, die trotz mancher Beschwernisse zum im Fußball größtmöglichen Erfolg geführt hatte. Mehr als Weltmeister geht nicht. Dabei sind der Gewinn der Champions League, veredelt gar zum Triple, die achtmalige deutsche Meisterschaft, die einzig sieben Spieler häufiger abräumten (die Bestmarke hält Thomas Müller mit zwölf Titeln), und der Rekordwert von sieben Siegen im DFB-Pokal, schon herausragende und höchst respektable Großtaten.

Schweinsteiger hat sie sich allesamt schwer erarbeitet. Wenn er einmal äußerte, "man muss auch für seine Mitspieler Meter machen, die wehtun", dann war ihm diese Anmerkung Programm, wie auch diese Äußerung vor der WM 2014: "Wenn wir einen guten Teamgeist entwickeln, dazu unsere fußballerische Qualität abrufen und auch wieder die typisch deutschen Tugenden einbringen, werden wir ein sehr gutes Turnier spielen. Wenn jeder mitzieht, ist das ganz große Ding möglich." Schweinsteiger steht für diesen Gemeinsinn sowie die gelungene Synthese von deutscher Technik, und deutschen Tugenden, die er in zwölf Jahren in der deutschen Nationalmannschaft einbrachte.

Debüt vor 20 Jahren

Als er vor der EM 2004, die schon nach den drei Gruppenspielen beendet war, bei der 0:2-Generalprobe gegen Ungarn eingewechselt wurde (46.), bevölkerten noch Bernd Schneider, Fabian Ernst, Dietmar Hamann, Michael Ballack oder Torsten Frings das Mittelfeld; Andreas Hinkel, Christian Wörns, Jens Nowotny, Frank Baumann und Philipp Lahm formierten sich zur Abwehr, im Tor stand Oliver Kahn, und mit Miroslav Klose stürmten Fredi Bobic, Thomas Brdaric und der neben Schweinsteiger zweite damalige Neuling, Lukas Podolski. Bei dem missglückten portugiesischen EM-Kurztrip der deutschen Delegation durfte der 19 Jahre junge Nachwuchsmann Schweinsteiger in allen drei Begegnungen mitwirken, der damals verantwortliche Teamchef Rudi Völler begeisterte sich an der Unbekümmertheit und den enormen fußballerischen Qualitäten dieses Edeltalents, das sich fortan in der DFB-Auswahl Schritt für Schritt festsetzte und 2005 in 13 von 15 Länderspielen vom neuen Bundestrainer Jürgen Klinsmann losgeschickt wurde.

In jenem Jahr verortet er den Aufbruch der späteren weltmeisterlichen Mannschaft. Per Mertesacker, Podolski und Lahm gehörten auch zu jenem Team, das 2006 das Sommermärchen aktiv mitgestaltete. Schweinsteiger, damals noch auf der linken Flanke unterwegs, spielte beim Happy End eine Hauptrolle, mit zwei Treffern zum 3:1-Sieg im kleinen Finale gegen Portugal. Nach jener heimischen WM "haben uns die Leute trotz des dritten Platzes zugejubelt", erinnerte Schweinsteiger, mittlerweile längst der Macher, Pass- und Rhythmusgeber in der Mittelfeldzentrale, acht Jahre später, als das Weltmeisterwerk vollbracht war. "Nun haben die Fans etwas zurückbekommen." Dieses gelungene Dankeschön der Spieler an ihre große Anhängerschar, so fasste es ein gereifter Schweinsteiger zusammen, "ist eigentlich das Schönste am Titel: Dass wir die Leute glücklich gemacht haben".

Heynckes verneigt sich

Gerne hätte er diese globalen Ehrenwürden 2014 noch mit den kontinentalen 2016 angereichert. "Ich wollte diesen EM-Titel unbedingt gewinnen", teilte Schweinsteiger mit, als er nach dem Turnier, vier Tage vor seinem 32. Geburtstag, seinen Abschied von der Nationalmannschaft verkündete. Es sollte nicht mehr sein, aber auch zu großen Karrieren gehören immer Niederlagen.

In 18 DFB-Einsätzen trug Schweinsteiger die schwarz-rot-goldene Kapitänsbinde, die ihm Bundestrainer Joachim Löw nach Lahms Rücktritt 2014 zuwies, am Arm, er schoss 24 Tore, davon fünf per Elfmeter. Seine 121 Länderspiele platzieren ihn in der Liste der deutschen Nationalspieler hinter Lothar Matthäus (150), Miroslav Klose (137), Lukas Podolski (130) und Thomas Müller (128) auf Position fünf. Was von ihm geblieben ist, ist aber viel mehr als Daten und Statistiken. Jupp Heynckes, dem er in der gemeinsamen Zeit beim FC Bayern und beim Triple-Triumph ein vertrauensvoller Partner und der verlängerte Arm auf dem Spielfeld war, gliederte ihn vor einigen Jahren mit dem Hintergrund des welterfahrenen Erfolgstrainers sowie des Europa- und Weltmeisters, der er 1972 und 1974 als DFB-Stürmer wurde, unter den größten deutschen Mittelfeldspielern ein, in eine Reihe mit Fritz Walter, Wolfgang Overath, Günter Netzer, Bernd Schuster und Lothar Matthäus. "Ich verneige mich vor einer bewundernswerten Karriere", sagte Heynckes einmal, "aber noch mehr vor dem Menschen Bastian Schweinsteiger." Mit dem er nun zusammen in die Hall of Fame aufgenommen wird.

Erfolge

Weltmeister 2014

Champions-League-Sieger 2013

Europa-League-Sieger 2017

Deutscher Meister 2003, 2005, 2006, 2008, 2010, 2013, 2014, 2015

Deutscher Pokalsieger 2003, 2005, 2006, 2008, 2010, 2013, 2014

Deutscher Ligapokal-/Supercupsieger 2004, 2007, 2010, 2012

FIFA-Klub-Weltmeister 2013

UEFA-Super-Cup-Sieger 2013

FA Cup-Sieger 2016

Englischer Supercup-Sieger 2016

Englischer Ligapokalsieger 2017

Deutscher A-Juniorenmeister 2002

Deutscher B-Juniorenmeister 2001

Silbernes Lorbeerblatt 2006, 2010, 2014

Deutschlands Fußballer des Jahres 2013

Nationalspieler des Jahres 2010

[kw]

Die Hall of Fame des deutschen Fußballs im Fußballmuseum in Dortmund wird um sechs Prominente reicher. Sie gehören zu den Größten, die je in unserem Sport hierzulande aktiv waren. Heute im Porträt: Bastian Schweinsteiger.

Dieses letzte Luftduell musste ihn als den einen der zwei Kontrahenten sehen. Als das 2014er-WM-Finale in Rio de Janeiro schon in der vierten Nachspielminute der Verlängerung dahintickte, wuchtete Bastian Schweinsteiger Mitte der eigenen Hälfte einen Flugball mit seinem kurzgeschorenen Blondkopf aus der Gefahrenzone, ehe ihn in diesem Moment ein argentinischer Körper zu Boden rammte. Doch der Pfiff des Schiedsrichters beendete wenige Augenblicke später alle Leiden, die deutsche Nationalmannschaft wurde an diesem 13. Juli 2014 zum vierten Mal Weltmeister. Mario Götze hatte mit einem formvollendeten Kunstschuss das entscheidende Tor erzielt, 1:0, doch trotz dieses wunderbaren Treffers lieferte ein anderer deutscher Spieler das Bild dieses Triumphes: Bastian Schweinsteiger, der Mann mit der Nummer 7.

Im zweiten Abschnitt der Verlängerung war er mit Sergio Agüero im Kopfballduell zusammengekracht. Aus einer Risswunde unter dem rechten Auge troff sofort Blut, das bis zum Kieferknochen nach unten rann. Auf Teamarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Physio Klaus Eder gestützt, schleppte sich Schweinsteiger vom Maracanã-Rasen an den Spielfeldrand, wo der Cut schnell abgedichtet und Schweinsteiger sofort wieder zurück auf dem Feld war, wo ihm – irgendwie logisch und bezeichnend – bald die letzte Grätsche dieses Zwei-Stunden-Fights gehörte: Als Lionel Messi noch einmal zu einem letzten Solo startete, rutschte ihm Schweinsteiger seitlich von links in den Slalomlauf und grapschte dem Superstar den Ball vom Dribbelfuß, eigentlich regelkonform, doch es gab Freistoß, den Messi hoch über das Tor schlenzte. Die letzte Ausgleichschance der Argentinier war vertan, der globale Goldpokal den deutschen Spielern nicht mehr zu entreißen und der vierte Stern gesichert.

Das Bild des Endspiels

Es sind oft Momente oder kurze Sequenzen, die die lange und stets beschwerliche Tour zu einem solchen Erfolg sinnbildhaft zusammenfassen. 1954 mag es der Linksschuss zum 3:2-Siegtreffer gewesen sein, den uns Schwarzweißbilder und die sich überschlagende Stimme des Kommentators Herbert Zimmermann so lebendig erhalten haben: "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt, Tor! Tor! Tor!" 1974 war es dieses Siegtor im Endspiel gegen die Niederlande, das nur ein Fußballspieler so erzielen konnte: Ballannahme, kurze Drehung, Kullerflachschuss, 2:1 durch Gerd Müller. Die Erinnerung an 1990 trägt Franz Beckenbauer, als er, in Gedanken versunken, durch das abgedunkelte Stadion in Rom spazierte, während seine Spieler bei der Ehrenrunde das 1:0 über Argentinien bejubelten.

Und für 2014 steht – ohne den Anteil dieses großartigen Kollektivs im Ansatz schmälern zu wollen – das Bild des nie aufgebenden Bastian Schweinsteiger. Dieses WM-Finale war sein Spiel. Das Spiel seines Lebens. Seine Pässe, seine Zweikämpfe in der Luft und auf dem Boden, seine auf über 15 Kilometer addierte Laufleistung, sein selbstloser, aufopferungsvoller Dienst für die Mannschaft und den großen Coup verdichteten sich in dieser blutenden Wunde im Gesicht. Wie oft Schweinsteiger in diesen zwei Stunden von Rio de Janeiro auch fiel, wie oft er auch getreten, gefällt und gefoult wurde – er rappelte sich immer wieder hoch.

Rote und blaue Pfosten

"Es wird ein Turnier der Willenskraft, wir müssen uns überwinden", hatte er vor jener Südamerika-Reise gesagt. Es waren Worte, die wie ein Appell an die gesamte Delegation klangen. "Du musst es so annehmen, wie es kommt, und alles andere ausblenden", betonte er. "Da ist das Wort Willenskraft wirklich entscheidend." Schweinsteiger hatte diese charakterliche Qualität schon bei seinem mühevollen WM-Vorlauf vorgelebt. Nach zwei Operationen am Sprunggelenk reagierte plötzlich die Patellasehne im Knie gereizt, Schweinsteiger wurde erst im zweiten WM-Spiel gegen Ghana eingewechselt und etablierte sich in den folgenden fünf Begegnungen in der Startelf. Seine zähe Entschlossenheit, seine Stärke im Kopf hatte sich behauptet.

Schweinsteiger kennt es nicht anders. "Ich hatte schon als Kind einen sehr großen Willen", sagt er. Als Skifahrer, der er damals mit großer Befähigung war, "musste ich oft gegen Ältere ran", erzählt er. "Wenn ich nicht unbedingt hätte besser werden wollen, hätte ich keine Chance gehabt." Also hüpfte Klein-Basti in aller Herrgottsfrühe um fünf Uhr aus dem Bett, um sich aufzumachen auf Berges Höhen, von denen der kernige Naturbursche bis in den späten Abend durch den Schnee talwärts fuhr. Gegen seinen zwei Jahre älteren Bruder Tobias musste er sich ebenso durchsetzen, beim Eins-gegen-Eins im heimischen Wohnzimmer, oder gegen die Kumpels, mit denen er auf der Straße kickte, unter einer zuvor an einem Skilift befindlichen Flutlichtanlage, die Schweinsteigers eigens errichtet hatten. Bald wurde noch eine Wiese angemietet, das Gras geschnitten und zwei Tore aufgestellt, eines mit roten Holzpfosten und eines mit blauen, für Bayern und 1860 München.

Rekordsieger im DFB-Pokal

Im Alter zwischen 14 und 16 Jahren riss fünfmal pro Woche um sechs Uhr der unbarmherzige Wecker den Buben Bastian aus dem Schlaf, nach einem zehnminütigen Fußmarsch ging es vom heimischen Oberaudorf zur Schule nach Brannenburg, um 13 Uhr weiter mit dem Bus nach München zum Training mit dem Nachwuchs des FC Bayern, ehe er nach der Rückkehr gegen 22.30 Uhr todmüde ins Bett fiel. "Die ganzen Mühen haben sich gelohnt, das ist schön", sagte Schweinsteiger in der Juli-Nacht von Rio, nachdem er eine gute Stunde zuvor den World Cup entgegengenommen und innig geküsst hatte.

Er sagte diesen Satz mit Bezug auf die WM, durfte dieses Fazit jedoch genauso unter seine gesamte Karriere setzen, die trotz mancher Beschwernisse zum im Fußball größtmöglichen Erfolg geführt hatte. Mehr als Weltmeister geht nicht. Dabei sind der Gewinn der Champions League, veredelt gar zum Triple, die achtmalige deutsche Meisterschaft, die einzig sieben Spieler häufiger abräumten (die Bestmarke hält Thomas Müller mit zwölf Titeln), und der Rekordwert von sieben Siegen im DFB-Pokal, schon herausragende und höchst respektable Großtaten.

Schweinsteiger hat sie sich allesamt schwer erarbeitet. Wenn er einmal äußerte, "man muss auch für seine Mitspieler Meter machen, die wehtun", dann war ihm diese Anmerkung Programm, wie auch diese Äußerung vor der WM 2014: "Wenn wir einen guten Teamgeist entwickeln, dazu unsere fußballerische Qualität abrufen und auch wieder die typisch deutschen Tugenden einbringen, werden wir ein sehr gutes Turnier spielen. Wenn jeder mitzieht, ist das ganz große Ding möglich." Schweinsteiger steht für diesen Gemeinsinn sowie die gelungene Synthese von deutscher Technik, und deutschen Tugenden, die er in zwölf Jahren in der deutschen Nationalmannschaft einbrachte.

Debüt vor 20 Jahren

Als er vor der EM 2004, die schon nach den drei Gruppenspielen beendet war, bei der 0:2-Generalprobe gegen Ungarn eingewechselt wurde (46.), bevölkerten noch Bernd Schneider, Fabian Ernst, Dietmar Hamann, Michael Ballack oder Torsten Frings das Mittelfeld; Andreas Hinkel, Christian Wörns, Jens Nowotny, Frank Baumann und Philipp Lahm formierten sich zur Abwehr, im Tor stand Oliver Kahn, und mit Miroslav Klose stürmten Fredi Bobic, Thomas Brdaric und der neben Schweinsteiger zweite damalige Neuling, Lukas Podolski. Bei dem missglückten portugiesischen EM-Kurztrip der deutschen Delegation durfte der 19 Jahre junge Nachwuchsmann Schweinsteiger in allen drei Begegnungen mitwirken, der damals verantwortliche Teamchef Rudi Völler begeisterte sich an der Unbekümmertheit und den enormen fußballerischen Qualitäten dieses Edeltalents, das sich fortan in der DFB-Auswahl Schritt für Schritt festsetzte und 2005 in 13 von 15 Länderspielen vom neuen Bundestrainer Jürgen Klinsmann losgeschickt wurde.

In jenem Jahr verortet er den Aufbruch der späteren weltmeisterlichen Mannschaft. Per Mertesacker, Podolski und Lahm gehörten auch zu jenem Team, das 2006 das Sommermärchen aktiv mitgestaltete. Schweinsteiger, damals noch auf der linken Flanke unterwegs, spielte beim Happy End eine Hauptrolle, mit zwei Treffern zum 3:1-Sieg im kleinen Finale gegen Portugal. Nach jener heimischen WM "haben uns die Leute trotz des dritten Platzes zugejubelt", erinnerte Schweinsteiger, mittlerweile längst der Macher, Pass- und Rhythmusgeber in der Mittelfeldzentrale, acht Jahre später, als das Weltmeisterwerk vollbracht war. "Nun haben die Fans etwas zurückbekommen." Dieses gelungene Dankeschön der Spieler an ihre große Anhängerschar, so fasste es ein gereifter Schweinsteiger zusammen, "ist eigentlich das Schönste am Titel: Dass wir die Leute glücklich gemacht haben".

Heynckes verneigt sich

Gerne hätte er diese globalen Ehrenwürden 2014 noch mit den kontinentalen 2016 angereichert. "Ich wollte diesen EM-Titel unbedingt gewinnen", teilte Schweinsteiger mit, als er nach dem Turnier, vier Tage vor seinem 32. Geburtstag, seinen Abschied von der Nationalmannschaft verkündete. Es sollte nicht mehr sein, aber auch zu großen Karrieren gehören immer Niederlagen.

In 18 DFB-Einsätzen trug Schweinsteiger die schwarz-rot-goldene Kapitänsbinde, die ihm Bundestrainer Joachim Löw nach Lahms Rücktritt 2014 zuwies, am Arm, er schoss 24 Tore, davon fünf per Elfmeter. Seine 121 Länderspiele platzieren ihn in der Liste der deutschen Nationalspieler hinter Lothar Matthäus (150), Miroslav Klose (137), Lukas Podolski (130) und Thomas Müller (128) auf Position fünf. Was von ihm geblieben ist, ist aber viel mehr als Daten und Statistiken. Jupp Heynckes, dem er in der gemeinsamen Zeit beim FC Bayern und beim Triple-Triumph ein vertrauensvoller Partner und der verlängerte Arm auf dem Spielfeld war, gliederte ihn vor einigen Jahren mit dem Hintergrund des welterfahrenen Erfolgstrainers sowie des Europa- und Weltmeisters, der er 1972 und 1974 als DFB-Stürmer wurde, unter den größten deutschen Mittelfeldspielern ein, in eine Reihe mit Fritz Walter, Wolfgang Overath, Günter Netzer, Bernd Schuster und Lothar Matthäus. "Ich verneige mich vor einer bewundernswerten Karriere", sagte Heynckes einmal, "aber noch mehr vor dem Menschen Bastian Schweinsteiger." Mit dem er nun zusammen in die Hall of Fame aufgenommen wird.

Erfolge

Weltmeister 2014

Champions-League-Sieger 2013

Europa-League-Sieger 2017

Deutscher Meister 2003, 2005, 2006, 2008, 2010, 2013, 2014, 2015

Deutscher Pokalsieger 2003, 2005, 2006, 2008, 2010, 2013, 2014

Deutscher Ligapokal-/Supercupsieger 2004, 2007, 2010, 2012

FIFA-Klub-Weltmeister 2013

UEFA-Super-Cup-Sieger 2013

FA Cup-Sieger 2016

Englischer Supercup-Sieger 2016

Englischer Ligapokalsieger 2017

Deutscher A-Juniorenmeister 2002

Deutscher B-Juniorenmeister 2001

Silbernes Lorbeerblatt 2006, 2010, 2014

Deutschlands Fußballer des Jahres 2013

Nationalspieler des Jahres 2010

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